Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leitner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Björn E***** wegen des Vergehens der Entwendung nach §§ 15, 141 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 16. November 2016, GZ 217 U 220/16i-10, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 16. November 2016, GZ 217 U 220/16i-10, verletzt in seinem Strafausspruch § 141 Abs 1 StGB.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Strafausspruch ebenso aufgehoben wie der gemeinsam mit dem Urteil verkündete Beschluss auf Absehen vom Widerruf und Verlängerung der zu AZ 222 U 93/14x durch das Bezirksgericht Graz-Ost bestimmten Probezeit und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Graz-Ost zur Strafneubemessung verwiesen.
Der durch den Eintritt der Rechtskraft bereits in Gang gesetzte Lauf der Probezeit wird durch diese Entscheidung nicht berührt.
Text
Gründe:
Mit in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 16. November 2016, GZ 217 U 220/16i-10, wurde Björn E***** des (am 11. Juli 2016 begangenen) Vergehens der Entwendung nach §§ 15, 141 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Wochen verurteilt.
Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde vom Widerruf der dem Genannten mit (seit 19. August 2014 rechtskräftigem) Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 13. August 2014, AZ 222 U 93/14x, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen (§ 494a Abs 1 Z 2 StPO) und die dazu bestimmte (ursprünglich dreijährige) Probezeit auf fünf Jahre verlängert (§ 494a Abs 6 StPO).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 16. November 2016, GZ 217 U 220/16i-10, in seinem Strafausspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Das Vergehen der Entwendung nach § 141 Abs 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen bedroht.
Indem das Bezirksgericht Graz-Ost über Björn E***** eine Freiheitsstrafe von acht Wochen verhängte, ging es über die gesetzliche Obergrenze des Strafrahmens hinaus.
Diese Gesetzesverletzung hat sich zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt, weshalb deren Feststellung mit aus dem Spruch ersichtlicher konkreter Wirkung zu verknüpfen war (§ 292 letzter Satz StPO).
Die erforderliche Aufhebung des Strafausspruchs hatte die Aufhebung des zugleich ergangenen, vom Bestand dieses Strafausspruchs abhängigen Beschlusses über das Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und Verlängerung diesbezüglicher Probezeit zur Folge (vgl RIS-Justiz RS0101886; RS0100194; 13 Os 138/15s; Fabrizy, StPO13 § 494a Rz 5a).
Vom aufgehobenen Urteil (und Beschluss gemäß § 494a StPO) rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen – insbesondere die mittlerweile erfolgte Verlängerung der im aufgehobenen Urteil bestimmten Probezeit (im Verfahren AZ 4 Hv 36/17d des Landesgerichts für Strafsachen Graz) und der zuletzt erfolgte Widerruf der zu AZ 222 U 93/14x des Bezirksgerichts Graz-Ost gewährten bedingten Strafnachsicht (im Verfahren AZ 12 U 9/19m des Bezirksgerichts Graz-West) – gelten gleichermaßen als beseitigt (RIS-Justiz RS0100444; vgl 11 Os 147/86).
Zur Strafneubemessung war die Sache an das Erstgericht zu verweisen, weil der in Strafhaft befindliche und im Übrigen auch nicht durch einen Verteidiger vertretene Verurteilte nicht zum Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof erscheinen konnte und dessen (amtswegige) Vorführung nicht zu veranlassen war (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 23, 31; RIS-Justiz RS0053176).
Im erneuerten Verfahren wird außer dem Strafrahmen des § 141 Abs 1 StGB das Verschlechterungsverbot nach § 290 Abs 2 StPO iVm § 292 erster Satz StPO zu beachten sein (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 43 ff, 55).
Da der Strafausspruch bereits in Rechtskraft erwachsen und damit (in Ansehung der im angefochtenen Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht) der Lauf der Probezeit bereits in Gang gesetzt worden war, wird deren Beginn – mit lediglich deklarativer Wirkung (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 55) – mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des ursprünglichen Strafausspruchs festzuhalten sein (vgl RIS-Justiz RS0092039).
Weiters wird zu beachten sein, dass nach Aufhebung des Beschlusses auf Verlängerung der Probezeit zu AZ 222 U 93/14x des Bezirksgerichts Graz-Ost und Wegfall des davon logisch abhängigen Beschlusses auf Widerruf der seinerzeit gewährten bedingten Strafnachsicht eine (neuerliche) Entscheidung gemäß § 494a StPO nur möglich ist, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung die Widerrufsfrist des § 56 zweiter Halbsatz StGB auch unter Bedacht auf § 49 StGB noch nicht abgelaufen ist (vgl RIS-Justiz RS0092139, RS0091745, RS0091737).
Im Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes besteht keine Kostenersatzpflicht (RIS-Justiz RS0110754).
Textnummer
E126200European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00100.19Y.0911.000Im RIS seit
03.10.2019Zuletzt aktualisiert am
03.10.2019