TE Vwgh Beschluss 2018/11/12 Ra 2018/08/0228

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Veröffentlicht am 12.11.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Wiener Gebietskrankenkasse in Wien, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2018, Zl. W173 2014129-1/2E, betreffend Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: S M, vertreten durch Dr. Carl Knittl, Mag. Herbert Nigl und Mag. Horst Winkelmayr, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Porzellangasse 22a/7), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit Bescheid vom 26. Februar 2013 verpflichtete die revisionswerbende Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GebKK) den Mitbeteiligten als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin, der M GmbH, gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (entsprechend einem Rückstandsausweis) zur Zahlung uneinbringlicher Sozialversicherungsbeiträge iHv EUR 544.963,11 s.A. Zu den Pflichten eines Geschäftsführers gehöre es, dafür zu sorgen, dass insbesondere Dienstnehmerbeitragsanteile iSd § 153c StGB ordnungsgemäß entrichtet und die Meldepflichten nach § 111 ASVG erfüllt würden. Da "dies schuldhaft unterblieben" sei, hafte der Mitbeteiligte.

5 Der Mitbeteiligte erhob Einspruch. Der Rückstandsausweis sei nicht nachvollziehbar. Die Beitragsrückstände seien "ausschließlich auf Forderungsausfälle" zurückzuführen.

6 Mit Bescheid vom 13. August 2013 behob der Landeshauptmann von Wien den Bescheid vom 26. Februar 2013 gemäß § 417a ASVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die GebKK zurück. Dem behobenen Bescheid sei nicht zu entnehmen, welche konkreten Pflichtenverstöße dem Mitbeteiligten vorgeworfen würden. Die GebKK hätte feststellen müssen, welche Umstände zu welchem Zeitpunkt iSd §§ 33 ff ASVG hätten gemeldet werden müssen, welche Meldungen unterblieben seien und welche Unterlassungen für die Uneinbringlichkeit kausal gewesen seien. Eine Haftung für Beitragszuschläge und Zinsen komme nicht in Betracht.

7 Mit Ersatzbescheid vom 12. September 2014 verpflichtete die GebKK den Mitbeteiligten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zur Zahlung uneinbringlicher Sozialversicherungsbeiträge aus "Vorschreibungen für den Zeitraum Mai 2006" iHv EUR 455.221,88 s.A. Die M GmbH "schulde aus den Beiträgen Mai 2006" den genannten, bei der M GmbH uneinbringlichen Betrag.

8 Sonstige Feststellungen - insbesondere solche über konkrete Pflichtenverstöße des Mitbeteiligten und deren Auswirkungen - traf die GebKK nicht.

9 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Ersatzbescheid vom 12. September 2014 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG an die GebKK zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen. Die GebKK habe im fortgesetzten Verfahren den Mitbeteiligten mit Schreiben vom 10. Juli 2014 aufgefordert, binnen 14 Tagen "Tatsachen vorzubringen, die gegen seine Haftung" sprächen. Die Begründung des Ersatzbescheides erschöpfe sich in drei Sätzen. Die GebKK habe notwendige Schritte zur Ermittlung des Sachverhalts unterlassen. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG seien erfüllt.

10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11 Die GebKK erblickt entgegen diesem Ausspruch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass es für eine Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG ausreiche, den Vertreter (den Mitbeteiligten) "mit dem Vorwurf (der Verletzung von Meldepflichten) zu konfrontieren". Es lägen somit (ausreichende) "Ermittlungsergebnisse" vor, die eine Zurückverweisung unzulässig machen würden.

12 Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen. Die Anwendung von allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen - hier die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG - ist idR eine Frage des Einzelfalls, die nur revisibel ist, wenn das Verwaltungsgericht diese Grundsätze durch ein unvertretbares Vorgehen verletzt hätte.

13 § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG räumt der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte einen prinzipiellen Vorrang ein. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind. Wenn die Verwaltungsbehörde aber jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat, so sind die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung iSd § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG erfüllt (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; 10.9.2014, Ra 2014/08/0005).

14 Die GebKK hat - abgesehen von der Uneinbringlichkeit der Beitragsforderungen an die M GmbH - keine Tatsachenfeststellungen getroffen, insbesondere keine konkreten Meldepflichtverletzungen, die dem Mitbeteiligte hätten vorgeworfen werden und seine Mitwirkungspflicht hätten auslösen können. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die GebKK damit die notwendigen Ermittlungen iSd § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG unterlassen hat, ist nicht unvertretbar.

15 In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. November 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080228.L00

Im RIS seit

06.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

06.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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