TE Vwgh Beschluss 2019/8/29 Ra 2018/19/0614

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Veröffentlicht am 29.08.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und den Hofrat Dr. Pürgy sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des J S in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2018, Zl. G306 1224716- 3/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Kosovo, reiste am 18. September 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher rechtskräftig negativ entschieden wurde. Mit Beschluss vom 13. Juni 2002 wurde die Adoption des Revisionswerbers durch ein österreichisches Ehepaar bewilligt. In der Folge wurden dem Revisionswerber Aufenthaltstitel, zuletzt ein bis 30. Juni 2015 gültiger Niederlassungsnachweis (Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU"), erteilt.

2 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24. September 2010 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens des fahrlässig unbefugten Waffenbesitzes nach § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt. Er hatte einer anderen Person durch Abgabe eines Schusses mit seiner Pistole eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich eine Durchschussverletzung des rechten Oberschenkels, absichtlich zugefügt, sowie von Ende Dezember 2009 bis zum 22. Februar 2010, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, besessen. Die verhängte Freiheitsstrafe verbüßte er - unter Berücksichtigung der Vorhaft - vom 22. Februar 2010 bis zur bedingten Entlassung am 12. Mai 2011. 3 Wegen dieser Straftaten leitete die Niederlassungsbehörde aus Anlass eines Verlängerungsantrages vom 2. Juni 2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung nach § 25 Abs. 1 NAG ein.

4 Mit Bescheid vom 20. Mai 2016 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Kosovo zulässig sei und legte eine Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Zudem erließ es gegen ihn ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot. Der dem Revisionswerber am 1. Juli 2005 erteilte Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck "Daueraufenthalt-EU" wurde in der Folge am 15. November 2016 widerrufen. Eine zunächst bis zum 1. März 2017 gewährte Ausreisefrist wurde bis zum 1. Oktober 2017 verlängert. Im Dezember 2017 ehelichte der Revisionswerber eine österreichische Staatsbürgerin. 5 Das die Beschwerde gegen den Bescheid vom 20. Mai 2016 abweisende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wurde sowohl an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 12. Dezember 2016, E 2885/2016-17, ablehnte, als auch an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen. Der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Zurückweisungsbeschluss vom 29. Juni 2017, Ra 2016/21/0338, aus, dass die in der Revision aufgeworfenen Fragen zur Gefährlichkeitsprognose und zu § 9 BFA-VG auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze behandelt wurden und daher nicht revisibel sind.

6 Am 29. September 2017 stellte der Revisionswerber neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, er habe im Kosovo aufgrund seiner Straffälligkeit in Österreich Blutrache zu befürchten, weil es sich bei dem Opfer seiner hier begangenen Straftat um einen Kosovo-Albaner handle. Versöhnungsversuche seien seitens der Familie des Opfers abgelehnt worden. Zudem verwies der Revisionswerber auf seine langjährige, gute Integration in Österreich und seine privaten Bindungen im Bundesgebiet.

7 Mit Bescheid des BFA vom 27. Dezember 2017 wurde der Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Dem Revisionswerber wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei. Zudem wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und dem Revisionswerber mitgeteilt, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet am 28. September 2010 verloren habe.

8 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des BVwG vom 29. August 2018 als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 12 Die Revision begründet ihre Zulässigkeit zunächst damit, dass näher genannte Zeugen, die die erfolglosen Verhandlungen zur Versöhnung mit der Familie des Opfers hätten bestätigen können, begründungslos nicht einvernommen worden seien.

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen. Die begründungslose Unterlassung der Vernehmung von Zeugen stellt einen relevanten Verfahrensmangel dar, es sei denn, dass die Zeugenaussagen von vornherein nicht geeignet wären, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0069, mwN).

14 Mit ihrem Vorbringen übersieht die revisionswerbende Partei, dass das BVwG von der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Herkunftsstaates ausgegangen ist. Das BVwG führte aus, dass der Revisionswerber sich bisher nach seinen eigenen Angaben nie an die Behörden des Kosovo gewandt habe. Es sei aufgrund der Länderberichte nicht ersichtlich, dass dieser nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, dem Revisionswerber Schutz vor Verfolgung zu bieten. Dagegen wendet sich die Revision nicht, wodurch sie auch nicht darzulegen vermag, dass es im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die Einvernahme der beantragten Zeugen angekommen wäre.

15 Die Revision bekämpft auch die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK. Dem BVwG seien im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers Ermittlungsmängel vorzuwerfen, weshalb die Erwägungen einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich seien. Das BVwG habe sich selbst widersprochen, indem es ohne Ermittlungen anzustellen einerseits das Fehlen einer wechselseitigen (familiären) Abhängigkeit und andererseits die gegenwärtige Erwerbslosigkeit des Revisionswerbers festgestellt habe. Zudem sei das BVwG in unvertretbarer Weise zu dem Ergebnis gelangt, der Revisionswerber verfüge - in Form seiner leiblichen Eltern - über Anknüpfungspunkte im Kosovo, obwohl der Revisionswerber lediglich lose Kontakte zu seinen dort aufhältigen Schwestern dargelegt habe. Außerdem sei das Wohlverhalten des Revisionswerbers seit seiner Haftentlassung nicht berücksichtigt worden.

16 Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das BVwG entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht Ermittlungsschritte gesetzt hat, indem es eine mündliche Verhandlung durchführte und den Revisionswerber im Zuge dessen auch zu seinem Privat- und Familienleben befragte. Mit ihrem Vorbringen zu den festgestellten familiären Bindungen im Kosovo rügt die Revision inhaltlich die Beweiswürdigung des BVwG, ohne darzulegen, inwiefern diese konkret unvertretbar erfolgt wäre (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0453, sowie zum Erfordernis der Relevanzdarlegung etwa VwGH 25.2.2019, Ra 2018/19/0579, je mwN). 17 Zur Art. 8 EMRK-Abwägung wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verwiesen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (VwGH 25.2.2019, Ra 2018/19/0564, mwN). Die Revision zeigt einerseits nicht auf, inwiefern vor dem Hintergrund der Befragung des Revisionswerbers zu seinem Privat- und Familienleben im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine verfahrensrechtlich einwandfreie Grundlage vorliege und verabsäumt es überdies darzulegen, inwiefern die Abwägung unvertretbar erfolgt sei. Im Übrigen hat sich der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Beschluss vom 29. Juni 2017, Ra 2016/21/0338, mit der Frage einer allfälligen Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Revisionswerbers (unter Berücksichtigung einer damals bereits bestehenden Lebensgemeinschaft mit seiner nunmehrigen Ehefrau) auseinandergesetzt und diese verneint.

18 Die Revision bringt weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe auch im Hinblick auf die Länderberichte den Umfang seiner Ermittlungspflicht verkannt, insbesondere habe es weder die Auswahl des Quellenmaterials offengelegt noch eine systematische Auswertung getroffen. Zudem fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur "Auswahl des Quellenmaterials".

19 Mit diesem Vorbringen macht die Revision Verfahrensmängel geltend, ohne deren Relevanz für den Verfahrensausgang darzutun (vgl. zu diesem Erfordernis etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0409; Ra 2018/19/0657, je mwN). Somit führt auch das im Zusammenhang mit den Länderberichten erstattete Vorbringen nicht zur Zulässigkeit der Revision.

20 Zuletzt wird in der Zulässigkeitsbegründung unter Verweis auf die unionsrechtliche Bestimmung zum subsidiären Schutz moniert, das Bundesverwaltungsgericht habe keinerlei Überlegungen zur Zumutbarkeit des Aufenthalts des Revisionswerbers im Herkunftsland angestellt und sich nicht damit auseinandergesetzt, in welchen Teilen er ohne unangemessene Beeinträchtigungen leben könne.

Dem ist zu entgegnen, dass das Bundesverwaltungsgericht weder von einer drohenden Verfolgung noch von einer drohenden Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte des Revisionswerbers ausging, weshalb es auch nicht gehalten war, Erwägungen zur Verfügbarkeit und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative anzustellen.

21 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. August 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190614.L01

Im RIS seit

04.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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