TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/14 L516 2209561-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.02.2019
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Entscheidungsdatum

14.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §18 Abs1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L516 2209561-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb XXXX, StA Bangladesch, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2019, 1185224005-180992148 BMI-EAST_WEST, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 iVm § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 21.03.2018 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 05.07.2018, zur Gänze abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei. Jene Entscheidung des BFA wurde dem damals unvertretenen Beschwerdeführer am 09.07.2018 zugestellt und erwuchs mangels Erhebung einer Beschwerde mit Ablauf des 06.08.2018 in Rechtskraft.

2. Am 16.10.2018 stellte der Beschwerdeführer, nachdem er am 13.09.2018 nach illegaler Einreise aus Italien kommend aufgegriffen worden war, den dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung dazu nach dem AsylG fand am 17.10.2018 statt, eine Einvernahme beim BFA am 29.10.2018.

3. Ein erster Bescheid des BFA im Zulassungsverfahren vom 30.10.2018, mit welchem jener Antrag ohne Einvernahme vor dem BFA gemäß § 68 Abs 1 AVG zur Gänze wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden war, wurde in Stattgabe einer dagegen erhobenen Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.11.2018 gem § 21 Abs 3 BFA-VG behoben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

4. Am 12.12.2018 wurde der Beschwerdeführer vom BFA niederschriftlich einvernommen.

5. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 21.01.2019 den Antrag gemäß § 68 Abs 1 AVG hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides) sowie hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides) wegen entschiedener Sache zurück. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV) und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Das BFA sprach zudem aus, dass gemäß § 55 Abs 1a keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI) und erließ gem § 53 Abs 1 iVm Abs 2 ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII). Mit Verfahrensanordnung wurde vom BFA gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 21.03.2018 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 05.07.2018, zur Gänze abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei. Jene Entscheidung des BFA wurde dem damals unvertretenen Beschwerdeführer am 09.07.2018 zugestellt und erwuchs mangels Erhebung einer Beschwerde mit Ablauf des 06.08.2018 in Rechtskraft (Bescheid BFA 05.07.2018).

1.2. Der Beschwerdeführer begründete einen ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 21.03.2018 zusammengefasst damit, er sei mit einem Freund aufgewachsen und plötzlich hätten sie ein Liebesverhältnis gehabt. Ab Dezember 2015 habe er dann mit ihm Sex gehabt. Ein älterer Herr habe das am 13. März 2016 mitbekommen. Der ältere Herr habe sie vom 20.08.2016 bis 27.08.2016 gesehen und in weiterer Folge die Mutter des Beschwerdeführers und das Oberhaupt der Moschee verständigt. Er sei auch von den Leuten bei der Polizei wegen dem Sex angezeigt worden, die Polizei habe die Anzeige jedoch nicht entgegengenommen und auch nichts gemacht, weil der Beschwerdeführer damals erst 16 Jahr alt und noch minderjährig gewesen sei. Er sei von seiner Mutter zu Verwandten geschickt worden. Seine Verwandtschaft habe dann erfahren, dass er bisexuell sei, und ihm gesagt, dass er nicht bleiben könne. Er ging zu einem anderen Verwandten, der das auch erfahren habe und das Moscheeoberhaupt angerufen habe, damit jenes Oberhaupt ihn töten könne. Der Beschwerdeführer sei dann weggelaufen. Die Leute in seiner Heimatregion würden ihn töten. Er sei erst 16 bzw (nach Rückübersetzung der Niederschrift) 14 Jahre alt gewesen, als er Bangladesch verlassen habe. Zur Frage des BFA, ob er "immer noch homosexuell" sei, gab der Beschwerdeführer an, er sei noch jung, er gehe dahin, wie es sich weiterentwickle (Einvernahme 03.07.2018, Niederschrift (NS) S 8).

Der Beschwerdeführer gab im Verfahren zu seinem ersten Antrag an, am XXXX geboren zu sein und nach einer vom BFA veranlassten medizinischen Volljährigkeitsbeurteilung setzte das BFA mittels Verfahrensanordnung vom 30.04.2018 als "Geburtsdatum für das Mindestalter" den XXXX fest und das BFA erklärte den Beschwerdeführer für volljährig.

Das BFA richtete im Zuge von Dublin-Konsultationen ein Informationsersuchen an die griechischen Behörden und erhielt von diesen am 29.05.2018 die Auskunft, dass der Beschwerdeführer in Griechenland am 18.12.2015 mit demselben Namen und dem Geburtsdatum XXXXregistriert worden war.

Das BFA traf im rechtskräftigen Bescheid zum ersten Antrag die Sachverhaltsfeststellungen, dass der Beschwerdeführer persönlich unglaubwürdig sei und es nicht festgestellt werden könne, dass er sein Herkunftsland wegen Homosexualität habe verlassen müssen (Bescheid 05.07.2018, S 12, 13). Im Rahmen der diesbezüglichen Beweiswürdigung führte das BFA aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers nicht schlüssig, wenig konkretisiert und nicht plausibel gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können, Der Beschwerdeführer habe selbst bei nebensächlichen Themen unrichtige Angaben gemacht, weshalb ihm die persönliche Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei, weshalb von einer Glaubhaftmachung des Fluchtvorbringens nicht gesprochen werden könne. Insgesamt sei sein Vorbringen somit nicht glaubhaft gewesen. Selbst bei Wahrunterstellung wäre das Vorbringen nicht asylrelevant, da es in Bangladesch kein Meldewesen gebe, der Beschwerdeführer dezidiert angegeben habe, lediglich von den Leuten in seiner Heimatprovinz bedroht zu werden und dem Beschwerdeführer somit eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehen würde (Bescheid 05.07.2018, S 44, 45). Das BFA führte des Weiteren aus, dass auch kein Sachverhalt im Sinne der Art 2 und 3 EMRK vorliege und eine Rückkehrentscheidung im Falle des Beschwerdeführers keine Verletzung des Art 8 EMRK darstelle. Jene Entscheidung erwuchs am mit Ablauf des 06.08.2018 in Rechtskraft.

1.2. Der Beschwerdeführer führte zur Begründung des verfahrensgegenständlichen Folgeantrages bei der Erstbefragung am 17.10.2018 aus, er habe alle seine Gründe bereits beim ersten Antrag genannt, es sei in Bangladesch ein großes Problem, dass er schwul sei (Erstbefragung 17.10.2018, NS S 4).

Bei der Einvernahme am 29.10.2018 gab er an, er stelle den neuen Antrag, da er homosexuell sei und [das BFA] genau wisse, wie in Bangladesch ein homosexueller Mann behandelt werde. Wenn er nach Bangladesch zurückkehren müsse, werde er getötet. Er habe noch immer dieselben Fluchtgründe wie bei seiner Einreise nach Österreich. Ein Freund habe ihm vor etwa vier oder fünf Tagen gesagt, dass er noch immer in Bangladesch gesucht werde (Einvernahme 29.10.2018, NS S 2 f). Er wolle hier in Österreich mit seiner persönlichen Meinung und Einstellung leben (Einvernahme 29.10.2018, NS S 3).

Bei der Einvernahme am 12.12.2018 befragte das BFA den Beschwerdeführer im Wesentlichen zu den Erlebnissen in Pakistan, die der Beschwerdeführer im Vorverfahren vorgebracht hatte (Einvernahme 12.12.2018, NS S 3). Eine Frage des BFA, ob er "derzeit eine Beziehung" führe, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Zwei weitere Fragen des BFA, wie lange der Beschwerdeführer bereits ohne Partner sei sowie ob er sich als homosexuell oder bisexuell bezeichne, wurden von ihm damit beantwortet, dass er seit Bangladesch keinen Partner mehr gehabt habe und er bis jetzt keinen Sex mit Frauen gehabt habe (Einvernahme 12.12.2018, NS S 4). Der Beschwerdeführer legte dem BFA in jener Einvernahme ein Schreiben der Organisation Queer Base vor (Einvernahme 12.12.2018, NS S 2; AS 65).

1.3. Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid zu den Gründen für den neuen Antrag auf internationalen Schutz zunächst fest, der Beschwerdeführer stütze seine Angaben auf sein als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen im ersten Asylantrag und habe im gegenständlichen Verfahren unglaubwürdig weitere Fluchtgründe vorgebracht. Es habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben, die allgemeine maßgebliche Lage habe sich nicht geändert (Bescheid S 12).

Im Rahmen der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides traf das BFA "[b]etreffend die Feststellungen zu den Gründen für Ihren neuen Antrag auf internationalen Schutz" wörtlich die folgenden Ausführungen (Bescheid S 55 f):

"Sie erklären in der Erstbefragung zur gegenständlichen Folgeantragstellung -Ich habe alle meine Gründe schon beim ersten Asylantrag genannt.- Sie brachten nunmehr im gegenständlichen 2. Asylverfahren bzw. Einvernahme vom 29.10.2018 vor - Nein, ich habe immer noch dieselben Fluchtgründe wie zu meiner Einreise nach Österreich. Mir wurde aber erst kürzlich durch einen Freund vor etwa 4 oder 5 Tagen gesagt, dass ich immer noch in Bangladesch gesucht werde. Ich habe hin und wieder Kontakt mit diesem Freund. Meist haben wir 2 bis 3 Mal telefonisch Kontakt im Monat. Er heißt XXXX ist gleich alt wie ich. Genauer kann ich das nicht sagen, wie alt er ist. Es kann auch sein, dass er ein oder 2 Jahre älter ist als wir. Wir kennen uns seitdem wir kleine Kinder waren.-

Da Sie Ihr Vorbringen im gegenständlichen Asylverfahren auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützen bzw. Ihr gegenwärtiges Vorbringen auf ein solches aufbauen, kann kein neuer Sachverhalt vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubwürdige bzw. mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaut, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig zu werten ist und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirklichkeit nicht existiert.

Ihr Vorverfahren wurde geprüft und für unglaubwürdig befunden. Es wurde nicht nur Ihre persönliche Unglaubwürdigkeit festgestellt (Identität steht nicht fest, festgestellte Volljährigkeit) sondern auch Ihr Fluchtvorbringen nach ausführlicher Prüfung als unglaubwürdig erkannt.

Ihr Vorverfahren erwuchs auch in Rechtskraft

Das nunmehrige Vorbringen bezieht sich eindeutig auf ein bereits abgeschlossenes rechtskräftiges Verfahren. Die Rechtskraft des Erstverfahrens erwuchs mit 7.8.2018. Sie begehren daher faktisch die Auseinandersetzung mit Ihren bereits in Ihrem vorangegangenen - rechtskräftig beendeten - Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründen. Durch den Grundsatz "ne bis in idem" soll jedoch gerade eine solche nochmalige Auseinandersetzung mit einer bereits entschiedenen Sache, abgesehen von den Fällen der §§ 68 Abs. 2-4, 69 und 71 AVG, nicht erfolgen.

Auch Ihr abschließendes Vorbringen in der Einvernahme vom 29.10.2018 - Auch hier in den Flüchtlingslagern traue ich mich nicht meine Sexualität offen zu leben und bekanntzugeben, weil so viele Pakistaner uns Afghanen mit mir im Lager sind. - kann nicht geeignet sein eine Entscheidungsabänderung zu begründen bzw. ein neues asylrelevantes Vorbringen in der Heimat Bangladesch nach Rechtskraft des Vorverfahrens vom 7.8.2018 zu begründen.

Die von Amts wegen berücksichtigte Ländersituation brachte keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervor. Den Länderfeststellungen zu Bangladesch sind Sie nicht substanziell entgegengetreten. Diese stammen aus verschiedenen verlässlichen, aktuellen und unbedenklichen Quellen, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei ist. Im Ergebnis konnten Sie sohin keinen Sachverhalt glaubhaft dartun, auf Grund dessen die erkennende Behörde Zweifel an den vorliegenden Informationen, welche auf verschiedene und objektive Quellen basieren, hegen müsste."

2. Beweiswürdigung

2.1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vom BFA vorgelegten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakten zu den Anträgen des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz und aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zum gegenwärtigen Beschwerdeverfahren, konkret aus den in den Akten befindlichen Niederschriften und dem angefochtenen Bescheid, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die entsprechenden konkreten Quellen bzw Aktenseiten (AS) angeführt sind.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

Stattgabe der Beschwerde gemäß § 28 Abs 2 iVm § 68 Abs 1 AVG und ersatzlose Behebung des bekämpften Bescheides

§ 68 AVG

3.1. Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Allgemein zur entschiedenen Sache gem § 68 Abs 1 AVG

3.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht die Rechtskraft einer Entscheidung einem neuerlichen Antrag entgegen, wenn keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vorliegt und in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten ist (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122). Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Im Übrigen ist bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich verändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (VwGH 24.06.2014, Ro 2014/05/0050). Als Vergleichsentscheidung ist dabei jene heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783). Erst nach Erlassung des Bescheides hervorgekommene Umstände, die eine Unrichtigkeit des Bescheides dartun, stellen keine Änderung des Sachverhaltes dar, sondern bilden lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089). In Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 09.03.2015, Ra 2015/19/0048). Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrages auf Grund geänderten Sachverhalts hat nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Im Rechtsmittelverfahren ist ausschließlich zu prüfen, ob die Behörde erster Instanz zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist. Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122).

Zur Beurteilung im gegenständlichen Verfahren

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat fallbezogen unter Beachtung der zuvor zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).

3.4. Maßstab der Rechtskraftwirkung bildet die Entscheidung, mit der zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783), im vorliegenden Fall somit der Bescheid des BFA, welches mit Ablauf des 06.08.2018 rechtskräftig geworden ist.

3.5. Der Beschwerdeführer begründet seinen nunmehrigen Antrag einerseits damit, dass er, wie er bereits im Vorverfahren angegeben hat, aufgrund homosexueller Handlungen, die er vor seiner Ausreise in Bangladesch vorgenommen hat, noch immer verfolgt werden. Mit diesem Vorbringen stützt er sich auf Ereignisse, die von der Rechtskraft des Vorbescheides umfasst sind. Insoweit ist den Ausführungen des BFA nicht entgegenzutreten.

3.6. Der Beschwerdeführer gab darüber hinaus jedoch bei der Einvernahme am 29.10.2018 neu an, dass er homosexuell sei und er "mit [s]einer persönlichen Meinung und Einstellung hier [in Österreich] leben möchte." (Einvernahme 29.10.2018, NS S 3).

Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu bereits im ersten Rechtsgang in seinem Beschluss vom 22.11.2018 klargestellt, dass nicht gesagt werden kann, dass sich auch dieses Vorbringen ausschließlich auf Sachverhalte bezieht, die schon vor Beendigung des Vorverfahrens verwirklicht worden wären, sondern dieses Vorbringen über die im ersten Asylverfahren gemachten Angaben des Beschwerdeführers wesentlich hinausgeht (BVwG L516 2209561-1/4E, S 8). Inzwischen hat der Beschwerdeführer zusätzlich ein Schreiben der Organisation Queer Base vorgelegt.

Das BFA ist diesem neuen Vorbringen des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten und hat dieses insbesondere nicht als unglaubhaft gewertet. Das BFA hat auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er homosexuell sei, nicht als unglaubhaft erachtet. Das BFA ist bisher lediglich zu dem Ergebnis gekommen, dass das, was dem Beschwerdeführer laut seinen Angaben in Pakistan an konkreten Erlebnissen und Verfolgungshandlungen widerfahren sein soll, nicht den Tatsachen entspricht.

3.7. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung nur dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155; Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 68, Rz 26 mit Judikaturnachweisen; vlg iZm auch VwGH 05.05.2015, Ra 2014/22/0115:

"Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste"; oder etwa in Bezug auf die Änderung der allgemeinen Lage VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221).

3.8. Unter der Zugrundelegung dieser Judikatur kann aus den soeben unter Punkt II.3.5. dargelegten Gründen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein inhaltlich anders lautender Bescheid zumindest möglich ist.

3.9. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag hätte demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

3.10. Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid war ersatzlos zu beheben.

Für das vom BFA in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der Behörde - unter Beachtung der höchstgerichtlichen Judikatur neuerlich, nämlich meritorisch - in der Sache - abzusprechen ist (vgl VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314). Das BFA wird im fortzusetzenden Verfahren das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete Parteivorbringen - im gegenständlichen Fall somit die Beschwerdeausführungen - sowie allfällig zwischenzeitig vorgelegte Beweismittel zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass getätigte Angaben ergänzt bzw vervollständigt werden.

Eine zurückweisende Entscheidung wegen entschiedener Sache kommt im vorliegenden Fall nicht mehr in Betracht.

3.11. Damit liegen auch die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gem § 10 Abs 3 AsylG und § 52 Abs 3 FPG nicht vor, weshalb Spruchpunkt III bis VII mangels einer gesetzlichen Grundlage keinen Bestand mehr haben können und diese ebenso ersatzlos zu beheben sind.

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.12. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Zu B)

Revision

3.13. Die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage ist durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt, weshalb die Revision nicht zulässig ist.

3.14. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, entschiedene Sache,
ersatzlose Behebung, Folgeantrag, geänderte Verhältnisse,
Homosexualität, Identität der Sache, Kassation, Rechtskraft der
Entscheidung, Rechtskraftwirkung, res iudicata, sexuelle
Orientierung, Vorbringen, wesentliche Änderung, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2209561.2.00

Zuletzt aktualisiert am

05.09.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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