Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1 impl;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des A M, (geb. am 1. Jänner 1968), vertreten durch Dr. Karl Schirl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Straße 21-23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. Juli 1994, Zl. SD 305/94, betreffend Feststellung gemäß § 54 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 12. Juli 1994 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesh, in diesem Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Der Beschwerdeführer habe in seinem Antrag gemäß § 54 FrG im wesentlichen vorgebracht, daß er in seinem Heimatstaat aufgrund eines Haftbefehles wegen illegalen Waffen- und Sprengstoffbesitzes gesucht würde. Diese Anschuldigung wäre eine typische Methode der politischen Verfolgung oppositioneller Personen in Bangladesh, wo es auch keine unabhängige ordentliche Gerichtsbarkeit gäbe. Im Fall der Rückkehr in seinen Heimatstaat müßte der Beschwerdeführer daher mit einer mindestens zehnjährigen Haftstrafe, wenn nicht sogar mit der Todesstrafe rechnen.
Hiezu sei zunächst festzustellen, daß der Beschwerdeführer keinerlei konkrete Verfolgungsabsichten bzw. Verfolgungshandlungen der staatlichen Behörden gegen seine Person glaubwürdig vorbringen könne. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren einen angeblichen Haftbefehl gegen seine Person in Kopie vorgelegt habe, da die belangte Behörde aus mehreren Gründen Zweifel an der Echtheit dieses Dokuments hege.
Abgesehen davon, daß das vorliegende Dokument in englischer Sprache abgefaßt sei, obwohl die Amtssprache in Bangladesh bengalisch sei, widerspreche die Erklärung des Beschwerdeführers, wie er in den Besitz des Haftbefehls gekommen sein solle, jeglicher Lebenserfahrung. Habe er anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 25. Mai 1994 vor der Erstbehörde zunächst angegeben, sein Vater wäre auf die Polizeistation in seinem Heimatdorf gegangen und hätte um die Ausfolgung einer Ablichtung des Haftbefehles ersucht und dann dem Beschwerdeführer dieses Dokument per Post nach Österreich geschickt, habe der Beschwerdeführer diese Darstellung unmittelbar darauf wieder abgeändert und deponiert, daß der Haftbefehl am Postweg abhanden gekommen wäre und daraufhin ein Freund seines Vaters ein zweites Mal eine Kopie von der Polizeistation geholt hätte. Anschließend wäre der Haftbefehl dem Beschwerdeführer per Boten zugekommen. Diese widersprüchlichen und daher unglaubwürdigen Angaben seien jedenfalls nicht geeignet, die belangte Behörde von der Echtheit des vorgelegten Haftbefehles zu überzeugen. Das Wesen eines gerichtlichen Haftbefehles sei ein an die staatlichen Behörden gerichteter Auftrag, eine bestimmte Person festzunehmen. Es lasse sich aber mit den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht vereinbaren, daß ein derartiges Dokument einem Familienangehörigen des Gesuchten oder sogar einer dritten Person offensichtlich ohne Schwierigkeiten in Kopie ausgefolgt werde. Selbst wenn man aber von der Richtigkeit dieses Haftbefehls ausgehe, könne für den Beschwerdeführer nichts gewonnen werden, weil daraus lediglich hervorgehe, daß er wegen strafrechtlicher Delikte gesucht werde. Anhaltspunkt dafür, daß die bloße Behauptung des Beschwerdeführers, im Fall seiner Verhaftung mit einer unmenschlichen Strafe oder sogar der Todesstrafe rechnen zu müssen, den Tatsachen entspreche, fänden sich "dabei" hingegen nicht.
Zum weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers werde darauf hingewiesen, daß aus "den diversen Länderberichten über Bangladesh" keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, daß die dortigen Justizbehörden in Abhängigkeit von der Regierungspartei agieren würden. Das Recht in Bangladesh sei im wesentlichen auf dem früheren britischen Recht in Indien und auf islamische Überlieferung aufgebaut. Oberste Instanz sei der "Supreme Court" bestehend aus dem "High Court" und einer Berufungsinstanz. 19 Distriktgerichte seien diesem "High Court" unterstellt. Darüber hinaus gehe auch aus einem Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 1993 eindeutig hervor, daß von der Regierung positive Schritte in den letzten beiden Jahren in Richtung eines gesteigerten Schutzes von Menschenrechten unternommen worden seien. Einige tausend von der vorherigen Regierung festgehaltene Gefangene seien amnestiert worden und Anklagen, die unter der vorigen Regierung gegen politische Gegner erhoben worden seien, würden überprüft. Die Regierung habe in einer Reihe von Vorfällen, in denen Menschenrechtsverletzungen begangen worden seien, Ermittlungen eingeleitet.
Die Erstbehörde sei daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß keine stichhaltigen Gründe "für die Annahme objektiviert" hätten werden können, daß der Beschwerdeführer in Bangladesh gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht wäre.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. das Erkenntnis vom 30. April 1998, Zl. 95/18/1012, mwH).
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde, daß der von ihm - in Ergänzung zu seiner Berufung vom 7. März 1994 - mit Schreiben vom 5. April 1994 in Kopie vorgelegte Haftbefehl nicht echt sei.
Weiters habe die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer ebenfalls mit dem zuletzt genannten Schreiben in Kopie vorgelegten Berichte über gegen ihn gerichtete Polizeiuntersuchungen sowie eine Bestätigung über seine Mitgliedschaft und seine Position in einer politischen Partei "übergangen".
Mit diesem Vorbringen hat die Beschwerde - im Ergebnis - Erfolg.
2.2. Die Behörde gründet ihre Beurteilung, daß der Beschwerdeführer "keinerlei konkrete Verfolgungsabsichten bzw. -handlungen der staatlichen Behörden" von Bangladesh "gegen seine Person" glaubwürdig habe vorbringen können, auf ihre Zweifel an der Echtheit des besagten vom Beschwerdeführer in Kopie vorgelegten Haftbefehls. Zum einen sei dieser Haftbefehl in englischer Sprache abgefaßt, obwohl die Amtssprache in Bangladesh bengalisch wäre, zum anderen widerspreche die Darstellung des Beschwerdeführers, wie er in den Besitz dieses Haftbefehls gekommen wäre, den Erfahrungen des täglichen Lebens.
Die belangte Behörde hat aber den Beschwerdeführer zu dem für ihre Zweifel an der Echtheit des Haftbefehls maßgeblichen - und damit die behördliche Beweiswürdigung tragenden - Umstand, daß dieser Haftbefehl durch das Ausfüllen eines Vordruckes in englischer Sprache abgefaßt und nicht in der bengalischen Amtssprache formuliert ist, entgegen § 45 Abs. 3 AVG nicht förmlich gehört. Weiters ist die für ihre Beurteilung, daß auch die Erklärung des Beschwerdeführers, wie er in den Besitz des besagten Haftbefehles gekommen sei, Zweifel an der Echtheit dieses Haftbefehles begründe, tragende Auffassung der belangten Behörde, es lasse sich mit den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht vereinbaren, daß ein Haftbefehl einem Familienangehörigen oder sogar einer dritten Person ausgefolgt werde, nicht nachvollziehbar, kann doch ohne Ermittlung und Feststellung der näheren, im Heimatland des Beschwerdeführers bestehenden Gegebenheiten nicht beurteilt werden, was den nach dortigen Maßstäben zu beurteilenden Erfahrungen des täglichen Lebens entspricht. In Anbetracht der Bedeutung, die einem gegenüber dem Beschwerdeführer bestehenden Haftbefehl für das Vorliegen einer aktuellen Bedrohungssituation der in Rede stehenden Art zukommen kann, kann den besagten Verfahrensmängeln die Relevanz für die Beurteilung des tatsächlichen Bestehens einer solchen Situation für den Beschwerdeführer nicht abgesprochen werden.
Ferner hat es die Behörde unterlassen darzutun, aus welchen Erwägungen sie sich mit den beiden (weiteren) vom Beschwerdeführer mit seinem Schreiben vom 5. April 1994 vorgelegten Unterlagen betreffend gegen ihn gerichtete polizeiliche Ermittlungen (das Dokument "COURT ORDER" sowie das Dokument "FIRST INFORMATION REPORT", in denen u.a. auf die politische Dimension der (strafrechtlichen) Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer hingewiesen wird) nicht auseinandergesetzt hat. Im Hinblick auf den Charakter und den Inhalt der besagten Dokumente kann aber deren Relevanz für die Beurteilung des Bestehens einer Verfolgungssituation der genannten Art für den Beschwerdeführer ebenfalls nicht von vornherein verneint werden.
3. Schließlich ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, daß die belangte Behörde die Beweismittel für ihre Beurteilung, daß die Justizbehörden von Bangladesh unabhängig von der Regierungspartei agieren würden - nämlich im angefochtenen Bescheid nicht näher genannte und auch nicht im Akt erliegende Länderberichte -, nicht offengelegt und dem Beschwerdeführer auch keine Gelegenheit gegeben hat, zum Inhalt dieser Berichte Stellung zu nehmen. Auch dieser Verfahrensmangel ist im Hinblick auf den tragenden Charakter, der diesen Berichten von der belangten Behörde für ihre Beurteilung eingeräumt wird, relevant im Sinn des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG.
4. Mit ihrer Auffassung, daß selbst dann, wenn man von der "Richtigkeit" des in Kopie vorgelegten Haftbefehles ausginge, für den Beschwerdeführer im Lichte des § 54 FrG deshalb nichts gewonnen wäre, weil aus diesem Haftbefehl lediglich hervorgehe, daß er "wegen strafrechtlicher Delikte" gesucht werde und sich darin keine Anhaltspunkte dafür fänden, daß der Beschwerdeführer im Fall seiner Verhaftung mit einer unmenschlichen Strafe oder sogar der Todesstrafe rechnen müsse, verkennt die Behörde, daß nach der hg. Rechtsprechung Strafverfahren wegen absolut politischer Delikte, aber auch solche wegen relativ politischer Delikte - das heißt anderer als politische Delikte, die aus politischen Motiven und zu politischen Zwecken begangen werden - eine Bedrohung der Freiheit des Fremden aus Gründen seiner politischen Ansichten im Grunde des § 37 Abs. 2 FrG darstellen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. April 1995, Zl. 93/18/0146, mwH).
Von daher hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
5. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, weil die Aufhebung aus diesem Grund einer solchen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Wien 1987, S 592 zitierte hg. Rechtsprechung).
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 12. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1995181299.X00Im RIS seit
20.11.2000