Entscheidungsdatum
02.08.2019Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
W266 2218906-1/5E
W266 2218907-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Stephan WAGNER über den Antrag des XXXX , geb. XXXX vom 30.4.2019, auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang, insbesondere die Beigabe eines Verfahrenshelfers zur Abfassung und Einbringung einer Beschwerde gegen die Bescheide des Arbeitsmarktservice Redergasse vom 2.4.2019 betreffend Widerruf des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 1.7.2016 bis 25.8.2016 und 31.8.2016 bis 26.1.2017 und der Notstandshilfe für die Zeit vom 27.1.2017 bis 11.6.217 und Rückforderung des Übergenusses in Höhe von € 9.501,75 und €
5.962,24:
A) Der Antrag vom 30.4.2019 auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird
gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG abgewiesen und die Verfahrenshilfe nicht bewilligt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Mit Bescheiden des AMS Wien Redergasse (im Folgenden: AMS) vom 2.4.2019 wurde hinsichtlich des nunmehrigen Verfahrenshilfewerbers der Widerruf des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 1.7.2016 bis 25.8.2016 und 31.8.2016 bis 26.1.2017 und der Notstandshilfe für die Zeit vom 27.1.2017 bis 11.6.217 sowie die Rückforderung des Übergenusses für diese Zeiten in Höhe von € 9.501,75 und € 5.962,24 ausgesprochen
Mit Schreiben vom 30.4.2019 brachte der Verfahrenshilfewerber den gegenständlichen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang inklusive der Beigabe eines Verfahrenshelfers zur Erhebung einer Beschwerde gegen die im Spruch genannten Bescheide ein.
Der Verfahrenshilfeantrag wurde unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Bundesverwaltungsgericht am 16.05.2019 zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Schreiben vom 12.06.2019 hat das Bundesverwaltungsgericht dem Verfahrenshilfewerber einen Verbesserungsauftrag in Bezug auf seinen Antrag auf Verfahrenshilfe erteilt, da dem Antrag auf Verfahrenshilfe kein Vermögensverzeichnis beigelegt war.
Der Verfahrenshilfewerber ist dem Mängelbehebungsauftrag nachgekommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen:
Der Verfahrenshilfewerber ist am XXXX geboren, gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern an der Adresse XXXX Wien, XXXX wohnhaft und bezieht laufend Arbeitslosengeld in Höhe von € 591,51 monatlich. Weiters bezieht er Familienbeihilfe in Höhe von € 585,20 monatlich.
Er verfügt über folgendes Vermögen:
* Liegenschaft eingetragen im Grundbuch XXXX der Katastralgemeinde XXXX ( XXXX ) unter der EZ XXXX , sowie
* Girokonto mit einem Betrag in Höhe von € 48.585,54.
Es bestehen keine monetären Unterhaltspflichten.
Es bestehen keine Schulden.
Bei der Wohnung des Beschwerdeführers handelt es sich um eine Mietwohnung, für die er monatlich € 555,25 zu entrichten hat.
Der Verfahrenshilfewerber hat das Studium der Rechtswissenschaften mit dem akademischen Grad Magister abgeschlossen und bereits als Jurist unter anderem bei einer Gemeinde gearbeitet.
Beweiswürdigung:
Die Feststellungen beruhen auf den im Verwaltungsakt befindlichen Unterlagen, insbesondere auf den glaubhaften Angaben des Verfahrenshilfewerbers auf dem Antragsformular und dem Vermögensverzeichnis sowie auf einem amtswegig eingeholten aktuellen Auszug aus dem zentralen Melderegister.
Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
§ 8a Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:
"(1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.
(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.
(4) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kann ab Erlassung des Bescheides bzw. ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, gestellt werden. Wird die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Säumnisbeschwerde beantragt, kann dieser Antrag erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist gestellt werden. Sobald eine Partei Säumnisbeschwerde erhoben hat, kann der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch von den anderen Parteien gestellt werden.
(5) In dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die die Bewilligung der Verfahrenshilfe begehrt wird.
(6) Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuss einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen der Partei zur Auswahl der Person des Vertreters im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen.
(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei zu laufen. Entsprechendes gilt für die Fristen, die sich auf die sonstigen in Abs. 2 genannten Anträge beziehen.
(8) Die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter erlischt mit dem Einschreiten eines Bevollmächtigten.
(9) In Verfahrenshilfesachen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulässig.
(10) Der Aufwand ist von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Angelegenheit handelt."
Daraus folgt:
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es nicht erforderlich, Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Prüfungsbeschluss, der zur Aufhebung des § 40 VwGVG führte, die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammengefasst, dass der "Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein müsse"; in jenen Fällen, in denen es "unentbehrlich sei, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt werde," müsse ein solcher beigestellt werden.
Für diese Beurteilung sind verschiedene Kriterien maßgeblich. Das sind zum einen Kriterien, die sich auf die Person der Parteien beziehen, nämlich ihre Vermögensverhältnisse oder ihre Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden; zum anderen auch Kriterien, die in Zusammenhang mit der Rechtssache stehen, nämlich die Erfolgsaussichten, die Komplexität des Falles oder die Bedeutung der Angelegenheit für die Parteien (siehe 1255 der Beilagen XXV. GP - Regierungsvorlage - Erläuterungen zu § 8a VwGVG).
Im konkreten Fall scheitert der Verfahrenshilfewerber bereits an dem Kriterium der Vermögensverhältnisse. Zwar bezieht er nur eine relativ geringe monatliche Leistung des AMS, jedoch ist nach der Judikatur auch die Familienbeihilfe als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. Klauser/Kodek, JN - ZPO18 § 63 ZPO, E 30/4 (Stand 1.9.2018, rdb.at)). Hinzu kommt, dass ausnahmsweise auch der Vermögensstamm heranzuziehen ist, insbesondere dann, wenn es sich um ein namhafteres Barvermögen handelt, das sofort flüssig gemacht werden kann. Im Gegenstand handelt es sich bei einem Vermögen in Höhe von €
48.585,54 aus Sicht des erkennenden Gerichts um ein namhaftes Vermögen, welches, da es sich auf dem Giro Konto des Verfahrenshilfewerbers befindet schnell flüssig gemacht werden könnte (vgl. Klauser/Kodek, JN - ZPO18 § 63 ZPO, E 37 und 43 (Stand 1.9.2018, rdb.at)).
Auch gibt es keine Hinweise auf eine mangelnde Fähigkeit des Verfahrenshilfewerbers im Verkehr mit Behörden, vielmehr hat dieser, wie festgestellt bereits als Jurist bei einer Gemeinde gearbeitet.
Ob die vom Verfahrenshilfewerber angestrebte Rechtsverfolgung mutwillig bzw. aussichtslos ist, kann mangels einer eingebrachten Beschwerde nur anhand des vorgelegten Verwaltungsaktes beurteilt werden.
Das gegenständliche Verfahren hat für den Verfahrenshilfewerber zweifellos eine maßgebliche Bedeutung, da es immerhin um eine Rückforderung in Höhe von € 15.463,99 geht.
Weiters ist festzuhalten, dass Verfahrenshilfe gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG nur dann vorgesehen ist, wenn beide Voraussetzungen, nämlich, dass
1. die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und
2. die Verfahrenshilfe - im konkreten Verfahren - geboten ist,
kumulativ vorliegen.
Das konkrete Verfahren ist ein Verfahren nach dem AlVG, in selbigen fallen keine Gerichtsgebühren und auch keine anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren an. Weiters ist nach der Aktenlage nicht davon auszugehen, dass es zu Amtshandlungen außerhalb des Gerichts käme, Gebühren für Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher anfallen (jedenfalls nicht für die Beisitzer) werden, Verlautbarungen notwendig werden bzw. ein Kurator zu bestellen wäre. Sollte sich dies im Laufe des Verfahren ändern, wäre der Verfahrenshilfewerber im Übrigen nicht daran gehindert, in diesem Fall neuerlich um Verfahrenshilfe anzusuchen. Sohin verbleibt an zu gewährenden Erleichterungen nur mehr die Beigabe eines Rechtsanwaltes.
Gemäß § 64 Abs. 1 Z 3 ZPO umfasst die Verfahrenshilfe die unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes nur in solchen Fällen, in denen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach der Lage des Falles erforderlich erscheint. Eine Erforderlichkeit ist nur dann gegeben, wenn der Rechtsfall besondere Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht erwarten lässt. Dabei kommt es einerseits auf die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers an, wie etwa über den Grad von Verständnis und Intelligenz bzw. an Rechtskenntnissen dieser verfügt. In Einzelfällen kann auch die besondere Trageweite des Rechtsfalles für den Antragsteller von Relevanz sein. Weiters kommt es auch auf die Komplexität der Rechtssache an (vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 64 ZPO, Rz 16).
Die Beigebung eines Rechtsanwalts in Verfahren ohne Anwaltspflicht soll aber eine Ausnahme darstellen. OLG Linz 2 R 65/03x und LGZ Wien 42 R 226/03a EFSlg 105.674. Sie ist vor allem erforderlich, wenn die Partei nur über einen geringen Grad von Rechtsverständnis und Rechtskenntnis verfügt und damit auch der richterlichen Anleitung nach § 432 ZPO Grenzen gesetzt sind. LGZ Wien 31. 1. 1995 EFSlg 79.168; LGZ Wien 9. 4. 1997 EFSlg 85.252; LGZ Wien 20. 10. 1998 MietSlg 50.710; LGZ Wien 29. 12. 1999 EFSlg 90.866; LGZ Wien 42 R 122/01d EFSlg 98.128; LGZ Wien 43 R 420/02m EFSlg 101.846-101.848; OLG Linz 2 R 65/03x ua EFSlg 105.676 (vgl. Klauser/Kodek, JN - ZPO18 § 64 ZPO, E 16 (Stand 1.9.2018, rdb.at)).
Da im konkreten Verfahren keine Anwaltspflicht besteht und es sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht um eine sehr komplexe Rechtsfrage handelt und der Verfahrenshilfewerber als Jurist zumindest die verfahrensrechtlichen Grundzüge kennt, scheint auch aus diesem Grund die Verfahrenshilfe durch einen Rechtsanwalt nicht geboten.
Insgesamt war daher der gegenständliche Antrag auf Verfahrenshilfe im vollen Umfang abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Trotz des Fehlens einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8a VwGVG liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, da die Rechtslage zur Gewährung von Verfahrenshilfe sowohl durch den EGMR als auch durch den EuGH hinreichend geklärt ist (vgl. dazu VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0049). Zudem ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 40 VwGVG sowie zu den einschlägigen Bestimmungen der ZPO auf die Prüfung der Erforderlichkeit der Beigebung eines Verfahrenshelfers nach § 8a Abs. 2 VwGVG iVm § 64 Abs. 1 Z 3 ZPO übertragbar. Letztlich handelt es sich bei der Entscheidung über die Bewilligung der Verfahrenshilfe stets um eine einzelfallbezogene Beurteilung.
WICHTIG:
Gemäß § 8a Abs. 7 VwGVG beginnt die Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des SMS vom 19.5.2017 mit der Zustellung dieses Beschlusses an den Verfahrenshilfewerber zu laufen.
Schlagworte
VerfahrenshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W266.2218906.1.00Zuletzt aktualisiert am
03.10.2019