TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/18 G304 2214029-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.07.2019
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Entscheidungsdatum

18.07.2019

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G304 2218613-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER und den fachkundigen Laienrichter Helmut WEIß als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Kärnten, vom 08.04.2019, Sozialversicherungsnummer: XXXX, betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" nicht vorliegen, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 40, 41 Abs. 1, 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, sowie § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, in der jeweils geltenden Fassung, stattgegeben.

Die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 19.09.2018 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden: belangte Behörde) durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) samt Beilagen ein, der gemäß Hinweis auf dem Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Fachärztin für Psychiatrie, vom 07.03.2019 eingeholt.

In diesem Gutachten wurde nach am 04.03.2019 durchgeführter Begutachtung des BF folgende gutachterliche Stellungnahme abgegeben:

"dem U. ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar, seit Jänner d.J. findet ein diesbezügliches Training mit einem Betreuer statt, bisher ist lt. Angaben des U. ein Versuch, über 2 Stationen allein mit dem Bus zu fahren, problemlos möglich gewesen, bzgl. der Verhaltensstörung bei Asperger-Syndrom ist es aufgrund der bisherigen Behandlung zu einer Besserung gekommen, die Therapieoptionen sind noch nicht ausgeschöpft; es liegt keine schwere kognitive Einschränkung, keine Klaustrophobie oder phobische Angststörung und kein Anfallsleiden vor."

Begründend wurde ausgeführt:

"dem U. ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar, seit Jänner d.J. findet ein diesbezgl. Training mit einem Betreuer statt, bisher ist lt. Angaben des U. ein Versuch, über 2 Stationen allein mit dem Bus zu fahren, problemlos möglich gewesen."

In diesem Gutachten wurde auf eine für März 2022 geplante Nachuntersuchung des BF hingewiesen - unter dem Beisatz "Besserung durch weiterführende Behandlung".

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.04.2019 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gem. §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. 283/1990, idgF, abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 07.03.2019 als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden sei. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter der Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maß erschweren würde. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen auswirke. Wie dem Sachverständigengutachten jedoch zu entnehmen sei, lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung derzeit nicht vor.

Folgende Anmerkung wurde hinzugefügt:

"Da die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentliche Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nicht vorliegen, kann ein Ausweis gemäß § 29b - StVO 8Parkausweis) nicht ausgestellt werden."

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Die Mutter des BF als dessen gesetzliche Vertreterin ersuchte dabei um Stattgebung der Beschwerde und Vornahme der Zusatzeintragungen "Begleitperson" und "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" (...).

5. Am 09.05.2019 langte diese Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist im Besitz eines Behindertenpasses.

1.2. Er leidet am Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus.

1.3. Es kommt in Zusammenhang mit der Krankheit des BF immer wieder zu schwierigen Situationen in öffentlichen Verkehrsmitteln - mit Panikhandlungen und Selbstverletzung wie Kratzen, Beißen, Beschimpfungen, gegen die Türe treten und Klopfen.

1.4. In einem fachärztlichen Gutachten von Dr. XXXX, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, vom 22.01.2014 wurde festgehalten, dass der BF sich aggressiv gegen seine Mutter wehrte, als diese ihn in den Untersuchungsraum ziehen wollte, wobei unter anderem Folgendes ausgeführt wurde:

"Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als drei Jahre anhaltend.

chronische Symptomatik, langjährige Therapie erforderlich; vor allem sollten therapeutische Interventionen verstärkt werden bei Überforderung der Mutter.

Eine Nachuntersuchung in 3 Jahren ist erforderlich. (...)."

1.5. Im "Befundbericht" des den BF behandelnden Arztes vom 26.03.2018 empfahl dieser dem BF unter anderem eine autismusspezifische Betreuung, die Betreuung des BF durch die Familien- und Freizeitassistenz im Ausmaß von 20 Monatsstunden, weiterführende Familienintensivbetreuung und stationäre Aufnahme an der Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters zur medikamentösen Neueinstellung.

Der den BF betreuende Arzt beschrieb im Befundbericht unter anderem "ein impulsives, auch sehr aggressives, dann kaum steuerbares Verhalten" des BF und führte unter "weitere Maßnahmen" autismusspezifische Betreuung, Familienintensivbetreuung, eine stationäre Aufnahme an der Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters zur medikamentösen Neueinstellung und das Medikament "Zyprexa Velotab 5mg 1-1-1" an.

1.6. Im von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde vom 16.11.2018 wurde nach Durchführung einer Untersuchung des BF am 07.11.2018 unter dem Punkt "Psycho(patho)logischer Status" festgehalten (Vorname des BF durch "BF" ersetzt):

"Bewusstsein klar, motivierbar und kooperativ, der BF reagiert eher verlangsamt unter Medikation"

Eine Nachuntersuchung des BF in drei Jahren wurde festgesetzt, wobei hinsichtlich der geplanten Nachuntersuchung der Beisatz "Verbesserungen unter Therapien möglich" beigefügt wurde.

1.7. Im dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Sachverständigengutachten vom 07.03.2019 wurde zu den vom BF angeführten Beschwerden festgehalten, dass der BF mit seinem Betreuer unter anderem auch das Busfahren übe und mit diesem zuerst gemeinsam mit dem Bus gefahren sei, bevor er es geschafft habe, im Jänner 2019 zwei Stationen allein mit dem Bus zu fahren, sein Betreuer sei dabei neben dem Bus hergelaufen, am vereinbarten Ziel hätten sie sich getroffen.

Unter "Status Psychicus" wurde im Gutachten unter anderem festgehalten:

"(...) impulsiv-aggressive Phasen durch die Medikation gebessert, aktuell keine Selbstverletzung, (...)."

Unter "Behandlung (en) / Medikamente / Hilfsmittel" wurde auf behandelnden Facharzt des VF, auf von ihm in Anspruch genommene Familienintensivbetreuung und Autistentraining und das Medikament "Olanzapin 5-5-10mg" hingewiesen.

1.7.1. Beim vom BF benötigten Medikament "Olanzapin" handelt es sich laut einem Internetrechercheergebnis um ein "atypisches Neuroleptikum", ein Antipsychotikum, das dafür sorgt, dass man sich ausgeglichen fühlt und angemessen auf bestimmte Situationen (wie Aufregung, Freude, Angst etc.) reagieren kann.

Dieser Arzneistoff ist auch im Medikament "Zyprexa Velotab" enthalten.

1.8. Der BF erhält, wie ihm ärztlich empfohlen, derzeit autismusspezifische Betreuung und zum Erlernen von Alltagsroutinen auch Familienintensivbetreuung.

1.9. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar" liegen vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. angeführten Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

2.3. Im dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Gutachten von Dr. XXXX, Fachärztin für Psychiatrie, wurde beschrieben, wie es dem BF, nachdem der Betreuer des BF mit ihm Busfahren geübt hatte, gelungen war, zwei Stationen allein mit dem Bus zu fahren. Der Betreuer des BF sei dabei bis zum vereinbarten Zielort neben dem Bus hergelaufen.

Die Sachverständige hielt folglich in ihrem Gutachten fest, dass "laut Angaben des BF ein Versuch, über zwei Stationen allein mit dem Bus zu fahren, problemlos möglich gewesen" sei.

Im Zuge seiner Begutachtung am 04.03.2019 nahm der BF jedoch nicht nur darauf Bezug, dass ihm die Busfahrt über zwei Stationen allein gelungen sei, sondern fügte dieser Aussage hinzu, sein Betreuer sei währenddessen neben dem Bus hergelaufen.

Da der BF während der sich über zwei Stationen erstreckenden Busfahrt seinen Betreuer neben dem Bus herlaufen sah, fühlte er sich offenbar nicht in einer veränderten Situation im Bus auf sich allein gestellt.

Da es laut glaubhaftem Beschwerdevorbringen seiner Mutter im Bus immer wieder, somit regelmäßig, zu schwierigen Situationen im Bus mit Selbstverletzung durch Kratzen, Beißen, Beschimpfungen, Klopfen oder Treten gegen die Türe kommt, ist immer wieder mit solchen Verhaltensweisen des BF in öffentlichen Verkehrsmitteln zu rechnen, zumal auch der den BF betreuende Facharzt in seinem Befundbericht vom 26.03.2018 ein beim BF vorkommendes impulsives, dann kaum steuerbares, sehr aggressives Verhalten festhielt.

Daran kann auch das dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Sachverständigengutachten, in dem auf eine Besserung der impulsiv-aggressiven Phasen hingewiesen wird, nichts ändern, wurde doch in diesem Gutachten "Nachuntersuchungstermin 03/2022 - Besserung durch weiterführende Behandlung" festgehalten und demnach von einer bei weiterführender Behandlung des BF bis zum geplanten Nachuntersuchungstermin im März 2022 stetigen Besserung ausgegangen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.2. Zu Spruchteil A):

3.2.1. Gemäß § 1 Abs. 2 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach

§ 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Gemäß den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 der (gleichnamigen) Vorgänger-Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (BGBl. II Nr. 2013/495) ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vorliegen. Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen jedenfalls hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten sowie schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen.

3.2.2. Der minderjährige nunmehr 14 Jahre alte BF leidet an einem Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus, womit in Zusammenhang in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei seinen Busfahrten etwa, immer wieder erhebliche Schwierigkeiten auftreten und der BF oftmals Panikattacken bekommt und auch Selbstverletzungen durch Kratzen, Beißen, Beschimpfungen, gegen die Türe treten und Klopfen vorkommen.

Der den BF betreuende Arzt hielt laut Befundbericht vom 26.03.2018 unter anderem fest, dass der BF auch "ein impulsives, auch sehr aggressives, dann kaum steuerbares Verhalten" an den Tag legt und empfahl ihm aufgrund seines Krankheitsbildes autismusspezifische Betreuung, Familienintensivbetreuung und eine stationäre Aufnahme an der Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters zur medikamentösen Neueinstellung.

Der BF erhält derzeit autismusspezifische Betreuung, zum Erlernen von Alltagsroutinen Familienintensivbetreuung und wird mit "Olezapan", einem antipsychotischen Neuroleptikum, behandelt.

Durch die nach Einnahme des vom BF benötigten Medikamentes eintretende Nebenwirkung der Verlangsamung der Reaktion wird bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ebenso eine für den BF bestehende erhebliche Gefahr, sich zu verletzen, erkannt, wie dadurch, dass er in Bussen immer wieder auch gegen die Türe tritt.

Im gegenständlichen Fall ist davon auszugehen, dass der BF, der am Asperger-Syndrom und damit an einer Form von Autismus leidet, unter autismusspezifischer Betreuung, zum Erlernen von Alltagsroutinen unter Familienintensivbetreuung und in medikamentöser Behandlung mit dem antipsychotischem Neuroleptikum "Olanzapin" steht, wegen seines krankheitsbedingt immer wieder - auch in öffentlichen Verkehrsmitteln - möglichen impulsiv auftretenden, aggressiven und dann nicht von ihm kontrollierbaren Verhaltens - mit Selbstverletzungsaktionen wie Kratzen, Beißen, Beschimpfungen, Klopfen oder Treten gegen die Türe trotz laut Vorgutachten durch Medikation eingetretener Besserung seiner impulsiv-aggressiven Phasen aufgrund der laufenden medikamentösen Behandlung des BF, wobei erst für März 2022 eine Nachuntersuchung festgesetzt ist, auch zukünftig in öffentlichen Verkehrsmitteln die angeführten gravierenden Verhaltensauffälligkeiten zeigt und aufgrund verlangsamter Reaktionsfähigkeit, die eine beim BF nachweislich auftretende Nebenwirkung der von ihm regelmäßig eingenommenen Medikamente darstellt, ebenso einer erheblichen Verletzungsgefahr unterliegt wie durch das etwa in Bussen immer wieder impulsiv stattfindende Treten gegen die Türe, was der BF ebenso wenig unter Kontrolle hat wie Beschimpfen und Klopfen.

Auch wenn im fachärztlichen Sachverständigengutachten vom 07.03.2019 nach Untersuchung des BF am 04.03.2019 eine Besserung des impulsiven, aggressiven Verhaltens des BF durch Medikation festgestellt werden konnte, steht fest, dass laut Gutachten vom 07.03.2019 der BF weiterhin eine medikamentöse Therapie benötigt und bei weiterführender Behandlung bis zum im März 2022 geplanten Nachuntersuchungstermin eine stetige gesundheitlichen Besserung erwartet wird, demnach somit jedenfalls sechs Monate überschreitende erhebliche Einschränkungen psychischer und neurologischer Funktionen des BF mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten und selbstgefährdenden Aktionen in öffentlichen Verkehrsmitteln vorliegen, dem BF daher die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zugemutet werden kann.

Der gegenständlichen Beschwerde wird spruchgemäß stattgegeben.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

Im gegenständlichen Fall konnte bereits aufgrund geklärten Sachverhaltes aufgrund der Aktenlage von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G304.2214029.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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