Entscheidungsdatum
19.03.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L521 2153731-1/20E
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. in der Beschwerdesache des XXXX alias XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Dr. Martin Brandstetter, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Bahnhofstraße 2, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2017, Zl. 1073927305-150692487, in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 den
BESCHLUSS
gefasst:
A) Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1. Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zugestanden (Spruchpunkt IV.).
2. Gegen den dem Beschwerdeführer am 30.03.2017 im Wege der Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die von seinem gewillkürten Vertreter fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
3. Die Beschwerdevorlage langte am 21.04.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.
4. Am 28.06.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner ebenfalls beschwerdeführenden Eltern XXXX, geb. XXXX, und XXXX, geb. XXXX, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung sind beim Bundesverwaltungsgericht Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beshcwerdeführers entstanden.
5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.10.2018, L521 2153731-1/9Z, wurde XXXX, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Kinder- und Jugendpsychiatrie, zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines Gutachtens über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie zu seiner Einsichtsfähigkeit am 30.03.2017 bzw. dem Tag der Abholung des angefochtenen Bescheides beauftragt.
Das Gutachten des Sachverständigen vom 03.01.2019 langte am 09.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
6. Mit Note vom 14.01.2019 wurde beim Bezirksgericht Amstetten aufgrund des Inhaltes des eingeholten Sachverständigengutachtens die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters angeregt und dem Bundesverwaltungsgericht in weitere Folge mit Note vom 11.03.2019 der Beschluss des Bezirksgerichtes Amstetten vom 04.03.2019 über die Bestellung des im Spruch genannten Rechtsanwaltes zum einstweiligen Erwachsenenvertreter insbesondere im Asylverfahren zur Kenntnis gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der am XXXX geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehröiger des Irak, stellte am 17.06.2015 durch seine mitgereisten Eltern XXXX, geb. XXXX, und XXXX, geb. XXXX, als seine gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zugestanden (Spruchpunkt IV.).
Da der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides das 18. Lebensjahr vollendet hatte, wurde die Zustellung einer Bescheidausfertigung an ihn persönlich verfügt (AS 151).
1.2. Der Beschwerdeführer konnt bei einem Zustellversuch am 29.03.2017 nicht angetroffen werden und wurde deshalb die an ihn gerichtete Sendung beim Postam 3300 Amstetten hinterlegung und ab dem 30.03.2017 zur Abholgung bereitgehalten. Bei der Abholung wurde der BEschwerdeführer von seinem Vater begleitet.
1.3. Der Beschwerdeführer leidet an einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung aus dem Autismusspektrum F 84.1. Er ist nicht in der Lage, gerichtlichen oder behördlichen Verfahren zu folgen und die notwendigen Verfahrensschritte ohne die Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Der Beschwerdeführer ist auch nicht in der Lage einer mündlichen Verhandlung zu folge und die Tragweite einer von ihm erteilten Vollmacht zu begreifen.
Der Beschwerdeführer war am 30.03.2017 bzw. am Tag der tatsächlichen Entgegennahme des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage, die Tragweite dieser Rechtshandlung (nämlich die Übernahme eines behördlichen Schriftstückes, womit über seinen Antrag auf internationalen Schutz entschieden und eine Rechtsmittelfrist ausgelöst wird) zu begreifen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen.
1.4. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Amstetten vom 04.03.2019, 2 P 6/19m-7, wurde Dr. Martin Brandstetter, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Bahnhofstraße 2, zum Rechtsbeistand des Beschwerdeführers im Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters und zum einstweiligen Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers insbesondere im Asylverfahren bestellt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die vorstehend getroffenen Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der seitens der Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vorgelegten Akten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens, dem in der mündlichen Verhandlung am 28.06.2018 vom Beschwerdeführer gewonnenen Eindruck und dem schlüssigen Gutachten des XXXX, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Kinder- und Jugendpsychiatrie, vom 03.01.2019 sowie dem Beschluss des Bezirksgerichtes Amstetten vom 04.03.2019,
2 P 6/19m-7.
2.2. Aus dem Gutachten des XXXX ergibt sich im Hinblick auf die unter Punkt 1.3. getroffenen Feststellungen eindeutig, dass der Beschwerdeführer an einer schweren psychischen Erkrankung leidet und insbesondere am 30.03.2017 bzw. am Tag der tatsächlichen Entgegennahme des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage war, die Tragweite dieser Rechtshandlung zu begreifen.
Der im gegenständlichen Asylverfahren einschreitende gewillkürte Vertreter ist dem Gutachen in seiner Stellungnahme vom 13.02.2019 nicht entgegen getreten und zieht selbst die Rechtswirksamkeit der Zustellung des angefochtenen Bescheides in Zweifel.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) einer Partei ist zufolge des auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuwendenden § 9 AVG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Hiefür ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens sowie der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was neben den von ihr gesetzten aktiven Verfahrenshandlungen auch Unterlassungen erfasst.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Fehlen der Prozessfähigkeit nach § 9 AVG als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens und von Amts wegen wahrzunehmen. Hat das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Vorliegens der Prozessfähigkeit einer Partei Bedenken, so hat sie die Frage - in der Regel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - von Amts wegen zu prüfen. Bei Bestätigung der Bedenken hat die Behörde nach § 11 AVG vorzugehen, sohin die Bestellung eines Sachwalters beim zuständigen (Pflegschafts-)Gericht zu veranlassen (VwGH 28.04.2016, Ra 2014/20/0139, mwN).
3.2. Im gegenständlichen Fall sind beim Bundesverwaltungsgericht ob des vom Beschwerdeführer anlässlich der mündlichen Verhandlung am 28.06.2018 Zweifel hinsichtlich dessen Prozessfähigkeit entstanden und wurde in weiterer Folge ein Gutachten eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Kinder- und Jugendpsychiatrie eingeholt, welches die anfänglichen Zweifel bestätigte und ergeben hat, dass der Beschwerdeführer an einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung aus dem Autismusspektrum leidet.
3.3. Bei diesem Ergebnis ist schon im Hinblick auf die Zulässigkeit der Beschwerde als Vorfrage zu prüfen gewesen, ob der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie allenfalls auch schon ab Beginn des Verwaltungsverfahrens tatsächlich jene Fähigkeiten besessen hat, die für die Wirksamkeit von Verfahrensschritten erforderlich sind, zumal behördliche Akte nicht gegenüber Personen wirksam werden können, denen die Fähigkeit fehlt, die Bedeutung und Tragweite dieser Akte zu erkennen und für sie noch kein Sachwalter bestellt ist. Ist die Partei schon bei Zustellung des verwaltungsbehördlichen Bescheids prozessunfähig, führt dies zur Unwirksamkeit der verfahrensrechtlichen Akte der Behörde (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).
3.4. Ausweislich der Feststellungen war der Beschwerdeführer beeits bei der Zustellung des anmgefochtenen Bescheides (wie auch im gesamten verwaltungsbehördlichen Verfahren zuvor) prozessunfähig, sodass die an ihn verfügte und tatsächlich durchgeführte Zustellung als unwirksam anzusehen ist.
3.5. Die vom Beschwerdeführer gegenständlich erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht richtet sich somit mangels wirksamer Bescheiderlassung gegen einen Nichtbescheid, was entsprechend oben zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den Mangel der Zuständigkeit der Beschwerdeinstanz zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel zur Folge hat (vgl. auch VwGH 20.04.2017, Ra 2017/20/0095). Diese Frage der eigenen Zuständigkeit hat das Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. § 6 Abs. 1 AVG iVm § 17 VwGVG).
3.6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird im weiteren Verfahren umgehend einen Bescheid unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Vorschriften zu erlassen haben, um die Fortsetzung des Verfahrens des Beschwerdeführers gemeinsam mit seinen ebenfalls beschwerdeführenden Familienangehörigen vor dem Bundesverwaltungsgericht als Familienverfahren zu ermöglichen.
Die dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aufgrund der Beschwerde, infolge der Zustellung der Verhandlungsschrift vom 28.06.2018 und des Gutachtens vom 03.01.2019 bekannt gewordenen Vorbringen und Sachverhalte sind bei der Bescheiderlassung zu berücksichtigen.
3.7. Die Beschwerde ist daher spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen.
Zu B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere dem Erkenntnis vom 20.12.2016, Ra 2015/01/0162) ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Asylverfahren, Bescheiderlassung, Entwicklungsstörung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L521.2153731.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.09.2019