Entscheidungsdatum
20.05.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W246 2138514-1/35E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX (auch XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX alias XXXX ), StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2016, Zl. 1089612007-151474607, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des
angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 20.05.2020 erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 01.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 02.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.
3. Am 27.05.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.
Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er eines Tages die Schafe seiner Familie gehütet habe, wobei er ca. eine Stunde zu Fuß von seinem Heimatdorf entfernt gewesen sei. Als er in sein Heimatdorf zurückgekehrt sei, habe er das Haus seiner Familie abgebrannt und niemanden seiner Familie vorgefunden. Zudem habe er Teile von Leichen gesehen. In der Folge habe er sein Heimatdorf verlassen und eine ihm damals unbekannte Familie getroffen, mit der er zunächst nach Robot in die Nähe der iranischen Grenze und in weiterer Folge in den Iran gegangen sei. Im Iran sei er für zwei Jahre aufhältig gewesen und habe dort als Steinmetz gearbeitet.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. erteilt, ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
5. Mit Verfahrensanordnung vom 20.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
6. Mit Schreiben vom 25.10.2016 erhob der Beschwerdeführer gegen den oben angeführten Bescheid vom 20.10.2016 fristgerecht - eine äußerst kurz gehaltene und wenig ins Detail gehende - Beschwerde, der er einen aktuellen Länderbericht der Schweizer Flüchtlingshilfe zur Sicherheitslage in Afghanistan anschloss.
7. Am 21.11.2016 langte beim Bundesverwaltungsgericht sowie beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Schreiben des Beschwerdeführers ein, in dem er folgende Anträge stellte:
"1. Antrag auf Feststellung, dass der dem Beschwerdeführer nach § 52 BFA-VG zur Seite gestellte Rechtsberater eine Pflichtverletzung iSd § 48 Abs. 9 BFA-VG begangen hat
2. Antrag auf Umbestellung des nach § 52 BFA-VG zur Seite gestellten Rechtsberaters
3. Antrag auf Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht auf Umbestellung des nach § 52 BFA-VG zur Seite gestellten Rechtsberaters
4. eventualiter: Beschwerdeergänzung"
7.1. Zu seinem ersten Antrag (Pkt. 1.) führte der Beschwerdeführer aus, dass bei der Einbringung des als "Beschwerde" bezeichneten Schriftsatzes kein "Sprachmittler" anwesend gewesen sei, wobei jene Person, die den Schriftsatz verfasst und dann an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelt habe, dem Beschwerdeführer den Inhalt des Schriftsatzes weder übersetzt noch erklärt habe. Der Schriftsatz sei dem angefochtenen Bescheid nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten, sondern erschöpfe sich in allgemein gehaltenen Behauptungen. Da der Schriftsatz nur solche Begründungselemente bekämpfe, die für die Entscheidung unerheblich seien (Sicherheitslage in Bezug auf die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers), die erheblichen (Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative) aber unbekämpft lasse, dränge sich der Schluss auf, dass der zur Seite gestellte Rechtsberater keine Ahnung von Rechtsberatung habe.
Der Rechtsberater habe durch das beschriebene Verhalten seine Pflichten insbesondere deshalb verletzt, weil er seine Beratungstätigkeit entgegen der in § 48 Abs. 2 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, getroffenen Anordnung weder objektiv noch nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt habe. Da eine Umbestellung nur dann ergehen werde können, wenn feststehe, dass der zur Seite gestellte Rechtsberater im konkreten Verfahren keinen Komplementärmechanismus gewährleisten könne, werde auf Grund seines Interesses an einem wirksamen Rechtsbehelf und einem wirksamen Zugang zum Gericht hiermit die Feststellung der Pflichtverletzung beantragt.
7.2. Zu seinem zweiten Antrag (Pkt. 2.) hielt der Beschwerdeführer fest, dass er in seinem Recht auf einen Rechtsberater verletzt sei, weil dieser ihm sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf iSd Art. 47 GRC zu ermöglichen habe. Da auf Grund des bisher gesetzten Verhaltens des ihm zur Seite gestellten Rechtsberaters nicht davon auszugehen sei, dass er den Beschwerdeführer in einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinreichend vertreten würde, sei vor dem Hintergrund seiner ihm sowohl nach Art. 47 leg.cit. als auch nach Art. 41 leg.cit. garantierten Rechte iVm mit jenen ihm nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2013/32/EU garantierten Rechten eine Umbestellung geboten.
Da dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach § 52 Abs. 1 letzter Satz BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, die Bestellung des Rechtsberaters obliege, obliege ihm auch die Umbestellung. So ab Vorlage der Beschwerde die Zuständigkeit vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen sein sollte, böte § 17 letzte Variante VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 82/2015, iVm der genannten Bestimmung eine Rechtsgrundlage zur Umbestellung.
7.3. Der dritte Antrag (Pkt. 3.) werde gestellt, weil ausschließlich ein seinen Obliegenheiten in vollem Umfang nachkommender Rechtsberater einen ausreichenden Komplementärmechanismus darstelle (s. VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0032, und VfGH 09.03.2016, G 447/2015 u.a.), der einen wirksamen Zugang zum Gericht iSd Art. 47 Abs. 3 GRC gewährleiste und die innerstaatliche Rechtsordnung keinen Antrag auf Umbestellung zu kennen scheine. Deshalb werde die Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht in der Weise beantragt, dass dem Antragsteller anstelle des sorglosen ein sorgfältiger und pflichtbewusster Rechtsberater zur Seite gestellt werden möge, der die unzureichende Beschwerde ergänze und dem Beschwerdeführer in seinem Beschwerdeverfahren in einer Weise zur Seite stehe, wie es die Rechtsordnung vorsehe. Da die Richtlinie 2013/32/EU Asylwerbern nicht eine unzureichende, sondern eine ihnen ihr Recht auf einen wirksamen Zugang zu den Gerichten gewährleistende Rechtsberatung garantiere, sei die Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht in dem Sinn erforderlich und dringlich, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Beschwerdeführers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache (also seines nunmehr zu behandelnden Antrages auf internationalen Schutz) erlassen werde, um ihre Wirkungen zu entfalten (VwGH 20.03.2006, AW 2005/17/0016) und die volle Effektivität des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs sicherzustellen (VwGH 14.04.2016, Ra 2015/21/0190). Der Verwaltungsgerichtshof gehe in seiner Judikatur davon aus, dass sowohl nationale Gerichte als auch Verwaltungsbehörden in der Lage sein müssen, die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen; die Regelung des einzuhaltenden Verfahrens sei den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie überlassen, wobei das Äquivalenz- und das Effektivitätsprinzip zu beachten und die sachnächsten Regelungen heranzuziehen seien (VwGH 23.10.2015, Fr 2015/21/0012). Ob in gegenständlicher Sache eine sinngemäße Anwendung der Regelung über die aufschiebende Wirkung sinnvoll sei, sei dahingestellt, weil im Gegensatz zu der in der zitierten Entscheidung behandelten "Verhaltensbeschwerde" nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG der Beschwerde in der Hauptsache des gegenständlichen Verfahrens aufschiebende Wirkung zukomme und die §§ 13 Abs. 4 und 22 Abs. 2f VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 82/2015, auf die gegenständliche Konstellation nicht zugeschnitten scheinen. Nichtsdestotrotz hätten wie oben erwähnt nationale Gerichte und Verwaltungsbehörden die volle Wirksamkeit (auf welche Weise auch immer) sicherzustellen. Da der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 15.10.2016, A15/2015, Rz 35, auf die "Sachnähe der für die Vollziehung [...] im Anwendungsbereich [der unionsrechtlichen Bestimmungen] zuständigen Behörde" abstelle, werde der gegenständliche Antrag zwar in erster Linie beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, aus Vorsicht aber auch beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundeskanzler eingebracht (§ 48 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016).
7.4. Zum Beweis der mangelhaften Tätigkeit von Rechtsberatern des Vereins Menschenrechte Österreich legt der Beschwerdeführer eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in einem anderen Verfahren samt der dazugehörigen Beschwerde vor, in der der erstinstanzliche Bescheid auf Grund der mangelhaft ausgeführten Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestätigt wurde (BVwG 13.10.2016, W220 2134149-1).
7.5. Schließlich ergänzte der Beschwerdeführer "in eventu" die Ausführungen der im Wege des Rechtsberaters erhobenen Beschwerde.
8. Mit Bescheid vom 05.01.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung, dass der ihm zur Seite gestellte Rechtsberater eine Pflichtverletzung iSd § 48 Abs. 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, begangen habe, gemäß § 6 AVG iVm § 48 Abs. 9 und § 52 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, wegen Unzuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zurück (Spruchpunkt I.). Weiters wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Umbestellung des nach § 52 leg.cit. zur Seite gestellten Rechtsberaters gemäß § 6 AVG iVm § 52 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, und § 20 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 82/2015, wegen Unzuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zurück (Spruchpunkt II.). Schließlich wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch den Antrag auf Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht gemäß § 6 AVG iVm § 52 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, und §§ 20 sowie 22 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 82/2015, wegen Unzuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zurück (Spruchpunkt III.).
Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20.06.2018 zur Zl. W246 2138514-2 als unbegründet ab.
Der Verwaltungsgerichtshof wies - nach zuvor erfolgter Bewilligung der Verfahrenshilfe - die vom Beschwerdeführer gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erhobene Revision mit Erkenntnis vom 14.02.2019, Zl. Ra 2018/18/0409-6, als unbegründet ab.
9. Mit Schreiben vom 20.02.2017 ergänzte der Beschwerdeführer seine in seinem Schreiben vom 21.11.2016 getätigten Ausführungen zu seinem zweiten Antrag ("Ergänzung zum Antrag auf Umbestellung des dem Beschwerdeführer nach § 52 BFA-VG zur Seite gestellten Rechtsberaters VMÖ").
10. Mit Schreiben vom 04.06.2018 forderte das Bundesverwaltungsgericht den Verein Menschenrechte Österreich vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer getroffenen Behauptungen zur mangelhaften Ausübung der Tätigkeit als Rechtsberater dazu auf, Details zu den im Verfahren erfolgten Unterstützungs- und Beratungstätigkeiten als Rechtsberater iSd § 52 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 32/2018, bekannt zu geben.
11. Der Verein Menschenrechte Österreich kam dieser Aufforderung mit Schreiben vom 19.06.2018 nach und legte dar, welche Unterstützungs- und Beratungstätigkeiten im vorliegenden Fall aus seiner Sicht erfolgt seien.
12. Nach Übermittlung des unter Pkt. I.11. angeführten Schreibens des Vereins Menschenrechte Österreich nahm der Beschwerdeführer dazu mit Schreiben vom 12.07.2018 und 20.07.2018 Stellung.
Weiters ergänzte der Beschwerdeführer hierbei seine bisherigen Beschwerdeausführungen und legte zudem einen Arztbrief eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 02.07.2018 (wonach der Beschwerdeführer an einer Depression, einem Angstsyndrom, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Konzentrationsstörung leiden würde) samt Überweisung in ein EEG-Labor, eine Medikamentenverschreibung sowie mehrere Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor.
13. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Verein Menschenrechte Österreich die Schreiben des Beschwerdeführers vom 12.07.2018 und 20.07.2018 zur Stellungnahme, woraufhin der Verein Menschenrechte Österreich mit Schreiben vom 21.09.2018 weitere Ausführungen zu den von ihm im vorliegenden Verfahren getätigten Unterstützungs- und Beratungstätigkeiten darlegte.
14. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.12.2018 u.a. in Anwesenheit seiner - nur für die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bevollmächtigten - Rechtsvertreterin (Caritas) eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der er ausführlich zu den im vorliegenden Fall erfolgten Unterstützungs- und Beratungstätigkeiten des ihm zur Seite gestellten Rechtsberaters (Verein Menschenrechte Österreich), zu seinen Fluchtgründen, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie im Iran und zu seiner Integration in Österreich befragt wurde. An der Verhandlung nahm kein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl teil; dieses führte in der Beschwerdevorlage aus, dass es auf die Teilnahme an einer Verhandlung verzichten würde.
Dabei führte der Beschwerdeführer über seine bereits im erstinstanzlichen Verfahren getätigten Angaben hinausgehend an, dass es in der Gegend, in der sein Heimatdorf gelegen sei, immer wieder zu Kämpfen zwischen den Taliban und staatlichen Sicherheitskräften gekommen sei. Weiters habe es dort immer wieder Probleme mit den Kuchi-Nomaden gegeben, die ihr Vieh auf den landwirtschaftlichen Grundstücken der Dorfbewohner freigelassen hätten. Der Vater des Beschwerdeführers habe auf seinen landwirtschaftlichen Grundstücken u. a. auch Opium angebaut, weshalb er sowohl mit dem Staat als auch mit den Taliban Probleme gehabt habe und immer wieder von diesen gewarnt worden sei.
Der Beschwerdeführer brachte in der Verhandlung neben mehreren Unterlagen seine Integration in Österreich betreffend insbesondere folgende Unterlagen in Vorlage:
* Kurzbrief einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 13.11.2018 (samt Medikamentenverordnung und Packungen der dem Beschwerdeführer verschriebenen Medikamente), wonach er u.a. an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden würde
* Arztbrief der Abteilung für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie des Landesklinikums Wiener Neustadt vom 29.11.2018 samt Blutbild, wonach der Beschwerdeführer an Bauchschmerzen leiden würde (Abklärung einer Gastritis)
* Ärztlicher Befundbericht einer Fachärztin für Urologie und Andrologie vom 08.02.2016, wonach der Beschwerdeführer u.a. unter Leistenschmerzen links leiden würde
15. Mit Schreiben vom 11.01.2019 und 30.01.2019 nahm der Beschwerdeführer zu den in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung und traf weitere Ausführungen betreffend sein Verfahren.
16. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer sowie dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben vom jeweils 18.04.2019 u.a. aktuelles Länderberichtsmaterial.
17. Der Beschwerdeführer nahm mit Schreiben vom 07.05.2019 hierzu Stellung und legte dabei u.a. eine Bestätigung einer Psychotherapeutin vom 15.04.2019 hinsichtlich der beim Beschwerdeführer durchgeführten Behandlung vor. Dieses Schreiben wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 08.05.2019 übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der vom Beschwerdeführer sowie vom Verein Menschenrechte Österreich eingebrachten Schreiben, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, in den Verwaltungs- und Gerichtsakt des beim Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W246 2138514-2 protokollierten Verfahrens, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie im Iran, zu seinen Ausreisen aus Afghanistan sowie dem Iran und zu seinem gesundheitlichen Zustand:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.
Er führt den Namen XXXX und ist am XXXX in einem Dorf in der Provinz Helmand in Afghanistan geboren, wo er auch aufgewachsen ist. In Afghanistan besuchte der Beschwerdeführer fünf Jahre lang eine Koranschule, in der er Religionsunterricht erhielt, und arbeitete von seiner Kindheit an als Hirte, wobei er v.a. die Schafe seiner Familie hütete. Der Vater des Beschwerdeführers hatte landwirtschaftliche Grundstücke, auf denen er u.a. auch Opium anbaute; aus diesem Grund hatte der Vater des Beschwerdeführers öfters Probleme mit dem Staat und den Taliban. Weiters gab es in der Gegend, in der das Dorf des Beschwerdeführers liegt, auch immer wieder Probleme mit Kuchi-Nomaden, die ihr Vieh auf den landwirtschaftlichen Grundstücken der Dorfbewohner freiließen.
1.1.2. Als der Beschwerdeführer eines Tages vom Hüten der Schafe in sein Dorf zurückkam, standen mehrere Häuser des Dorfes - wie auch das Haus seiner Familie - in Flammen. Der Beschwerdeführer nahm Spuren von Kampfhandlungen und Leichenteile wahr, wobei sich keine lebenden Personen mehr im Dorf befanden. Der Beschwerdeführer konnte die von ihm wahrgenommenen Leichenteile nicht seinen Familienangehörigen zuordnen. Es kann nicht festgestellt werden, wer diesen Angriff auf das Dorf des Beschwerdeführers ausgeübt hat. Er verließ daraufhin das Dorf und traf nach kurzer Zeit auf eine - ihm damals unbekannte - Familie, die den Beschwerdeführer mitnahm, mit der ca. ein Jahr in einem Ort in der Nähe der iranischen Grenze verbrachte und mit der er in weiterer Folge in der Hoffnung auf bessere Lebensumstände aus Afghanistan ausreiste und in den Iran ging.
Im Iran trennte sich der Beschwerdeführer nach kurzer Zeit von dieser Familie und war in der Folge für ca. zwei Jahre in einer Fabrik tätig. Dabei musste er v.a. Steine von LKWs abladen sowie zu Maschinen tragen, bei denen sie dann zurechtgeschnitten wurden.
Schließlich reiste der Beschwerdeführer, der im Iran illegal aufhältig war, aufgrund der schlechten Lebensumstände aus dem Iran aus und gelangte nach Österreich, wo er am 01.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Beschwerdeführer war in Afghanistan noch nie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul aufhältig.
1.1.3. Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, seinen fünf Schwestern sowie seinen vier Brüdern. Der Aufenthaltsort dieser Familienangehörigen ist dem Beschwerdeführer seit dem oben unter Pkt. II.1.1.2. festgestellten Vorfall nicht bekannt.
1.1.4. Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, einem Angstsyndrom und einer Konzentrationsstörung, weshalb er sich in einer Gesprächstherapie sowie in medikamentöser Behandlung befindet. Weiters bekam der Beschwerdeführer seit seinem Aufenthalt in Österreich zwei Mal so heftige "Anfälle" ("Unwohlsein, Schwäche, Schwindel" uÄ.), dass er mit der Rettung in das Krankenhaus eingeliefert werden musste. Schließlich leidet der Beschwerdeführer u.a. an Flanken- und Leistenschmerzen auf seiner linken Seite, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf seine körperliche Arbeit im Iran zurückzuführen sind.
1.1.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es ist weder konkret der Beschwerdeführer auf Grund seiner Eigenschaft als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, noch ist jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein auf Grund dieses Merkmals zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
Weiters ist weder der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er sich für zwei Jahre im Iran sowie zuletzt in Europa aufgehalten und hier eine "westliche Wertehaltung" kennengelernt hat, noch ist jeder afghanische Staatsangehörige, der aus dem Iran oder aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan allein aus diesem Grund zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 26.03.2019 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017)
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016 ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018)
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt, vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkten Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018)
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/Innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Zivilist/innen
Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte); damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: Im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Von 1.1.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registrierte die UNAMA
2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).
Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben; dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018)
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018)
Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte) und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u.a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert, ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände ("explosive remnants of war") 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte), ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen die Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: Das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban ("governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO-Mission-Resolute-Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt werden, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht; es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld, insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig, Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren; dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch, die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).
Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten, die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt, inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich, eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos, greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018), sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).
Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).
Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).
Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).
Haqqani-Netzwerk
Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).
Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt, finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden, inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).
Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban hat das Netzwerk mit mehreren anderen aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).
Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren; zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).
Al-Qaida
Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen, sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.2017 - 20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).
Sicherheitsbehörden
In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: Das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).
Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u.a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).
Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).