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E1ENorm
NotifG Wr 1996Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision 1. der A GmbH, 2. der N AG, beide in G, 3. der A GmbH in W, alle vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. August 2018, Zl. RV/7400063/2017, betreffend Wettterminalabgabe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien Magistratsabteilung 6), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 1 der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft dahin auszulegen, dass die Regelungen des Wiener Wettterminalabgabegesetzes, die eine Besteuerung des Haltens von Wettterminals vorsehen, als „technische Vorschriften“ im Sinne dieser Bestimmung zu beurteilen sind?
2. Führt die Unterlassung der Mitteilung der Bestimmungen des Wiener Wettterminalabgabegesetzes im Sinne der Richtlinie (EU) 2015/1535 dazu, dass eine Abgabe wie die Wettterminalabgabe nicht erhoben werden darf?
Begründung
1 A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren
2 Die Erstrevisionswerberin ist Aufstellerin von Wettterminals, die Zweitrevisionswerberin ist Eigentümerin dieser Wettterminals, die Drittrevisionswerberin ist Inhaberin eines für das Halten von Wettterminals benutzten Raums.
3 Die Erstrevisionswerberin teilte mit mehreren Eingaben ab August 2016 der belangten Behörde mit, sie werde an einem Standort der Drittrevisionswerberin ein Wettterminal in Wien betreiben. Es werde um Festsetzung der Abgabe mit 0 € ersucht, weil nach ihrer Ansicht keine Abgabenpflicht bestehe.
4 Mit Bescheid vom 31. Oktober 2016 setzte der Magistrat der Stadt Wien die Wettterminalabgabe für September 2016 und Oktober 2016 mit jeweils 350 € (pro Monat und Wettterminal) gegenüber den Revisionswerberinnen - entsprechend ihrer jeweiligen Eigenschaft als Aufstellerin oder Eigentümerin des Wettterminals bzw. Inhaberin des für das Halten des Wettterminals benutzten Raumes - fest.
5 Mit weiteren Bescheiden vom 2. Jänner 2017 und vom 24. Juli 2017 setzte der Magistrat der Stadt Wien die Wettterminalabgabe für den Zeitraum November bis Dezember 2016 sowie Jänner bis Juni 2017 fest (jeweils 350 € je Monat und Wettterminal).
6 Die Revisionswerberinnen erhoben gegen diese Bescheide Beschwerden. Sie machten zusammengefasst geltend, bei den im Wiener Wettterminalabgabegesetz (WWAG) enthaltenen Regelungen betreffend Wettterminals handle es sich um „Technische Vorschriften“ im Sinne des Gesetzes über internationale Informationsverfahren und Notifizierungen auf dem Gebiet technischer Vorschriften (WNotifG) und der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015. Diese technischen Vorschriften seien der Kommission nicht mitgeteilt worden, sodass sie einem Einzelnen nicht entgegenhalten werden könnten. Dies bewirke, dass die Wettterminalabgabe zu Unrecht vorgeschrieben worden sei.
7 Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden als unbegründet ab.
8 Das Bundesfinanzgericht kam mit näherer Begründung zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Regelungen des WWAG nicht um technische Vorschriften iSd WNotifG bzw. der Richtlinie 2015/1535 handle. Es habe daher für das WWAG keine Notifizierungspflicht bestanden. Dies habe zur Folge, dass den Revisionswerberinnen das WWAG entgegengehalten habe werden dürfen; die Wettterminalabgabe sei zu Recht vorgeschrieben worden.
9 Die Behandlung einer gegen dieses Erkenntnis von den Revisionswerberinnen erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde von diesem abgelehnt.
10 B. Maßgebende Bestimmungen des nationalen Rechts
11 Das Wiener Wettterminalabgabegesetz (WWAG), ein Landesgesetz, lautet in der hier anwendbaren Stammfassung LGBl. Nr. 32/2016 auszugsweise:
„Abgabengegenstand
§ 1. Für das Halten von Wettterminals im Gebiet der Stadt Wien ist eine Wettterminalabgabe zu entrichten.
Begriffsbestimmungen
§ 2. Im Sinne dieses Gesetzes bedeuten:
1.Wettterminal: eine Wettannahmestelle an einem bestimmten Standort, die über eine Datenleitung mit einer Buchmacherin bzw. einem Buchmacher oder einer Totalisateurin bzw. einem Totalisateur verbunden ist und einer Person unmittelbar die Teilnahme an einer Wette ermöglicht.
2.Buchmacherin oder Buchmacher: wer gewerbsmäßig Wetten abschließt.
3.Totalisateurin oder Totalisateur: wer gewerbsmäßig Wetten vermittelt.
Höhe der Abgabe
§ 3. Die Abgabe für das Halten von Wettterminals beträgt je Wettterminal und begonnenem Kalendermonat 350 Euro.
[...]
Strafbestimmungen
§ 8. (1) Handlungen oder Unterlassungen, durch welche die Abgabe verkürzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafen bis 42.000 Euro zu bestrafen; für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ist eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen festzusetzen. Die Verkürzung dauert so lange an, bis die bzw. der Abgabepflichtige die Selbstbemessung nachholt oder die Abgabenbehörde die Abgabe bescheidmäßig festsetzt. [...]“
12 In der Begründung zum Initiativantrag zu diesem Gesetz (LG - 00689-2016/0001/LAT) wurde insbesondere ausgeführt:
„Die einfache und anonyme Bedienungsmöglichkeit von Wettterminals führt zu einer hohen Akzeptanz bei den potentiellen Kundinnen und Kunden, die noch durch Zusatzangebote der Aufstellerinnen und Aufsteller gesteigert werden kann. Im Hinblick auf diese besonderen Umstände ist es daher zweckmäßig, Wettterminals einer besonderen Besteuerung zu unterziehen, um diese Form der Wetten zurückzudrängen, zumal auch dieser Bereich unter dem Aspekt der Spielsucht mit all seinen negativen gesellschaftlichen Folgen zu betrachten ist.
Wettterminals weisen im Vergleich zu persönlichen Wettannahmestellen eine erhöhte Suchtgefahr auf. Dies liegt vor allem daran, dass durch den mangelnden persönlichen Kontakt die Hemmschwelle zur Wettteilnahme abgebaut und somit die Wettteilnahme erleichtert wird. Die Wettteilnahme über ein Wettterminal führt insgesamt zu einem erhöhten Wettverhalten. Dies liegt auch daran, dass den Wettkundinnen und Wettkunden aufgrund der technischen Möglichkeiten über Wettterminals ein viel größeres Wettangebot zur Verfügung gestellt werden kann. Gleichzeitig ermöglichen Wettterminals, dass mehrere Wetten in eher kurzen Zeitabständen hintereinander abgeschlossen werden können.
Für das Halten von Wettterminals im Gebiet der Stadt Wien soll daher eine Wettterminalabgabe in Höhe von 350 Euro je Wettterminal und begonnenem Kalendermonat eingeführt werden. [...]
Den Gegenstand der Abgabe bildet das Halten von Wettterminals. Wettterminal im Sinn dieses Gesetzes ist eine Wettannahmestelle an einem bestimmten Standort, die über eine Datenleitung mit einer Buchmacherin bzw. einem Buchmacher oder einer Totalisateurin bzw. einem Totalisateur verbunden ist und einer Person unmittelbar die Teilnahme an einer Wette ermöglicht. Mit der Formulierung ‚unmittelbar die Teilnahme an einer Wette ermöglicht‘ soll klargestellt werden, dass jene technischen Geräte, wo ausschließlich Personal des jeweiligen Unternehmens für die Kundin oder den Kunden Wetten eingeben kann, keine Wettterminals im Sinn des Gesetzes darstellen (so z.B. in Trafiken, wo die Eingabe der Wette ausschließlich durch das Verkaufspersonal erfolgt und der Annahmeschalter für Kundinnen und Kunden nicht frei zugänglich ist).
Aus den Begriffsbestimmungen ist abzuleiten, dass der Steuergegenstand nicht an den Begriff des Wettterminals und die sonstigen Begriffsbestimmungen des im Entwurf vorliegenden Wiener Wettengesetz anknüpft und sich von jenem nach dem Gebührengesetz 1957 dahingehend unterscheidet, dass nicht der Abschluss eines Wettvertrages, sondern das Halten von Wettterminals besteuert wird. [...]
Bezüglich der Abgabenhöhe wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 2011, B 533/11, VfSlg. 19.580/2011, hingewiesen. In diesem Erkenntnis wurde unter anderem festgestellt, dass dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten ist, wenn er statt eines Verbotes des Aufstellens von Geldspielautomaten eine Eindämmung der Automatenaufstellung oder des Spielens mit Hilfe einer Erhöhung der Abgabenbelastung erreichen möchte. Sollten damit potenzielle Spielerinnen und Spieler wegen mangelnder Attraktivität vom Spielen abgehalten werden, liegt das genau in der - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden - Absicht des Gesetzgebers. Dieser Gedankengang ist auf die Wettterminalabgabe übertragbar. [...]“
13 Das Gesetz über den Abschluss und die Vermittlung von Wetten (Wiener Wettengesetz), in der hier anwendbaren Stammfassung LGBl. Nr. 26/2016, regelt den gewerbsmäßigen Abschluss (Buchmacherwette) und die gewerbsmäßige Vermittlung (Totalisateurwette) von Wetten aus dem Anlass sportlicher Veranstaltungen sowie die gewerbsmäßige Vermittlung von derartigen Wetten und Wettkundinnen und Wettkunden (§ 1 des genannten Gesetzes). Es enthält in § 2 Z 8 eine eigene - von jener des Wettterminalabgabegesetz geringfügig abweichende - Definition des Begriffs Wettterminal. Das Gesetz enthält sodann umfangreiche Bestimmungen zu den Erfordernissen der Bewilligung für die Tätigkeit als Wettunternehmerin oder Wettunternehmer. In seinem § 13 enthält das Gesetz nähere Regelungen betreffend Wettterminals.
14 Das Wiener Wettengesetz wurde gemäß den Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2015/1535 mitgeteilt (Notifikationsnummer: 2015/602/A).
15 Das Wiener Notifizierungsgesetz, LGBl. Nr. 28/1996, (WNotifG) dient - in der aktuellen Fassung (LGBl. Nr. 36/2016) - der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/1535 (§ 7 WNotifG). Es enthält im Wesentlichen dieser Richtlinie entsprechende Definitionen.
16 C. Erläuterungen zu den Vorlagefragen
17 1. Relevanz der Vorlagefragen
18 Nach § 3 WWAG beträgt die Abgabe für das Halten von Wettterminals je Wettterminal und begonnenem Kalendermonat 350 €. Dass dieser Tatbestand im vorliegenden Fall in den betroffenen Zeiträumen erfüllt ist und die Revisionswerberinnen in ihrer jeweiligen Eigenschaft (Halter, Eigentümer bzw. Inhaber des für das Halten des Wettterminals benützten Raumes) abgabepflichtig im Sinne des WWAG sind, ist unbestritten. Mit Einwänden, die auf das innerstaatliche Verfassungsrecht gestützt wurden, sind die Revisionswerberinnen vor dem Verfassungsgerichtshof nicht durchgedrungen. Nach innerstaatlichem Recht besteht daher die strittige Abgabepflicht.
19 Die Revisionswerberinnen machen aber geltend, der Abgabepflicht stehe Unionrecht entgegen. Hiezu blieb im Verfahren unbestritten, dass der Entwurf des WWAG - anders als jener zum Wiener Wettengesetz - nicht entsprechend der Richtlinie 2015/1535 der Kommission übermittelt wurde.
20 Handelt es sich bei den Bestimmungen des WWAG - wie von den Revisionswerberinnen geltend gemacht - um technische Vorschriften im Sinne der Richtlinie 2015/1535 und könnte ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht bewirken, dass die Wettterminalabgabe nicht erhoben werden darf, wäre eine Abgabepflicht der Revisionswerberinnen aber zu verneinen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes hängt sohin von den genannten Fragen ab.
21 2. zur ersten Vorlagefrage
22 Zunächst ist zu bemerken, dass - soweit für den Verwaltungsgerichtshof erkennbar - zur hier auszulegenden Richtlinie 2015/1535 noch keine Entscheidungen des EuGH vorliegen (ein Vorabentscheidungsersuchen zu dieser Richtlinie liegt offenkundig zur Zahl C-727/17 vor). Der Verwaltungsgerichtshof geht aber davon aus, dass insoweit die Judikatur zu Vorgängerrichtlinien, zu deren Kodifikation diese Richtlinie diente (vgl. Erwägungsgrund 1 der Richtlinie), heranzuziehen ist.
23 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH zu den Vorgängerrichtlinien umfasst der Begriff der „technischen Vorschrift“ vier Kategorien von Maßnahmen, nämlich erstens „technische Spezifikationen“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34 (Art. 1 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2015/1535; vgl. hiezu auch die Entsprechungstabelle in Anhang IV der Richtlinie), zweitens „sonstige Vorschriften“ gemäß der Definition Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie (nunmehr Art. 1 Abs. 1 lit. d), drittens „Vorschriften betreffend Dienste“ nach Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie (nunmehr Art. 1 Abs. 1 lit. e) und viertens „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden“, im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie (nunmehr Art. 1 Abs. 1 lit. f; vgl. zuletzt EuGH 26. September 2018, Van Gennip u.a., C-137/17, Rn. 37, mwN; vgl. weiters Schlussanträge 13.12.2018, VG Media, C-299/17, Rn. 19).
24 a) „technische Spezifikationen“
25 Dieser Begriff setzt voraus, dass sich die nationale Maßnahme auf das Erzeugnis oder seine Verpackung als solche bezieht und daher eines der vorgeschriebenen Merkmale für ein Erzeugnis - wie Abmessungen, Verkaufsbezeichnung, Beschriftung oder Kennzeichnung - festlegt (vgl. EuGH 8.3.2001, van der Burg, C-278/99, Rn. 20; EuGH 21.4.2005, Lindberg, C-267/03, Rn. 57; EuGH, Van Gennip, u.a., Rn. 38; vgl. auch EuGH 10.7.2014, Ivansson, C-307/13, Rn. 19 ff). Allgemeine Regelungen sind nicht als derartige technische Spezifikationen zu beurteilen (vgl. neuerlich EuGH Ivansson, Rn. 21 f).
26 Das WWAG bezieht sich zwar auf „Erzeugnisse“ (Wettterminals), die bei der Tätigkeit zum Einsatz kommen (vgl. etwa EuGH 4.2.2016, Ince, C-336/14, Rn. 71). Konkrete Merkmale betreffend Wettterminals werden im WWAG - anders als im Wiener Wettengesetz - aber nicht geregelt. Im WWAG wird lediglich beschrieben, welche Funktion das Wettterminal erfüllt; es handelt sich insoweit wohl um „beschreibende Elemente“ (vgl. hiezu EuGH 13.10.2016, M. und S., C-303/15, Rn. 28), nicht um „Vorschriften“. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass keine technische Spezifikation vorliegt.
27 b) „sonstige Vorschrift“
28 Eine nationale Maßnahme kann nur dann als „sonstige Vorschrift“ (zur Begründung der Einführung dieser Kategorie vgl. näher EuGH 21.4.2005, Lindberg, C-267/03, Rn. 61 ff) eingestuft werden, wenn sie eine „Vorschrift“ darstellt, die die Zusammensetzung, die Art oder die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses wesentlichen beeinflussen kann (vgl. EuGH 13.10.2016, M. und S., C-303/15, Rn. 20, mwN; weiters EuGH 4.2.2016, Ince, C-336/14, Rn. 72). Das Verbot einer Ausstellung, Verlängerung oder Änderung der Erlaubnisse für die Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen außerhalb von Spielcasinos ist geeignet, den Handel mit den Automaten für Spiele mit niedrigen Gewinnen - und damit deren Vermarktung - unmittelbar zu beeinträchtigen (vgl. EuGH 19.7.2012, Fortuna u.a., C-213/11 u.a., Rn. 36; vgl. weiters EuGH 11.6.2015, Berlington Hungary, C-98/14, Rn. 99).
29 Im vorliegenden Fall liegt insoweit kein Verbot vor, sondern lediglich eine Besteuerung. Wie aus den Erläuterungen zum Initiativantrag ersichtlich ist, dient diese Besteuerung aber (jedenfalls auch) dazu, „diese Form der Wetten zurückzudrängen“. Neben fiskalischen Zielen lag es somit offenbar auch in der Absicht des Gesetzgebers, Spielerinnen und Spieler vom Spielen abzuhalten, auch wenn die Anzahl der in Wien gehaltenen Wettterminals mit rund 2.000 Stück in der Folge im Wesentlichen konstant blieb.
30 Es erscheint daher jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Besteuerung des Haltens von Wettterminals als Vorschrift insbesondere zum Schutz der Verbraucher (Spielerinnen und Spieler) zu beurteilen ist, die den Lebenszyklus des Erzeugnisses (Wettterminals) nach seinem Inverkehrbringen im Rahmen des Gebrauches betrifft und die die Vermarktung des Wettterminals wesentlich beeinflussen kann.
31 Fraglich könnte freilich weiters sein, ob es sich dabei um eine Maßnahme im Sinne des Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie handelt. Wenn in diesem Zusammenhang allerdings - wenn auch nur „insbesondere“ - der Schutz von Arbeitnehmern angesprochen wird, so scheint es zumindest nicht naheliegend, dass insoweit auch Spielerinnen und Spieler im Hinblick auf eine mögliche Spielsucht geschützt werden sollen.
32 c) „Vorschriften betreffend Dienste“
33 Für eine Einstufung nach dieser Kategorie müssen diese Vorschriften „speziell“ auf Dienstleistungen der elektronischen Informationsgesellschaft abzielen. Dies ist nach Begründung und Wortlaut der Vorschrift zu klären. Hiefür reicht es aus, dass einzelne Bestimmungen dieser Vorschrift hierauf abstellen (vgl. EuGH 20.12.2017, Falbert, C-255/16, Rn. 32). Eine nationale Vorschrift, die eine Bestrafung für unerlaubte Glücksspiele vorsieht, stellt eine technische Vorschrift dar, wenn diese Regelung ausdrücklich und gezielt Online-Glücksspieldienstleistungen betrifft (vgl. neuerlich EuGH Falbert, Rn. 37).
34 Das WWAG sieht insoweit eine Bestrafung nur im Fall eine Abgabenverkürzung oder einer unterlassenen Anmeldung vor. Mit der Normierung einer Abgabepflicht auf das Halten von Wettterminals zielt es aber (auch) darauf ab, den Abschluss von Wetten über diesen Vertriebsweg zurückzudrängen (vgl. oben zu den „sonstigen Vorschriften“). Insoweit erscheint eine Beurteilung des WWAG als allgemein gehaltene Vorschrift über die Betreibung einer Dienstleistung der Informationsgesellschaft jedenfalls nicht ausgeschlossen. Auch erscheint nicht ausgeschlossen, dass diese Bestimmungen des WWAG als Regelung dieser Dienste - nämlich der mit dem Halten von Wettterminals unmittelbar verbundenen Ermöglichung der Information über Wettmöglichkeiten und des Abschlusses von Wetten - zu beurteilen sind. Mit dem Fall der Buchung eines Flugtickets über ein Computernetz, wenn sie in einem Reisebüro in Anwesenheit des Kunden vorgenommen wird (Anhang I, Z 1 lit. c der Richtlinie), scheint die Situation nicht vergleichbar, da die Bedienung des Wettterminals vom Kunden selbst - wenn auch wohl regelmäßig in Anwesenheit (eines Vertreters) des Inhabers der Räumlichkeiten, in dem sich das Wettterminal befindet - erfolgt.
35 Dazu, ob eine derartige Beurteilung wiederum etwa durch Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie ausgeschlossen wird, kann auf die obigen Ausführungen (zu den „sonstigen Vorschriften“) verwiesen werden.
36 d) Vorschriften im Sinne der vierten Kategorie
37 Eine Einstufung nach dieser Kategorie (vgl. zur Einführung dieser Kategorie wiederum EuGH 21.4.2005, Lindberg, C-267/03, Rn. 73) setzt voraus, dass Vorschriften die Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes verbieten (vgl. EuGH 9.6.2011, Intercommunale Intermosane, C-361/10, Rn. 13; EuGH 10.7.2014, Ivansson, C-307/13, Rn. 16).
38 Da das WWAG keinerlei Verbot in diesem Sinne enthält, fällt dieses Gesetz nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht unter diese Kategorie. Insbesondere sieht auch § 8 WWAG kein Verbot der genannten Tätigkeiten vor, sondern eine Bestrafung für den Fall der Abgabenverkürzung oder für den Fall der unterlassenen Anmeldung.
39 e) „De-facto-Vorschriften“
40 Verweist eine Vorschrift, die nicht als technische Vorschrift zu beurteilen ist, auf andere Vorschriften, die ihrerseits als technische Vorschriften anzusehen sind, so ist die zuerst genannte Vorschrift als „technische De-facto-Vorschrift“ zu beurteilen (vgl. EuGH 10.7.2014, Ivansson, C-307/13, Rn. 31).
41 Hiezu genügt es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes darauf zu verweisen, dass das WWAG gerade keinen Verweis auf andere Vorschriften - insbesondere nicht auf das Wiener Wettengesetz - beinhaltet (vgl. im Übrigen hiezu EuGH 11.6.2015, Berlington Hungary, C-98/14, Rn. 96 f).
42 3. zur zweiten Vorlagefrage
43 Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht führt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (zu Vorgängerrichtlinien; anders - zu einer noch früheren Regelung - EuGH 13.7.1989, Enichem Base, 380/87, Rn. 22 f) zur Unanwendbarkeit der betreffenden „technischen Vorschriften“, so dass sie einem Einzelnen nicht entgegengehalten werden können (vgl. EuGH 30.4.1996, CIA Security International, C-194/94, Rn. 54; EuGH 26.9.2000, Unilever Italia, C-443/98, Rn. 49 ff; EuGH 10.7.2014, Ivansson, C-307/13, Rn. 48; EuGH 4.2.2016, Ince, C-336/14, Rn. 68: nur die darin enthaltenen technischen Vorschriften, nicht die übrigen Bestimmungen eines Gesetzes sind unanwendbar; vgl. weiters Schlussanträge 13.12.2018, VG Media, C-299/17, Rn. 2; vgl. aber auch EuGH 16.6.1998, Lemmens, C-226/97, Rn. 35 ff).
44 Insgesamt erscheint die Auslegung des Unionrechts nicht derart offenkundig zu sein, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH 4.10.2018, Kommission/Französische Republik, Rn. 110).
45 Die Fragen werden daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt.
Wien, am 3. September 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019150029.J00Im RIS seit
28.09.2021Zuletzt aktualisiert am
28.09.2021