RS Vfgh 2018/10/4 G62/2018

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Veröffentlicht am 04.10.2018
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art7 / Gesetz
B-VG Art91
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG §7i Abs4 idF BGBl I 113/2015
VStG §16, §22 Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit einer Strafbestimmung des Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG betreffend die Nicht-Bereitstellung von Lohnunterlagen; Höhe der Geldstrafe kein taugliches Zuordnungskriterium zur Abgrenzung von gerichtlichem Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht; keine Bedenken gegen unterschiedliche verfahrensrechtliche Regelungen für Beschuldigte in den eigenständigen Ordnungssystemen Verwaltungsstrafverfahren und gerichtliches Strafverfahren, sofern die Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform sind; keine Unverhältnismäßigkeit der sich am Strafzweck orientierenden Strafhöhe

Rechtssatz

Abweisung des - zulässigen - Antrags des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG) auf Feststellung, dass §7i Abs4 AVRAG idF BGBl I 113/2015 verfassungswidrig war.

Offenkundiger konkreter Regelungszusammenhang der unterschiedlichen Tatbestände in §7i Abs4 Z1, Z2 und Z3 AVRAG sodass der Anfechtungsumfang, festzustellen, dass §7i Abs4 AVRAG zur Gänze verfassungswidrig war, nicht zu weit gefasst ist. Keine untrennbare Einheit des §7i Abs4 AVRAG mit §22 VStG und keine Präjudizialität des in §22 Abs2 VStG geregelten Kumulationsprinzips. Kein Eingehen auf die Bedenken zur Verhängung einer (erheblichen) (Ersatz-)Freiheitsstrafe, weil §16 VStG nicht mit angefochten ist. Angesichts der verschiedenartigen Bedenken des antragstellenden Gerichtes ist der Antrag aber nicht schon deshalb zur Gänze unzulässig, weil das antragstellende Gericht hinsichtlich eines Aspekts seines Vorbringens nicht die Aufhebung aller anzufechtenden Bestimmungen beantragt hat. Kein Eingehen darauf, aus welchen Gründen §7i Abs4 AVRAG im Lichte anderer Verfassungsbestimmungen eine Verfassungswidrigkeit anzulasten sei, mangels Ausführungen im Antrag.

Keine Verletzung von Art91 B-VG durch Verwaltungsstrafbestimmungen, die unter gewissen Umständen zur Verhängung besonders hoher Geldstrafen ermächtigten:

Zwar ging der VfGH in stRsp davon aus, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen die Organe der Strafgerichtsbarkeit mit der Ahndung von Verhalten zu betrauen habe, das als besonders sozialschädlich bewertet und demgemäß mit schwerwiegender Strafe bedroht ist; an diesen Kriterien gemessen, könnten nach der Rsp auch Verfahren über die Verhängung von Geldstrafen in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit. Wie in VfSlg 13790/1994 festgestellt, betraf diese Rsp allerdings durchwegs Fälle, in denen jede einzelne in der Hinterziehung von Abgaben bestehende Straftat mit einer Strafe in der Höhe eines Vielfachen des Verkürzungsbetrages bedroht war, was zu außerordentlich hohen Strafen für die einzelne Tat führen konnte. Damit sind aber jene Verwaltungsstraftatbestände nicht vergleichbar, die wie auch die angefochtene Bestimmung auf die - gegebenenfalls lange fortgesetzte - Beschäftigung mehrerer Ausländer und die darin liegende Vervielfachung des Unrechtsgehaltes auf eine Weise Bedacht nehmen, die der Häufung von Straftaten und damit dem für das Verwaltungsstrafverfahren charakteristischen Kumulationsprinzip entspricht. Derart konstruierte Straftatbestände führen nämlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie das in §22 Abs2 VStG geregelte - verfassungsrechtlich unbedenkliche - Kumulationsprinzip.

Mit E v 13.12.2017, G408/2016 ua, hat der Gerichtshof - in Abkehr von seiner stRsp zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts - jüngst festgehalten, dass die Höhe der Geldstrafe für sich genommen kein taugliches Zuordnungskriterium darstellt.

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch §7i Abs4 AVRAG:

Zur behaupteten Ungleichbehandlung bzw Schlechterstellung von Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren gegenüber Beschuldigten im gerichtlichen Strafverfahren: Nach der stRsp des VfGH ist aus dem Vergleich unterschiedlicher verfahrensrechtlicher Regelungen unter Sachlichkeitsgesichtspunkten nichts zu gewinnen, weil es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich offensteht, sich in unterschiedlichen Verfahrensbereichen für durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform ausgestaltet sind.

Keine Unverhältnismäßigkeit der Geldstrafe: In stRsp ist der VfGH der Auffassung, dass es nicht unsachlich ist, wenn sich die Strafhöhe vor allem am Strafzweck orientiert, welcher nur dann erreicht wird, wenn die für den Fall des rechtswidrigen Verhaltens vorgesehene Strafe derart empfindlich ist, dass ein in der Regel normgemäßes Verhalten durchgesetzt werden kann. Andernfalls kann es bei ausreichend hohem wirtschaftlichen Interesse dazu kommen, dass der Strafbetrag als bloßer Preis des erwarteten Nutzens kalkuliert wird und die Strafdrohung ihren Zweck verfehlt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag, Geldstrafe, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Kumulationsprinzip, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, Ersatzfreiheitsstrafe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G62.2018

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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