TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/21 W248 2184667-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.05.2019
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Entscheidungsdatum

21.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W248 2184667-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 06.05.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. NEUBAUER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX StA. Afghanistan, vertreten durch die XXXX gem. GmbH und die XXXX GmbH als Mitglieder der XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.01.2018, Zl. XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.05.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigten bis zum 06.05.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1 Verfahrensgang:

1. XXXX XXXX (im Folgenden Beschwerdeführer) ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 15.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, den Namen XXXX

XXXX zu führen, am XXXX geboren zu sein und Staatsangehöriger von Afghanistan zu sein.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.11.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, er habe im Iran nicht die Möglichkeit gehabt, weiter eine Schule zu besuchen, bzw. eine Ausbildung zu machen. Er habe immer minderwertige Arbeiten verrichten müssen. Seine Mutter sei sehr krank und sein Vater habe ihm gesagt, wenn er die Möglichkeit habe, solle er den Iran verlassen. Der Vater habe darauf verwiesen, dass es für den Beschwerdeführer in Europa bessere Möglichkeiten gäbe, eine Schul- bzw. Berufsausbildung zu machen.

Am 20.11.2015 gab der Beschwerdeführer bei der EAST Ost von sich aus an, am XXXX (= XXXX ) geboren zu sein. Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers wurde daraufhin von XXXX auf XXXX geändert.

3. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) am 04.01.2018 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen ergänzend aus, er sei in Qhom, Iran geboren und auch aufgewachsen und habe dort immer bis zur Ausreise gelebt. Insgesamt habe er 5 Jahre die Schule besucht. Bis zu seiner Ausreise habe er eine Aufenthaltskarte gehabt, sie sei noch gültig gewesen. Er habe sie immer wieder verlängern müssen. Zwei Jahre lang habe er in einer Ölfabrik in Qhom, Iran gearbeitet. Er sei Hazara und schiitischer Muslim, nicht verheiratet und habe keine Kinder. In Afghanistan habe er niemanden, alle seine Verwandten würden im Iran leben. Seine Eltern und seine drei Geschwister würden nach wie vor in Qhom leben. Der Vater würde als Hilsarbeiter am Bau arbeiten und so die Familie ernähren. Außerdem habe er einen Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits im Iran, die beide als Hilfsarbeiter arbeiten würden. Die Eltern des Beschwerdeführers würden aus der Provinz Bamyan stammen, und er wisse nicht, wann genau sie Afghanistan verlassen hätten. Er vermute allerdings aufgrund des Alters seiner bereits im Iran geborenen Geschwister, dass dies etwa 30 Jahre her sei. Die Familie habe Afghanistan wegen des Krieges verlassen und habe in Afghanistan keinerlei Besitztümer mehr. Nachdem die Grenzen offen waren, habe der Beschwerdeführer Mitte 2015 beschlossen, den Iran zu verlassen, wobei ihn sein Vater unterstützt habe, da dieser sich für den Beschwerdeführer eine bessere Zukunft wünschte (nicht dass er auch als Hilfsarbeiter arbeiten müsse). Ungefähr einen Monat später sei er tatsächlich ausgereist. Sein Vater habe die Reise finanziert.

Im Fall einer Rückkehr wisse er nicht, was ihn erwarten würde. Er habe allerdings in Afghanistan niemanden, das seien seine Befürchtungen.

4. Der Beschwerdeführer gab an, in regelmäßigem Kontakt mit seiner Familie zu stehen und ca. ein Mal pro Woche über das Internet mit ihnen zu kommunizieren. Seine Mutter und sein Bruder seien krank.

5. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl ab (Spruchpunkt 1.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt 2.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt 3.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt 4.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt 5.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des BFA ist im Wesentlichen zu entnehmen, das Vorbringen des Beschwerdeführers biete keinen Hinweis darauf, dass eine wohlbegründete Furcht aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründe bestehen würde.

Die Gründe für die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz würden sich auf Vorfälle im Iran stützen. Eine Bedrohung oder Verfolgung aufgrund der Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers könne nicht festgestellt werden. Auch aus dem Amtswissen könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Aufenthaltes im Iran und Europa einer Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre. Ebenso wenig könne festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliege. Auch aus den sonstigen Umständen könne keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, festgestellt werden.

6. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan zu befürchten hätte oder dass er im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan im Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann. Er verfüge über berufstätige Angehörige im Iran, sodass er für die erste Zeit nach seiner Rückkehr nach Afghanistan zumindest finanzielle Unterstützung von seiner Familie erhalten könne. Weiters könne festgestellt werden, dass er noch in Kontakt mit seiner Familie stehe.

Da der Beschwerdeführer über eine 5-jährige Schulausbildung und über Berufserfahrungen als Arbeiter in einer Ölfabrik verfüge, könne er für seinen Unterhalt sorgen und laufe im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notsituation zu geraten. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz der Eltern des Beschwerdeführers (Bamyan) sei ausreichend sicher, die Provinz verfüge über ein starkes Sicherheitswesen und sei als eine der sichersten und liberalste Regionen von Afghanistan bekannt. Bamyan sei von Kabul aus erreichbar. Der Beschwerdeführer könne sich aber auch bereits in Kabul niederlassen. Kabul verfüge über einen Flughafen, welchen der Beschwerdeführer sicher erreichen könne. Außerdem behalte die afghanische Regierung weiterhin die Kontrolle gegenüber regierungsfeindlichen Gruppierungen. Auch Kabul gelte als relativ sichere Provinz von Afghanistan.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr insbesondere in die Stadt Kabul ausschließen würden, könnten nicht festgestellt werden. Somit stehe fest, dass ein Erreichen des Herkunftslandes für den Beschwerdeführer zumutbar und möglich sei.

7. Am 08.01.2018 wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die XXXX als Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.

8. Mit Schreiben vom 19.01.2018 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die XXXX gem. GmbH und die XXXX GmbH als Mitglieder der XXXX fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheides des BFA und legte eine Vollmacht für die genannten Organisationen vor.

In der Beschwerde bringt der Beschwerdeführer abermals vor, er sei im Iran geboren und aufgewachsen und habe sein gesamtes Leben bis zur Ausreise dort verbracht. Er habe in Österreich bereits den Deutschkurs A2 erfolgreich absolviert und sich bemüht, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Er habe in Neunkirchen und Burgkirchen Fußball gespielt, dabei viele österreichische Freunde gefunden und sich hervorragend integriert.

Gerade die Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Iran geboren worden sei und sein gesamtes Leben im Iran verbracht habe und dies auch für Afghanen anhand seines Akzentes leicht erkennbar wäre, werde im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan zu einer Verfolgung bzw. schweren Diskriminierung führen, welche ihm jedenfalls eine Rückkehr nach Afghanistan unzumutbar mache.

Wenn das BFA im angefochtenen Bescheid die Ansicht vertrete, dass Kabul für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammen arbeiten, eine sichere Stadt sei, sei darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer gewiss nicht als afghanischer Normalbürger angesehen werden könne, weil er sein gesamtes Leben im Ausland verbracht habe. Da er im Iran geboren und aufgewachsen sei und nach Europa geflohen sei, sei er in Afghanistan eher als Ausländer denn als Normalbürger zu betrachten.

Auch die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers (Hazara) würde diesen weitreichender Diskriminierung und Verfolgung in Afghanistan aussetzen. Entgegen der im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommenden Ansicht des BFA habe sich die Lage von schiitischen Hazara nicht verbessert, sondern würden diese gezielt verfolgt und diskriminiert.

Der Beschwerdeführer erfülle mehrere Risikoprofile des UNHCR (Männer im wehrfähigen Alter; Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden; Angehörige religiöser Minderheiten; Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben; Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben; Angehöriger gewisser ethnischer Gruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten). Es liege daher eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers vor, insbesondere aufgrund seiner Zugehörigkeit zur religiösen und ethnischen Gruppe der schiitischen Hazara sowie aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich zur Gruppe der Afghanen, die den Großteil ihres Lebens im Iran verbracht haben und welchen dadurch eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werde.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative liege nicht vor, da der Beschwerdeführer überall in Afghanistan Verfolgung zu befürchten habe. Der afghanische Staat sei nicht willens bzw. nicht in der Lage, dem Beschwerdeführer ausreichend Schutz vor Verfolgungshandlungen zu garantieren. Bei richtiger Beurteilung hätte daher die Erstbehörde nach der in der Beschwerde zum Ausdruck kommenden Ansicht dem Asylantrag stattgeben und feststellen können, dass der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK ist. Endigungs- oder Ausschlussgründe gemäß Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK würden nicht vorliegen.

Die Beschwerde führt weiter aus, dass dem Beschwerdeführer zumindest - schon alleine angesichts der prekären Sicherheitslage in Afghanistan - der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu zuerkennen gewesen wäre. Der Beschwerdeführer wäre nämlich als schiitischer Hazara Verfolgung und Diskriminierungen ausgesetzt. Zudem habe der Beschwerdeführer noch nie in Afghanistan gelebt und sei mit den dortigen Gebräuchen nicht vertraut. Er verfüge auch über kein soziales Netzwerk in Afghanistan und über keinerlei finanzielle Mittel, sodass er sich keine Existenz in Afghanistan aufbauen könne und binnen kurzer Zeit in eine hoffnungslose Notlage geraten würde. Eine Unterstützung durch die Familie oder durch Verwandte des Beschwerdeführers sei nicht möglich, und es gebe in Afghanistan auch keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte, die den Beschwerdeführer schützen bzw. unterstützen könnten.

9. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 31.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein, wo die Rechtssache der Gerichtabteilung W259 zugewiesen wurde.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.12.2018 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W259 abgenommen und der Gerichtsabteilung W248 neu zugewiesen.

10. Am 06.05.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprachen Dari/Farsi statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde und die Möglichkeit hatte, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer weitere (Integrations-)Unterlagen vor. Zudem zeigte er in der mündlichen Verhandlung eine auf seiner Hand angebrachte Tätowierung vor, welche ein christliches Kreuz zeigt und die sich offensichtlich schon längere Zeit dort befindet. Diesbezüglich erklärte der Beschwerdeführer, dass er wegen seiner Tätowierung schon Probleme bekommen habe und vermute, dass er wegen dieser Tätowierung auch in Afghanistan Probleme bekommen würde, da die Menschen dort annehmen würden, dass er konvertiert sei und kein Moslem mehr sei.

11. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündete der Richter das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Das Verhandlungsprotokoll wurde dem BFA am 07.05.2019 samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt.

12. Am 13.05.2019 beantragte das BFA fristgerecht die Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

2 Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1 Feststellungen:

2.1.1 Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 15.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 06.01.2018, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl ab. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Mit Schreiben vom 21.09.2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides, woraufhin am 06.05.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi stattfand, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Nach Schluss der Verhandlung verkündete der Richter das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Das Verhandlungsprotokoll wurde dem Beschwerdeführer in Kopie ausgefolgt und dem BFA am 07.05.2019 samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt. Am 13.05.2019 beantragte das BFA fristgerecht die Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

2.1.2 Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX im Iran geboren, wirkt aber aufgrund seiner Körpergröße und seines gesamten Erscheinungsbildes erheblich jünger. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Muslim und seine Muttersprache ist Farsi. Seine Aussprache ist typisch für jemanden, der sein Leben im Iran verbracht hat.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes ist erkennbar, dass er einer ethnischen und damit verbunden einer religiösen Minderheit in Afghanistan angehört. Der Beschwerdeführer kleidet sich westlich. Der Beschwerdeführer befindet sich seit November 2015 in Österreich.

Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Qhom, Iran, wo er fünf Jahre lang die Schule besucht hat. Anschließend hat er als Hilfsarbeiter in einer Ölfabrik gearbeitet. Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er war noch nie in Afghanistan, ist mit den örtlichen und sozialen Gegebenheiten in Afghanistan nicht vertraut und hat - abgesehen von seiner Staatsbürgerschaft - keinerlei Berührungspunkte mit seinem Herkunftsstaat.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern und drei Geschwistern, welche nach wie vor im Iran leben. Die Eltern des Beschwerdeführers haben ihre Heimatprovinz Bamyan vor etwa dreißig Jahren wegen des Krieges und wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Im Iran bestreitet die Familie ihren Lebensunterhalt durch die Tätigkeit des Vaters als Hilfsarbeiter am Bau. Die Mutter und ein Bruder des Beschwerdeführers sind schwer krank, wodurch die wirtschaftliche Situation der Familie zusätzlich belastet ist. Die Familie des Beschwerdeführers verfügt über keinen Grundbesitz. Mit seiner Familie steht der Beschwerdeführer nach wie vor in Kontakt.

Ebenfalls im Iran aufhältig sind je ein Onkel väterlicher- sowie mütterlicherseits. In Afghanistan verfügt der Beschwerdeführer über keine feststellbaren familiären und/oder sozialen Anknüpfungspunkte.

Da der Beschwerdeführer im Iran geboren wurde, dort aufgewachsen ist und sozialisiert wurde, selbst noch nie in Afghanistan war und dort auch über keinerlei familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte verfügt, kann dem Beschwerdeführer keine "Heimatprovinz" im eigentlichen Sinne zugewiesen werden.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten, hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt, besucht derzeit einen Deutschkurs auf dem Niveau B1 und ist gemeinnützig tätig. Er hat in Österreich keine engen sozialen Bindungen, aber soziale Kontakte. Zu zwei Cousins, die in Linz und Graz leben, hat der Beschwerdeführer losen Kontakt.

2.1.3 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner individuellen konkreten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt. Es kann nicht festgestellt werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan gefährdet wäre, aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung physischer Gewalt oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er im Iran und in Europa gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus dem Iran oder aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan in einem asylrelevanten Ausmaß droht.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr, als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim in Afghanistan einer konkret gegen ihn gerichteten psychischen und/oder psychischen Gewalt im Sinne des Beschwerdevorbringens ausgesetzt ist.

2.1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer liefe bei einer Rückkehr in die Heimatprovinz seiner Eltern (Bamyan), nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat mangels Unterstützungsmöglichkeit von Seiten seiner Familie, welche im Iran lebt, sowie aufgrund seiner individuellen Umstände (mangelndes soziales Netz, optisch deutlich erkennbarer Angehöriger einer ethnischen und religiösen Minderheit in Afghanistan, eindeutiger Farsi-Akzent, keinerlei Sozialisation in Afghanistan, Tätowierung mit christlichem Kreuzsymbol) Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.1.5 Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

2.1.5.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 26.03.2019:

"[...]

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

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(UNAMA 2.2018)

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UN

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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