TE Vfgh Beschluss 1996/11/26 G140/96, B1396/96

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Veröffentlicht am 26.11.1996
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Index

83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
UVP-G §46 Abs3
GewO 1994 §78 Abs1
AbfallwirtschaftsG §44, §45

Leitsatz

Ablehnung einer Beschwerde gegen die Errichtung einer Reststoffdeponie und Zurückweisung der Individualanträge auf Aufhebung des §46 Abs3 UVP-G, des §44 Abs6 und §45 Abs7 AbfallwirtschaftsG, des §78 Abs1 GewO 1994, des §2 Abs2 lite Sbg BaupolizeiG und des §15 Abs1 Sbg AbfallG mangels aktueller Betroffenheit - keine "Doppelgleisigkeit" des Rechtsschutzes - und mangels Erfüllung der formellen Erfordernisse

Spruch

I. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

II. Die Anträge werden zurückgewiesen.

III. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung:

I. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die (nicht weiter auf das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen zu prüfende) Beschwerde rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und in den durch Art6, 8 und 13 EMRK gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, sowie insbesondere zur Frage, ob innerstaatliches, einfachgesetzliches Recht oder unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht anzuwenden ist, sind spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde die Verfassungswidrigkeit der §§44 Abs6 und 45 Abs7 Abfallwirtschaftsgesetz, BGBl. 325/1990 idgF, (AWG), sowie des §46 Abs3 des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes, BGBl. 697/1993, (UVP-G) rügt, läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum bei der Regelung von Übergangsvorschriften (etwa VfSlg. 12652/1991, 13299/1992; VfGH 30.9.1995, B1535/94) die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG).

II. 1. Unter einem werden auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützte Anträge gestellt, die Bestimmungen des §46 Abs3 UVP-G, §44 Abs6 und §45 Abs7 AWG und des §78 Abs1 GewO 1994, BGBl. 194/1994, als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Bestimmungen seien für sämtliche antragstellenden Parteien unmittelbar wirksam geworden, weil auf Grund dieser Bestimmungen das verfahrensgegenständliche Vorhaben verwirklicht werden und mit der Errichtung der geplanten Deponie "inmitten des Lebensraums der Beschwerdeführer begonnen" werden konnte, ohne daß es einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G und einem Genehmigungsverfahren nach §29 AWG unterzogen werden mußte. Sämtliche Bestimmungen seien aber nach Auffassung der Antragsteller in der gleichzeitig erhobenen Beschwerde präjudiziell.

2. Die Anträge sind unzulässig.

2.1. Im Zusammenhang mit nach Art140 B-VG gestellten Individualanträgen hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgeführt, daß dann, wenn ein Verfahren anhängig ist, in dem Gelegenheit zur Anregung einer Gesetzesprüfung besteht, ein Individualantrag nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zulässig ist; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter des Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (VfSlg. 10856/1986, 11114/1986, 11442/1987, 12395/1990, 12552/1990).

Soweit die Antragsteller die Aufhebung der §44 Abs6 und §45 Abs7 AWG sowie des §46 Abs3 UVP-G beantragen, haben sie ihre Bedenken gegen diese Bestimmungen in der gleichzeitig erhobenen, zu B1396/96 protokollierten Beschwerde vorgebracht. Der unter einem gestellte Individualantrag ist daher unzulässig, insoferne die genannten gesetzlichen Bestimmungen für die Rechtmäßigkeit des mit der angeführten Beschwerde angefochtenen Bescheides maßgeblich waren.

2.2. Gemäß §62 Abs1 VerfGG sind in einem Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes als verfassungswidrig die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen. Wird ein solcher Antrag von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so ist auch darzutun, inwieweit das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist.

   2.2.1. Im Antrag sind jedoch keinerlei Darlegungen darüber

enthalten, inwieweit §78 Abs1 GewO 1994, wonach "Anlagen oder

Teile von Anlagen ... vor Eintritt der Rechtskraft des

Genehmigungsbescheides errichtet und betrieben werden (dürfen),

wenn

1. nur der Genehmigungswerber gegen den Genehmigungsbescheid

berufen hat oder

2. die Anlage vom Landeshauptmann genehmigt wurde

und die Auflagen ... eingehalten werden", für die Antragsteller

unmittelbar wirksam geworden ist.

Nach unwidersprochener und übereinstimmender Darstellung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift sowie der Bundesregierung und der mitbeteiligten Partei in ihren Äußerungen hat im übrigen die mitbeteiligte Partei von der ihr durch §78 Abs1 GewO 1994 eingeräumten Berechtigung keinen Gebrauch gemacht. Unabhängig vom Mangel entsprechender Darlegungen im Antrag fehlt es daher den Antragstellern auch an der für die Zulässigkeit eines Individualantrages gemäß Art140 Abs1 B-VG erforderlichen aktuellen Betroffenheit der Antragsteller durch §78 Abs1 GewO 1994 (VfSlg. 13102/1992, 13629/1933; VfGH 29.11.1994, G174/94; 28.9.1995, G249/94 ua.; 28.11.1995, G87/95).

2.2.2. Aus demselben Grund unzulässig ist weiters der auf Art139 Abs1 B-VG gestützte Antrag auf Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie über die Festsetzung gefährlicher Abfälle, BGBl. 49/1991. Da §45 Abs13 AWG, in der am 21. August 1996 in Kraft getretenen Fassung BGBl. 434/1996, bestimmt, daß "(b)is zum Inkrafttreten einer Verordnung gemäß §2 Abs5 (AWG) ... die Verordnung über die Festsetzung gefährlicher Abfälle, BGBl. Nr. 49/1991, als Bundesgesetz (gilt)", sind auch in bezug auf diesen Antrag die Antragsvoraussetzungen nach Art140 Abs1 B-VG zu prüfen.

Die Antragsteller führen zur Begründung der Antragslegitimation aus, daß dadurch, "daß es der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie unterlassen hat, in der angeführten Verordnung all jene Abfälle anzuführen und als gefährlich zu erklären, die nach dem derzeitigen Stand der Technik ... als gefährlich anzusehen sind, ... der Anlagenbetreiber von der Verpflichtung entbunden (wurde), gemäß Art4 Abs1 der Richtlinie der EG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in Verbindung mit Anhang I, Ziffer 9, das gegenständliche Anlagenprojekt jedenfalls einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G des Bundes sowie auch nach den Art5 ff der vorzitierten EG-Richtlinie zu unterziehen". Es fehlen jedoch Ausführungen, inwiefern durch die als Gesetz geltende Verordnung BGBl. 49/1991, welche lediglich festlegt, welche Abfälle ihrer Art nach als gefährliche Abfälle im Sinne des AWG gelten, ein nach Art und Umfang bestimmter Eingriff ermöglicht wird, der die rechtlich geschützten Interessen der Antragsteller aktuell betreffen würde.

3. Die Anträge waren daher insgesamt gemäß Art140 Abs1 B-VG schon aus diesen Gründen zurückzuweisen.

III. Die von der mitbeteiligten

Partei begehrten Kosten waren nicht zuzusprechen, da einerseits bei einer Ablehnung der Behandlung der Beschwerde von einem Unterliegen im Sinne des §88 VerfGG nicht gesprochen werden kann, und andererseits auch bei einer Zurückweisung von Anträgen nicht von einem Obsiegen einer Partei im Sinne des §61 a VerfGG ausgegangen werden kann.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Umweltschutz, Umweltverträglichkeitsprüfung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G140.1996

Dokumentnummer

JFT_10038874_96G00140_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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