TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/2 L516 2216517-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2019
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Entscheidungsdatum

02.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §59 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §55 Abs1a
VwGVG §13 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2216515-1/2E

L516 2216517-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb XXXX und 2.) XXXX , geb XXXX , beide StA Georgien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2019, Zahlen 1187754904-180360796/BMI-BFA_WIEN_AST_01 und 1187755302-180360800/BMI-BFA_WIEN_AST_01, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VII der angefochtenen Bescheide stattgegeben und dieser gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG ersatzlos behoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide somit gemäß § 13 Abs 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VI der angefochtenen Bescheide stattgegeben und dieser wird gemäß § 55 Abs 1a FPG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin stellte für sich und die Zweitbeschwerdeführerin am 15.04.2018 Anträge auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung nach dem AsylG dazu fand dazu mit der Erstbeschwerdeführerin am selben Tag statt, eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 20.06.2018.

2. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden diese Anträge jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides) sowie des Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) gemäß § 8 AsylG ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V).

3. Mit Spruchpunkt VI sprach das BFA aus, dass für die freiwillige Ausreise keine Frist bestehe und mit Spruchpunkt VII, dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidungen über die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.

4. Mit gleichzeitiger Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG wurde vom BFA für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Die Beschwerdeführer haben gegen diese am 27.02.2019 zugestellten Bescheide des BFA fristgerecht am 22.03.2019 gemeinsam Beschwerde erhoben und diese zur Gänze angefochten.

6. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte am 28.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1.1. Die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz wurden mit der Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin begründet.

Bei der fünzehnjährigen Zweitbeschwerdeführerin wurde in Österreich unter anderem eine Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) A81.1 diagnostiziert, die sich ab Jänner/Februar 2018 bemerkbar machte. Der Verlauf der Erkrankung ist in absehbarer Zeit letal, eine palliative Betreuung wurde angeraten. Es fehlen Therapieoptionen (AS 48, 49, 50).

Bei der Zeitbeschwerdeführerin besteht eine qualitative Einschränkung des Bewusstseins. Sie benötigt Unterstützung bzw sie ist auf Leistungen durch Dritte angewiesen unter anderem bei den folgenden Verrichtungen:

-

An- und Auskleiden

-

tägliche Körperpflege

-

Verrichtung der Notdurft

-

Einnehmen von Mahlzeiten (Sondenernährung)

-

Reinigung bei Inkontinenz (Windeln)

-

Entleerung und Reinigung der Windeln

-

Einnehmen von Medikamenten (über Sonde)

-

Mobilitätshilfe in allen Belangen

-

Besorgung von Nahrungsmitteln und Medikamenten

Der Pflegebedarf wird mit mehr als 180 Stunden im Monat geschätzt. Es sind keine zielgerichteten Bewegungen der Extremitäten mit funktioneller Umsetzung möglich, die Vigilanz ist deutlich eingeschränkt. Die Betreuungsmaßnahmen sind zum großen Teil zeitlich unkoordinierbar und während des Tages und nachts notwendig. Eine Pflegeperson muss ständig anwesend sein, weil die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung gegeben ist. Der Grad der Behinderung beträgt 100 Prozent, ein Pflegebedarf "entsprechend einer Stufe 7" wird ärztlicherseits angenommen. Die Erstbeschwerdeführerin, eine ausgebildete Krankenschwester, kümmert sich nach Kräften um die Zweitbeschwerdeführerin. Die Zweitbeschwerdeführerin befindet sich aktuell seit 31.01.2019 in einer Einrichtung für schwer erkrankte Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden Diagnose, bei denen hoch komplexer Pflegebedarf gegeben ist (AS 49, 50, 165, 211-213).

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zur gesundheitlichen Beeinträchtigung der Zeitbeschwerdeführerin und Unterstützung durch die Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus den im Akt befindlichen ärztlichen Dokumenten und den Ausführungen des BFA, wobei dazu die jeweiligen Aktenseiten angeführt sind.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

Rechtsgrundlage

3.1. Gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG kann das Bundesamt einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.2. Der Verwaltungsgerichthof hat bereits in seiner Entscheidung vom 28.04.2015, Ra 2014/18/0146 ua, ausgesprochen, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG nicht zwingend ist, sondern eine Abwägung der für und gegen die zu treffende Anordnung sprechenden Interessen voraussetzt. Dabei ist das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die aus einem "sicheren Herkunftsstaat" nach § 19 Abs. 5 BFA-VG 2014 in Verbindung mit § 1 Z 6 der HerkunftsstaatenV, BGBl II Nr. 177/2009 idF BGBl II Nr. 405/2013, kommen, den im Einzelfall allenfalls entgegenstehenden privaten Interessen dieser Personen gegenüberzustellen (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146 ua).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in jener Entscheidung zudem Folgendes ausgeführt:

"Nach § 55 Abs. 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise (unter anderem) nämlich nicht, wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. Erkennt das Bundesamt der Beschwerde daher - wie im vorliegenden Fall - die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG ab und wird sie vom BVwG nicht innerhalb der Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG wieder zuerkannt, besteht keine Frist zur freiwilligen Ausreise, und zwar auch dann nicht, wenn - wie im Falle der bevorstehenden Geburt eines Kindes - besondere Umstände vorliegen, die eine Drittstaatsangehörige bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat und die nach § 55 Abs. 2 und 3 FPG sogar eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise rechtfertigen würden.

Da sowohl das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch das BVwG unter der rechtsirrtümlichen Annahme, allein die Herkunft der Zweitrevisionswerberin aus einem sicheren Herkunftsstaat führe zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde, diese wesentlichen Faktoren außer Acht gelassen haben, ist das zweitangefochtene Erkenntnis insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet."

3.3. Fallbezogen begründete das BFA die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschließlich damit, dass die Beschwerdeführer aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen.

Das BFA hat jedoch unter Außerachtlassung der zuvor zitierten Rechtsprechung des VwGH den ihm bereits bekannten Erkrankungen der Zweitbeschwerdeführerin bei der erforderlichen Interessensabwägung keine Bedeutung beigemessen.

3.4. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des vorliegenden Falles zu dem Schluss, dass gegenständlich - bedingt durch die erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und der erforderlichen Unterstützung besondere Umstände vorliegen, die Drittstaatsangehörige bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen haben und die nach § 55 Abs 2 und 3 FPG sogar eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise rechtfertigen würden und überwiegen diese privaten Interessen der Beschwerdeführer das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die - wie die Beschwerdeführerin - aus einem "sicheren Herkunftsstaat" kommen.

3.5. Der Spruchteil VII der jeweils angefochtenen Bescheide war daher spruchgemäß ersatzlos zu beheben.

3.6. Der Beschwerde kommt somit gemäß § 13 Abs 1 VwGVG aufschiebende Wirkung zu. Den Beschwerdeführern ist daher vom BFA auch eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen (§ 51 AsylG).

Spruchpunkt II

Behebung von Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheides

Rechtsgrundlage

3.7. Gemäß § 55 Abs 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.8. Nachdem die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos zu beheben war, ist die Entscheidung nicht mehr gemäß § 18 BFA-VG durchführbar. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 55 Abs 1a FPG liegen somit nicht mehr vor. Spruchpunkt VI der jeweils angefochtenen Bescheide war daher spruchgemäß zu beheben.

Zu den übrigen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide

3.9. Im gegenständlichen Verfahren war ein Vorgehen gemäß § 59 Abs 1 letzter Satz AVG zulässig, da die Entscheidung über Spruchpunkt VI und VII spruchreif war und die Trennung - auf Grund der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für die Betroffenen - auch zweckmäßig ist.

3.10. Über die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide ergeht eine gesonderte Entscheidung.

Zu B)

Revision

4. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zuvor zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

5. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylverfahren, aufschiebende Wirkung, aufschiebende Wirkung -
Entfall, Behebung der Entscheidung, ersatzlose Behebung, freiwillige
Ausreise, Frist, gesundheitliche Beeinträchtigung,
Interessenabwägung, Kassation, öffentliche Interessen, private
Interessen, sicherer Herkunftsstaat, Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2216517.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.09.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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