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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §9 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2019, Zl. G302 1420970- 2/19E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: S I in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss betreffend Aufhebung und Zurückverweisung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Spruchpunkt A II. der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts),
wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 19. Oktober 2017 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Mitbeteiligten, einem irakischen Staatsangehörigen, den (im Jahr 2011) zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und entzog ihm die befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.). Weiters wurde dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.), eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt IV.) sowie gegen den Mitbeteiligten ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).
2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Im Umfang seiner Spruchpunkte III. bis V. wurde der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen (Spruchpunkt A II.). Die Revision wurde vom BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen (Spruchpunkt B).
3 Begründend führte das BVwG - soweit für den vorliegenden Fall relevant - aus, es lägen Ermittlungslücken vor, welche "einen hohen Grad an Erheblichkeit aufweisen und Ermittlungsschritte erforderlich machen" würden, die durch das BFA, welches eine Spezialbehörde sei, rascher und effizienter nachgeholt werden könnten. Die Begründung des angefochten Bescheides entspreche nicht den Anforderungen an den Umfang der Ermittlungspflichten. Darüber hinaus habe sich das BFA nicht ausreichend mit dem Privat- und Familienleben des Mitbeteiligten auseinandergesetzt und es zudem unterlassen, den verfahrensrelevanten Sachverhalt hinsichtlich der bei einem Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose umfassend zu ermitteln und festzustellen. Es sei Aufgabe des BVwG die angefochtene Entscheidung zu überprüfen, es sei somit in erster Linie Kontrollinstanz. Eine solche Überprüfung sei dem BVwG jedoch verwehrt, da dem Bescheid des BFA eine ausreichende Sachverhaltsfeststellung samt Beweiswürdigung und daraus resultierende Begründung nicht zu entnehmen sei.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit von Zurückverweisungsbeschlüssen nach § 28 Abs. 3 VwGVG (Verweis unter anderem auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063). Die in dieser Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen erfülle der angefochtene Beschluss nicht, sodass er von der genannten Rechtsprechung abweiche.
7 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs
ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063). 9 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0123; und 3.4.2018, Ra 2017/01/0433, jeweils mwN).
10 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. nochmals VwGH 3.4.2018, Ra 2017/01/0433, mwN).
11 Fallbezogen können weder krasse bzw. gravierende Ermittlungslücken im Zusammenhang mit dem behördlichen Verfahren erkannt, noch konstatiert werden, dass eine Ergänzung des bereits festgestellten Sachverhalts durch das BFA anstelle des BVwG im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wie das BFA in der Revision zutreffend aufzeigt, legt das BVwG auch nicht dar, welche Feststellungen konkret fehlen, zumal relevante Feststellungen hinsichtlich des Privat- und Familienlebens bzw. der strafgerichtlichen Verurteilungen des Mitbeteiligten nicht nur vom BFA - das auch eine umfassende Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK bzw. eine hinreichende Gefährlichkeitsprognose vorgenommen hat - sondern auch vom BVwG selbst getroffen wurden. Ausgehend von den dem angefochtenen Erkenntnis zugrundeliegenden Ermittlungsergebnissen wäre das BVwG somit in der Lage und gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG - allenfalls nach von ihm selbst vorzunehmenden ergänzenden Ermittlungen - auch verpflichtet gewesen, eine meritorische Entscheidung zu treffen. Daran vermag auch das Argument, das BFA sei eine "Spezialbehörde", nichts zu ändern (vgl. auch dazu VwGH Ra 2017/01/0433, mwN).
12 Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG insbesondere auch auf die laut Mitteilung des BFA zwischenzeitig erfolgte neuerliche strafgerichtliche Verurteilung des Mitbeteiligten Bedacht zu nehmen haben (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, wonach ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen besteht).
13 Der genannte Beschluss war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 2. September 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019010086.L00Im RIS seit
07.10.2019Zuletzt aktualisiert am
07.10.2019