Entscheidungsdatum
04.07.2019Norm
AlVG §1 Abs1 litaSpruch
I404 2162431-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter Dr. Karl ANTONIAZZI sowie Oliver GRIESSER als Beisitzer über die Beschwerden der XXXX und von XXXX, beide vertreten durch Mag. Dr. Josef VERGEINER, gegen den Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK) vom 29.03.2017, Zl. 182017CLB10004941400, betreffend Feststellung der Versicherungspflicht von XXXX in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetztes (ASVG) sowie der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit.a des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) nach nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
1. Den Beschwerden wird stattgegeben und festgestellt, dass XXXX weder gemäß
§ 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG noch gemäß § 4 Abs. 4 ASVG seit 06.03.2014 in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung pflichtversichert ist und daher auch nicht der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a des AlVG unterliegt.
2. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Mit Bescheid vom 29.3.2017 stellte die belangte Behörde fest, dass XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführer) aufgrund seiner Tätigkeit für die XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführerin) seit 6.3.2014 der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. Abs. 2 ASVG sowie der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliegt. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Zweitbeschwerdeführer seit 6.3.2014 mit einem Prozent Anteil an der Erstbeschwerdeführerin beteiligt sei. Seit 29.6.1995 sei der Zweitbeschwerdeführer für die Erstbeschwerdeführerin als Geschäftsführer tätig. Seine Arbeiten als Geschäftsführer würde er ohne schriftlich vereinbarten Arbeitsvertrag je nach Arbeitsanfall durchschnittlich im Ausmaß von 10 Stunden pro Woche an der Betriebsstätte der Erstbeschwerdeführerin sowie am Standort der jeweiligen Liegenschaften bzw. Vertragspartner der Erstbeschwerdeführerin erledigen. Er habe für seine Tätigkeiten als Geschäftsführer im Jahr 2014 monatlich brutto € 2.280, im Jahr 2015 monatlich brutto € 2.395 und ab dem Jahr 2016 monatlich brutto €
2.515 erhalten. Am 20.12.2013 sei zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und Frau XXXX (in der Folge: Aloisia G), Gesellschafterin der Erstbeschwerdeführerin mit 70 %igen Anteil, vereinbart worden, dass sie bei Beschlussfassungen der Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin, unabhängig von der Form der Beschlussfassung, nur einheitlich mit dem Zweitbeschwerdeführer abstimme bzw. ihr Stimmrecht nur nach der ihr vom Zweitbeschwerdeführer erteilten Weisungen ausübe. Mit notariell beurkundetem Stimmbindungsvertrag vom 4.3.2016 sei zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und Frau Aloisia G vereinbart worden, dass bei Beschlussfassungen der Erstbeschwerdeführerin - sei es in Generalversammlungen, sei es bei schriftlichen Abstimmungen - Aloisia G ihr Stimmrecht nur entsprechend der ihr erteilten Aufträge von dem Zweitbeschwerdeführer ausübe oder einheitlich mit diesem abstimme sowie dass sie auf ihr Kündigungsrecht bezüglich dieses Stimmbindungsverhalten für die Dauer von drei Jahren verzichte. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass der Zweitbeschwerdeführer aufgrund eines mündlich bzw. stillschweigend durch konkludente Handlungen abgeschlossenen Vertrages betreffend die Übernahme der Geschäftsführungsagenden als Geschäftsführer tätig sei. Dieser könne keinesfalls als Werkvertrag qualifiziert werden. Für die Annahme, dass der Geschäftsführer laufend seine Arbeitskraft zur Verfügung stelle, spreche auch die regelmäßige und jährlich in gleicher Höhe erfolgte Entlohnung. Bei einem Geschäftsführer einer GmbH sei zu beachten, dass auch wenn die Gesellschaft keinen unmittelbaren Gebrauch von Weisungen hinsichtlich Arbeitsfolge, Arbeitsort und Arbeitszeit an den Geschäftsführer mache, das organschaftliche Weisungsrecht der Generalversammlung dennoch alleine schon aufgrund § 20 Abs. 1 GmbH jedenfalls bestehe und dies somit auch die jederzeitige Möglichkeit zur Erteilung von Weisungen ermögliche. Die Bindung des Geschäftsführers an den Gesellschaftsvertrag und die Gesellschafterbeschlüsse bestehe somit auch dann, wenn der Geschäftsführer zwar eine durch die Gesellschaft eingeräumte Möglichkeit besitzen würde, seine Tätigkeiten grundsätzlich weisungsfrei zu gestalten und sich seine Arbeitszeit nach eigenem Ermessen einzuteilen, die Gesellschaft jedoch die Möglichkeit besitze, die eingeräumten Freiheiten des Geschäftsführers jederzeit abzuändern. Besonders bei steigender Qualifikation des Dienstnehmers sei eine eingeräumte Entscheidungsbefugnis der Tätigkeitsgestaltung nicht unüblich und schließe eine persönliche Abhängigkeit nicht aus. Nach dem Erkenntnis des VwGH zu Zl. 2014/13/0021 sei die Eingliederung in den geschäftlichen Organismus gegeben, wenn jemand auf Dauer einen Teil des rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Organismus bilde und seine Tätigkeit im Interesse dieses Organismus ausübe. Der Annahme einer Eingliederung in den betrieblichen Organismus stehe es auch nicht entgegen, wenn die mit der Geschäftsführung betraute Person lediglich die essenziellen Geschäftsführungsaufgaben erledige und die Besorgung des täglichen Betriebes anderen Personen überlassen würde. Durch die vom Zweitbeschwerdeführer kontinuierlich ausgeübte, auf Dauer angelegte und auch bereits seit 1995 andauernde Erfüllung der Aufgaben der Geschäftsführung sei dessen Eingliederung in den betrieblichen Organismus der Gesellschaft somit jedenfalls als erfüllt anzusehen. Die persönliche Abhängigkeit des Zweitbeschwerdeführers sei daher jedenfalls gegeben. Ein Beschäftigungsverhältnis in persönliche Abhängigkeit würde nur dann nicht in Frage kommen, wenn dem Geschäftsführer kraft Gesellschafterstellung ein maßgebender Einfluss auf die Führung des Unternehmens im hier maßgeblichen Sinne zukomme. Das treffe etwa zu, wenn er kraft Gesetz oder kraft Gesellschaftsvertrag bestimmte Weisungen an die Geschäftsführung herbeiführen oder zumindest persönliche Weisungen der Generalversammlung verhindern könne. Der Zweitbeschwerdeführer und Frau Aloisia G hätten am 20.12.2013 einen nicht notariell beurkundeten Stimmbildung abgeschlossen. Stimmbindungsverträge seien schuldrechtlicher Natur, jedoch an die Form des Notariatsaktes gebunden, wenn die Vereinbarung Änderungen des Gesellschaftsvertrages enthalte. Die Einräumung einer Sperrminorität für einen Minderheitengesellschafter sei eine Änderung der Beschlusserfordernisse des Gesellschaftsvertrages und bedürfe daher der notariellen Beurkundung. Eine solche liege jedoch nicht vor, weshalb der Zweitbeschwerdeführer weder die Erteilung einer Weisung noch eine wirksame Abberufung als Geschäftsführer und die Bestellung eines anderen Geschäftsführers habe verhindern können. Ein Dienstverhältnis gemäß § 47 Abs. 2 dritter Satz EStG sei anzunehmen, wenn bei einer Person, die an einer Kapitalgesellschaft nicht wesentlich im Sinne des § 22 Z. 2 EStG beteiligt sei, die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Z. 1 lit. b EStG vorliegen würden. Im gegenständlichen Fall handle es sich bei dem einprozentigen Anteil des Zweitbeschwerdeführers um eine nicht wesentliche Beteiligung an der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sei aufgrund des notariell beurkundeten Stimmbildungsvertrages vom 4.3.2016 nicht mehr verpflichtet, den Weisungen eines anderen zu folgen. Nachdem somit sowohl die nicht wesentliche Beteiligung als auch die gesellschaftsrechtliche Weisungsfreiheit vorliege, sei § 25 Abs. 1 Z. 1 lit. b EStG anwendbar und die Erfüllung des Erfordernisses "sonst alle Merkmale eines Dienstverhältnisses aufweisenden Beschäftigung" zu untersuchen. Im Erkenntnis, 2003/13/0018, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass mit "sonst alle "Merkmale eines Dienstverhältnisses" nur mehr das gesetzliche Merkmal der Eingliederung übrigbleibe. Weitere Merkmale hätten keine Bedeutung. Folglich komme es einzig auf die klar erkennbare Eingliederung des Gesellschafters in den Organismus des Betriebes der Gesellschaft an. Da der Zweitbeschwerdeführer in den betrieblichen Organismus der Erstbeschwerdeführerin aufgrund seiner Tätigkeiten als Geschäftsführer seit 29.06.1995 jedenfalls eingegliedert sei und somit die Voraussetzungen für ein Dienstverhältnis gemäß § 47 Abs. 2 EStG als erfüllt anzusehen seien, unterliege der Zweitbeschwerdeführer seit 6.3.2014 einer Vollversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 2 ASVG.
2. Gegen diesen Bescheid haben die Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben und vorgebracht, dass der Zweitbeschwerdeführer auf Basis eines mündlichen Werkvertrages als Geschäftsführer tätig sei. Mit Notariatsakt vom 19.1.2010 habe der Zweitbeschwerdeführer eine Stammeinlage im Nominale von € 60.000 an der Erstbeschwerdeführerin an seine Ehegattin Aloisia G abgetreten und gleichzeitig einen Treuhandvertrag in Form eines Notariatsaktes errichtet, wonach die Ehegattin die abgetretene Stammeinlage lediglich als Treuhänderin für den Zweitbeschwerdeführer halte. Dieser Treuhandvertrag enthalte die Verpflichtung zur unentgeltlichen Abtretung sowie ein Abtretungsanbot. Mit Notariatsakt vom 20.12.2013 habe der Zweitbeschwerdeführer eine Stammeinlage im Nominale von € 29.000 an der Erstbeschwerdeführerin an die XXXX (in der Folge: G Stiftung) abgetreten. Am 20.12.2013 sei eine Stimmbindungsvereinbarung zwischen den Gesellschaftern (ergänzt: der Erstbeschwerdeführerin) abgeschlossen worden. Am 4.3.2016 habe der Zweitbeschwerdeführerin mit seiner Mitgesellschafterin sogar einen notariell beglaubigten Stimmbindungsvertrag abgeschlossen. Eine wesentliche Beteiligung liege vor, wenn der Anteil des Gesellschafters am Stammkapital mehr als 25 % betrage. Bei der Ermittlung des Beteiligungsausmaßes seien daher z.B. Gesellschafterdarlehen, die als verdecktes Eigenkapital anzusehen seien, stille Beteiligungen oder anteilsähnliche Beteiligungen nicht zu berücksichtigen. Die Beteiligung durch Vermittlung eines Treuhänders oder einer Gesellschaft stehe einer unmittelbaren Beteiligung hingegen gleich. Ein steuerliches Dienstverhältnis und damit eine Eingliederung des Geschäftsführers in den betrieblichen Organismus der Erstbeschwerdeführerin sei aufgrund der wesentlichen Beteiligung im Sinne des § 22 EStG und der vollen Beherrschung der Gesellschaft aufgrund der Stimmbindungsverträge ausgeschlossen. Außerdem habe die belangte Behörde den notariell beglaubigten Stimmbindungsvertrag vom 4.3.2016 als wesentliches Sachverhaltsvorbringen übergangen. Ebenso den Stimmbindungsvertrag vom 20.12.2013. Der Stimmbindungsvertrag habe es dem Zweitbeschwerdeführer ermöglicht, jegliche Entscheidung in der Erstbeschwerdeführerin herbeizuführen. Die Familiengesellschaft werde durch diesen Stimmbindungsvertrag vom Geschäftsführer völlig beherrscht und der Geschäftsführer könne tun und lassen, was er wolle. Das System der Versicherungspflicht abhängig Beschäftigter baue auf der Verschiedenheit von Dienstgeber und Dienstnehmer auf, Letzteres könne daher auch jener nicht sein, der auf einen Dienstgeber, der etwa eine juristische Person sei, in rechtlicher Hinsicht einen beherrschenden Einfluss ausübe. Grundsätzlich bedürften Syndikatsverträge keiner bestimmten Form. Dies gelte auch dann, wenn die syndikatsvertraglichen Bestimmungen auf einem formpflichtigen Beschluss abziele. Der Syndikatsvertag bedürfe nur dann einer Form, sofern dieser Bestimmungen enthalte, die einer Formpflicht unterliegen würden. Gleichzeitig wurden Anträge auf Entscheidung durch einen Senat und auf aufschiebende Wirkung gemäß § 13 Abs. 3 VwGVG gestellt.
3. In der Folge wurde dem BVwG die Beschwerde samt Akt zur Entscheidung vorgelegt.
4. Mit Schreiben vom 06.05.2019 wurde der belangten Behörde vorgehalten, dass aus dem Akteninhalt hervorgehe, dass mit Notariatsakt vom 19.1.2010 der Zweitbeschwerdeführer eine Stammeinlage im Nominale von € 60.000 an der Erstbeschwerdeführerin an seine Ehegattin Aloisia G abgetreten habe und gleichzeitig einen Treuhandvertrag in Form eines Notariatsaktes errichtet habe, wonach Frau Aloisia G die abgetretene Stammeinlage als Treuhänderin für den Zweitbeschwerdeführer halte. Weiters wurde unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 22 Abs. 2 EStG und § 24 Abs. 1 lit. c BAO ausgeführt, dass dem Zweitbeschwerdeführer neben seiner Beteiligung von € 1.000 daher weitere € 60.000 zuzurechnen seien und er somit 61% der Anteile halte und daher wesentlich an der Erstbeschwerdeführerin beteiligt sei, weshalb er weder lohnsteuerpflichtig wäre noch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Erstbeschwerdeführerin gemäß § 4 ASVG stehen könne.
5. Die belangte Behörde hat in der Folge keine Stellungnahme dazu eingebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Zweitbeschwerdeführer ist seit der Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch mit 29.06.1995 Gesellschafter-Geschäftsführer der Erstbeschwerdeführerin. Zum Zeitpunkt der Gründung der Erstbeschwerdeführerin waren Gesellschafter der Zweitbeschwerdeführer mit einer Stammeinlage von ATS 450.000 und seine Ehefrau Frau Aloisia G mit einer Stammeinlage von ATS 50.000.
1.2. Mit Notariatsakt vom 19.1.2010 hat der Zweitbeschwerdeführer eine Stammeinlage im Nominale von € 60 000 an der Erstbeschwerdeführerin an seine Ehegattin Aloisia G abgetreten und gleichzeitig einen Treuhandvertrag in Form eines Notariatsaktes errichtet, wonach Frau Aloisia G die abgetretene Stammeinlage als Treuhänderin für den Zweitbeschwerdeführer hält.
1.3. Im Firmenbuch sind als Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum seit dem 06.03.2014 der Zweitbeschwerdeführer, mit einer Beteiligung von € 1.000, Frau Aloisia G mit einer Beteiligung von € 70.000 und die G Stiftung mit einer Beteiligung von € 29.000 eingetragen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zu den Gesellschaftern, den Beteiligungsverhältnissen und dem Geschäftsführer der Erstbeschwerdeführerin basieren auf einer Abfrage der Daten des Firmenbuchs und sind unstrittig.
2.2. Die Feststellungen zum Treuhandvertrag und der Abtretung der Stammeinlage wurde der im Akt befindlichen Kopie des Treuhandvertrags entnommen.
2.3. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte aufgrund folgender Überlegungen verzichtet werden: Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG Hengstschläger/Leeb, AVG, § 67d Rz 17 und 29, mwH).
Aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) ist im Beschwerdefall auf den Umstand hinzuweisen, dass die Beschwerde von einem Rechtsanwalt und daher einem rechtskundigen Vertreter, erhoben wurde. Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat ein Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Ein solcher Antrag wurde im vorliegenden Beschwerdefall nicht gestellt. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung wird die Unterlassung eines darauf abzielenden Antrages von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine Verhandlung gewertet. Ein solcher Verzicht liegt zwar dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des eingangs erwähnten Umstands eines rechtskundigen Vertreters nicht der Fall, so dass die unterbliebene Antragstellung im Beschwerdefall als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden kann. Darüber hinaus konnte der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden. In der Beschwerde wurden keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substantiierter Weise aufgeworfen und war gegenständlich auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen (VwGH 31.07.2007, Zl. 2005/05/0080).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde (Spruchpunkt 1.):
3.1.1. § 4 und § 539a ASVG lauten (auszugsweise) wie folgt:
Vollversicherung
§ 4. (1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet:
1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;
...
2) Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Als Dienstnehmer gelten jedenfalls Personen, die mit Dienstleistungsscheck nach dem Dienstleistungsscheckgesetz (DLSG), BGBl. I Nr. 45/2005, entlohnt werden. Als Dienstnehmer gilt jedenfalls auch, wer nach § 47 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig ist, es sei denn, es handelt sich um
1. Bezieher von Einkünften nach § 25 Abs. 1 Z 4 lit. a oder b EStG 1988 oder
2. Bezieher von Einkünften nach § 25 Abs. 1 Z 4 lit. c EStG 1988, die in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen oder
3. Bezieher/innen von Geld- oder Sachleistungen nach dem Freiwilligengesetz.
(3) Aufgehoben.
(4) Den Dienstnehmern stehen im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten, und zwar für
1. einen Dienstgeber im Rahmen seines Geschäftsbetriebes, seiner Gewerbeberechtigung, seiner berufsrechtlichen Befugnis (Unternehmen, Betrieb usw.) oder seines statutenmäßigen Wirkungsbereiches (Vereinsziel usw.), mit Ausnahme der bäuerlichen Nachbarschaftshilfe,
2. eine Gebietskörperschaft oder eine sonstige juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. die von ihnen verwalteten Betriebe, Anstalten, Stiftungen oder Fonds (im Rahmen einer Teilrechtsfähigkeit), wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen; es sei denn,
a) dass sie auf Grund dieser Tätigkeit bereits nach § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 GSVG oder § 2 Abs. 1 BSVG oder nach § 2 Abs. 1 und 2 FSVG versichert sind oder
b) dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine (Neben-)Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Z 1 lit. f B-KUVG handelt oder
c) dass eine selbständige Tätigkeit, die die Zugehörigkeit zu einer der Kammern der freien Berufe begründet, ausgeübt wird oder
d) dass es sich um eine Tätigkeit als Kunstschaffender, insbesondere als Künstler im Sinne des § 2 Abs. 1 des Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetzes, handelt.
(5) Aufgehoben.
(6) Eine Pflichtversicherung gemäß Abs. 1 schließt für dieselbe Tätigkeit (Leistung) eine Pflichtversicherung gemäß Abs. 4 aus.
(7) Aufgehoben.
Grundsätze der Sachverhaltsfeststellung
§ 539a. (1)...
(5) Die Grundsätze, nach denen
1. die wirtschaftliche Betrachtungsweise,
2. Scheingeschäfte, Formmängel und Anfechtbarkeit sowie
3. die Zurechnung
nach den §§ 21 bis 24 der Bundesabgabenordnung für Abgaben zu beurteilen sind, gelten auch dann, wenn eine Pflichtversicherung und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten nach diesem Bundesgesetz zu beurteilen sind.
§§ 22 und 25 EStG lauten (auszugsweise) wie folgt:
Selbständige Arbeit (§ 2 Abs. 3 Z 2)
§ 22. Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind:
1...
2. Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit. Darunter fallen nur:
- Einkünfte aus einer vermögensverwaltenden Tätigkeit (zB für die Tätigkeit als Hausverwalter oder als Aufsichtsratsmitglied).
-Die Gehälter und sonstigen Vergütungen jeder Art, die von einer Kapitalgesellschaft an wesentlich Beteiligte für ihre sonst alle Merkmale eines Dienstverhältnisses (§ 47 Abs. 2) aufweisende Beschäftigung gewährt werden. Eine Person ist dann wesentlich beteiligt, wenn ihr Anteil am Grund- oder Stammkapital der Gesellschaft mehr als 25% beträgt. Die Beteiligung durch Vermittlung eines Treuhänders oder einer Gesellschaft steht einer unmittelbaren Beteiligung gleich. Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit sind auch die Gehälter und sonstigen Vergütungen jeder Art, die für eine ehemalige Tätigkeit einer Person gewährt werden, die in einem Zeitraum von zehn Jahren vor Beendigung ihrer Tätigkeit durch mehr als die Hälfte des Zeitraumes ihrer Tätigkeit wesentlich beteiligt war. Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit sind weiters Zuwendungen von Privatstiftungen im Sinne des § 4 Abs. 11, soweit sie als Bezüge und Vorteile aus einer bestehenden oder früheren Beschäftigung (Tätigkeit) anzusehen sind.
Nichtselbständige Arbeit (§ 2 Abs. 3 Z 4)
§ 25. (1) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitslohn) sind:
a)...
b) Bezüge und Vorteile von Personen, die an Kapitalgesellschaften nicht wesentlich im Sinne des § 22 Z 2 beteiligt sind, auch dann, wenn bei einer sonst alle Merkmale eines Dienstverhältnisses (§ 47 Abs. 2) aufweisenden Beschäftigung die Verpflichtung, den Weisungen eines anderen zu folgen, auf Grund gesellschaftsvertraglicher Sonderbestimmung fehlt.
...
§ 24 Abs. 1 lit. c Bundesabgabenordnung (BAO) lautet:
4. Zurechnung.
§ 24. (1) Für die Zurechnung der Wirtschaftsgüter gelten bei der Erhebung von Abgaben, soweit in den Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist, folgende Vorschriften:
c) Wirtschaftsgüter, die zu treuen Handen für einen Treugeber erworben worden sind, werden dem Treugeber zugerechnet.
3.1.2. Die belangte Behörde hat die Versicherungspflicht des Zweitbeschwerdeführers insbesondere auf die Lohnsteuerpflicht des Zweitbeschwerdeführers gestützt und dies damit begründet, dass der Zweitbeschwerdeführer nicht wesentlich an der Erstbeschwerdeführerin beteiligt sei. In der Beschwerde wird unter Vorlage des Treuhandvertrages vorgebracht, dass bei der Frage der Beteiligung auch die Beteiligung durch Vermittlung eines Treuhänders einer unmittelbaren Beteiligung gleichstehe. Mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführer im Recht:
Zu prüfen ist, ob der Zweitbeschwerdeführer in den Streitjahren als wirtschaftlicher Eigentümer der nicht in seinem zivilrechtlichen Eigentum stehenden Stammanteile anzusehen war oder nicht.
Die Zurechnungsvorschrift des § 24 Abs. 1 lit. d BAO, wonach Wirtschaftsgüter demjenigen zuzurechnen sind, der über sie die Herrschaft gleich einem Eigentümer ausübt (sog wirtschaftliches Eigentum), bezieht sich auf jene Fälle, in denen ein Wirtschaftsgut kraft eigentumsähnlichen wirtschaftlichen Herrschaftsverhältnissen ausnahmsweise jemandem anderen als dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzurechnen ist. Ein Auseinanderfallen von zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum ist dann anzunehmen, wenn ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die positiven Befugnisse, die Ausdruck des zivilrechtlichen Eigentums sind (Gebrauch, Verbrauch, Veränderung, Belastung, Veräußerung), auszuüben in der Lage ist, und wenn er zugleich den negativen Inhalt des Eigentumsrechtes, nämlich den Ausschluß Dritter von der Einwirkung auf die Sache, auch gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer auf Dauer, dh auf die Zeit der möglichen Nutzung, geltend machen kann.
Für die Beteiligungshöhe im Sinne des § 22 EStG ist das wirtschaftliche Eigentum maßgeblich. Daher sind auch die über einen Treuhänder gehaltenen Anteile zu berücksichtigen (vgl. Doralt in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG20 § 22, RZ 149 );
3.1.3. Dies bedeutet, dass dem Zweitbeschwerdeführer neben seiner Beteiligung von € 1.000, weitere € 60.000 zuzurechnen sind. Somit hält der Zweitbeschwerdeführer 61% der Anteile und ist daher jedenfalls wesentlich an der Erstbeschwerdeführerin beteiligt, weshalb er gemäß § 22 Abs. 2 EStG jedenfalls nicht lohnsteuerpflichtig ist.
3.1.4. Zu prüfen wäre daher weiter, ob der Zweibeschwerdeführer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gemäß § 4 Abs. 2 ASVG für die Erstbeschwerdeführerin tätig wird.
Das System der Versicherungspflicht abhängig Beschäftigter baut auf der Verschiedenheit von Dienstgeber (iSd § 35 Abs. 1 ASVG) und Dienstnehmer auf; letzteres kann daher auch jener nicht sein, der auf einen Dienstgeber in rechtlicher Hinsicht (sei es als Mehrheitsgesellschafter einer juristischen Person, sei es als persönlich haftender Gesellschafter einer Personengesellschaft) einen beherrschenden Einfluss ausübt. Auch kann niemand sein eigener Dienstnehmer sein (vgl. bsp. VwGH 24.11.2016, Ra 2016/08/0011).
Für die Beurteilung von Sachverhalten nach dem ASVG kommt es im Sinn des § 539a ASVG nicht (primär) auf die vertragliche Vereinbarung bzw. auf die Bezeichnung des Vertrages, sondern auf den wahren wirtschaftlichen Gehalt der Tätigkeit an (vgl. etwa VwGH 29.04.2015, 2013/08/0196). Beim Treuhandgeschäft sind gemäß § 539 a Abs. 5 die Zurechnungsvorschriften des § 24 BAO anzuwenden (vgl. Rudolf Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 539 a ASVG, RZ 37).
Schon aus dieser Bestimmung ergibt sich daher, dass der Zweitbeschwerdeführer aufgrund seiner Beteiligung von 61% an der Erstbeschwerdeführerin, wie dies unter Punkt 3.1.3.erläutert wurde, nicht deren Dienstnehmer sein kann.
Es erübrigt sich daher eine weitere Prüfung des § 4 ASVG und war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zur Zurückweisung des Antrags auf aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt 2.)
Eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerde) hat ausweislich § 13 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich aufschiebende Wirkung, außer die belangte Behörde hat die aufschiebende Wirkung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen. Die Behörde hat im gegenständlichen Verfahren die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde nicht ausgeschlossen. Der erhobenen Beschwerde kommt somit aufschiebende Wirkung zu.
Da sohin eine Wirkung begehrt wurde, die dem angefochtenen Bescheid ohnedies zukommt, war daher das diesbezügliche Begehren als unzulässig zurückzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Da sich die Entscheidung auf eindeutige Rechtsvorschriften stützte, liegt jedenfalls keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor (vgl. VwGH 26.2.2015, Ra 2015/11/0008und VwGH 11.12.2017, Ra 2015/11/0102).
Schlagworte
aufschiebende Wirkung, Dienstnehmereigenschaft, Geschäftsführer,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I404.2162431.1.00Zuletzt aktualisiert am
07.10.2019