Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Musger und Priv.-Doz. Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** R*****, vertreten durch Dr. Johann Kuzmich, Rechtsanwalt in Nebersdorf als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei Mag. B***** S*****, wegen 158.576,12 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse 143.200 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. April 2019, GZ 3 R 15/19a-25, mit dem das Teilurteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 30. Jänner 2019, GZ 27 Cg 4/18h-19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss, insoweit er nicht hinsichtlich der Teilforderungen von 524,47 EUR und 1.904,45 EUR in Rechtskraft erwachsen ist, wird im Übrigen aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das klagsabweisende Teilurteil des Erstgerichts im Ausmaß von 143.200 EUR sA wiederhergestellt wird.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Über das Vermögen des Klägers wurde im Juni 2013 mit Beschluss des Bezirksgerichts Güssing das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt. Bereits im Februar 2012 bewilligte dieses Gericht der ***** (im Folgenden: Bank) die Zwangsversteigerung der dem Kläger zur Hälfte gehörenden Liegenschaft EZ ***** KG ***** (im Folgenden: Liegenschaft). Zugunsten der Bank war ein Pfandrecht bis zum Höchstbetrag von 1.400.000 EUR einverleibt. Im Zuge des Exekutionsverfahrens konnten nur einige Grundstücke der Liegenschaft (parzellenweise) versteigert werden, die übrigen Grundstücke wurden 2014 im Zuge des Insolvenzverfahrens mit insolvenzgerichtlich genehmigtem Kaufvertrag zu einem Kaufpreis von 177.600 EUR (zuzüglich 16.800 EUR für das Inventar) verkauft. Diesem Kaufpreis lag eine Wertminderung aufgrund von Wasserschäden zugrunde, zumal der Wert der Liegenschaft im Exekutionsverfahren noch auf 442.709 EUR geschätzt worden war. Mit Beschluss vom August 2015 wurde der absonderungsberechtigten Bank der Veräußerungserlös nach Abzug der Sondermassekosten zugewiesen. Das Insolvenzgericht hob im Jänner 2016 das Insolvenzverfahren mangels Vermögens nach § 123a IO auf. Es kam zu keiner Ausschüttung an die Insolvenzgläubiger. Von den (von der Beklagten im Ausmaß von 907.575,43 EUR anerkannten) Insolvenzforderungen entfiel auf die Bank nach Zuteilung des Erlöses aus der Verwertung der Sondermasse eine restliche Forderung von 789.116,63 EUR.
Im Oktober 2016 ging die Bank in einem Schreiben gegenüber dem Kläger (und seiner Gattin) von einer noch aushaftenden restlichen Forderung in Höhe von 549.675,26 EUR zuzüglich weiterlaufender Zinsen aus. Sie verzichtete gegenüber dem Kläger auf eine Geltendmachung dieser Forderung, wobei die Gegenseite im Gegenzug auf sämtliche gegenüber der Bank geltend gemachten Forderungen und Ansprüche verzichtete.
Soweit für das Rekursverfahren von Relevanz begehrt der Kläger 143.200 EUR sA an Schadenersatz. Die beklagte Insolvenzverwalterin habe durch ihr schuldhaftes Handeln bzw Unterlassen im Zusammenhang mit zwei Wasserschäden einen Schaden an der Liegenschaft verursacht, wodurch der Erlös aus der Veräußerung (im Ausmaß von 143.200 EUR) geringer ausgefallen sei. Der Kläger sei aktiv legitimiert, weil die Wasserschäden nur die aus der Liegenschaft bestehende Sondermasse beträfen, sodass schon begrifflich kein Gemeinschaftsschaden vorliege. Aus einem höheren Erlös beim Verkauf der Liegenschaft wäre der Gemeinschaft der übrigen Gläubiger wegen der Forderung der Bank „nie auch nur ein Cent zugeflossen“. Es handle sich um einen Einzelschaden, der nur die Bank betroffen habe. Da die Bank im (nach Beendigung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen) Vergleich auf alle Ansprüche gegenüber dem Kläger und seiner Gattin verzichtet habe, sei der Kläger nunmehr selbst zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs berechtigt.
Die Beklagte hielt dem Klagebegehren unter anderem den Einwand der mangelnden Sachlegitimation des Klägers entgegen. Sollten die Schäden tatsächlich bestehen, wäre nicht der Kläger geschädigt, sondern die allgemeine Gläubigerschaft bzw die Bank. Der Kläger hätte keinesfalls eine Zuweisung des Massevermögens erhalten. Nach Aufhebung der Insolvenz sei der einzelne Gläubiger zur Geltendmachung des auf ihn entfallenden Schadens legitimiert. Der ehemalige Insolvenzschuldner sei nicht zur Geltendmachung eines Gemeinschaftsschadens legitimiert. Ähnlich wie der Kläger argumentiert auch die Beklagte damit, dass ein allfälliger höherer Erlös „keinesfalls in die allgemeine Masse“ gefallen wäre. Die Liegenschaft sei nämlich samt allem Zubehör an die Bank verpfändet worden.
Neben der (bereits rechtskräftigen) Zurückweisung der Klage im Ausmaß von Teilforderungen von 837 EUR sA und 3.510,20 EUR sA wies das Erstgericht die Klage ua im Umfang der in dritter Instanz zu prüfenden Forderungen von 143.200 EUR sA ab. Es qualifizierte die diesbezüglichen Schäden als Gemeinschaftsschäden, weil die der Beklagten vorgeworfene Schmälerung der Masse nach dem Vorbringen des Klägers wirtschaftlich den Befriedigungsfonds sämtlicher Insolvenzgläubiger reduziert habe. Aufgrund des Umstands, dass die Insolvenzgläubiger im Schuldenregulierungsverfahren keine Zahlungen erhalten hätten, ging das Erstgericht davon aus, dass der (ehemalige) Insolvenzschuldner nicht aktiv legitimiert sei, die von ihm behaupteten Gemeinschaftsschäden zu verfolgen.
Das Berufungsgericht hob das Urteil auf und wies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Bei auf § 81 Abs 3 IO gestützten Schäden müsse zur Beurteilung der Aktivlegitimation unterschieden werden, ob Einzelschäden oder Gemeinschaftsschäden vorlägen. Gemeinschaftsschäden entstünden ua durch die Beschädigung von Massegegenständen oder die unterpreisige Veräußerung von Massevermögen. Davon zu unterscheiden seien Einzelschäden, die nur einen einzelnen Geschädigten beträfen. Im Hinblick auf § 48 Abs 2 IO, wonach der nach Befriedigung der Absonderungsgläubiger verbleibende Rest der Sondermasse in die gemeinschaftliche Insolvenzmasse fließe und damit der Befriedigung der übrigen Insolvenzgläubiger diene, mache der Kläger im Zusammenhang mit den für die Wasserschäden begehrten Forderungen von 143.200 EUR grundsätzlich Gemeinschaftsschäden geltend. Unter umfassender Auseinandersetzung mit Lehre und Judikatur ging das Berufungsgericht davon aus, dass der Schuldner nach Beendigung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht berechtigt sei, einen Gemeinschaftsschaden gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen. Der Ersatz von derartigen Schäden sei über eine Nachtragsverteilung gemäß § 138 IO zu lösen. Eine solche Durchsetzung scheide hier jedoch aus, weil das Insolvenzverfahren nach § 123a IO aufgehoben worden sei, weshalb der Schuldner die behaupteten Gemeinschaftsschäden sehr wohl im Klageweg geltend machen könne.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs (bezüglich der Teilforderungen im Ausmaß von 143.200 EUR) zur Frage der Geltendmachung von Gemeinschaftsschäden durch den früheren Insolvenzschuldner nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu.
Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem erkennbaren Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils im Umfang der Abweisung eines Begehrens von 143.200 EUR sA.
Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, weil die Vorinstanzen zu Unrecht von einem Gemeinschaftsschaden ausgegangen sind. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
1. Das Berufungsgericht hat für die Situation nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens bereits zutreffend herausgearbeitet, dass der (ehemalige) Insolvenzverwalter für einen sogenannten Einzelschaden (nur) dem Geschädigten gegenüber nach § 81 Abs 3 IO verantwortlich ist (vgl SZ 17/144; 9 ObA 237/91; 8 Ob 37/03d; RS0065408 [T11]; Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen, §§ 81, 81a KO Rz 30 ff; Chalupsky/Duursma-Kepplinger in Bartsch/Pollak/Buchegger4 Rz 216 mwN).
2. Im Verfahren war unstrittig, dass ein höherer Erlös ausschließlich der Bank zugeflossen wäre, sodass das Vorliegen eines Gemeinschaftsschadens nicht auf § 48 Abs 2 IO gestützt werden kann. Aufgrund des hier eindeutigen Vorbringens beider Streitteile („ein allfälliger höherer Erlös wäre keinesfalls in die allgemeine Masse gefallen“ bzw „nie auch nur ein Cent zugeflossen“) kann nicht vom – theoretisch grundsätzlich möglichen – Fall ausgegangen werden, dass ein hoher Erlös die Forderungen der Bank überstiegen und zur Anwendung des § 48 Abs 2 IO geführt hätte. Eine Schmälerung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger (vgl dazu 8 Ob 37/03d) oder gar die Möglichkeit, dass an den Schuldner ein Rest des Verkaufserlöses überwiesen hätte werden müssen, wurde nicht behauptet.
3. Nach richtiger Auffassung macht der Kläger daher einen Einzelschaden geltend, den allerdings (nur) die Bank erlitten hat. Ihr wäre ein allfälliger höherer Verkaufserlös zur Gänze zugefallen. Damit wäre aber auch nur die Bank legitimiert gewesen, allfällige Schadenersatzansprüche gegen die Insolvenzverwalterin geltend zu machen, wenn diese einen Mindererlös der Sondermasse schuldhaft verursacht haben sollte (vgl 8 Ob 37/03d, 8 Ob 48/05z ua; Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert §§ 81, 81a KO Rz 30).
4. Allein der Umstand, dass die Bank nach Beendigung des Exekutions- und Insolvenzverfahrens – somit nach umfassender Verwertung der klägerischen Vermögenswerte – auf die (weitere) Geltendmachung ihrer Restforderung gegenüber dem Kläger verzichtet hat, begründet nicht dessen Aktivlegitimation zur Geltendmachung des Einzelschadens der Bank.
Weder aus dem klägerischen Vorbringen noch aus dem Inhalt der nach RS0121557 heranzuziehenden Urkunden ist ansatzweise ableitbar, dass eine allfällige von der Beklagten schuldhaft verursachte Wertminderung an der Sondermasse, die zu einem Forderungsausfall der Bank geführt haben könnte, Thema der Einigung war. Der Verzicht der Bank umfasste nur die weitere (wirtschaftlich offensichtlich aussichtlose) Geltendmachung der Restforderung gegenüber dem nun vermögenslosen Kläger. Aus dieser Einigung ergibt sich aber nicht, dass die Bank zugunsten des Klägers (auch) auf die Geltendmachung allfälliger Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte wegen einer von ihr verschuldeten Minderung des Erlöses aus der Sondermasse verzichtet oder dem Kläger gar entsprechende Schadenersatzansprüche gegenüber der Beklagten abgetreten hätte.
5. Damit erweist sich der Einwand der mangelnden Sachlegitimation der Beklagten als berechtigt. Ihrem Rekurs war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss (sofern er nicht bereits in Rechtskraft erwachsen ist) aufzuheben und in der Sache selbst im Sinn der Wiederherstellung des abweisenden Teilurteils des Erstgerichts zu erkennen.
6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.
Textnummer
E126186European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0170OB00016.19F.0905.000Im RIS seit
03.10.2019Zuletzt aktualisiert am
19.12.2019