TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/21 W163 2011732-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.08.2019
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Entscheidungsdatum

21.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55

Spruch

W163 2011732-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2019, Zahl XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG iVm § 68 Abs. 1

AVG, §§ 10 Abs. 1 Z 3, 15b, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 53 Abs. 1 iVm Abs. 2, und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

I.1. Erstes Verfahren

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger, hat nach unrechtmäßiger und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 29.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, gestellt.

1.2. Am 31.07.2014 fand die Erstbefragung durch ein Organ der Polizeiinspektion Traiskirchen EASt statt. Am 09.08.2014 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) eine niederschriftliche Einvernahme des BF im Asylverfahren statt.

Zu seinem Fluchtgrund gab er an, er habe in seiner Heimat eine mehrjährige Beziehung mit einem Mädchen gehabt, welches er heiraten hätte wollen, aber ihre Familie sei dagegen gewesen, weil sie dem Hinduismus angehört habe und er Sikh sei. Aus diesem Grund sei seine Freundin von ihrer Familie umgebracht worden und der Beschwerdeführer sei sodann beschuldigt worden, sie getötet zu haben. Er sei von der Polizei festgenommen und geschlagen, nach circa einem Monat aber wieder freigelassen worden. Einige Tage später sei er wieder von der Polizei gesucht worden und sei er auch von der Familie des Mädchens mit dem Umbringen bedroht worden, weshalb er seine Heimat verlassen habe. Für den Fall seiner Rückkehr in die Heimat habe er Angst, umgebracht zu werden.

In der Einvernahme vor dem BFA wiederholte der BF im Wesentlichen sein bereits erstattetes Vorbringen und gab an, in seiner Heimat angezeigt worden zu sein, besagtes Mädchen getötet zu haben. Näher befragt, vermochte der Beschwerdeführer weder das Geburtsdatum noch die genaue Adresse seiner Freundin zu nennen. Die Frage, ob besagte Beziehung auch körperlicher Natur gewesen sei, bejahte der Beschwerdeführer zunächst und gab zu einem späteren Zeitpunkt an, eigentlich keinen Sex gehabt zu haben. Am 03.06.2013 sei das Mädchen erschossen worden, er meine, es nicht genau zu wissen, aber sie sei umgebracht worden. Tags darauf sei der Beschwerdeführer von der Polizei festgenommen worden, wobei man ihn des Todes seiner Freundin beschuldigt habe. Seine Familie habe ihn aber gegen Bezahlung frei bekommen. Die Familie des Mädchens habe gesagt, dass sie ihn aus Rache umbringen wolle, weshalb er Indien verlassen habe. Über nähere Befragung erklärte der Beschwerdeführer, selbst niemals direkt bedroht worden zu sein und denke er auch nicht, von der Polizei gesucht zu werden. Dass das Mädchen von der Familie umgebracht worden sei, wisse er nicht, vermute es aber.

1.3. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 27.08.2014, Zl. XXXX , den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) ab. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäߧ 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF, gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Darin bewertete das BFA das Fluchtvorbringen des BF als nicht glaubhaft und ging zusätzlich vom Bestehen innerstaatlicher Fluchtalternativen aus.

1.4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 21.09.2016, Zl. W220 2011732-1/10E, gem. gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet ab. Das BVwG bewertete das Fluchtvorbringen des BF als nicht glaubhaft und ging zusätzlich vom Bestehen innerstaatlicher Fluchtalternativen aus.

Das Erkenntnis wurde dem BF am 30.09.2016 zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

I.2. Zweites (gegenständliches) Verfahren

2.1. Am 28.05.2019 stellte der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

2.2. In seiner Erstbefragung am 28.05.2019 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er Aktivist und Befürworter für die Gründung Khalistans sei, ebenso wie sein Vater, der am 25.05.2019 von der Polizei in Indien festgenommen worden sei. Sein Vater befinde sich derzeit in Haft, da die indische Regierung gegen die Gründung Khalistans sei. Der BF habe Angst, bei seiner Rückkehr ebenfalls zu Unrecht festgenommen zu werden. Auf konkrete Frage gab der BF an, er wisse seit 25.05.2019 von der geänderten Situation.

2.3. Mit Verfahrensanordnung vom 28.05.2019 wurde dem BF mitgeteilt, dass er ab 28.05.2019 gemäß § 15b AsylG 2005 iVm § 7 Abs. 1 VwGVG in der BS Ost AIBE, Otto Glöckel-Straße 24 - 26, 2514 Traiskrichen, Unterkunft zu nehmen hat.

2.4. Mit Eingabe vom 11.06.2019 erfolgte eine Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters des BF.

2.5. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 27.06.2019 brachte der BF zu den Gründen seines Folgeantrages im Wesentlichen vor, dass ein Vater, XXXX , von der Polizei festgenommen und gefoltert worden sei, weil alle Familienangehörigen von Anfang an Khalistan-Anhänger seien. In ganz Punjab sei die Lage sehr prekär. Es gäbe eine Hindu-Regierung und die Sikhs würden belästigt werden. Der BF selbst sei ein Anhänger der Khalistanbewegung und es sei sehr wahrscheinlich, dass ihm bei seiner Rückkehr dasselbe geschehe, wie seinem Vater. Auf konkrete Fragen gab der BF an, dass sein Vater am 25.05.2019 festgenommen und sechs Tage ohne Grund festgehalten worden wäre. Auf konkrete Frage gab der BF an, er hätte zu Hause angerufen und seine Mutter hätte ihm von der Festnahme erzählt. Auf die Frage, ob der BF bereit wäre, zwecks Beweiserbringung das Anrufprotokoll vorzulegen, gab der BF an, dies sei gelöscht. Auf die Frage, warum dieses gelöscht sei, gab der BF an, dass sich dieses nach einer gewissen Zeit von selbst lösche. Der BF gab an, dass die Polizei seinen Vater gefragt hätte, warum der BF nicht in den Punjab zurückkehre, weil der BF ebenfalls Khalistan-Anhänger sei. Der BF gab an, dass die Polizei ihn im Falle der Rückkehr ohne Grund festnehmen und ihm eine Anzeige wegen Drogenmissbrauchs anhängen würde und sie ihn - wie viele andere - im Gefängnis töten lassen würden. Der BF legte als Beweismittel ein Affidavit vor.

2.6. Mit dem im Spruch genannten Bescheid, zugestellt an den bevollmächtigten Vertreter am 02.08.2019, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgeführt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem BF aufgetragen ab 28.05.2019 bis 01.06.2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.

Das BFA führte beweiswürdigend wie folgt aus (Auszug aus angefochtenem Bescheid, Seiten 60 bis 63)

"Vorweg müssen folgende Sachverhalte hervorgestrichen werden:

Sie bringen gegenständlich, im Kern, an, dass Sie und Ihre gesamte Familie Anhänger der Khalistanbewegung sind und Sie persönlich deshalb politische Verfolgung fürchten. In Ihrer Einvernahme gaben Sie an, dieser Bewegung schon vor Ihrer Ausreise aus Indien angehört zu haben. Sie brachten diesen Sachverhalt in Ihrem Erstverfahren, inklusive der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, nicht vor. Weiter befremdlich ist, dass Sie den gegenständlichen Antrag erst eineinhalb Jahre nach Abschluss Ihres Vorverfahrens und 8 Tage nach Erlass eines Mitwirkungsbescheides betreffend der Beschaffung eines Heimreisezertifikates stellten.

Auch gaben Sie in Ihrem Erstverfahren an der Volksgruppe der Punjabi anzugehören, während Sie in Ihrem gegenständlichen Verfahren, ohne erkennbaren Grund und ohne schlüssige Erklärung, angaben der Volksgruppe der Jat anzugehören.

Diese Umstände sind zwar, für sich genommen, nicht allein Entscheidungsgrundlage in diesem Bescheid, mindern aber die Glaubhaftigkeit Ihres Vorbringens und Ihre persönliche Glaubwürdigkeit.

Gegenständlich gaben Sie an, dass die Polizei Ihren Vater am 25.05.2019 festgenommen hätte, Ihn gefoltert hätte, Ihn nach Ihrem Aufenthalt gefragt hätte und Ihnen bei einer Rückkehr nach Indien dasselbe drohen könnte.

Es wird dazu darauf hingewiesen, dass Sie behaupteten von diesen Sachverhalten per Telefon von Ihrer Mutter erfahren zu haben, was sie jedoch nicht beweisen konnten. Als Sie gebeten wurden Ihr Anrufprotokoll vorzuweisen behaupteten Sie schlicht, dass dies gelöscht worden sei und sich auch periodisch löschen würde, weswegen Sie ebenjenes nicht vorweisen könnten. Diese Erklärung ist, zumindest, zweifelhaft, besonders wenn man bedenkt, dass die vermeintliche Inhaftierung Ihres Vaters zum Zeitpunkt der Einvernahme nur ein Monat zurück lag.

Als Beweismittel legten Sie ein Affidavit - eine eidesstattliche Erklärung - vor. Ein solches Affidavit wird als Zeugenaussage von einem Notar aufgenommen.

Prinzipiell ist ein solches Schriftstück ein ungeeignetes Beweismittel, da es lediglich die Aussagen einer Person festhält, ohne dass diese zuvor überprüft werden.

Des Weiteren wird schon alleine aufgrund massiver Grammatik-Rechtschreibungs- und Begriffsfehler die Echtheit dieses Schriftstückes als ein notariell beglaubigtes angezweifelt.

Es wird auf folgende Fehler hingewiesen:

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Bei Punkt 1) wurde "address", statt "adress" geschrieben.

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Fehlen jeglicher Satzzeichen bei Punkt 3).

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Punkt 3), Zeile 3: "There for", statt "therefore".

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Punkt 3) Zeile 4: "Punjab Police make Conflicts and irritate to all our family..."

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Punkt 4) Zeilen 3 und 4: "As a result my son for saving his life went abroad by any mean and now present living in Austria".

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Punkt 5), Zeile 2: Nutzung des Wortes "torched", wenn offenbar "tortured" gemeint ist.

Diese Liste ist keine abschließende Aufzählung der herausragenden Anzahl von sprachlichen Fehlern in diesem Schreiben, sondern nur eine Auflistung der am hervorstechendsten.

Es kann also mit, an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, ausgeschlossen werden, dass dieses Schreiben von einem indischen Juristen, welche, besonders im Punjab, regelmäßig über ausgezeichnete Englischkenntnisse verfügen, verfasst worden ist.

Weiters weißt dieses Schriftstück eine Menge an inhaltlichen Problemen auf:

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Im Punkt eins wird behauptet, dass Ihre Eltern sich an der Andresse Ihres Elternhauses permanent aufhalten, während in Punkt fünf ausgesagt wird, dass Ihre Eltern sich versteckt halten um ihr Leben zu schützen.

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Es wird behauptet, dass Ihre gesamte Familie, einschließlich Ihrer Person, Mitglieder der Partei Shiromani Akali Dall Mann seien. In Ihrer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in Ihrem Vorverfahren wurden sie befragt, ob Sie jemals einer politischen Partei angehörten oder politisch tätig waren, was Sie unmissverständlich verneinten. Auch gaben Sie im gegenständlichen Verfahren zu keiner Zeit an, Mitglied der Akali Dal Partei zu sein. Statt dessen sprachen Sie stets von der "Khalistanbewegung".

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In Punkt zwei wird gemeint, dass die Polizei mehrfach versucht hat sie festzunehmen, während Sie in Ihren bisherigen Aussagen stets davon sprachen nur einmal festgenommen worden zu sein.

Aufgrund der angegebenen Probleme und Diskrepanzen ist Ihr Beweismittel ungeeignet Ihr Vorbringen zu beweisen.

Sie konnten eine konkret gegen Sie gerichtete Verfolgung nicht glaubhaft machen. Sie gaben lediglich an, dass die Polizei Ihren Vater nach Ihnen und Ihren Aufenthalt befragt hätte.

Besonders die Frage nach Ihren Aufenthalt ist für das Bundesamt nicht nachvollziehbar, da Sie im Jahr 2016 ein Identitätsformblatt für die indische Botschaft im Zuge der Beschaffung eines Heimreisezertifikates ausfüllten und spätestens seitdem der indischen Regierung klar sein müsste wo Sie sich aufhalten.

Genauer befragt, inwiefern Sie nun persönlicher Verfolgung ausgesetzt wären, flüchteten Sie sich in unfundierte Spekulationen und allgemeine Angaben darüber, dass das Jahr 2020 nun näher sei.

Gefragt, warum Sie überhaupt ein Identitätsformblatt der indischen Botschaft ausfüllten, obwohl Sie politisch verfolgt seien, antworteten Sie, nicht nachvollziehbar, dass es damals noch nicht so schlimm war und Sie damals nicht genau wussten wann dieses eingebracht werden würde.

Zusammengefasst stellt das Bundesamt folgendes fest:

Ihr Vorbringen ist in sich nicht schlüssig. Es konnte keine konkrete, persönliche Verfolgung Ihrer Person glaubhaft gemacht werden. Sie konnten keinen Teil Ihres Vorbringens glaubhaft machen oder mit Beweisen untermauern.

Aufgrund der extremen Oberflächlichkeit und Unschlüssigkeit Ihrer Angaben kann in Ihrem Vorbringen kein glaubhafter Kern erkannt werden.

Es liegt somit weiterhin der Umstand der entschiedenen Sache vor."

2.7. Zum Herkunftsstaat Indien wurde folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 23.1.2019; vgl. AA 18.9.2018). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Indien verfügt über 29 Bundesstaaten und sechs Unionsterritorien (AA 11.2018a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 20.4.2018). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 11.2018a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 18.9.2018), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 11.2018a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 18.9.2018). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 3.2018a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2018a). Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 11.2018a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 18.9.2018).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 20.4.2018). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2017 ist Präsident Ram Nath Kovind indisches Staatsoberhaupt (AA 11.2018a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 3.2018a).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 18.9.2018). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 3.2018a; vgl. FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 18.9.2018). Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis "National Democratic Alliance" (NDA) mit der "Bharatiya Janata Party" (BJP) als stärkste Partei (282 Sitze) die Kongress-Partei an der Regierung ab (AA 18.9.2018). Die BJP holte sie nicht nur die absolute Mehrheit, sie ließ auch den bislang regierenden Indian National Congress (INC) weit hinter sich. Der INC kam nur noch auf 46 Sitze und erlitt die schlimmste Niederlage seit der Staatsgründung 1947. Wie es mit dem INC mit oder ohne die Familie Gandhi weitergeht, wird abzuwarten sein. Die Gewinne der Wahlen im Punjab, Goa und Manipur sowie das relativ gute Abschneiden in Gujarat sind jedenfalls Hoffnungsschimmer, dass die Zeit der Kongresspartei noch nicht vorbei ist (GIZ 13.2018a). Die Anti-Korruptionspartei (AAP), die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang 2014 landesweit nur vier Sitze (GIZ 3.2018; vgl. FAZ 16.5.2014). Der BJP-Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt und steht seither einem 26-köpfigen Kabinett (mit zusätzlichen 37 Staatsministern) vor (AA 18.9.2018).

In Indien wird im Zeitraum zwischen April und Mai 2019 wieder gewählt. Der genaue Zeitplan ist jedoch noch unklar. In den Umfragen liegt der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi mit seiner BJP vorne (DS 1.1.2019).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 3.2018b).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktive Außenpolitik. Der außenpolitische Kernansatz der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" ergänzt. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Gestaltungsmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (AA 11.2018b). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 3.2018a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten "Neuen Seidenstraße" eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im "Regional Forum" (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (AA 11.2018b).

In den Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst. Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmir-Problem (AA 11.2018b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 3.2018a).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 3.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-

AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206048, Zugriff 23.1.2019

-

AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019

-

CIA - Central Intelligence Agency (15.1.2019): The World Factbook

-

India,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 23.1.2019

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DS - Der Standard (1.1.2019): Was 2019 außenpolitisch bringt. Die US-Demokraten übernehmen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, Großbritannien plant den Brexit - und in Indien, der größten Demokratie der Welt, sind Wahlen, https://www.derstandard.de/story/2000094950433/was-2019-aussenpolitisch-bringt, Zugriff 28.1.2019

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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 11.10.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 23.1.2019

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (3.2018b): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, https://www.liportal.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 23.1.2019

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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

1. Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 18.9.2018).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2018).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 11.2018b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BBC 23.1.2018).

Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und ein terroristischer Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Gemäß Regierungserklärung reagierte Indien auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. Immer wieder kommt es zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 11.2018b).

Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist 2016 zum Stillstand gekommen. Aktuell sind die Beziehungen auf sehr niedrigem Niveau stabil (AA 11.2018b).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019

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BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019

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BPB - Bundeszentrale für Politische Bildung (12.12.2017):

Innerstaatliche Konflikte - Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 23.10.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.10.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018):

Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

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SATP - South Asia Terrorism Portal (13.1.2019): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2019,

http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 23.1.2019

1.1. Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2018).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services-Intelligence (ISI) bekannt, welcher gemeinsam mit der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierung Babbar Khalasa International (BKI) und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2018). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 20.4.2018; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2018).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2018).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar (USDOS 20.4.2018).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 10.2017).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 10.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394309.html, Zugriff 6.11.2018

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BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?,

http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 18.10.2018

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MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 18.10.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018):

Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2015 Report on International Religious Freedom - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436757.html, Zugriff 23.10.2018

2. Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 18.9.2018). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 18.9.2018).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2018). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2018).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums für 2015 bis 2016 ergab eine Vakanz von 43 Prozent der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 20.4.2018). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 18.9.2018).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2018). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 18.9.2018).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 18.9.2018).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. (AA 18.9.2018).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK Internationales Komitee des Roten Kreuz) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 18.9.2018).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill", und sie habe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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