TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/18 W211 1438486-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.07.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.07.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W211 1438486-2/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX ,

StA: Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen

Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigten bis zum 18.07.2020 erteilt.

III. Die Spruchpunkte III. bis VII. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am

XXXX .2012 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid vom XXXX .2013 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), wies auch den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.) und den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG nach Somalia aus (Spruchpunkt III.).

Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom XXXX .2016 gemäß §§ 3 und 8 AsylG hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet ab und verwies das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2016 wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel gemäß §§ 57 und 55 AsylG erteilt und seine Abschiebung nach Somalia für zulässig erklärt. Ebenso wurde ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gewährt.

2. Am XXXX .2017 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren, den gegenständlichen, Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, den Hawiye anzugehören. Somalia sei nach wie vor unsicher. Seine Mutter habe ihm im April 2017 am Telefon gesagt, dass sein Bruder jemanden umgebracht habe, und nunmehr die ganze Familie des Täters von der Familie des Opfers mit dem Tode bedroht werde.

Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX .2018 gab der Beschwerdeführer soweit wesentlich an, wegen eines Behandlungsfehlers in Somalia in Behandlung zu sein. Er sei in Mogadischu geboren und habe immer dort gelebt. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass Al Shabaab ihn als Spion bezichtigt habe, weil er seinen Cousin zur medizinischen Behandlung zur AMISOM gebracht habe. Nun würde die Regierung nach ihm suchen, weil sein Cousin zwei Menschen getötet habe; jener Cousin sei nun im Gefängnis. Die Familien hätten sich nicht wegen des Blutgelds einigen können. Er würde außerdem für seine gesundheitlichen Probleme keine Behandlung in Somalia erhalten.

In einem nicht datierten Schriftstück gab der Beschwerdeführer weiter bekannt, keine Beweise für die Vorkommnisse betreffend den Cousin in Somalia schicken zu können; seine Familie lebe in Somalia in Angst.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX .2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt I.), den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.), erteilte gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.).

Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht, in der unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass, soweit im angefochtenen Bescheid behauptet werde, der Beschwerdeführer habe widersprüchliche Angaben gemacht, dies nicht zutreffe. Die Ausführungen des Beschwerdeführers seien sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme gleichbleibend gewesen. Auch gehe aus den Länderberichten hervor, dass das System der Zahlung von Blutgeld in Mogadischu immer noch Anwendung finde. Die Familie des Opfers gehöre zwar ebenfalls zum Clan der Hawiye, jedoch zu einem anderen Subclan. Schließlich wurde auf die aktuelle Dürresituation in Somalia verwiesen und beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.10.2018 (W211 1438486-2/3E) wurde der Beschwerde dahingehend Folge gegeben, und der Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

Gegen dieses Teilerkenntnis wurde durch die belangte Behörde Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof eingebracht.

Am XXXX .2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Vertretung eine mündliche Verhandlung durch. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX .2019 für die Teilnahme an der Verhandlung.

Mit Erkenntnis vom XXXX .2019 wurde das Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.10.2018 (W211 1438486-2/3E) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts im Lichte der VwGH Entscheidung vom 13.12.2018, Ro 2018/18/0008, aufgehoben. Das Erkenntnis des VwGH wurde am XXXX .2019 der erkennenden Richterin zur Kenntnis gebracht.

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der Beschwerdeführer ist ein männlicher Staatsangehöriger Somalias, der am XXXX .2017 einen neuerlichen, den gegenständlichen, Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.

Der Beschwerdeführer stammt aus Mogadischu, ist verheiratet, gehört dem Clan der Hawiye, Subclan XXXX , an und reiste im Jahr 2011 aus Somalia aus.

Der Beschwerdeführer verfügt in Somalia noch über seine Mutter, eine Schwester und weiter entfernte Verwandte. Der aktuelle Aufenthaltsort der Familienmitglieder und Verwandten kann nicht festgestellt werden. Wo sich die Ehefrau und die beiden Kinder des Beschwerdeführers aufhalten, kann ebenfalls nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer besuchte in Somalia neun Monate lang eine Privat- sowie eine Koranschule und war später als Handyreparateur bzw. Busfahrer tätig.

Der Beschwerdeführer ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Eine Gefährdung des Beschwerdeführers durch Al Shabaab im Falle einer Rückkehr nach Somalia kann nicht festgestellt werden.

Eine Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund einer Blutrache im Falle einer Rückkehr nach Somalia kann genausowenig festgestellt werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Situation in Mogadischu: Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (AI 22.2.2017). Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv (BFA 8.2017). Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt - speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM). Die Zahl von Angriffen der al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen (UNSC 5.9.2017). Regelmäßig kommt es zu sogenannten komplexen Anschlägen in Mogadischu, wobei ein Sprengstoffanschlag mit dem Einsatz einiger weniger bewaffneter Selbstmordkämpfer kombiniert wird. Ziele sind i. d.R. Hotels oder Restaurants, die häufig von Behördenbediensteten oder Sicherheitskräften frequentiert werden (SEMG 8.11.2017). Der Einsatz von Artillerie (Mörsern) mit Ziel Mogadischu ist wieder im Steigen begriffen. Im ersten Halbjahr 2017 kam es zu zwölf derartigen Angriffen, im Gesamtjahr 2016 waren es 17 (SEMG 8.11.2017). Am 12.6. und am 4.7.2017 wurden insgesamt neun Mörsergranaten auf Stadtgebiet abgeschossen (UNSC 5.9.2017). Dabei verfügt al Shabaab nunmehr auch über schwere, von AMISOM erbeutete Mörser (120mm), was ihre Möglichkeiten erweitert (SEMG 8.11.2017). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt (DIS 9.2015; vgl. EASO 2.2016). Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BFA 8.2017; vgl. UKUT 3.10.2014, vgl. EGMR 10.9.2015). Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017).

Clandynamiken, Blutgeld: Insgesamt ist das traditionelle Recht (xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab. Diese Art der Unfall- und Sozialversicherung kommt z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017).

Maßgeblicher Akteur ist hier der Jilib, die sogenannte Diya/Mag-zahlende Gruppe (Mag/Diya = "Blutgeld"). Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet - je nach Region, Clan und Status - ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Verträge namens xeer geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Dies gilt nicht nur im Falle einer Tötung, sondern auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat - z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde - sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensationszahlungen (Mag/Diya). Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017).

Die Ältesten sind für die korrekte Anwendung des xeer verantwortlich (SEM 31.5.2017). Sie vermitteln in Streitfragen, verhandeln Friedensabkommen und einigen sich auf Kompensationszahlungen (BS 2016). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zur Zahlung von Kompensation bei (SEM 31.5.2017).

Der Clan-Schutz funktioniert generell - aber nicht immer - besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clan-Mechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017).

Die Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind die Habr Gedir und die Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

IDPs, Grundversorgung: IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen (NLMBZ 11.2017). Laut UNOCHA gelten IDPs als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet (ÖB 9.2016). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei (USDOS 3.3.2017). In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich (HRW 12.1.2017). IDPs sind über die Maße von der Dürre betroffen, da sie steigende Preise für Lebensmittel nicht bezahlen können. Außerdem gibt es für sie weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Üblicherweise überleben sie aufgrund der Überweisung von Remissen und mittels internationaler Unterstützung (ICG 9.5.2017). IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind sehr vulnerabel und von Unterstützung abhängig (HRW 12.1.2016). Der UNHCR versucht, sich über die Gegebenheiten und Notwendigkeiten in den rund 1.800 IDP-Lagern in Somalia einen Überblick zu verschaffen (UNHCR 30.11.2017b). Alleine in Mogadischu gibt es 486 IDP-Lager (BFA 3./4.2017). Rund 1,5 Millionen IDPs werden durch UNHCR erreicht. Einigen wurde zu Einkommen und/oder Ausbildung verholfen (UNHCR 30.11.2017b). In Puntland und Somaliland hat die UN für Rückkehrer und IDPs mehr als 5.000 "housing units" errichtet (BFA 3./4.2017).

Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. So berichteten Personen, die aus Kenia nach Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt waren, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten. UNHCR gewährt finanzielle Unterstützung und bietet temporäre Unterkünfte (USDOS 3.3.2017). Allerdings wird - z.B. seitens des UNHCR - versucht, hier Abhilfe zu schaffen. Ein ohne Bedingungen ausgegebenes, sogenanntes Rückkehrpaket enthält: ein aus Sachgütern bestehendes Paket (etwa: Decken, Seife, Planen, Kanister etc.); eine einmalige Wiedereingliederungshilfe von 200 US-Dollar pro Person; eine auf sechs Monate begrenzte Reintegrationshilfe von 200 US-Dollar pro Haushalt; eine zusätzliche, auf sechs Monate begrenzte Unterstützung mit Essensrationen; eine Bildungsunterstützung, auf neun Monate begrenzt, von 25 US-Dollar pro Kind und Monat (zusätzlich: Schuluniformen, Schulmaterial); und - bei Auswahl - bis zu 1.000 US-Dollar für eine Unterkunft; sowie die Aufnahme in Selbsterhaltungsprojekte (UNHCR 30.11.2017a). In Programmen aufgenommenen Rückkehrern gewährt UNHCR einmalige Wiedereingliederungshilfen und für sechs Monate Reintegrationshilfe. Im November 2017 wurden derartige Gelder an knapp 27.000 Rückkehrer ausbezahlt (rd. 6.000 Haushalte). Andere profitierten von sog. cash-for-work Programmen oder erhielten eine Ausbildung (UNHCR 30.11.2017b). Die EU unterstützt zahlreiche Reintegrationsprojekte für Rückkehrer in Somalia mit mehr als 33 Millionen Euro aus dem EU Trust Fund (EEAS 5.4.2017).

Der Jilib [Anm.: in etwa die unterste Ebene des Clansystems] ist u. a. dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017). Daher gilt als allgemeine Regel, dass Somali auch sehr entfernt Verwandte, die aus einer anderen Gegend kommen, unterstützen werden, da eine Clan-Verbindung besteht. Voraussetzung dafür ist, dass die Kapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Allerdings wurde das Konzept der Clan-Solidarität in Süd-/Zentralsomalia überdehnt. Viele Familien und Clan-Netzwerke sehen sich nicht mehr in der Lage, die Bedürfnisse vertriebener Verwandter zu erfüllen (DIS 9.2015).

Beide - Familie (auch die erweiterten und entfernt verwandten Teile) und Clan - bleiben einer der wichtigsten Faktoren, wenn es um Akzeptanz, Sicherheit und Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrung) geht. Eine Person, die an einen neuen Wohnort zieht, erwartet sich die Akzeptanz des Clans in der lokalen Gemeinschaft. Diese Akzeptanz bedeutet, dass die Menschen über den Neuankömmling und seine Verbindungen Bescheid wissen; damit steht auch der Schutz in Verbindung, den diese Person vom Clan erlangen kann. Dies gilt auch für Rückkehrer, doch können diese ja nach Fähigkeiten und Kapazitäten auch autark leben, ohne einer Clan-Belästigung ausgesetzt zu sein. Auf der anderen Seite ist eine schwache Person mit wenigen Ressourcen auf die Unterstützung von Angehörigen, Verwandten oder einem engen Netzwerk angewiesen, um Unterkunft und Einkünfte zu erlangen. Grundsätzlich wird dabei nicht zuerst der Clan um Unterstützung angefragt (DIS 9.2015). Hier wendet man sich zuerst an die Familienebene. Wenn aber eine Person in einem Gebiet weder über Kernfamilie noch über Verwandte verfügt, dann kann der Clan Ressourcen zur Verfügung stellen (DIS 9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014), wobei dies im Falle von Mogadischu eher bei großen Clans Erfolg haben wird (UKUT 3.10.2014). Eine übersiedelnde Person, wird sich in einem IDP-Lager wiederfinden und sich keinen Lebensunterhalt sichern können, wenn sie in einer Stadt weder über Kern- oder erweiterte Familie mit entsprechenden Ressourcen verfügt (DIS 9.2015; vgl. UKUT 5.11.2015) noch auf Remissen zurückgreifen kann (UKUT 5.11.2015). Eine andere Quelle gibt an, dass ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung sein wird, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist (NLMBZ 11.2017).

Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann also in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängen. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden, vor allem wenn sie aus dem Westen zurückkehren (ÖB 9.2016). Zur Klärung, welche Mittel eine Person bei einer Rückkehr nach Mogadischu zur Verfügung hat, sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die Lebensumstände der Person vor der Abreise aus Mogadischu; die Dauer der Abwesenheit aus der Stadt; die Clan-Verbindungen, auf welche zurückgegriffen werden kann; der Zugang zu finanziellen Ressourcen; die Möglichkeiten der Person, sich durch Arbeit oder Selbständigkeit einen Lebensunterhalt zu finanzieren; die Verfügbarkeit von Remissen aus dem Ausland; die Lebensumstände der Person im Gastland; und die Frage, ob die Finanzierung der Reise in den Westen einer finanziellen Unterstützung bei der Rückkehr entgegensteht. Insgesamt liegt es also an der Person selbst zu erklären, warum sie nicht an den durch den Wirtschaftsboom in Mogadischu bestehenden ökonomischen Möglichkeiten teilhaben kann (UKUT 3.10.2014; vgl. UKUT 5.11.2015).

Aktuelle Versorgungslage: Unterdurchschnittliche Regenfälle während des Deyr im Jahr 2018 (Oktober bis Dezember), gefolgt von rauen Wetterbedingungen während des trockenen Jilaal (Jänner bis März 2019) und schwache Gu-Regenfälle (April bis Juni 2019) haben in vielen Teilen Somalias zu einer sich verschlimmernden Dürre geführt, wie die Food Security and Nutrition Analysis Unit (FSNAU) und FEWSNET berichten. Die Gu-Regenfälle des Jahres 2019 sind im gesamten Horn von Afrika in den ersten sechs Wochen der Saison äußerst spärlich ausgefallen, was zu einer zweiten aufeinander folgenden unterdurchschnittlichen Regenzeit in einer Region geführt hat, die sich immer noch von den Auswirkungen der langen Dürre der Jahre 2016/17 erholt. Der Gu des Jahres 2019 ist der dritt-trockenste sei Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1981.

Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die Regenfälle im Mai stärker werden, ist keine Erholung ersichtlich. Weit verbreitete Ernteausfälle und die Abnahme der Viehbestände verschieben Gemeinschaften in den am schlimmsten betroffenen Gebieten in die IPC-Stufe 3 (crisis) oder schlimmer. Folglich erhöhte sich die Zahl der Menschen in den IPC-Stufen 3 und 4 um zehn Prozent auf 1,7 Millionen im April, was mehr als doppelt so viele wie während der Dürre der Jahre 2016/17 sind, wobei erwartet wird, dass im Juli die Zahl von 2,2 Millionen erreicht wird. Fast die Hälfte davon (43 Prozent) stellen IDPs dar. Die schwere Dürre dürfte dieses Jahr zu geschätzten 44.000 weiteren Binnenvertriebenen, die vom Land in urbane Zentren ziehen, führen. Insgesamt gibt es in ganz Somalia 2,6 Millionen IDPs.

Seit Februar 2019 sind die Wasserstände der Flüsse Shabelle und Juba sehr niedrig geblieben. In manchen Gegenden sind aufgrund der hohen Temperaturen Flussbetten komplett ausgetrocknet. Dies hat zu extremer Wasserknappheit bei an Flüssen liegende Gemeinschaften geführt.

Die Lagekarte des OCHA Dokuments weist auch Banadir/Mogadischu in Hinblick auf die IDP Lager in der Lageprojektion Juli-September 2019 als Stufe 3 (crisis) aus.

1.4. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr:

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende oder lebensgefährliche Situation gelangen würde.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zu folgenden Feststellungen unter oben 1. wird weiter näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Herkunft aus Mogadischu, zum Schulbesuch, zur Clanzugehörigkeit und zu seiner Berufstätigkeit in Somalia gründen sich auf die diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen beruhen auf den, was die Personen angeht, unzweifelhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren. Jedoch kann nicht festgestellt werden, wo sich jene Personen aufhalten, weil die Angaben des Beschwerdeführers zu Orten an Widersprüchen leiden, die sich auf seine diesbezügliche Glaubwürdigkeit auswirken.

So gab der Beschwerdeführer bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX .2018 an, in Dharkenley bzw. Medina in Mogadischu geboren worden zu sein und zuletzt in Daynile - Gubta gewohnt zu haben. Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX .2016 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Daynile gelebt und die letzten Monate in Buulo Huubey in Medina verbracht hat. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX .2019 hingegen erklärte der Beschwerdeführer, es müsse sich hierbei um eine Verwechslung handeln, er sei in Medina geboren worden (vgl. S. 6 des Verhandlungsprotokolls).

In der Verhandlung am XXXX .2015 gab der Beschwerdeführer an, dass seine Frau nach einiger Zeit in Kenia 2014 zurück nach Somalia gekommen sei und dort nun in Mogadischu mit den beiden Kindern leben würde, wiederum in Daynile (vgl. S. 6 und 8 des Verhandlungsprotokolls zu W149 1438486-1/10Z). Am XXXX .2018 hingegen gab der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde an, dass die Ehefrau und die Kinder in einem Flüchtlingslager in Kenia leben würden, wo sie circa drei Monate nach der Ausreise des Beschwerdeführers hingezogen wären. Seine Ehefrau sei dort alleine, bis auf einige Leute, die sie im Lager kennengelernt habe (vgl. S. 7f des Einvernahmeprotokolls). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX .2019 erwähnte der Beschwerdeführer den Aufenthalt seiner Ehefrau mitsamt Kindern in Mogadischu zunächst nicht, vermeinte, diese hätten sich ab seiner Ausreise im Jahr 2011 durchgehend in Kenia aufgehalten und erklärte erst auf Nachfrage der erkennenden Richterin, seine Ehefrau sei einmal abgeschoben worden, sei jedoch wenig später nach Kenia zurückgekehrt (vgl. S. 7 des Verhandlungsprotokolls).

Damit blieben die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen eigenen Wohnorten, aber auch zum Aufenthalt seiner Angehörigen in Somalia, widersprüchlich, weshalb Feststellungen zum aktuellen Wohnort der Verwandten des Beschwerdeführers unterbleiben mussten. Diese Zweifel wirken sich weiter auf die Glaubhaftigkeit sonstiger im Verfahren gemachter Angaben aus.

Soweit der Beschwerdeführer im Zuge des Verfahrens angab, an Nieren- und Halsschmerzen sowie Handproblemen zu leiden, wird nicht übersehen, dass sich im Akt zwar mehrere Kopien von Bestätigungen über Arztbesuche sowie das Ergebnis einer Gesundenuntersuchung befinden (AS 395ff), jedoch können diesen keine Hinweise auf Erkrankungen entnommen werden. Auch erklärte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX .2019, er nehme zwar wegen seiner Halsschmerzen derzeit Schmerzmittel (Mefenam 500mg), erklärte aber weiter, er habe keine Probleme, weder mit den Nieren noch mit seiner Hand. Medizinische Unterlagen habe er diesbezüglich keine (vgl. S. 5 des Verhandlungsprotokolls). Vor diesem Hintergrund wurden keine Feststellungen zu einem tatsächlich zu behandelnden Krankheitsbild getroffen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf einem Auszug aus dem Strafregister.

2.2.2. Zum Fluchtvorbringen

Zum ersten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist zunächst auf offene Widersprüche betreffend eine Gefährdung durch die Al Shabaab in ersten und gegenständlichen Verfahren hinzuweisen:

Während der Beschwerdeführer im ersten Verfahren angab, beim Fußballschauen mit Freunden in Daynile von Al Shabaab kontrolliert und geschlagen sowie einmal mitgenommen worden zu sein (vgl. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX .2016 und das dazugehörige Verhandlungsprotokoll), gab er in der Einvernahme am XXXX .2018 als damaligen Fluchtgrund an, seinen Cousin bei der AMISOM wegen dessen Krankheit betreut und deswegen von Al Shabaab bedroht worden zu sein. In der mündlichen Verhandlung am XXXX .2019 gab der Beschwerdeführer ergänzend dazu an, einmal bei seinem Geschäft am Markt von Al Shabaab bedroht und für vier Stunden angehalten worden zu sein, weil er nicht in die Moschee gegangen sei. Das auf 2011 bezogene Fluchtvorbringen in Zusammenhang mit Al Shabaab stellt sich daher in den jeweiligen Einvernahmen und Verhandlungen teilweise unterschiedlich und immer um Facetten ergänzt dar, was der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am XXXX .2019 teilweise damit erklärte, immer nur darauf geantwortet zu haben, wonach er gefragt worden sei, und durcheinander gewesen zu sein. In Hinblick auf die zumeist offenen Fragen zum fluchtauslösenden Grund bei der belangten Behörde und beim Bundesverwaltungsgericht erscheint diese Erklärung nicht ausreichend, die immer wieder neuen Vorbringen entsprechend werten zu können. Es bleibt aufgrund der wiederholten Schilderung glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im Rahmen vom Anschauen von Fußballspielen einmal tatsächlich Kontakt mit Al Shabaab in Form einer Auflösung des "public viewing" gehabt hat und möglicherweise einmal im Rahmen einer solchen Razzia vor Al Shabaab geflohen ist. Ein konkretes Interesse der Miliz am Beschwerdeführer, tatsächliche Inhaftnahmen und Rekrutierungsversuche lassen sich jedoch aus einer solchen Schilderung nicht ableiten, und leiden die dahinzielenden Angaben an der Inkonsistenz des Vorbringens in den Verfahren.

Schließlich muss bei der Würdigung einer entsprechenden Gefährdung mitbedacht werden, dass es seit 2011 zu einer bemerkenswerten Lageänderung in Mogadischu in Hinblick auf die Kontroll- und Sicherheitslage in Bezug auf Al Shabaab gekommen ist, was bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX .2016 berücksichtigt wurde. Während anerkannt wird, dass Daynile als Randbezirk Mogadischus noch stärker von einer Präsenz der Miliz betroffen ist, als die innerstädtischen Bezirke, muss mitbedacht werden, dass die Wohnorte des Beschwerdeführers in Mogadischu nicht ausreichend geklärt und auch nicht festgestellt werden konnten. Es bleibt daher übrig zu sehen, dass sich die Präsenz und auch Aktionsweise der Miliz in Mogadischu stark verändert haben. Die Annahme einer gezielten Bedrohung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr acht Jahre nach seiner Ausreise findet im Vorbringen des Beschwerdeführers und der Situation in Mogadischu keine Grundlage.

Zum zweiten Fluchtvorbringen brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Folgendes vor (Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

"[...] R: Können Sie mir möglichst detailliert den konkreten Grund schildern, wieso Sie heute nicht nach Somalia zurückkehren können?

P: Das Problem besteht noch immer. Im Jahr 2017 habe ich bereits erzählt; das ist ein Cousin von mir, der mit mir aufgewachsen ist. Er ist wie ein Bruder, aber er ist nicht mein leiblicher Bruder. Er war ein Regierungssoldat und dann gab es Streit zwischen ihm und anderen. Er und andere Regierungssoldaten haben am Ex-Control gestritten. Es ist um gestohlene Handys und solche Sachen gegangen. Es ist um Diebesgut gegangen. Manche Regierungssoldaten rauben Leute in der Stadt aus. Sie haben sich dann gegenseitig mit Gewehren bedroht. Dann hatte er einige Schüsse abgegeben. Es hat zwei Soldaten getroffen, einer wurde gleich getötet und der andere wurde verletzt ins Spital gebracht. Dann sind andere Regierungssoldaten dorthin gekommen, er wurde dann festgenommen. Er ist bis jetzt noch im Gefängnis. Es ist dort so üblich, dass jemand, der jemand anderen tötet, auch getötet wird. Man hat dann versucht, mit Diya zu schlichten, aber sie haben es abgelehnt. Auf Nachfrage: Die Angehörigen der Opfer haben es abgelehnt. Einer ist gleich gestorben, der zweite später an seinen Verletzungen. Sie haben gesagt, sie haben zwei Personen verloren und wollen dafür zwei Personen töten. Deshalb hatte meine Mutter Angst um mich.

R: Wer hat die Diya-Verhandlungen in dieser Angelegenheit geführt?

P: Die Angehörigen der Opfer und der Vater meines Cousins. Das ist ein Onkel 2. Grades von mir. Die Diya wären 100 Kamele gewesen, pro Person. Sie haben 200 Kamele verlangt. Es ist dort so, die Diya ist 100 Kamele. Es wurden 70 Kamele angeboten, aber sie wollten 200 Kamele.

R: Wo ist der Vater Ihres Cousins jetzt?

P: Im Umland von XXXX .

R: Was ist mit sonstigen Verwandten des Cousins?

P: Seine Familie und seine Verwandten leben in der somalischen Region im Äthiopien. Nur dieser Cousin ist bei uns aufgewachsen, er ist zu uns nach Mogadischu gekommen.

R: Sie haben bei der Behörde gesagt: der eigene Vater des Cousins lebt nicht mehr (Seite 12 des Protokolls)?

P: Mein Vater ist derjenige, der gestorben ist. Sein Vater lebt noch. Er ist 80 Jahre alt und leidet an Diabetes, er ist krank.

R: Sie haben auch gesagt, dass Dorfälteste versucht hätten alles zu schlichten und zu regeln. Heute geben Sie an, es wäre der Vater des Cousins gewesen auf Täterseite?

P: Dort gibt es traditionelle Verhandlungen, zwei Clans haben sich zusammengesetzt.

R: Wer genau war auf Täterseite an den Verhandlungen beteiligt?

P: Mein Onkel und andere Ältere aus demselben Clan.

R: Sie haben bei der Behörde gesagt "Die Familie des Täters hatte keine 100 Kamele und die Regierung möchte 2 Angehörige der Familie festnehmen und für die Opferfamilie töten" (Seite 10 des Protokolls). Wie ist das zu verstehen?

P: Die Angehörigen der Opfer wollten 200 Kamele. Nachdem das nicht mehr leistbar war, wollten sie zwei Personen für die Opfer haben. Mein Cousin wurde erwischt und eingesperrt.

R: Sie haben gesagt, dass die Regierung 2 Leute haben wollte?

P: Die Angehörigen der Opfer haben diese Anzeige gemacht und wollten, dass man für sie 2 Personen einsperrt und tötet. Nach unserer Religion ist es so, dass man jemanden tötet, wenn jemand getötet wurde. Ich bin ja mit ihm aufgewachsen.

R: Sie haben gesagt, die Opferfamilie wollte 200 Kamele haben. Im Protokoll steht, dass die Opferfamilie 100 Kamele haben wollte (Seite 10).

P: Ja, pro Person. Pro Person werden 100 Kamele verlangt. [...]"

Die Widersprüche zum eigenen Wohn- und Geburtsort, zum Aufenthalt seiner Ehefrau und Kinder und zum angeblichen Geschehen im Zusammenhang mit Al Shabaab im Jahr 2011 werfen nun auch grundlegende Zweifel auf das nunmehrige Vorbringen einer drohenden Blutrache. Zum einen ist das Vorbringen schon deshalb nicht nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer vermeint, die Regierung habe Familienmitglieder des Täters (aus Rache) töten wolle. Diese Angabe erscheint fragwürdig, geht doch die allfällige Blutrache vom Clan, vom traditionellen Recht, und nicht von der Regierung aus. Unklarheiten bzw. sogar echte Widersprüche ergeben sich weiter daraus, dass der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde in diesem Zusammenhang angab, dass der Vater des Täters (des Cousins) bereits verstorben sei, während er in der mündlichen Verhandlung vermeinte, jener entfernte Onkel sei 80 Jahre alt und habe die xeer-Verhandlungen geführt. Und ebenfalls nicht aufgeklärt werden konnte, warum der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde vorbrachte, die Familie des Opfers habe 100 Kamele als Kompensation haben wollen, in der mündlichen Verhandlung aber von 200 Kamelen die Rede gewesen war, für jedes Opfer 100. Nach den Teilnehmern an den xeer-Verhandlungen befragt, bleibt der Beschwerdeführer auch oberflächlich und unkonkret in seinen Angaben, was in Hinblick darauf, was der Ausgang solcher Verhandlung für ihn bedeuten könnte, ungewöhnlich erscheint. Bei der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer dazu an, dass die Dorfältesten versucht hätten, den Vorfall, zu regeln; als dies nicht gelungen sei, habe man die Sache der Regierung übertragen. In der mündlichen Verhandlung meinte der Beschwerdeführer nun auf die konkrete Frage, wer die Diya-Verhandlungen geführt habe, dass es die Angehörigen des Opfers und der Vater des Cousins gewesen seien. Erst auf Vorhalt, dass früher davon gesprochen worden sei, dass die Dorfältesten beteiligt gewesen seien, meinte der Beschwerdeführer, dass andere Ältere aus dem Clan dabei gewesen seien.

Im Ergebnis leidet das neue Vorbringen betreffend eine drohende Blutrache an eigenen Widersprüchen, aber auch an den Zweifeln, die sich im Rahmen des sonstigen Vorbringens an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ergeben haben. Es wurde daher eine Gefährdung des Beschwerdeführers durch eine Blutrache nicht glaubhaft gemacht und konnte nicht festgestellt werden.

2.2.3 Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Die Feststellungen zur Situation in Somalia basieren auf dem aktuellen Länderinformationsblatt aus dem Jänner 2018 samt Kurzinformation aus September 2018, dem OCHA - Humanitarian Bulletin Somalia sowie dem FSNAU - FEWSNET Quarterly Brief - Focus on Gu 2019 Season Early Warning, jeweils aus April 2019. Die beiden letzteren Dokumente wurden in Auszügen und übersetzt aus dem Englischen unter

1.3. wiedergegeben.

Hinsichtlich des Länderinformationsblattes basieren die Feststellungen auf den folgenden Einzelquellen:

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017

-

BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017):

Informationen aus den Protokollen der FFM

-

BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

-

DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 13.12.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017

-

EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (10.9.2015):

R.H. v. Sweden, Application no. 4601/14, Council of Europe: ECHR, http://www.refworld.org/docid/55f66ef04.html, Zugriff 21.12.2017

-

EEAS - EU External Action Service (5.4.2017): EU launches re-integration projects worth €33 million in Somalia, https://eeas.europa.eu/delegations/somalia/24214/eu-launches-re-integration-projects-worth-eu33-million-somalia_en, Zugriff 9.1.2018

-

FAO - FAO SWALIM / FSNAU (6.9.2018): Somalia Rainfall Outlook for 2018 Deyr (October-December) - Issued: 6 September 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-rainfall-outlook-deyr-2018-october-december-issued-6-september-2018, Zugriff 14.9.2018

-

FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (1.9.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release,

https://reliefweb.int/report/somalia/fsnau-fews-net-2018-post-gu-technical-release-01-sep-2018, Zugriff 14.9.2018

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

-

ICG - International Crisis Group (9.5.2017): Instruments of Pain (III) - Conflict and Famine in Somalia, https://www.crisisgroup.org/africa/horn-africa/somalia/b125-instruments-pain-iii-conflict-and-famine-somalia, Zugriff 24.11.2017

-

NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

-

SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

-

SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

-

UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (3.10.2014): UK Country Guidance Case. MOJ & Ors (Return to Mogadishu) (Rev 1) (CG) [2014] UKUT 442 (IAC), http://www.bailii.org/uk/cases/UKUT/IAC/2014/[2014]_UKUT_442_iac.html, Zugriff 21.12.2017

-

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.11.2017b): Fact Sheet; Somalia; 1-30 November 2017, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1514374235_61422.pdf, Zugriff 8.1.2017

-

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (5.9.2018): Humanitarian Bulletin Somalia, 1 August - 5 September 2018,

https://reliefweb.int/report/somalia/humanitarian-bulletin-somalia-1-august-5-september-2018, Zugriff 14.9.2018

-

UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

-

WB - Worldbank (6.9.2018): World Bank's Flagship Infrastructure Project Launched in Somalia,

https://reliefweb.int/report/somalia/world-bank-s-flagship-infrastructure-project-launched-somalia, Zugriff 14.9.0218

An der Aktualität, Verlässlichkeit und Richtigkeit der Informationen hat das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel.

Hinsichtlich der von der rechtlichen Vertretung des Beschwerdeführers eingebrachten Länderinformationen (OCHA - Humanitarian Bulletin Somalia und FSNAU - FEWSNET Quarterly Brief - Focus on Gu 2019 Season Early Warning, jeweils aus April 2019) wird darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX .2019 Gelegenheit gehabt hätte, zu diesen Stellung zu nehmen. Diese Gelegenheit nahm sie mangels Teilnahme nicht wahr.

2.2.4. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Die Feststellung zum Bestehen eines Abschiebehindernis beruht im Wesentlichen auf den aktuellen Informationen zur wiederkehrenden Versorgungsproblematik wegen ausgefallener Regenfälle in Somalia. Die dazu evaluierten Berichte führen aus, dass die periodischen Regenfälle erneut zu gering ausgefallen sind und in weiten Teilen Somalias zu einer sich verschlimmernden Dürre geführt haben. Das Augenmerk wird insbesondere darauf gelegt, dass damit schon die zweite aufeinanderfolgende Regenzeit unterdurchschnittlich ausgefallen ist, und mit den Konsequenzen eine Region betroffen ist, die sich immer noch von den Auswirkungen der letzten langen Dürre der Jahre 2016/2017 erholt. Es kommt zu Ernteausfällen und Abnahme des Viehbestands. Es wird erwartet, dass im Juli 2019 2,2 Millionen Menschen in die ICP Kategorie 3 (crisis) fallen, wovon 43% IDPs sind. Die Lagekarte im OCHA Dokument weist auch Banadir/Mogadischu in Hinblick auf die IDP Lager in der Lageprojektion Juli-September 2019 als Stufe 3 (crisis) aus.

Konkret den Beschwerdeführer betreffend wird anerkannt, dass er einem Mehrheitsclan in Mogadischu angehört, eine rudimentäre Schulbildung genossen hat und in Somalia Arbeitserfahrung sammeln konnte. Dennoch muss auch gesehen werden, dass er in Somalia als Kernfamilie nur mehr über seine Mutter und eine Schwester, sowie möglicherweise seine Frau und Kinder verfügt, und damit über keinen solchen engen Familienverband, der jedenfalls Unterstützung bei der Grundversorgung in der aktuell angespannten Situation leisten können würde. Darüber hinaus konnte eben nicht festgestellt werden, wo sich diese Familienangehörigen aufhalten. Ob weitere Verwandte, der Clan bzw. der Jilib diese notwendige Unterstützung zB in Bezug auf Unterkunftnahme in Mogadischu, Arbeitssuche, Zugang zu Geldleistungen, tatsächlich leisten können, muss in Hinblick auf die - wie bereits gesagt - grundlegend angespannte Situation sowie die lange Abwesenheit des Beschwerdeführers in einem hier zu berücksichtigenden Ausmaß angezweifelt werden. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr als IDP in einer entsprechend notleidenden Position wiederfinden würde.

Folglich war die oben unter 1.4. angeführte Feststellung zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I.

3.1.1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten