Entscheidungsdatum
22.02.2017Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §13 Abs8Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Dr. Rotschädl über die Beschwerde der A B, vertreten durch Mag. E F, Rechtsanwälte in W, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadt Graz vom 07.07.2016, GZ: A17-BAB-135825/2015/0019 (MP: Dr. C D vertreten von Dr. G H & Partner, Rechtsanwälte in S) betreffend nachbarrechtliche Einwendungen
z u R e c h t e r k a n n t:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird der Beschwerde wegen Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin
F o l g e g e g e b e n
und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
„Der Berufung von Dr. C D, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. G H & Partner, Rechtsanwälte, S, eingelangt bei der Behörde am 29.04.2009, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 01.04.2009, GZ: A17-029222/2007-8, wird Folge gegeben, der Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 01.04.2009 gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde I. Instanz zurückverwiesen.“
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1. Mit Ansuchen vom 29.08.2007 beantragte die nunmehrige Beschwerdeführerin die Baubewilligung für die Aufstockung des bestehenden Mehrfamilienwohnhauses Astraße und Sgasse, auf der Liegenschaft mit der GSt-Nr. xx, EZ xx, KG X.
2. Mit Bescheid der Baubehörde I. Instanz vom 01.04.2009 (GZ: 029222/2007-8) wurde der Beschwerdeführerin die Baubewilligung für die plan- und beschreibungsgemäße
a) viergeschoßige Aufstockung des Gebäudes Astraße für Wohnzwecke,
b) dreigeschoßige Aufstockung des Gebäudes Sgasse für Wohnzwecke sowie
c) Erneuerung der Fassaden auf den Grundstücken Nr. yy und Nr. xx, KG X, unter Erteilung von Auflagen und unter Zugrundelegung der Einreichpläne, datiert vom 10.11.2008 sowie vom 29.01.2009 bewilligt.
3. Gegen diesen Bescheid brachte die mitbeteiligte Partei eine undatierte Berufung ein, die am 29.04.2009 bei der Baubehörde I. Instanz einlangte. Dieser Berufung wurde mit Bescheid der Berufungskommission der Stadt Graz vom 27.01.2010 (GZ: 029222/2007/0012) unter Zugrundelegung geänderter Baupläne jeweils datiert mit 12.10.2009 teilweise Folge gegeben, wobei sich die bezughabenden Genehmigungsvermerke auf den Austauschplänen datiert mit 29.01.2009 sowie 10.11.2008 befinden sowie auf einem Austauschplan datiert vom 12.10.2009.
4. Mit Erkenntnis des VwGH vom 10.04.2012 (Zl. 2010/06/0077) wurde der Bescheid der Berufungskommission vom 27.01.2010 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
5. Mit Bescheid der Berufungskommission vom 26.03.2014 (GZ: A17-029222/2007/0028) wurde der Berufung der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 01.04.2009 nach Maßgabe der geänderten Baupläne/Austauschpläne jeweils datiert mit 12.10.2009/12.12.2012 teilweise Folge gegeben und die Baugenehmigung unter Zugrundelegung der zuvor genannten Austauschpläne erteilt, wobei sich im vorgelegten Verfahrensakt keine Pläne mit entsprechendem Genehmigungsvermerk befinden.
6. Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei am 26.03.2014 eine Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht. Anlässlich des Beweisverfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht legte die Beschwerdeführerin erneut Austauschpläne datiert mit 22.06.2015 vor.
7. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes vom 09.07.2015 (LVwG 50.29-3658/2014-20) wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Partei Folge gegeben und der Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 26.03.2014 (GZ: A17-029222/2007/0028) aufgehoben. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht aus, dass im gegenständlichen Fall durch die Änderung des Anbringens (gemeint jenes vom 22.06.2015) eine Änderung der Sachlage bewirkt worden sei, indem keine reine Einschränkung des Bauvorhabens, sondern zweifellos nicht geringfügige Änderungen, sowohl des Altbestandes als auch der geplanten Neubaumaßnahmen mit der beantragten Projektsänderung gegenüber dem mit dem bekämpften Bescheid bewilligten Projekt erfolgen sollten.
Aus § 28 VwGVG lasse sich ableiten, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich selbst „in der Sache“ zu entscheiden habe. Vorbild dieser Regelung sei § 66 AVG gewesen, sodass die diesbezüglich vorhandene Judikatur des VwGH vor allem zur Identität der „Sache“ weiterhin Gültigkeit besitze. Demzufolge dürfe die Rechtsmittelbehörde nur über die durch den Spruch des angefochtenen Bescheides entschiedene Sache und nicht über mehr absprechen, weil den Parteien ansonsten in der Sachfrage eine Instanz genommen werde. Bei der beantragten Änderung des Projektes handle es sich um keine reine Einschränkung, sondern um nicht nur geringfügige Änderungen des Bauvorhabens, welche allenfalls die Grenze der „Modifikation des Projekts“ zum „aliud“ nicht überschreiten würden, aber dennoch eine wesentliche Änderung der Sache des Beschwerdeverfahrens bewirken würden.
Konkret würde die vorliegende Projektänderung die Verlegung von Stiegenhäusern und Aufzugsanlagen beinhalten, also wesentlicher, auch für die Statik des Gebäudes relevanter Gebäudeteile und auch abstandsrelevante Änderungen der Bauausführung bewirken. Beim vorliegenden „Einschränkungsbegehren“ vom 22.06.2015 handle es sich daher im Sinne der Bestimmung des § 13 Abs. 8 AVG um eine wesentliche – wenn auch nicht wesensändernde – Antragsänderung, da damit die Sache des Rechtsmittelverfahrens entscheidend verändert werde. Es sei dem Landesverwaltungsgericht Steiermark, nicht zuletzt auch im Lichte der eingeschränkten Kognitionsbefugnis nach § 27 VwGVG daher verwehrt, diese Änderung des Antrages vom 22.06.2015 seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Aus diesen Gründen sei der angefochtene Bescheid aufzuheben gewesen und werde seitens der belangten Behörde über das in wesentlichen Punkten abgeänderte Bauansuchen abzusprechen sein. Damit werde nicht nur dem Beschwerdebegehren, sondern im Ergebnis auch dem Antrag der Bauwerberin in deren Stellungnahme vom 22.06.2015 entsprochen, indem diese beantragte, dass das Landesverwaltungsgericht Steiermark, das abgeänderte Bauansuchen zur Prüfung an die Behörde I. Instanz zurückstellen möge.
8. Mit Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 12.05.2016 wurde der Berufung der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 01.04.2009 stattgegeben und das bei der Erstbehörde am 29.08.2007 eingelangte Bauansuchen der Beschwerdeführerin unter Zugrundelegung der Einreichpläne/Austauschpläne datiert vom 01.07.2015/02.2016 abgewiesen.
9. Gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin die nunmehr vorliegende fristgerechte und in formaler Hinsicht zulässige Beschwerde vom 12.08.2016 ein, in der diese umfassend darlegte, dass die Abweisung des Bauansuchens durch die belangte Behörde zu Unrecht erfolgt.
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat erwogen:
Zu Spruchpunkt I:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall VwGVG kann die öffentliche mündliche Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Landesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde und aufgrund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen.
Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrensleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden. Durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden.
Gemäß § 66 Abs. 1 AVG hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Projektänderungen grundsätzlich auch im Berufungsverfahren zulässig (siehe dazu VwGH 29.04.2015, Zl. 2013/05/0004). In Hinblick auf § 17 VwGVG in Verbindung mit § 13 Abs. 8 AVG und die vergleichbare Funktion der Bescheidbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gilt dies auch für Änderungen während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht. Modifikationen des Projektes sind allerdings nur so weit möglich, als nicht der Prozessgegenstand, der den Inhalt des Spruches des verwaltungsbehördlichen Bescheides dargestellt hat, ausgewechselt wird. Das Verwaltungsgericht hat also über die Angelegenheit abzusprechen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (siehe dazu VwGH 12.09.2016, Zl. 2014/04/0037).
Ob bei dem der Rechtsmittelinstanz - oder dem Verwaltungsgericht - vorgelegten Projekt noch von derselben Sache gesprochen werden kann, ist eine Rechtsfrage, die auf Grund eines Vergleichs der jeweiligen Vorhaben zu beurteilen ist (siehe dazu VwGH 23.4.1987, Zl. 86/06/0253).
Sache des beschwerdegegenständlichen Verfahrens ist die Berufung der mitbeteiligten Partei aus dem Jahre 2009 gegen den Bewilligungsbescheid der Baubehörde I. Instanz vom 01.04.2009, welchem die vidierten Einreichpläne vom 29.01.2009 bzw. vom 10.11.2008 zu Grunde liegen. Zwischenzeitig hat die Beschwerdeführerin mehrere Projektänderungen vorgenommen, welche durch die Vorlage diverser Austauschpläne datiert mit 12.10.2009, 12.12.2012, 22.06.2015 und zuletzt mit 01.07.2015/02.2016 aktenkundig sind.
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat in seinem Erkenntnis vom 09.07.2016 rechtskräftig entschieden, dass durch die Vorlage der Austauschpläne datiert vom 22.06.2015 die Sache des Rechtsmittelverfahrens durch die Verlegung des „Stiegenhauses Sgasse“ in den nördlichen Bereich des Bauteiles Sgasse sowie die Grundrissabänderung aufgrund der neu berechneten Gebäudeabstände durch Verlegung der weiterführenden Stiegenhäuser außerhalb der Gebäudeabstandskreise betreffend das Gebäude in der Sgasse bzw. des Stiegenhauses und Liftes betreffend das Gebäude in der Astraße gegenüber dem seitens der Baubehörde I. Instanz genehmigten Projektes wesentlich verändert wurde. Da durch diese Projektmodifikation aus Sicht des Verwaltungsgerichtes der Prozessgegenstand ausgetauscht wurde, verneinte dieses seine Zuständigkeit zur Sachentscheidung.
Unter Zugrundelegung der seitens des Landesverwaltungsgerichts getroffenen Feststellungen betreffend die Projektänderung vom 22.06.2015, ist folgerichtig auch eine Zuständigkeit zur Sachentscheidung der belangten Behörde als Rechtsmittelbehörde zu verneinen, da diese Projektmodifikation mit der Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG nicht in Einklang zu bringen ist. Dies brachte das Verwaltungsgericht insofern zum Ausdruck, als es in der Begründung darauf hinwies, dass - im Ergebnis - mit der Entscheidung des Gerichtes, dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Zurückstellung des abgeänderten Bauansuchens zur Prüfung an die Behörde I. Instanz Folge gegeben worden sei.
Die neuerliche Antragsänderung vom 16.03.2016, welche offenbar durch die Vorlage der Austauschpläne datiert mit 01.07.2015/02.2016 der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht wurde, ändert nichts an der fehlenden Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde zur Sachentscheidung, da diese Planänderung lediglich dem Zweck diente, abstandsrelevante Flächen zurückzunehmen (siehe dazu der Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 15.04.2016). Ein Vergleich der beiden maßgeblichen Plansätze ergibt, dass die (Neu-)Situierung des Stiegenhauses Sgasse, welche u.a. dazu führte, dass das Landesverwaltungsgericht von einer wesentlichen Projektmodifikation ausging, auch durch die Vorlage der Austauschpläne datiert mit 01.07.2015/06.2016 unverändert blieb und der belangten Behörde daher auch keine Zuständigkeit zukam, über diesen geänderten Antrag sachlich abzusprechen.
Die belangte Behörde hätte den erstinstanzlichen Bescheid daher aufheben und die Angelegenheit an die Baubehörde I. Instanz zurückverweisen müssen. Da sie dies verkannte, war der Beschwerde wegen Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG Folge zu geben und der Spruch des Bescheides der belangten Behörde abzuändern.
Zu Spruchpunkt II: Zulässigkeit der ordentlichen Revision
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Baubewilligung, Beweisverfahren, Änderung der Sachlage, Abweisung des BauansuchensEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGST:2017:LVwG.50.32.2391.2016Zuletzt aktualisiert am
06.09.2019