TE Vfgh Beschluss 1996/11/26 G153/96

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Veröffentlicht am 26.11.1996
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ASVG §412 Abs6

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen der Regelung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in Sozialversicherungssachen mangels aktueller Betroffenheit des Antragstellers; Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Verfahren über den Einspruch des Antragstellers durch den Landeshauptmann

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit seinem auf Art140 B-VG gestützten Antrag begehrt der Einschreiter die Aufhebung des Wortes "keine" sowie der Wortfolge "der Landeshauptmann hat jedoch dem Einspruch auf Antrag aufschiebende Wirkung dann zuzuerkennen, wenn 1. der Einspruch nach Lage des Falles erfolgversprechend erscheint oder 2. das Verhalten des Einspruchwerbers nicht auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit von Sozialversicherungsbeiträgen gerichtet ist" im §412 Abs6 ASVG idF BGBl. Nr. 335/1993.

Zur Begründung der Antragslegitimation wird im wesentlichen vorgebracht:

"Mit Bescheid vom 13.2.1996 hat die Wiener Gebietskrankenkasse ... den Antragsteller gemäß §67 Abs10 ASVG iVm §83 ASVG verpflichtet, der Wiener Gebietskrankenkasse die ... rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 1.2.1996) im Betrag von ÖS 1.063.969,83 zuzüglich Verzugszinsen seit 2.2.1996 in der sich nach §59 Abs1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das sind derzeit 10,5 % berechnet von ÖS 819.518,22 binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger Zwangsfolge zu bezahlen.

...

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 7.3.1996 einen Einspruch sowie einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung fristgerecht eingebracht.

Auf Grund dieses oben genannten Bescheides hat die Wiener Gebietskrankenkasse beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien ... einen Antrag auf Bewilligung der Fahrnisexekution und ... einen Antrag auf Gehaltsexekution eingebracht. Beide Anträge wurden bewilligt. Gegen diese beiden Exekutionsbewilligungen hat der Antragsteller sowohl einen Rekurs verbunden mit je einem Antrag auf Aufschub der Exekution gemäß §42 EO eingebracht.

Die angefochtenen Bestimmungen des §412 Abs6 ASVG greifen direkt in die Rechtssphäre des Antragstellers ein, da die Bescheide sofort vollstreckbar werden und ihnen erst mittels Antrag durch den jeweiligen Landeshauptmann aufschiebende Wirkung zuerkannt werden kann, wodurch eine sofortige Vollstreckung - siehe oben - möglich ist; dies wurde auch von der Wiener Gebietskrankenkasse ausgenützt, ist eine unmittelbare Betroffenheit gegeben. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, daß zwischen dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und der Entscheidung über diesen Antrag Monate vergehen können, wodurch es möglich ist, daß der angefochtene Bescheid vollstreckt werden kann, und somit daß der Rechtsbehelf des Einspruchs und die darauffolgenden Rechtsmittel bis hin zur VwGH- oder VfGH-Beschwerde ins Leere gehen würden. Das Zurückholen der eingezahlten Forderung ist auch erst nach einem eigenen sehr komplizierten Verfahren möglich, der Zinsverlust ist ebenfalls zu beachten.

Durch die sofortige Vollstreckbarkeit des Bescheides ist der Antragsteller in seiner rechtlichen Position betroffen.

Obzwar der Antragsteller einen Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung sowie einen Einspruch gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse eingebracht hat, so muß doch darauf verwiesen werden, daß ein anderer Weg als die hier vorgebrachte Individualbeschwerde für diesen unzumutbar ist. Auf Grund der sofortigen Vollstreckbarkeit dieses Bescheides, die auch von der Wiener Gebietskrankenkasse ausgenützt wird, ist es dem Antragsteller unmöglich, einen anderen Weg einzuschlagen, um die Bestimmungen des §412 Abs6 ASVG zu bekämpfen. Nämlich bis er in der Lage ist, einen entsprechenden Antrag an den Verfassungsgerichtshof verbunden mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß §85 VfGG einzubringen, können Monate wenn nicht Jahre vergehen, sodaß in der Zwischenzeit schon der angefochtene Bescheid endgültig vollstreckt ist und dem Antragsteller ein unwiederbringlicher Schaden entstanden ist. Schon aus Abwägung der Interessen des Antragstellers kann nur der eindeutige Schluß gezogen werden, daß er zu einem Individualantrag im Sinne des Art140 B-VG berechtigt und legitimiert ist."

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Antrag stellt, der Verfassungsgerichtshof wolle den Antrag zurückweisen, in eventu aussprechen, daß die angefochtenen Teile des §412 Abs6 ASVG nicht verfassungswidrig sind. Für den Fall der Aufhebung wird der Antrag gestellt, der Verfassungsgerichtshof wolle für das Außerkrafttreten eine Frist von achtzehn Monaten bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Antrag bereits aus dem Grund mangelnder Antragslegitimation zurückzuweisen. Sie verweist auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach in den Fällen, in welchen ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig ist, welches den durch das Gesetz oder die Verordnung Betroffenen die Möglichkeit gibt, eine amtswegige Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen, ein Individualantrag nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zulässig sei. Überdies sei mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Juni 1996 dem Antrag des Einschreiters auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben worden, wodurch die vom Antragsteller behauptete einseitige Belastung mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung nicht gegeben sei. Schon aus diesem Grunde sei der Antragsteller nicht mehr "aktuell beeinträchtigt".

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:

3.1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (zB VfSlg. 11726/1988 und 13765/1994).

3.2. Die Bundesregierung hat in ihrer Äußerung - vom Antragsteller unwidersprochen - ausgeführt, daß der Landeshauptmann von Wien dem gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse erhobenen Einspruch mit Bescheid vom 12. Juni 1996 die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat. Es ist daher ausgeschlossen, daß die bekämpften Bestimmungen des §412 Abs6 ASVG, die es dem Landeshauptmann in bestimmten Fällen ermöglichen, in einem Verwaltungsverfahren einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abzuweisen, im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Der Antrag erweist sich daher mangels aktueller Betroffenheit, die nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht bloß im Zeitpunkt der Antragseinbringung, sondern auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofes gegeben sein muß (vgl. VfSlg. 12877/1991 mit weiteren Judikaturnachweisen) als unzulässig.

Der Antrag war daher mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.

3.3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

Schlagworte

Wirkung aufschiebende, VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation, Sozialversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G153.1996

Dokumentnummer

JFT_10038874_96G00153_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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