Entscheidungsdatum
29.05.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W264 2188730-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA.: Afghanistan, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich, Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, UMF-Koordinierungsstelle, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5.2.2018, 1086970003-151329461, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem Beschwerdeführer gemäß
§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten
in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 29.5.2020 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer (im Folgenden auch als "BF" bezeichnet) ist afghanischer Staatsangehöriger. Sein Bruder XXXX stellte am 14.9.2015 für den BF nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. XXXX , der große Bruder des BF, gab an: "In meiner Eigenschaft als Bruder und gesetzlicher Vertreter meines unmündigen Bruders XXXX , stelle ich für ihn einen Asylantrag. Für ihn gelten dieselben Fluchtgründe."
XXXX erstattete in der laut Erstbefragungs-Niederschrift in Dari geführten Erstbefragung zum Asylantrag folgendes sachverhaltsrelevantes Vorbringen: Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der islamischen Glaubensrichtung der Sunniten an und stamme aus der Provinz Maidan Wardak. Es ist in der Niederschrift der LPD XXXX vom 14.9.2015, XXXX , auf Seite 7 nach dem Satz "Die aufgenommene Niederschrift wurde mir in einer für mich verständlichen Sprache rückübersetzt" zu der Frage "Gab es Verständigungsprobleme" die Auswahlmöglichkeit "nein" angekreuzt.
Zu seinem Fluchtgrund führte er aus: "Ich habe meine Heimat aufgrund des Krieges und der unsicheren Lage verlassen. Besonders in unserem Dorf ist es sehr gefährlich und es herrscht Krieg. Außerdem wurde meine Familie und ich von den Taliban bedroht. Das ist mein Asylgrund."
Unter anderem gab der große Bruder XXXX an, die finanzielle Situation in Afghanistan sei schlecht gewesen. Er sei für seine Brüder XXXX und eben den BF XXXX verantwortlich.
3. Im vorgelegten Fremdakt liegt eine Email des Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, vom 12.9.2015 ein, wonach gegen eine Vertretung des minderjährigen BF durch XXXX und XXXX keine Einwände bestehen.
4. Im vorgelegten Fremdakt liegt ein Aktenvermerk "Indikatoren für Altersfeststellung" des BFA ein (handschriftliches Datum unleserlich) ein mit dem handschriftlichen Vermerk "Kein Zweifel an MJ des AW" [Anm: "AW" steht für Asylwerber und ist damit der BF gemeint].
5. Laut im Fremdakt einliegender Email der BH Wien-Umgebung vom 1.4.2016 fordert der BF "laut seiner Betreuer in der Einrichtung sehr viel Aufmerksamkeit".
6. Laut im Fremdakt einliegender Email der BH Wien-Umgebung vom 1.4.2016 fordert der BF "laut seiner Betreuer in der Einrichtung sehr viel Aufmerksamkeit".
Im Fremdakt liegen weiters ein:
* Schulbesuchsbestätigungen der XXXX vom 25.1.2017, vom 16.2.2017 und aus März 2017
* Schreiben der XXXX : Darin teilt die Gefertigte mit, für den BF und dessen zwei Brüder "ohne zu zögern die Hand ins Feuer" zu legen und berichtet darüber, dass der BF an der Produktion eines Theaterstücks mitgewirkt habe und sie ihm das Schwimmen beibringen wolle. Der BF wird darin sehr positiv beschrieben.
* Schreiben der XXXX : Darin wird der BF als gastfreundlich und kontaktfreudig und offen beschrieben und bewundere die Gefertigte die Brüder für ihren Zusammenhalt.
* Schreiben der Mag. XXXX vom 6.2.2017: der BF und seine Brüder werden darin beschrieben als sehr aufgeschlossen, neugierig, positiv und engagiert. Er habe Herzenswärme und sei gastfreundlich.
* Teilnahmebestätigung über die Teilnahme an einer Theaterproduktion
* Schulbesuchsbestätigung der XXXX vom 2.2.2017 (mit Leistungsbeurteilung)
* Urkunde über Teilnahme an einem Night Run
7. Im vorgelegten Fremdakt liegt das vom BF gesetzte Verhalten betreffend als Beweismittel ein:
* Abschlussbericht einer Dienststelle der LPD XXXX vom 14.5.2017 an die Staatsanwaltschaft XXXX wegen des Verdachts auf Körperverletzung zum Nachteil des minderjährigen Asylwerber XXXX (Bruch der Augenhöhle, der Nasennebenhöhle und des Jochbeins durch Faustschlag in das Gesicht, sodass XXXX einer Operation bedurfte). Laut diesem Abschlussbericht schien der BF unglaubwürdig und werde laut Polizeierhebungen "von seinen älteren Brüdern und anderen afghanischen Flüchtlingen" beschützt.
* Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung vom 12.5.2017
* Protokoll über die Vernehmung des XXXX als Zeuge vom 8.4.2017
8. Am 16.3.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) niederschriftlich einvernommen. Die Einvernahme wurde in Dari durchgeführt.
Der BF gab an, der Vater sei verschollen, nachdem dessen Auto mit einer Rakete oder Munition beschossen worden sei. Sechs Monate zuvor sei der Vater zu ihnen gekommen und habe gesagt, dass sie ruiniert wären, weil der Tanker zerstört sei. Er fuhr fort: "Wir haben auf ihn gewartet und er ist nicht mehr gekommen. Die Taliban haben uns bedroht. Vier Monate nachdem mein Vater verschollen ist, sind Leute zu uns gekommen und wollten Geld von uns wegen dem Lastwagen [Anm:
die drei Brüder gaben in den Verfahren an, dass ihr Vater Tankwägen gehabt hätte]. Sie haben uns dreimal aufgesucht. Bei dem ersten Mal haben wir gesagt, dass wir kein Geld haben und bei dem zweiten Mal sind wir bedroht worden. Bei dem dritten Mal haben sie gesagt, dass sie uns unseren Grund wegnehmen wollen und unsere Schwestern vergewaltigen wollen."
Als weitere Fluchtgründe gab er die Entführung seines ältesten Bruders XXXX - dessen Verfahren ebenso in der Gerichtsabteilung W264 zu Zahl W264 2166678-1 anhängig waren - an sowie das Aufsuchen von Gläubigern des Vaters, weil diese Geld von der Familie gefordert hätten. Überdies habe ihm der Mullah, als er ihn zum Lernen aufsuchte, gesagt, er solle sich in die Luft sprengen. Nebenbei hätte der Mullah zu allen gesagt, dass sie sich gegen die Amerikaner und die Polizei kämpfen sollen". Die Gläubiger wären reich und hätten die Familie überall gefunden, so der BF auf die Frage ob sie eine innerstaatliche Fluchtalternative erwogen hätten.
Der BF bejahte den Dolmetsch einwandfrei verstanden zu haben und geht aus der Niederschrift hervor, dass diese wortwörtlich rückübersetzt wurde (Protokoll des BFA S. 12).
9. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Umständen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt IV. dieses Bescheides wurde die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 Z 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
10. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 6.3.2018, welche vom Jugendwohlfahrtsträger verfasst und näher begründet wurde.
11. Die Beschwerdeangelegenheit samt dem Verwaltungsakt langte am 9.3.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
12. Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte die Staatsanwaltschaft
XXXX mit Erledigung vom 17.4.2018 über den Stand des Verfahrens des BF zu berichten.
13. Die Staatsanwaltschaft XXXX teilte mit Verständigung vom 27.4.2018 mit, dass das Verfahren betreffend den Vorfall (Körperverletzung des XXXX ) aufgrund dessen, dass der BF zum Tatzeitpunkt strafunmündig war, eingestellt wurde.
14. Am 4.10.2018 fand die öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt. Vor Gericht erschien als Vertreterin des BF Mag. XXXX vom Amt der XXXX Landesregierung.
In das Verfahren wurde seitens der Vertreterin eingebracht:
* Benachrichtigung der StA XXXX vom 23.5.2017 über die Einstellung des Verfahrens (Vorwurf der schweren Körperverletzung zum Nachteil des XXXX am 25.10.2016) wegen Strafunmündigkeit
* Ergänzende differenzierende Leistungsbeschreibung der XXXX vom 29.6.2018
* Jahreszeugnis der der XXXX vom 29.6.2018 (eine einzige Beurteilung mit "Nicht genügend" im Gegenstand "Deutsch"
* Zwei Kopien von Schulklassenfotos der Polytechnischen Schule XXXX
* Schulbesuchsbestätigung der Polytechnischen Schule XXXX vom 1.10.2018
* Schreiben des XXXX vom 3.10.2018, laut welchem der BF von einer KFZ Werkstätte, wo er im Zuge der berufspraktischen Tage in Schwechat gearbeitet habe, die Möglichkeit habe nach Schulabschluss eine Lehre als KFZ-Techniker zu absolvieren
* Schreiben der Lehrerin Mag. XXXX vom 1.10.2018
* Schreiben von XXXX , Schwechat, über Tätigkeit am 26. Und am 27.9.2018 im Rahmen der berufspraktischen Tage
Es folgen Auszüge aus der Verhandlungsschrift:
"BF wird darauf hingewiesen, dass im Falle, dass er / sie sich nicht mehr erinnern kann / können oder etwas nicht mehr weiß / wissen, dies sodann der R bekannt zu geben ist mit "ich weiß es nicht mehr / ich kann mich nicht mehr erinnern".
R: Wenn ich Sie nach Personen frage oder Sie von sich aus von Personen erzählen, dann möchte ich, dass Sie mir den Namen dieser Person auch sofort nennen! Haben Sie das verstanden?
BF: Ja.
R: Kennen Sie XXXX ?
BF: Ja.
R: Erzählen Sie mir von ihm.
BF auf Deutsch: Er war ein guter Freund.
R: Was heißt war? Warum jetzt nicht mehr?
BF: Jetzt auch. Wir haben miteinander gestritten und er wurde verletzt. Ich habe ihn mit der Faust geschlagen.
R: Wie geht es ihm jetzt gesundheitlich?
BF: Gut.
R: Ist er schon operiert?
BF: Nein, keine OP.
R: Sie wissen schon, dass wenn man sich mit jemanden nicht versteht, es nicht mit körperlicher Gewalt regelt?
BF: Ich habe einen Fehler gemacht.
R: Das war ein sehr schlimmer Fehler, was ich hier lese, Bruch der Linken Augenhöhle, Bruch der Nasennebenhöhle und ein Bruch des Jochbeins. Wurden Sie verurteilt deswegen?
BF: Nein, ich war Strafunmündig. BF auf Deutsch: Es tut mir leid, ich wollte ihn nicht schlagen aber es ist passiert. Er ist jetzt unser Freund. BF wieder auf Dari: Ich habe mich auch bei ihm entschuldigt.
Vorgelegt wird die Einstellung des Verfahrens als Beilage ./A.
Die R richtet an die Rechtsvertretung und an BF die Frage, ob allfällige Beweismittel vorlegen möchten, welche als Beilage ./B der Verhandlungsschrift angeschlossen werden.
Als diese Beilage wird ein Jahreszeugnis mit Noten vorgelegt sowie
Unterstützungserklärungen und Fotos über den Schulbesuch.
BF wird aufgefordert den Namen, die Volksgruppenzugehörigkeit, das Religionsbekenntnis und die Heimatprovinz auf ein Blatt Papier zu schreiben und wird dies als Beilage ./C zur Verhandlungsschrift genommen.
R: In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre Eltern?
BF: Ich weiß nicht wo sie sind. Sie sind verschwunden.
R: Die Mama ist auch verschwunden?
BF: Ja, meine zwei Schwestern auch. Mein kleiner Bruder auch.
R: Was heißt verschwunden, erklären Sie mir das?
BF: Wir haben sie auf der Staatsgrenze Iran-Türkei verloren. Auf uns wurde geschossen.
R: Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie an Ihre Mama und Ihre Geschwister denken?
BF: Es war für mich sehr schwer, jetzt ist es für mich Gewohnheit.
R: Haben Sie noch Onkel, Tanten, Cousin und Cousinen irgendwo auf der Welt?
BF: Nein, ich habe nichts davon.
R: Haben Sie in Afghanistan auch schon eine Schule besucht?
BF: 1-2 Jahre habe ich eine Moschee besucht.
R: Haben Sie in Afghanistan nur die Schule besucht oder haben Sie auch gearbeitet?
BF: Ich habe nicht gearbeitet, nur der Mutter geholfen.
Die R fordert BF auf, nun in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit Ihres Fluchtberichts.
Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen.
BF führt aus wie folgt:
Ich wurde in Afghanistan vom Mullah bedroht, dass ich gegen die Amerikaner kämpfen muss als Selbstmordattentäter.
Mein Bruder XXXX wurde von den Taliban bedroht und mitgenommen. Wir haben auch Schulden gehabt - die Gläubiger sind gekommen und wollten das Geld zurück. Wir haben diese Leute nicht gekannt, aber sie sagten, dass mein Vater denen Geld schuldet. Mein Vater hatte zwei Tankwagen. Die Tankwagen wurden bei Angriffen der Taliban zerstört. Mein Vater ist mit den Tankwagen in unterschiedliche Provinzen gefahren, nach Herat usw.
Ich habe aus dem Fenster gesehen, dass die Taliban die Hände meines Bruders nach hinten gefesselt haben und ihn mitgenommen haben.
In unserem Dorf waren Kriegshandlungen, ca mehr oder weniger zweimal pro Monat. Die Taliban sind zu uns gekommen und haben sich bei uns in der Gegend versteckt und gegen die afgh. Regierung gekämpft. Wir wurden von denen geschlagen und wir mussten ihnen auch Essen geben.
Mein Bruder XXXX war älter und die Taliban wollten ihn mitnehmen, er sollte für sie kämpfen. Mein Vater ist verschwunden, meine Mutter hat die Grundstücke verkauft. Da überall Krieg war und ich auch bedroht wurde wollten wir dann nach Europa. Deswegen sind wir auch nach Europa gekommen.
R: War das alles?
BF: Ja.
R: Sie haben gesagt "Die Taliban sind zu uns gekommen und haben sich bei uns in der Gegend versteckt" - sind die Taliban zu Ihnen in die Ortschaft gekommen oder zu Ihnen nach Hause?
BF: Sie sind zu uns nach Hause gekommen und haben sich auch in der Gegend versteckt. Wir haben Obstplantagen gehabt, davon haben wir gelebt. Auch von diesen zwei Tankwagen haben wir gelebt. Mein Vater war unterwegs nach Kabul, er ist spurlos verschwunden.
R: Können Sie sich erinnern: War die Tatsache, dass der Vater spurlos verschwunden war ein Ausreisegrund oder etwas anderes?
BF: wir sind wegen den Taliban geflüchtet, weil mein Bruder von den Taliban bedroht wurde.
Mein Bruder wurde von den Taliban mitgenommen, aber er sagte zu denen, dass meine Mutter krank ist und er kam wieder nach Hause. Er hat Zeit bekommen und hätte danach wieder zurückkehren müssen zu den Taliban.
R: Hat das Ihnen Ihr Bruder erzählt, dass die Taliban ihn mitgenommen haben und sagten: Ok, deine Mama ist krank. Du kannst zurück, aber dann kommst du wieder!
BF: Ich erinnere mich ganz wenig, ich habe aber mitbekommen, dass mein Bruder es meiner Mutter erzählt hat und das habe ich gehört.
R: Wann ist Ihr Vater verschwunden?
BF: Vor ca vier Jahren.
R: Wie konnten Sie dann mit der Mama und den Geschwistern leben, wenn der Vater nicht mehr da war und kein Geld geschickt hat?
BF: Wir hatten Grundstücke, von diesen haben wir gelebt.
Die Leute wollten das Geld zurück. Uns wurde uns gesagt, sie würden meine Schwestern nehmen. Die waren damals klein.
R: Wie alt waren die Schwestern damals?
BF: Beide waren damals 12 Jahre alt. Wir alle waren 12, jetzt sind wir 15. Wir sind Drillinge.
R: Wie lange sind Sie schon aus Afghanistan weg?
BF: ca. drei Jahre, mehr oder weniger.
R: Beschreiben Sie mir die Situation mit dem Mullah, die Sie vorhin erwähnt haben. Wo waren Sie damals mit ihm?
BF: ich war in der Moschee und er sagte zu uns, dass die Amerikaner Ungläubige sind und wir müssen gegen sie kämpfen. Dass wir Selbstmordattentate verüben sollen.
R: Wie kann ich mir das vorstellen? War der Mullah wie ein Lehrer oder wie ich hier heute vor mehreren Menschen und hat für alle einmal an alle gerichtet gesprochen oder hat er zu Ihnen persönlich gesagt, dass die Amerikaner Ungläubige sind und Sie gegen sie kämpfen und Selbstmordattentate verüben sollen?
BF: Es waren auch andere dabei, aber er hat es zu mir gesagt.
R: Zu den anderen hat er es nicht gesagt?
BF: ich weiß nicht, ob er es auch zu den anderen gesagt hat. Aber zu mir schon.
R: Was haben Sie daraufhin gesagt?
BF: ich hab so ok gesagt, aber ich hab nicht zugehört.
R: Und was hat der Mullah dann gemacht oder gesagt?
BF: Nichts mehr.
R: War das alles oder gibt es noch andere Gründe, die so schlimm waren, dass Sie gesagt haben "hier bleib ich nicht, ich will hier weg!"?
BF: Die Gründe die ich bereits gesagt haben, waren die Gründe warum ich Afghanistan verlassen habe. Weil die Leute das Geld zurückforderten, die Sicherheitslage schlecht war und wir bedroht wurden.
R: Von wem bedroht?
BF: Von den Taliban.
R: Ist zu Ihnen persönlich einmal ein Taliban gekommen und hat sie bedroht?
BF: Nein.
R: Beschreiben Sie mir ganz genau: wie hat der Streit mit XXXX angefangen? Erzählen Sie mal!
BF: Wir waren in der Küche. Er hat mich beschimpft. Ich habe zurückgeschimpft.
R: Was hat er gesagt?
BF: Ich erinnere mich nicht mehr. Da ist es zum Streit gekommen und sein Auge ist verletzt geworden.
R: So wie Sie das schildern, wurde das Auge von selbst verletzt. Wie wurde es verletzt?
BF: Es kam zum Streit zwischen uns, ich wollte es aber nicht, dass er verletzt wird. Es ist zum Streit gekommen und er ist verletzt geworden.
R: Wie ist er verletzt geworden?
BF: Es war ein Streit. Ich erinnere mich nicht genau wie es passiert ist.
R: Haben Sie sich von selbst bei dem Streit getrennt? Wie wurde der Streit beendet?
BF: Wir haben uns selbst voneinander getrennt.
R: Wurden Sie von der Polizei über diesen Vorfall einvernommen?
BF: Ja.
R: Haben Sie dort die Wahrheit gesagt?
BF: Ja.
R: Wer hat Sie da befragt: ein Mann oder eine Frau?
BF: Ein Mann.
R: Haben Sie alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht? Alles von dem Sie sagen: das sind Gründe, warum ich nicht mehr in Afghanistan bleiben konnte und wollte.
BF: Das war's.
R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt? Ist irgendjemand gekommen und hat gesagt, er tut Ihnen etwas an, nur weil Sie Tadschike sind?
BF: Nein.
R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit Sunnit jemals bedroht oder verfolgt? Ist irgendjemand einmal zu
Ihnen gekommen und hat gesagt: Du bist ein Sunnit, deshalb mach ich mit dir das oder das?
BF: Nein.
R: Waren Sie in Afghanistan einmal Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig? Haben Sie in der Politik gearbeitet.
BF: Nein
R: Waren Sie in Afghanistan jemals in Haft? Waren Sie dort einmal im Gefängnis, weil die Polizei Sie hingebracht hat?
BF: Polizist? Nein.
R: Sind Sie sonst einmal in Afghanistan von irgendjemandem eingesperrt worden? BF: Nein.
R: Haben Sie so etwas wie mit XXXX auch schon in Afghanistan einmal gemacht?
BF: Nein ich war klein.
R: Sind Sie jetzt klein oder groß?
BF: Jetzt bin ich groß geworden.
Die R klärt den BF auf, dass er nach der österreichischen Rechtsordnung noch nicht erwachsen ist und es zum Zwecke des Jugendschutzes etwa im Arbeitnehmerschutz oder im JugendschutzG Bestimmungen gibt, die ihn vor Nachteilen schützen. Aber wird er darauf aufgeklärt, dass er als Strafmündiger nun vom Strafrecht für Straftaten sehr wohl schon zur Verantwortung gezogen werden kann.
R: Sind Sie in Afghanistan vorbestraft oder werden Sie mit einer staatlichen Fahndungsmaßnahme wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief gesucht?
BF: nein.
R: Hatten Sie in Afghanistan jemals Probleme mit Behörden, der Polizei oder einem Gericht? BF: Nein.
R: Nahmen Sie in Afghanistan an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil? Haben Sie in Afghanistan einmal mit der Waffe gekämpft? BF: Nein.
R: Wurden Sie in Afghanistan jemals von irgendjemandem bedroht oder verfolgt (Blutfehde, Racheakte oder dergleichen)?
BF: nein.
Waren Sie schon einmal in Herat, Mazar-e Sharif?
BF: nein
Ist in Afghanistan irgendeinmal irgendein Mensch zu Ihnen gekommen und hat sie bedroht oder verfolgt?
BF: ja von den Taliban und von den Gläubigern des Vaters.
R: Und was haben die zu Ihnen gesagt?
BF: Sie sagten, dass wir das Geld zurückzahlen sollen, ansonsten werden sie meine Schwestern nehmen.
R: Hab ich das richtig verstanden:
die haben zu Euch gesagt: "wenn ihr nicht bezahlt nehmen wir die beiden Mädchen mit!"? BF: Ja, das haben sie zu uns gesagt.
R: Und was haben die gesagt, was sie mit Ihnen machen, wenn sie das Geld nicht zurückbezahlt bekommen?
BF: an mehr erinnere ich mich nicht so ganz genau. Aber ich weiß, dass sie gesagt haben, dass sie meine Schwestern mitnehmen wollen.
R: Wie oft waren diese Menschen, die das Geld zurückgefordert haben, bei Ihnen und der Familie?
BF: Das weiß ich nicht genau. Einmal oder zweimal. Aber einmal war ich dabei und habe es gehört.
R: Und was haben die gesagt, was sie mit Ihren Brüdern machen, wenn sie das Geld nicht zurückbezahlt bekommen?
BF: Das weiß ich nicht.
R: Haben Sie nun alles gesagt, von dem Sie in Afghanistan gedacht haben: "Furchtbar, das halte ich deshalb nicht mehr aus und deshalb geh ich weg?"
BF: Nein, das wars.
R: Was befürchten Sie für Ihr Leben, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten? BF: Ich habe dort nichts. Keine Wohnung, nichts zu Essen. Bei uns ist Krieg und wir haben Probleme mit den Gläubigern.
R: Wenn Sie zurück nach Afghanistan müssten: wem würden Sie erzählen, dass Sie wieder da sind?
BF: ich habe niemanden.
Auf Befragen der RV:
Fragen an sich nicht. Aber ich will etwas sagen zur Möglichkeit der Versorgung in Afghanistan. Ich merke an, dass der ältere Bruder in Österreich nicht die Obsorge erhalten hat. Es ist nicht davon auszugehen, dass die älteren Brüder, denn minderjährigen Bruder in Afghanistan versorgen könnten. Zu den Folgen der möglichen Zwangs Rekrutierung möchte ich auf den EASO Bericht zur Zwangsrekrutierung (verweise auf die Beschwerde) hinweisen, worauf es nicht unbedingt auf eine persönliche Aufforderung des minderjährigen ankommt, sich den Taliban anzuschließen, da sehr viele Rekrutierungen über das Familienoberhaupt oder den Dorfältesten stattfinden.
AUF DEUTSCH ohne Übersetzung, wortwörtlich protokolliert:
R: Wie verbringen Sie Ihr Leben hier in Österreich momentan?
BF: Gestern bin ich aufgestanden. Ich habe immer um 8 Uhr schule. Ich stehe immer um halb 7 auf. Bis 7 Uhr mache ich mich fertig, mein Zug geht um 7:15 Uhr. Dann habe ich Unterricht. Bis halb 5 habe ich Schule. Dann gehe ich nach Hause und koche was oder mein großer Bruder kocht für mich etwas. Dann bin ich bisschen mit XXXX , mit meinem anderen Bruder. Er geht dann auch in die Schule bis 10 Uhr. Er geht in die Abendschule. Am Wochenende dann sehen wir uns. Ich vertrage mich gut mit meinen Brüdern. Dann gehe ich mit meinen Freund XXXX raus, wenn ich Zeit habe, auch XXXX . Ich habe viele Freunde, aber diese haben so komische Namen.
R: Welchen Tag haben wir heute?
BF: Heute ist Donnerstag.
R: In welchem Bundesland leben Sie?
BF: In Niederösterreich in XXXX .
R: Gefällt es Ihnen dort?
BF: Ja, sehr.
R: Haben Sie sich konkrete Gedanken zu Ihrer Zukunft in Österreich gemacht?
BF: Ich will Mechatronik machen. Vor 2 Wochen war ich in einer Firma schnuppern. (Bestätigung liegt vor) Dort habe ich 3 Tage gearbeitet und mein Chef war sehr nett. Er fragte mich, wo meine Familie sei. Ich sagte ihm, dass ich sie verloren habe. Er sagte mir, dass er versuchen würde, mich in seine Firma zu nehmen. Ich will meine Familie finden, ich will hier in Österreich bleiben und arbeiten als KFZ-Techniker. Ich will natürlich auch in Frieden und Sicherheit leben.
R: Haben Sie bereits Erkundigungen über Ausbildungsmöglichkeiten und Berufsaussichten für Ihre Person hier in Österreich eingeholt?
BF: Ja habe ich.
R: Wo haben Sie gefragt: was muss ich machen, damit ich eine Ausbildung machen kann? BF: Ja habe ich eh, ich war 3 Tage schnuppern und es hat mir sehr gut gefallen.
R: Haben Sie heute hier in diesem Gerichtsverfahren alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht? BF: Ja, ich habe alles erzählt.
R richtet an den BF und dessen Rechtsvertreter die Frage, ob zum aktuelle Länderbericht der Staatendokumentation vom 11.9.2018 ein über den Beschwerdeschriftsatz hinausgehendes Vorbringen erstattet wird, da die R beabsichtigt, den Länderbericht in jener Fassung im Zeitpunkt der Entscheidung ihrer Entscheidung zu Grunde legen.
Die RV bringt vor, dass dieser Länderbericht festhält, dass sich die Sicherheitslage in
Afghanistan massiv verschlechtert hat und wir auf die zuletzt übermittelte Eingabe UNHCR-Bericht vom 30.8.2018 eingehen, welcher die Zunahme der prekären Lage bestätigt. Im vorangegangen Länderbericht wird zur Herkunftsprovinz festgehalten, dass Taliban dort sehr aktiv sind und weise ich darauf hin, dass für den BF trotz älterer Brüder eine Innerstaatl. Fluchtalternative nicht in Frage kommt.
Die Brüder können den mj BF auch in Österreich nicht versorgen. Umso mehr würde dies für Afghanistan in der dortigen Situation gelten.
Ich verweise auf die gut gelungene Integration des BF in Österreich. Der BF verfügt in Ö über ein soziales Netz, unter anderem ist auch Herr XXXX heute anwesend als Zeichen der Unterstützung nicht nur bei Behördenterminen, sondern auch im Alltag für das Leben in Österreich.
Aus den Unterstützungsschreiben geht die positive Entwicklung des BF in Österreich hervor, ich bin überzeugt davon, dass er bei Erlangung eines Arbeitstitels auch rasch in den Arbeitsmarkt einsteigen kann.
Der Rechtsvertretung wird mitgeteilt, dass für den Fall, dass bis zur Zustellung der Entscheidung eine neue Fassung des Länderberichts der Staatendokumentation herauskommen sollte, eine allfällige Stellungnahme hiezu dem Gericht ohne Aufforderung zu übermitteln ist.
Die RV zieht den Antrag auf zeugenschaftliche Befragung des Bruders zum Thema Integration oder Zweifel an dem Fluchtvorbringen gäbe, zurück, nachdem die R mitteilte, dass zu dem Thema Integration des BF Unterstützungserklärungen von nicht blutsverwandten Personen vorliegen, welchen Beweiskraft zukommt, sodass aus Sicht der R für die Entscheidungsfindung eine zeugenschaftliche Befragung des Bruders nicht vonnöten erscheint.
R: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Einvernahme einwandfrei verstanden?" BF: ja hab ich.
R zu D: Haben Sie den BF heute immer gut verstanden? BF: Sehr gut. Der Dialekt des BF ist ganz normal Dari.
R: Begehren Sie eine Rückübersetzung oder möchten Sie, dass die Verhandlungsschrift der Rechtsvertretung zur Durchsicht vorgelegt wird?
BF: Die Rechtsvertreterin soll es durchsehen.
Schluss der Verhandlung
Die Niederschrift wird:
x zur Durchsicht vorgelegt
-
vorgelesen
-
rückübersetzt
-
Auf die Verlesung (Rückübersetzung) der Niederschrift oder Vorlage zur Durchsicht wird verzichtet.
x Gegen die Niederschrift werden keine Einwendungen wegen behaupteter
Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit erhoben."
15. Zur Verifizierung der Angaben des BF und des Herrn XXXX wurde das Unternehmen XXXX in Schwechat mit Erledigung vom 5.10.2018 aufgefordert, binnen drei Wochen ab Zustellung mitzuteilen ob es seitens des Unternehmens Bestrebungen gibt, dem BF eine Beschäftigung / Lehrstelle anzubieten. Die Zustellung erfolgte laut unbedenklichem Rückschein RSb durch einen Arbeitnehmer des Unternehmens am Dienstag 9.10.2018, sodass die dreiwöchige Frist am Dienstag 30.10.2018 endete. Eine Stellungnahme langte beim Bundesverwaltungsgericht bis dato nicht ein.
16. Mit Schreiben vom 1.10.2018 wurde von der Vertretung des BF der UNHCR-Bericht vom 30.8.2018 vorgelegt und auf KURIER-Artikel hingewiesen, worin berichtet wird, dass Mag. Mahringer die Aberkennung als Gutachter verloren hat und worin ein Interview des Thomas Ruttig wiedergegen wird. Vorgelegt wurde auch das Jahreszeugnis über das Schuljahr 2017/18. Ebenso wurden nochmals die bereits vorgelegten Klassenfotos und die Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft XXXX vorgelegt sowie das Gutachten von Frau Stahlmann. Ebenso beigelegt war der Kommentar des Thomas Ruttig zum Gutachten von Mag. Mahringer, GZ BVwG-160.000/0001-Kammer Al2017.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist Sunnit. Seine Muttersprache ist Dari.
Der Beschwerdeführer ist ein mündiger Minderjähriger und vollendet am 1.1.2020 sein 17. Lebensjahr.
Sein großer Bruder XXXX stellte für ihn im September 2015 nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Maidan Wardak in Afghanistan, wo er bis zu seiner Ausreise in seiner Kernfamilie lebte. Der BF erwarb im Herkunftsstaat keine Arbeitserfahrung.
Zwei der Geschwister des BF leben in Österreich und wurde im Mai 2019 jeweils deren Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung als unbegründet abgewiesen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF nicht über ihm wohl gesonnene Verwandte in Afghanistan verfügt.
Die Ausreise des BF wurde von der Mutter organisiert und finanziert.
Feststellungen zu der finanziellen / wirtschaftlichen Lage der Familie des BF während seines Aufenthalts in Afghanistan können nicht getroffen werden.
1.1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt war bzw. ihm eine solche Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen politischen Ansichten von Seiten Dritter bedroht wäre.
1.1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken sowie als sunnitischer Moslem bzw dass jeder Angehörige der Volksgruppe des Beschwerdeführers sowie der Glaubensrichtung des Beschwerdeführers in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
1.1.4. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus dem westlichen Ausland nach Afghanistan zurückgekehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
1.1.5. Mit seinen Angaben zeigt der BF asylrelevante Gründe für das Verlassen Afghanistans nicht auf, welche dazu geeignet wären, ihn im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen auszusetzen. Es droht ihm im Falle einer Verbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (EMRK).
Der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit vom Konflikt sowie dessen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
1.1.6. Der Beschwerdeführer ist ohne Sorgepflichten, arbeitsfähig und gesund.
1.1.7. Gegen den BF wurde in Österreich von der Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen dem Verdacht auf schwere Körperverletzung geführt und aufgrund dessen, dass der BF zum Tatzeitpunkt strafunmündig war, eingestellt. Daher ist der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.1.8. Die Herkunftsprovinz des BF ist Maidan Wardak. Diese zählt seit einiger Zeit zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv - speziell in den Distrikten nächst der Autobahn. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 81 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 83 zivile Opfer (42 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten/willkürlichen Tötungen und Luftangriffen. Dies deutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. In der Provinz Wardak werden groß angelegte militärische Operationen durchgeführt. Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv. Dazu zählen u. a. die Taliban; Quellen zufolge hat das Haqqani-Netzwerk in einem Teil der Provinz Wardak eine Zentrale gehabt. Das Haqqani-Netzwerk operiert großteils in Ostafghanistan und der Hauptstadt Kabul.
Für den Zeitraum 1.1.2017-31.1.2018 wurden keine IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet.
Die Herkunftsprovinz scheidet als Ort für die Wiederansiedelung des BF nach seiner Rückkehr daher aus.
Ebenso scheidet die Hauptstadt Kabul vor dem Hintergrund des "Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Beurteilung des internen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan vom 30.8.2018" als innerstaatliche Fluchtalternative aus.
1.1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass der gesunde und arbeitsfähige BF im Falle der Rückkehr in die Fluchtalternativen Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr nicht liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.1.10. In Österreich lebt der Beschwerdeführer von der Grundversorgung.
Er nahm an einer Theaterproduktion teil und war bereits bei einer Autowerkstätte für zwei Tage tätig.
Der BF besucht die Polytechnische Schule.
1.2. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Bezogen auf die Situation des Beschwerdeführers sind folgende Länderfeststellungen als relevant zu werten:
Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation
vom 29.6.2018 idgF:
KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl
Anschläge in Kabul-Stadt
Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).
Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).
Überflutungen und Dürre
Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).
Friedensgespräche
Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).
Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).
Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).
Verschiebung der Präsidentschaftswahl
Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).
KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und