TE Vwgh Erkenntnis 1987/12/16 87/01/0299

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Veröffentlicht am 16.12.1987
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Index

Polizeirecht - AsylG

Norm

AsylG 1968 §1
AVG §37
AVG §56
AVG §58 Abs2
AVG §60
FlKonv Art1 AbschnA

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde des HM in S, vertreten durch Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwalt in Wien VI, Gumpendorferstraße 22/7, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Juli 1987, Zl. 217.144/3-II/6/86, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Minderheit, gelangte am 5. April 1986 illegal in Begleitung seines Vetters beim Grenzübergang Spielfeld auf österreichisches Bundesgebiet und stellte am selben Tag bei der Bezirkshauptmannschaft Baden einen Asylantrag. Zur Begründung führte er aus, er habe am 30. April 1981 in Istog an einer Demonstration für Rechte der albanischen Minderheit in Jugoslawien teilgenommen und sei verhaftet worden. Nach zwei Wochen Untersuchungshaft sei er wieder freigelassen worden, weil er "nichts zugegeben" habe. Seither habe er wiederholt anläßlich der albanischen Festtage allein oder gemeinsam mit Freunden auf Mauern und auf dem Asphalt Parolen mit staatsfeindlichem Inhalt wie z.B. "Kosova - Republik" geschrieben. Er habe zwar "manchesmal Schwierigkeiten" mit der Miliz gehabt, doch seien diese zunächst nicht gravierend gewesen. Nun müsse ihn aber jemand angezeigt haben, denn zirka eine Woche vor seiner Ausreise aus Jugoslawien seien Milizbeamte zweimal in der Nacht zu ihm nach Hause gekommen, um ihn zu verhaften. Er habe sich jedoch zu diesen Zeitpunkten bei seinem Vetter aufgehalten. Von dessen Haus aus habe er beobachten können, wie bei ihm zwei Milizautos vorgefahren seien. Er habe sich daraufhin in den Bergen versteckt, um einer Gefängnisstrafe und den Schlägen und Folterungen der jugoslawischen Miliz zu entgehen. Er habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als seine Heimat zu verlassen.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 25. April 1986 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Konvention sei. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer nicht glaubhaft dargetan habe, aus einem der in Art. 1, Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge angeführten Gründe Verfolgung erlitten zu haben oder eine solche befürchten zu müssen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im wesentlichen zu seinen bisherigen Ausführungen vorbrachte, er sei Angehöriger der albanischen Minderheit in Jugoslawien; die Verfolgung dieser Minderheit sei amtsbekannt; dazu werde auf Jahresberichte von Amnesty International verwiesen. Die Behörde erster Instanz habe gänzlich außer acht gelassen, daß nicht nur der Beschwerdeführer allein sondern auch Familienmitglieder Verfolgungen im Sinne der Genfer Konvention erlitten hätten. Gleichzeitig mit dem Beschwerdeführer sei sein Vetter nach Österreich gelangt. Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Konvention sei jedoch auch davon auszugehen, daß bei Personen, die in enger Familienbeziehung zu einem politischen Flüchtling stünden, in totalitären Staaten der Grundsatz der sogenannten Familienhaftung herrsche. Es könne daher mit Grund angenommen werden, daß auch der Beschwerdeführer in seinem Heimatland verfolgt werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen. In der Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die in der Berufung behaupteten Verfahrensmängel lägen nicht vor. Die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention setze voraus, daß die betreffende Person glaubhaft mache, individuell Ziel von konkreten Maßnahmen der Behörde seines Heimatstaates gewesen zu sein. Diese Voraussetzungen träfen auf die Behauptung, daß die albanische Minderheit jugoslawischer Nation allgemein Benachteiligungen ausgesetzt sei, nicht zu. Das Vorbringen, daß der Beschwerdeführer im Jahre 1981 angeblich wegen seiner behaupteten politischen Aktivitäten verhaftet, zwei Wochen in Untersuchungshaft genommen und verhört worden sei, stelle keine Maßnahme dar, die er unmittelbar vor seiner Ausreise erlitten habe. Sie sei daher schon aus diesem Grunde nicht geeignet, die Anerkennung als Flüchtling zu rechtfertigen. Überdies habe diese Behauptung durch keinerlei Urkunden glaubhaft gemacht werden können. Das Vorbringen, daß ca. eine Woche vor seiner Ausreise die Miliz zu ihm nach Hause gekommen sei und ihn habe verhaften wollen, erscheine unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer weder Vorladungen noch andere Unterlagen über diesen von ihm behaupteten Vorfall habe vorlegen können. Sein Vetter habe im Asylverfahren keine Angaben darüber gemacht, daß der Beschwerdeführer sich bei ihm versteckt hätte; er habe vielmehr ausgeführt, daß er drei Wochen vor der gemeinsamen Ausreise zwei- bis dreimal täglich in seinem Haus von der Miliz gesucht worden sei und sich deswegen in den Bergen versteckt habe. In der Ansicht, daß im Beschwerdefall die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Konvention nicht vorliegen, werde die belangte Behörde dadurch besonders bestärkt, daß der Beschwerdeführer während des gesamten Asylverfahrens keine Behauptung dahin aufgestellt habe, die Behörden seines Heimatlandes hätten nach seiner Ausreise ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet oder andere Maßnahmen gesetzt. Von einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention könne erst gesprochen werden, wenn die Zustände im Heimatland des Asylwerbers auch aus objektiver Sicht dergestalt seien, daß ein weiterer Verbleib aus den in der Konvention genannten Gründen unerträglich geworden sei. Es könnten nur solche Nachteile als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention gewertet werden, die der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise erlitten habe. Derartige Nachteile habe er jedoch im gesamten Verwaltungsverfahren nicht glaubhaft machen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 126/1968 und in seinem Recht auf ein gesetzmäßiges Verfahren verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 126 in der Fassung der Novelle vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt sind und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. 1 Abs. 2 dieser Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne des Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, die belangte Behörde habe keine Feststellungen über seine politische Tätigkeit und die sich daraus ergebende Verfolgung getroffen. Sie hätte auch im Sinne der Amtswegigkeit des Verfahrens weitere Nachforschungen über die Untersuchungshaft und die politische Tätigkeit des Beschwerdeführers anstellen müssen. Dem ist entgegenzuhalten, daß im Asylverfahren das Vorbringen des Flüchtlings als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muß und es dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der Begünstigung seiner Rechtsstellung vorzubringen. Anfragen an jene staatlichen Stellen des Heimatlandes, dessen Schutz der Asylwerber gerade nicht in Anspruch nehmen will, sind aus naheliegenden Gründen des Schutzes der Person des Asylwerbers nicht zweckmäßig und zielführen. Die Wiedergabe des wesentlichen Vorbringens des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid ist daher als ausreichende Feststellung anzusehen.

Der belangten Behörde ist auch darin beizupflichten, daß der Jahresbericht 1981 von Amnesty International kein Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers sein kann, weil darin nicht zu erkennen ist, daß die Behörden des Heimatstaates konkrete Verfolgungshandlungen aus Gründen der Konvention gegen den Beschwerdeführer gerichtet haben.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, daß die belangte Behörde das Vorbringen mit der Begründung abtue, er habe keine ausreichenden Beweismittel über seine Verfolgung beigebracht.

Die Glaubhaftmachung der Gründe für eine gesetzmäßige Feststellung im Sinne der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge hat im Gegensatz zu einer Beweisführung nur den Nachweis der Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand. Ob der Beschwerdeführer eine Verfolgung seiner Person im Sinne der Konvention glaubhaft machen kann, ist von der Rechtsfrage zu unterscheiden, ob die glaubhaft gemachten Gründe als Verfolgung im Sinne der Konvention zu qualifizieren sind. Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides schlüssig zum Ausdruck gebracht, daß die Untersuchungshaft im Jahre 1981 in der Dauer von zwei Wochen und das Vorfahren von Autos der jugoslawischen Miliz vor dem Wohnhaus des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat, keine Verfolgungshandlungen darstellten. Liegen sohin, auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, keine Verfolgungshandlungen im Sinne der Konvention vor, dann hat die belangte Behörde nicht rechtswidrig gehandelt, wenn sie das Ansuchen abgelehnt hat.

Da die Beschwerde sich sohin als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 16. Dezember 1987

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel AllgemeinBescheidcharakter Bescheidbegriff Formelle ErfordernisseBescheidcharakter Bescheidbegriff Inhaltliche ErfordernisseSachverhalt SachverhaltsfeststellungSachverhaltsermittlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1987:1987010299.X06

Im RIS seit

04.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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