TE Vwgh Beschluss 2019/8/29 Ra 2017/19/0532

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Veröffentlicht am 29.08.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §53 Abs1
AsylG 2005 §6
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §8 Abs1
VwGG §33 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des M A alias S I, vertreten durch Dr. Rainer Pallas, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Frankgasse 1/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes

vom 4. Oktober 2017, W226 2169935-1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird, insoweit sie sich gegen die Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes richtet, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Ein Aufwandersatz findet nicht statt.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und stammt aus Tschetschenien. Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. März 2004 wurde ihm durch Erstreckung Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2 Mit Bescheid vom 11. August 2017 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Das BFA erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, erließ gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot, erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung ab und sprach aus, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass gegen den Revisionswerber ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen werde. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe den Asylausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 verwirklicht, sodass ihm gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten abzuerkennen gewesen sei.

5 Das BVwG stellte - soweit in Bezug auf das Einreiseverbot relevant - fest, der Revisionswerber sei als Minderjähriger zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern ins Bundesgebiet eingereist. Er sei ledig und habe keine Kinder. Ein gemeinsamer Wohnsitz mit seinen Eltern habe schon vor seiner letzten Inhaftierung nicht mehr bestanden. Es seien auch sonst keine Umstände erkennbar, die auf ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet hindeuteten. Der Revisionswerber sei im Zeitraum von 2012 bis 2016 sechs Mal rechtskräftig wegen Vergehen und Verbrechen (Vermögensdelikte, Delikte gegen Leib und Leben, Suchtmitteldelikte) zu teil- und unbedingten Haftstrafen, zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, verurteilt worden. Dabei handle es sich zum Teil um Jugendstraftaten, zum Teil um Straftaten als junger Erwachsener. Auf Grund seines wiederholten strafrechtlichen Verhaltens seien teils die bedingt nachgesehenen Teile seiner Freiheitsstrafen und einmal auch die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe widerrufen worden. 6 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG in Bezug auf das Einreiseverbot aus, der Revisionswerber weise mittlerweile sechs strafrechtliche Verurteilungen auf, die zum Großteil Ausfluss der Suchtmittelkriminalität seien. Der Revisionswerber habe mit seinem delinquenten Verhalten zu einem Zeitpunkt begonnen, zu dem er mit der österreichischen Rechtsordnung vertraut gewesen sei. Weder verbüßte Haftstrafen noch Bewährungshilfe oder seine Familie im Bundesgebiet hätten geholfen, um den Revisionswerber von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Im Gegenteil habe er ein immer schwerwiegenderes kriminelles Potential entwickelt. Zuletzt sei er zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe im Zusammenhang mit der Suchtgiftkriminalität verurteilt worden. Der weitere Verbleib des Revisionswerbers im Bundesgebiet stelle daher eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Die Dauer des Einreiseverbotes sei angesichts der strafrechtlichen Verurteilungen gerechtfertigt und notwendig.

7 Das Verhalten des Revisionswerbers lasse keine positive Prognose zu. Der Revisionswerber habe trotz bestehender familiärer Beziehungen im Bundesgebiet und bereits erfahrener strafrechtlicher Sanktionen in seinem Verhalten keine Änderung zugelassen. Es sei nicht absehbar, dass der Revisionswerber in Zukunft gewillt sei, sich an die österreichische Strafrechtsordnung zu halten. Die an sich berücksichtigungswürdigen

Umstände des langen Aufenthalts in Österreich und seiner familiären Anknüpfungspunkte hätten auf Grund des strafrechtswidrigen Verhaltens eine Relativierung erfahren. Der Revisionswerber habe weder eine Ausbildung absolviert noch sei er nachhaltig erwerbstätig gewesen. Vielmehr habe er versucht, sich durch Drogenkriminalität eine Einnahmequelle zu verschaffen. Das Einreiseverbot sei daher zu Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

8 Eine mündliche Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet hat. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet. 10 Mit Beschluss vom 24. Mai 2018, Ra 2017/19/0532-10, gab der Verwaltungsgerichtshof dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mangels Rechtsschutzinteresses nicht statt, da der Revisionswerber eine Strafhaft verbüße. Mit Eingabe vom 18. Juni 2019 beantragte der Revisionswerber neuerlich die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Begründend brachte er vor, das Landesgericht Korneuburg als Vollzugsgericht habe seinem Antrag auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug nach § 133a StVG stattgegeben. Der Revisionswerber habe sich mit dem Antrag auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug bereiterklärt, freiwillig in seinen Herkunftsstaat auszureisen.

11 Mit Beschluss vom 27. Juni 2019, Ra 2017/19/0532-14, gab der Verwaltungsgerichtshof dem neuerlichen Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit der Maßgabe statt, dass das angefochtene Erkenntnis einer freiwilligen Ausreise gemäß § 133a Abs. 1 Z 2 StVG nicht entgegenstehe.

12 Über Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes teilte das BFA mit Schriftsatz vom 16. Juli 2019 mit, der Revisionswerber sei am 4. Juli 2019 in die Russische Föderation ausgereist, und legte dazu eine Ausreisebestätigung der Internationalen Organisation für Migration über die unterstützte freiwillige Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat vor.

13 Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2019 teilte der Rechtsvertreter des Revisionswerbers mit, dass mit diesem kein Kontakt mehr bestehe, sodass die Revision "aus anwaltlicher Vorsicht" nicht zurückgezogen werden könne. Der Revisionswerber habe den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen weiterhin in Österreich und nicht in seinem Herkunftsstaat. Es bestehe ein rechtliches Interesse des Revisionswerbers an der weiteren Verfolgung der gegenständlichen Revision. Eine Klaglosstellung liege nicht vor, zumal der Revisionswerber durch das angefochtene Erkenntnis an der rechtmäßigen Wiedereinreise und Ausübung seines Rechts auf internationalen Schutz gehindert sei.

Zur Klaglosstellung:

14 Gemäß § 33 Abs. 1 VwGG ist die Revision, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach Anhörung des Revisionswerbers in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

15 Der Revisionswerber ist am 4. Juli 2019 unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet in seinen Herkunftsstaat ausgereist, und zwar aus eigenem Willen. Dies wird auch in der Stellungnahme des Rechtsvertreters des Revisionswerbers vom 23. Juli 2019 nicht bestritten. 16 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Fall einer freiwilligen Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat die Revision gegen ein Erkenntnis, mit dem ein Antrag auf internationalen Schutz ab- oder zurückgewiesen und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde, als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen (vgl. in Bezug auf die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz etwa VwGH 11.6.2019, Ra 2019/18/0044; 12.12.2018, Ra 2018/19/0455; in Bezug auf die Zurückweisung eines solchen Antrags VwGH 25.4.2019, Ra 2018/19/0591). Die Frage der Klaglosstellung kann in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sich die Revision gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, nicht anders zu beurteilen sein. Es ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen, dass seitens des Revisionswerbers an der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes noch ein rechtliches Interesse besteht, insoweit sich die Revision gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die damit zusammenhängenden Aussprüche richtet.

17 Die Revision war daher mit Ausnahme des Ausspruches über die Erlassung eines Einreiseverbotes (siehe dazu näher unten) als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen. 18 Ein Aufwandersatz findet gemäß § 58 Abs. 2 zweiter Halbsatz VwGG nicht statt.

Zum Einreiseverbot:

19 Ein rechtliches Interesse des Revisionswerbers an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes besteht jedoch weiterhin insoweit, als sich die Revision gegen die Erlassung des befristeten Einreiseverbotes wendet. Das Einreiseverbot ist gemäß § 53 Abs. 1 zweiter Satz FPG die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Es ist nicht erkennbar, dass der Revisionswerber mit der freiwilligen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in gleicher Weise wie in Bezug auf den Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten auch sein Interesse an der Bekämpfung eines Einreiseverbotes preisgegeben hätte.

20 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

21 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 22 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 23 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit in Bezug auf das Einreiseverbot vor, das BVwG hätte nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf die familiären Beziehungen des Revisionswerbers und dessen Lebensgemeinschaft eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

24 Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0316; 26.1.2017, Ra 2016/21/0233; jeweils mwN).

25 Von einem solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG angesichts der wiederholten schweren strafrechtlichen Delinquenz des Revisionswerbers und seines nur gering ausgeprägten Privat- und Familienlebens in Österreich einzelfallbezogen ausgehen. 26 Insoweit sich die Revision gegen die Erlassung eines Einreiseverbotes richtet, werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

27 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 29. August 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017190532.L01

Im RIS seit

03.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

03.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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