Entscheidungsdatum
18.06.2019Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W227 2138133-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde des syrischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Spruchteil I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 3. Oktober 2016, Zl. 1072318505/150622314/BMI-BFA-KNT-AST-01-TEAM-01, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Der 29-jährige Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, brachte am 6. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
Bei seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer u.a. an, er stamme aus Dar'a. Syrien habe er aufgrund des Bürgerkrieges am 6. Dezember 2014 legal mit einem PKW Richtung Libanon verlassen. Aufgrund seines Studiums habe er zunächst einen Aufschub vom Militärdienst erhalten. Als er sein Studium jedoch beendet habe, sei er zur Ableistung seines Militärdienstes einberufen worden. Weiters sei sein Bruder als Journalist an "Aktionen" gegen das syrische Regime beteiligt gewesen, weshalb dieser vom syrischen Sicherheitsdienst gesucht werde. Im Falle einer Rückkehr habe er einerseits Angst, aufgrund seiner "Wehrdienstverweigerung" getötet zu werden, und andererseits habe er Angst, vor einer "Verfolgung und Tötung", weil sein Bruder "Regimegegner" sei.
In Folge legte er seinen syrischen Reisepass, seinen syrischen Personalausweis, seinen syrischen Bescheid über die Verleihung eines akademischen Grades (Bachelor of Economics), sein syrisches Militärdienstbuch und einen Zeitungsartikel betreffend seine Mitgliedschaft in einem Fußballverein vor.
2. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 15. Juni 2016 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst Folgendes an:
Er stamme aus XXXX , Provinz Dar'a, und habe dort mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in einem Einfamilienhaus gelebt; sein Vater sei bereits verstorben. Der Beschwerdeführer habe die Grund- und Hauptschule in XXXX besucht, in die Oberstufe und zur Universität sei er in Damaskus gegangen. Nach Abschluss seines Studiums in Betriebswirtschaft, sei er nach XXXX zurückgekehrt, um in der Landwirtschaft seiner Eltern zu arbeiten. Aufgrund seines Studiums habe er einen Aufschub vom syrischen Militärdienst erhalten. Nach Abschluss seines Studiums habe er Angst gehabt, zum Militärdienst eingezogen zu werden, weshalb er Syrien verlassen habe. Er wolle nicht am syrischen Bürgerkrieg teilnehmen und "unschuldige Menschen töten". Im Falle einer Rückkehr gelte er als "Verräter" des syrischen Regimes; im Falle einer Rückkehr würde ihm "die Todesstrafe" drohen. Zudem sei sein Bruder von der syrischen Regierung verfolgt worden, da dieser an Demonstrationen teilgenommen habe. Männer des syrischen Militärs seien zu seiner Familie nach Hause gekommen und sie hätten sich nach seinem Bruder erkundigt. Danach habe sein Bruder "immer wieder Briefe bekommen", dass dieser "zur Regierung" müsse. Dass sein Bruder von der syrischen Regierung gesucht werde, stelle auch für ihn eine Gefahr dar, "da wenn sie [s]einen Bruder nicht heranziehen können, [ihn] anfordern" könnten. Nachdem XXXX von der freien syrischen Armee erobert worden sei, seien seine Familie und er nach XXXX gezogen, wo sie sich für drei Monate aufgehalten hätten. Anhänger der FSA hätten den Beschwerdeführer aufgefordert, dass er mit ihnen zusammenarbeiten und "im Internet Artikel für sie schreibe" solle. Sein Bruder sei damals in XXXX geblieben, da das syrische Militär keinen Zugang mehr zu diesem Ort gehabt habe. Auch seine Familie sei wieder nach XXXX zurückgekehrt.
Nach seiner Ausreise sei seine Familie jedoch mehrfach umgezogen; seit zwei Wochen befänden sie sich in XXXX . Drei Cousins hielten sich in Österreich auf, ein Cousin befinde sich in Deutschland.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchteil I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchteil II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 4. Oktober 2017 (Spruchteil III.).
Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers stellte das BFA Folgendes fest:
Seine Identität stehe fest; er sei syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer stamme aus XXXX , Provinz Dar'a, und habe bis vor seiner Ausreise mit seiner Mutter und seinen Geschwistern zusammengelebt. Sein Vater sei bereits verstorben. Seine Familie sei im Besitz einer eigenen Landwirtschaft.
Glaubwürdig sei, dass der Beschwerdeführer Syrien aufgrund des Bürgerkrieges verlassen habe. Selbst bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen seien keine weiteren Ausreisegründe hervorgekommen. So habe der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung dezidiert angegeben, dass er bereits einen Einberufungsbefehl erhalten habe. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA habe er dies jedoch wiederlegt. Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich einen Einberufungsbefehl erhalten, hätte er diesen auch vorweisen können. So ließen sich Asylwerber erfahrungsgemäß viele Dokumente und Nachweise von deren Familien schicken. In Bürgerkriegszeiten seien Vorgehensweisen wie u.a. Männer im wehrdienstfähigen Alter sofort festzunehmen und zu rekrutieren üblich. Da dies jedoch nicht geschehen sei, sei der Beschwerdeführer keiner Bedrohung ausgesetzt gewesen. Das Vorbringen betreffend seinen Bruder sei glaubwürdig, habe jedoch mit dem Beschwerdeführer "selbst als Verfolgten nichts zu tun". Abgesehen davon sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer Syrien legal habe verlassen können, wenn er vom syrischen Regime verfolgt würde.
Rechtlich begründete das BFA die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten damit, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA mit der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Syrien.
4. Gegen Spruchteil l. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen Folgendes vorbringt:
Er habe die Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes bereits im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA ausführlich dargelegt. So habe er angegeben, dass er aufgrund seines Studiums einen Aufschub vom syrischen Militärdienst erhalten habe. Da er keine Menschen töten wolle, lehne er es ab, sowohl auf Seite des syrischen Regimes als auch auf Seite der Opposition sowie anderer bewaffneter Gruppen zu kämpfen. Aus seinem syrischen Militärdienstbuch gehe hervor, dass ihm der Aufschub bis Ende seines Studiums gewährt worden sei. Er habe Syrien deshalb am 6. Dezember 2014 Richtung Libanon verlassen. Zusätzlich stamme er aus der Provinz Dar'a; dort sei die Lage "sehr gefährlich", da sowohl das syrische Regime als auch zahlreiche bewaffnete Milizen operierend tätig seien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zum Beschwerdeführer
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und ist am XXXX geboren.
Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX , Provinz Dar'a. Nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums war er in der Landwirtschaft seiner Familie tätig. Der Beschwerdeführer reiste am 6. Dezember 2014 legal aus Syrien aus.
Im Falle einer Rückkehr besteht für den 29-jährigen Beschwerdeführer die Gefahr, zum Militärdienst eingezogen zu werden, was er ablehnt.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien
1.2.1. Politische Lage
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten. Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt.
Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert.
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten, wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer "Farce".
Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden. Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen. Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten. Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen. Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert.
Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort. Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert. Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen. Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 13. Mai 2019, S. 8ff.)
1.2.2. Folter und unmenschliche Behandlung
Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden.
NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren.
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden. Die Regierung hält weiterhin tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt fest. In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines "Freilassungsabkommens" auszutauschen.
Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung.
Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien. Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen. Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt. Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 13. Mai 2019, S. 32 ff.)
1.2.3. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen
Die syrische Regierung hat schon vor dem Ausbruch des aktuellen Konflikts abweichende politische Meinungen nicht bzw. nur in sehr begrenztem Umfang geduldet. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen der Opposition und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände reagierte die Regierung Berichten zufolge mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Bei der Frage, wo die politische Opposition beginnt, wendet die Regierung laut Berichten sehr weite Kriterien an: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form - so auch friedliche Proteste, die organisiert oder spontan im Rahmen einer politischen Partei oder auf individueller Ebene virtuell im Internet oder auf der Straße kundgetan wurden - führten Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen.
Es wurde berichtet, dass zahlreiche Mitglieder oppositioneller Parteien, Teilnehmer von Protesten gegen die Regierung, Aktivisten, Wehrdienstentzieher und Deserteure, bestimmte Berufsgruppen (z.B. Journalisten und Bürgerjournalisten, Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, Ärzte, Hochschuldozenten) und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, durch Vergeltungsmaßnahmen in Form von Reiseverboten, Enteignungen, Zerstörung ihres Privateigentums, Zwangsvertreibungen, willkürlichen Verhaftungen, Isolationshaft, Folter und sonstigen Formen der Misshandlung sowie summarischen und extra-legalen Hinrichtungen bestraft wurden. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden Berichten zufolge häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben.
Seit 2011 wird in zahlreichen Berichten von weitverbreiteten und systematischen willkürlichen Festnahmen und dem Verschwindenlassen von Männern und männlichen Jugendlichen berichtet, wovon insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, sunnitische Araber aus Gebieten betroffen sind, die derzeit oder früher von oppositionellen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden bzw. wurden. Berichten zufolge werden sie aufgrund ihrer vermeintlichen Teilnahme an Kämpfen gegen die Regierung, ihrer vermeintlichen Unterstützung bewaffneter Gruppen oder ganz allgemein wegen ihrer vermeintlich oppositionellen Ansichten ins Visier genommen.
Die Festnahmen beruhen laut Meldungen oft allein darauf, dass ein Mann oder Junge aus einem Gebiet stammt, das mit der Opposition in Verbindung gebracht wird. Die weitverbreiteten Festnahmen finden Berichten zufolge vor allem an Kontrollstellen, bei Razzien in wiedereroberten Gebieten und bei Evakuierungen statt, jedoch auch an öffentlichen Orten (einschließlich Krankenhäusern, Behörden, Flughäfen und Grenzübergängen). Bei Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben oder desertiert sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Oppositionelle wahrgenommen und verhaftet, zwangsrekrutiert und schwer misshandelt werden. Wie aus Berichten hervorgeht, meiden deshalb syrische Männer im wehrfähigen Alter - so auch männliche Jugendliche - Kontrollstellen der Regierung, da sie befürchten, misshandelt und getötet zu werden oder unter Zwang zu verschwinden.
Berichten ist zu entnehmen, dass die Regierung im Allgemeinen weiterhin Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zumindest zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, mit der bewaffneten Opposition in Verbindung bringt.
Dies ist Berichten zufolge Teil einer umfassenden Politik, die Zivilpersonen aufgrund ihrer Verbindungen ins Visier nimmt, wenn sich die Betroffenen in einem Gebiet aufhalten oder aus einem Gebiet stammen, das als regierungsfeindlich angesehen wird und/oder dem Lager der bewaffneten Opposition zugerechnet wird. Es wurde gemeldet, dass Zivilpersonen in diesen Gebieten zahlreichen Bestrafungen unterzogen wurden. Dies beinhaltet Massenverhaftungen, Folter, sexuelle Gewalt insbesondere der Einsatz von Vergewaltigungen als Kriegswaffe, extra-legale Hinrichtungen durch die Streitkräfte der Regierung und regierungsnahe Gruppen im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen sowie umfassenden Artilleriebeschuss und Luftangriffe.
Es wurde gemeldet, dass die Regierung zahlreiche Gebiete, die unter der Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, belagert hat und auf diese Weise Zivilpersonen von der Grundversorgung - z. B. von Lebensmitteln und medizinischer Versorgung - abgeschnitten hat. Personen, die Nahrungsmittel oder andere Grundversorgungsgüter in belagerte Gebiete transportierten oder versuchten, aus einem belagerten Gebiet zu fliehen, wurden Berichten zufolge schikaniert, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die Belagerungstaktik der Regierung in Gebieten, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden, zielt Berichten zufolge darauf ab, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zu bestrafen, die Unterstützung der bewaffneten Regierungsgegner in der Bevölkerung zu unterminieren und Zivilisten und Kämpfer zum Aufgeben zu zwingen.
Laut Berichten sind die Regierungstruppen im Rahmen lokaler Waffenstillstandsvereinbarungen zunehmend dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung aus belagerten, von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten zu evakuieren, nachdem sie diese Gebiete zuvor über lange Zeiträume belagert und bombardiert haben. Im Rahmen von lokalen Waffenstillstandsvereinbarungen in Barza, Tishreen, Qabun und den "Vier Städten" (Madaya und Zabadani in der Provinz Damaskus-Umgebung und Fu'ah und Kefraya in der Provinz Idlib) hat die unabhängige internationale Untersuchungskommission dokumentiert, wie regierungsnahe Truppen von einzelnen Personen, die sich ergeben hatten, verlangt haben, sich einem Versöhnungsverfahren zu unterziehen und der Regierung Treue zu geloben, damit sie in den betreffenden Gebieten bleiben können, während oppositionelle Einzelpersonen und Kämpfer von diesem Verfahren ausgeschlossen wurden und im Rahmen von organisierten Evakuierungen aus den Gebieten deportiert wurden.
Laut der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission werden solche Evakuierungen von der Regierung strategisch eingesetzt, um Bevölkerungstransfers auf der Grundlage politischer Loyalitäten zu erzwingen und die (vermeintlichen) Anhänger der Opposition in ein Gebiet im Nordosten des Landes zu verbannen. Die Untersuchungskommission stellt fest, dass die Evakuierungen in einigen Fällen mit Zwangsvertreibungen von Zivilpersonen gleichzusetzen sind. In Gebieten, die die Regierung von bewaffneten oppositionellen Gruppen zurückerobert hat, hat sie Berichten zufolge zahlreiche Personen verhaftet, insbesondere Männer und Jungen über zwölf Jahren, von denen sie vermutete, dass sie die oppositionellen Gruppen unterstützen oder mit ihnen sympathisieren.
(UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte Fassung, Stand:
November 2017, Punkt III. A. 1.)
1.2.4. Ethnische und religiöse Minderheiten
In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit, was demographische Daten betrifft. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese sich unter anderem aus arabischen, kurdischen, tscherkessischen, tschetschenischen und turkmenischen Bevölkerungsanteilen zusammensetzen.
Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10%. Laut Medien- und anderen Berichten ist davon auszugehen, dass viele Christen aufgrund des Bürgerkrieges das Land verließen, und die Zahl nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden. Diese Zahl könnte aufgrund jezidischer Flüchtlinge aus dem Irak mittlerweile höher sein.
Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt von Seiten der Regierung gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl interkonfessionelle Elemente als auch Elemente ohne interkonfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionellengruppen, welche die Vormachtstellung der Regierung bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeige sie interkonfessionelle Auswirkungen. So versucht die syrische Regierung konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, indem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt, während sie aber gleichzeitig auch radikale sunnitische Gruppen unterstützt und Religionsgemeinschaften kontrolliert. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten und haben eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis. Dies gibt dem Vorgehen der Regierung gegen oppositionelle Gruppen auch ein konfessionelles Element. Der Einsatz von ausländischen, konfessionell motivierten Milizen auf Seiten der Regierung verstärkt und verschärft das interkonfessionelle Moment des Konflikts. Berichten zufolge baut die Regierung auf schiitische Kämpfer z.B. aus dem Irak, Libanon und Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen.
Die Minderheiten sind in ihrer Einstellung der syrischen Regierung gegenüber allerdings gespalten. Auch die Alawiten sind in ihrer Unterstützung bzw. Ablehnung der syrischen Regierung nicht geeint. Manche Mitglieder der Minderheiten sehen die Regierung als Beschützer, andere sehen einen Versuch der Regierung, die Minderheiten auszunutzen, um die eigene Legitimität zu stärken, indem zum Beispiel konfessionell motivierte Propaganda verbreitet, und so die Ängste der Minderheiten geschürt werden und deren empfundene Vulnerabilität vertieft wird. So werden Berichten zufolge auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen. Sunnitische Araber sehen viele der syrischen Christen, Alawiten und schiitischen Muslime aufgrund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als mit der syrischen Regierung verbündet an. In den unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder der Gruppierung Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) stehenden Gebieten wurden Schiiten, Alawiten, Christen und andere Minderheiten sowie auch Sunniten, die gegen deren strikte Auslegung des Islam verstießen, Zielscheibe von Tötung, Entführung, Verhaftung oder Misshandlung. In Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit besteht die syrische Bevölkerung zum Großteil aus Arabern (Syrer, Palästinenser, Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen.
Im Jahr 2011, kurz vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, lebten in Syrien zwischen zwei und drei Millionen Kurden. Damit stellten sie etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Lebensumstände waren für die Kurden in Syrien lange Zeit noch kritischer als in der Türkei und im Iran. Ein Grund dafür war die brutale Repression aller oppositionellen Bestrebungen durch das Regime. Das Ergebnis waren sehr weitgehende Diskriminierungen. Im Nachgang einer Volkszählung im Jahr 1962 wurde rund 120.000 Kurden die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt. Sie und ihre Nachfahren gelten seither als geduldete Staatenlose. Die Zahl dieser Ausgebürgerten, die wiederum in registrierte (ajanib) und unregistrierte (maktumin) Staatenlose unterteilt wurden, dürfte 2011 bei über 300.000 gelegen haben. Als im März 2004 im kurdischen Nordosten Unruhen ausbrachen, deren Wellen bis in kurdischen Viertel von Damaskus reichten, wurden sie brutal niedergeschlagen.
Die schweren Diskriminierungen, die alle Kurden im Nordosten trafen, blieben bis 2012 bestehen. So durfte in den Schulen und Universitäten nicht in kurdischer Sprache gelehrt werden und kurdische Publikationen waren verboten. Die fehlende Präsenz der syrischen Regierung in den kurdischen Gebieten in den Anfangsjahren des Konfliktes verlieh den Kurden mehr Freiheiten, wodurch zum Beispiel die kurdische Sprache an Schulen unterrichtet werden konnte. Die syrische Regierung erkennt die Legitimation der föderalen kurdischen Gebiete jedoch nicht an.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 13. Mai 2019, S. 51ff.)
1.2.5. Wehrdienst
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten. Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert.
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden.
Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten.
Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.
Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Den Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht.
Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen. Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren.
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert, den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden.
Zusatzinformationen zum Reservedienst
Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen.
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab.
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.
Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt.
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte "externe Desertion"), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.
Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen.
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen. Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt.
Befreiung und Aufschub
Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Das Risiko der Willkür ist immer gegeben. Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Einem Bericht zufolge gibt es nun in Bezug auf ein Studium als Befreiungsgrund auch Altersgrenzen für den Abschluss des Studiums. Ein weiterer Bericht gibt an, dass gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert wurden.
Syrische Männer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis im Ausland können sich gegen Zahlung eines "Wehrersatzgeldes" vom Wehrdienst befreien lassen. Laut Wehrpflichtgesetz Art. 46 von 2012 beträgt diese Zahlung je nach Wohnort zwischen 4.000 und 5.000 USD. Gemäß Gesetz Nr. 33 vom August 2014 müssen bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren 8.000 USD bezahlt werden. Für im Ausland geborene und weiterhin wohnhafte Syrer im wehrpflichtigen Alter beträgt diese Zahlung 2.500 USD. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dies auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind.
Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden.
Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen. Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern der religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und die Mitglieder der Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen. Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen. Hierzu gab es Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers, der bereits eine nicht bekannte Anzahl von Entlassungen folgte.
Amnestien
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerern und Deserteuren eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden.
So erließ die syrische Regierung im Oktober 2018 das Präsidialdekret Nr. 18/2018, welches Deserteuren und Wehrdienstverweigerern im In- und Ausland Straffreiheit gewähren soll, ausgenommen "Kriminelle", sowie Personen, die auf Seite der bewaffneten Opposition gekämpft haben. Deserteure und Wehrdienstverweigerer in Syrien hatten laut Dekret vier Monate Zeit, sich bei den Behörden zu melden, jene im Ausland sechs Monate. Die Wehrpflicht ist jedoch laut Gesetz auch nach Inanspruchnahme der Amnestie noch abzuleisten.
Zur Amnestie vom 17. Februar 2016 für Deserteure, Wehrdienstverweigerern und Reservisten gibt es keine Informationen darüber, wie viele Personen diese genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte.
Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert, sowie als bisher wirkungslos. Die Behörden haben viele Personen, die im Rahmen von früheren Amnestien freigelassen wurden oder Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet hatten, später erneut inhaftiert.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 13. Mai 2019, S. 36 ff.)
Personen, die sich einem Schießbefehl widersetzten, desertierten oder einer geplanten Desertion verdächtigt wurden, werden in der Regel nicht formell angeklagt. Stattdessen wurden sie entweder zum Zeitpunkt der Desertion umgehend hingerichtet oder willkürlich inhaftiert, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und extralegal hingerichtet. Andere wurden nach einer Untersuchung zurück in ihre Einheit geschickt. Regierungskräfte griffen bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde durch Plünderung und Brandstiftung zerstört. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandte) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet.
Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.
(UNHCR-Bericht: Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen, Stand:
Februar 2017, S. 12f. und S. 22ff.)
1.2.6. Rückkehr
Im Juli 2018 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,5 Millionen Menschen. Die Zahl der Binnenvertriebenen belief sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen. 2018 sind insgesamt etwa 1,2 bis 1,4 Millionen IDPs in Syrien zurückgekehrt. Mit März 2019 waren 5.681.093 Personen in den Nachbarländern Syriens und Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert. 2018 sind laut UNHCR insgesamt etwa 56.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt. Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind.
Das Fehlen von vorhersehbarer und nachhaltiger physischer Sicherheit in Syrien ist der Hauptfaktor, der die Rückkehrvorhaben von Flüchtlingen negativ beeinflusst. Weiters werden das Fehlen einer adäquaten Unterkunft oder Wohnung oder fehlende Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu sichern als wesentliche Hindernisse für die Rückkehr genannt. Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wird der Wunsch nach Familienzusammenführung genannt. Rückkehrüberlegungen von syrischen Männern werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst. Es ist schwierig Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind.
Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren.
Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person diese Tätigkeit in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien wie Angriffe der Regierung verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt.
Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen, kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken. Es wird regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut deutschem Auswärtigen Amt glaubwürdig, können im Einzelfall aber nicht verifiziert werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exilpolitische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten.
Es gibt Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in Deutschland lebende Verwandte ausüben. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen. Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren. Laut einem Anwalt seien drei Männer weniger als drei Monate nach ihrer Rückkehr von Europa nach Syrien inhaftiert worden und sind im Gefängnis verstorben; laut Totenscheinen an Herzproblemen.
Ein Rückkehrer berichtet, am Flughafen Damaskus festgenommen, in einmonatiger Haft unter Gewalt befragt, und danach zum Wehrdienst eingezogen worden zu sein. Weitere Rückkehrer berichteten, dass ihre Reisepässe konfisziert wurden, damit sie das Land nicht mehr verlassen können. Ein ehemaliges Mitglied der Opposition wurde trotz dessen "Versöhnung" mit der syrischen Regierung nach mehreren Monaten zum ersten Mal und danach zwei weitere Male für insgesamt 18 Monate inhaftiert. Laut UNHCR ist unter den in Syrien herrschenden Bedingungen eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde derzeit nicht möglich und UNHCR fördert oder unterstützt die Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien weiterhin nicht.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 13. Mai 2019, S. 81 ff.)
1.2.7. Risikogruppen
In seinen Richtlinien "zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" vom November 2017 geht UNHCR u. a. von folgenden "Risikoprofilen" aus:
* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen (u.a. Wehrdienstverweigerer)
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zum Beschwerdeführer basieren auf seinen vorgelegten Unterlagen, seinen (auch vom BFA als glaubwürdig gewerteten) Angaben sowie der am 17. Juni 2019 eingeholten Strafregisterauskunft.
Dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr Gefahr läuft, zum Militärdienst eingezogen zu werden, basiert bereits auf den vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen, wonach Männer ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst unterliegen. Dies wird durch die nun aktualisierten Länderfeststellungen bestätigt, wonach ein Wehrdienst (nach wie vor) für männliche Syrer ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend ist. Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. Zusätzlich wird die Einberufung zum Militärdienst durch das vorgelegte Wehrdienstbuch des Beschwerdeführers belegt.
Die Feststellungen zur Ablehnung des Beschwerdeführers, an Kämpfen beteiligt sein zu wollen, ergeben sich aus seinen stimmigen Angaben.
Es ist daher glaubwürdig, dass im Falle einer Rückkehr für den 29-jährigen Beschwerdeführer nunmehr die Gefahr besteht, zum Wehrdienst eingezogen zu werden.
2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten (nun aktualisierten) Quellen, die schon das BFA seinem Bescheid zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen auch der Beschwerdeführer nicht entgegentrat, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde (Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).
Die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betr