TE Vwgh Beschluss 2019/6/25 Ra 2018/19/0636

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Veröffentlicht am 25.06.2019
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Index

19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §11 Abs1
AVG §37
AVG §45 Abs3
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A M, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2018, W238 2169124-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 4. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, als er sechs Jahre alt gewesen sei, seien seine Eltern und Geschwister ermordet worden, weil seine Eltern Mitglieder der kommunistischen Partei gewesen seien. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er ebenfalls um sein Leben.

2 Mit Bescheid vom 9. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Mit Beschluss vom 24. September 2018, E 1491/2018-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobene Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2018, E 1491/2018-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. 5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe zu Unrecht eine Vorverfolgung des Revisionswerbers verneint, obwohl seine Eltern und Geschwister getötet worden seien. Das BVwG habe damit seine Begründungspflicht verletzt bzw. liege Aktenwidrigkeit vor. Eine Vorverfolgung bilde aber einen ernsthaften Hinweis für die Begründetheit der Furcht vor Verfolgung im Rückkehrfall.

9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. etwa VwGH 26.6.2018, Ra 2018/20/0307, mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Mitbeteiligte im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203, mwN).

10 Vor diesem Hintergrund geht das Revisionsvorbringen, insoweit damit Aktenwidrigkeit und ein Begründungsmangel in Bezug auf die behauptete Vorverfolgung geltend gemacht werden, ins Leere.

11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0712 bis 0715, mwN).

12 Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich auch mit den aktuellen Rückkehrbefürchtungen des Revisionswerbers befasst hat, mit dem Fluchtvorbringen zur Gänze auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dem Revisionswerber drohe im Fall einer Rückkehr im Zusammenhang mit der zumindest dreizehn Jahre zurückliegenden Ermordung seiner Familie oder der politischen Einstellung seines Vaters mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung. Die Revision legt nicht dar, dass die Beweiswürdigung fallbezogen in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre.

13 Im Zusammenhang mit der Feststellung, der Revisionswerber sei arbeitsfähig und gesund, bringt die Revision vor, das BVwG hätte auf Grund von Hinweisen auf eine psychische Erkrankung des Revisionswerbers von Amts wegen dessen psychischen Gesundheitszustand durch Einholung eines medizinischen Gutachtens klären müssen.

14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0557, mwN).

15 Derartiges legt die Revision nicht dar. Sie vermag nicht aufzuzeigen, weshalb das BVwG - ohne entsprechenden Beweisantrag unter Bekanntgabe des Beweisthemas - fallbezogen von der Erforderlichkeit der Einholung eines solchen Gutachtens ausgehen hätte sollen.

16 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit auch vor, es bedürfe einer grundsätzlichen Klärung der "Beweislastfrage" in Bezug auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Zu dieser Frage besteht jedoch bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes:

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 23. Jänner 2018, Ra 2018/18/0001, näher mit den Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative befasst und darauf hingewiesen, dass dem Kriterium der "Zumutbarkeit" neben jenem der Gewährleistung von Schutz vor Verhältnissen, die Art. 3 EMRK widersprechen, Raum gelassen wird. Wird durch die Behörde nach entsprechender Prüfung die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Bezug auf ein Gebiet allgemein bejaht, so obliegt es aber dem Asylwerber, besondere Umstände aufzuzeigen, die gegen die Zumutbarkeit sprechen (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/01/0106).

18 Die Revision macht weiter geltend, das BVwG hätte dem Revisionswerber Parteiengehör zur Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif gewähren müssen. Das BVwG hat dem Revisionswerber mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation übermittelt. Dazu hat der Revisionswerber eine Stellungnahme erstattet und darin das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative u.a. in Kabul oder Mazar-e Sharif bestritten. Das BVwG hat dieses Länderinformationsblatt den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses zur allgemeinen Lage in Afghanistan und zu einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative zu Grunde gelegt. Vor diesem Hintergrund legt die Revision nicht dar, dass der Revisionswerber fallbezogen nicht die Möglichkeit gehabt hätte, zum festzustellenden Sachverhalt Stellung zu nehmen. Bei den auf der Grundlage dieser Feststellungen angestellten Erwägungen des BVwG, wonach dem Revisionswerber in Kabul und Mazare Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe, handelt es sich hingegen um eine rechtliche Beurteilung. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verwaltungsgericht aber nicht gehalten, die Partei zu der von ihr vertretenen Rechtsansicht anzuhören, ihr also mitzuteilen, welche Vorgangsweise sie in rechtlicher Hinsicht auf Grund des als maßgeblich festgestellten Sachverhaltes ins Auge fasst (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2016/20/0089, mwN).

19 Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis enthalte keine ausreichenden Feststellungen zu den sozioökonomischen Verhältnissen in den Städten Kabul und Mazar-e Sharif. Die der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in diesen Städten zu Grunde liegende Beweiswürdigung sei unvertretbar. Das BVwG habe in diesem Zusammenhang auch gegen seine Begründungspflicht verstoßen. 20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

21 Das BVwG hat unter Heranziehung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Feststellungen zur Lage in Afghanistan, die auch Ausführungen zur Grundversorgung, der medizinischen Versorgung und der wirtschaftlichen Lage enthalten, getroffen. Zu den persönlichen Umständen des Revisionswerbers hat das BVwG festgestellt, dieser sei jung, arbeitsfähig und gesund, könne lesen und schreiben, verfüge über Schulbildung und Arbeitserfahrung. Vor diesem Hintergrund begegnet die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber finde in Kabul und Mazar-e Sharif eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor, - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses - hier keinen Bedenken (vgl. zu Kabul grundsätzlich VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, und VfGH 12.12.2017, E 2068/2017). 22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juni 2019

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190636.L00

Im RIS seit

06.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

06.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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