TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/23 W240 2149214-3

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Veröffentlicht am 23.05.2019
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Entscheidungsdatum

23.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

W240 2149214-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.05.2019, Zl. 1075523401-180794796, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Asylverfahren:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste spätestens am 28.06.2015 illegal in Österreich ein und stellte am 28.06.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Bei seiner Erstbefragung durch eine österreichische Landespolizeidirektion am 29.06.2015 gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, er sei mit seiner Freundin von zu Hause weggelaufen. Nach einiger Zeit habe er einen Anruf bekommen, dass sie zurückkommen sollten, weil sie heiraten dürften. In Wirklichkeit hätten die Brüder seiner Freundin sie umbringen wollen.

1.3. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 16.02.2017 wiederholte der BF sein im Rahmen der Erstbefragung erstattetes Fluchtvorbringen. Zudem führte er aus, dass seine Freundin nach ihrer Rückkehr nach Hause von ihrem Bruder ermordet worden sei. Daraufhin sei der BF nach XXXX geflohen, wo er zwei Monate obdachlos gewesen sei. Danach habe er beschlossen, nach Europa zu flüchten.

1.4. Mit Bescheid vom 17.02.2017, Zl. 1075523401 - 150753613/BMI-BFA_STM_RD, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 1 iVm.

§ 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt IV.).

In der Begründung des Bescheides gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben des BF wieder und traf Feststellungen zur Lage in Afghanistan. Begründend wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen vom BF nicht glaubhaft gemacht werden habe können.

Zu Spruchpunkt II. führte die Behörde aus, der BF sei jung, gesund und arbeitsfähig und verfüge über Berufserfahrung als Verkäufer und in der Führung eines Geschäftes. Es könne somit davon ausgegangen werden, dass der BF auch nach der Rückkehr in seine Heimat in der Lage sein werde, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Der BF könne zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Zwar sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Laghman nur schwer möglich, doch stehe dem BF jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif offen.

1.5. Gegen den unter Punkt 1.4. genannten Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führte der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen aus, er habe Pakistan aufgrund einer Liebesbeziehung verlassen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei nicht zumutbar, weil sich seine Heimatprovinz Laghman unter der Kontrolle der Taliban befinde. Darüber hinaus kenne sich der BF in Afghanistan nicht aus, habe dort keine Freunde oder Verwandten und auch keine entsprechende Ausbildung, um sich in Afghanistan den Lebensunterhalt finanzieren zu können.

1.6. Am 21.09.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Zu seinen Fluchtgründen befragt, wiederholte der BF im Wesentlichen seine vorherigen Angaben.

1.7. In einer Stellungnahme vom 28.09.2017 zog der BF seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des unter Punkt 1.4. genannten Bescheides zurück. Unter Verweis auf diverse Länderberichte führte der BF aus, für den Fall einer Abschiebung nach Afghanistan bestehe aufgrund der dortigen schlechten Sicherheitslage und eines fehlenden familiären Auffangnetzes die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung.

1.8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.02.2018, GZ W248 21492141/10E, wurde das Verfahren über die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 iVm.

§ 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt und die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht traf umfangreiche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des BF und folgende Feststellungen zur Person des BF:

"Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger aus der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschto. Seine Familie stammt aus der Provinz Laghman. Der BF wurde in Pakistan geboren und wuchs dort auf. In Pakistan leben noch die Familienangehörigen des BF (Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten). Der BF besuchte in Pakistan vier Jahre lang die Schule und arbeitete im Textilgeschäft seines Vaters. Zudem arbeitete er vier Monate in der Türkei als Gebrauchtwarenverkäufer.

Der BF hält sich seit Juni 2015 in Österreich auf. Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich. Der BF verfügt über soziale Kontakte in Österreich. Der BF besuchte einen Deutschkurs, hat jedoch noch keine Prüfung abgelegt. Der BF ist gesund. Der BF wurde mit Wirkung vom 29.07.2017 wegen unbekannten Aufenthalts von der Grundversorgung abgemeldet.

Dem Strafregisterauszug lässt sich folgende Verurteilung des Landesgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , entnehmen: § 27 (1) Z 1 1. und 2. Fall SMG,

§§ 27 (2a) 27 (3) SMG, §§ 15, 269 (1) StGB, §§ 83 (1), 84 (2) StGB; Freiheitsstrafe 18 Monate, davon 12 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF bei einer allfälligen Rückkehr etwa nach Kabul mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde."

In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass im Falle des BF keine exzeptionellen Umstände festgestellt worden seien, die der Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK gleichzuhalten wären. Der BF könne nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unter Berücksichtigung der dem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte zu Kabul in Zusammenschau mit seinen persönlichen Umständen in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans verwiesen werden.

Der BF habe keine Familienangehörigen in Österreich. Er habe einen Deutschkurs besucht. Er sei in Österreich keiner geregelten Arbeit nachgegangen und mit Wirkung vom 29.07.2017 von der Grundversorgung abgemeldet worden, weil sein Aufenthalt unbekannt gewesen sei. Erschwerend im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 6 BFA-VG trete hinzu, dass der BF wegen Delikten nach dem StGB und dem SMG bereits rechtskräftig verurteilt worden sei. Seit seiner Entlassung aus der Haft am 06.02.2018 sei der BF unbekannten Aufenthalts. Es sei daher davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukomme, in den Hintergrund treten würden. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung sei daher im vorliegenden Fall geboten und erscheine auch nicht unverhältnismäßig.

1.9. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 26.02.2018, Zl. 1075523401-150753613, wurde dem BF der Verlust seines Aufenthaltsrechts im österreichischen Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG mitgeteilt und dies mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (rechtskräftig am XXXX ), Zl. 42 Hv 149/17f, mit dem der BF wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2a und Abs. 3 SMG; 15; 269 Abs. 1; 83 Abs. 1, 82

Abs. 2 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt worden ist, begründet.

2. Zweites Asylverfahren:

1.10. Am 22.08.2018 stellte der BF im Stande der Schubhaft in einem Polizeianhaltezentrum seinen (gegenständlichen) zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF an, dass er in Österreich bleiben wolle, weil er in Afghanistan Feindschaften wegen eines Mädchens habe und er dort nicht sicher sei. Er fürchte den Tod durch die Familie des Mädchens. Dies seien die Gründe, welche er auch im ersten Antrag genannt habe. Es gebe keine neuen Gründe. Der BF habe zwar am Vortag einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt, jedoch sei er verwirrt gewesen.

1.11. Mit Verfahrensanordnung des BFA gemäß § 29 Abs. 3 AsylG vom 27.08.2018 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sowie seinen faktischen Abschiebeschutz aufzuheben.

1.12. Am 06.09.2018 wurde der BF vor dem BFA, Erstaufnahmestelle Ost, einvernommen. Dabei gab der BF an, gesund zu sein. Die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren würden weiterhin bestehen und seien aufrecht. Die Sicherheitslage in seiner Provinz habe sich verschlechtert. Der BF habe niemanden dort. Seine Familie lebe in Pakistan. Der BF könne nicht nach Afghanistan zurück. Der BF habe keine neuen Fluchtgründe.

Der BF habe keine Verwandten in Österreich. Er habe keinen Deutschkurs besucht und spreche ein wenig Deutsch. Er sei nicht Mitglied in einem Verein. Er sei in Österreich vorbestraft.

Dem BF wurden Länderfeststellungen zu Afghanistan übersetzt und zur Kenntnis gebracht. Er verzichtete darauf, diesbezüglich eine Stellungnahme abzugeben.

Das BFA verkündete gemäß § 12a Abs. 2 iVm. § 22 Abs. 10 AsylG mündlich den Bescheid, dass der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben werde. Begründend führte das BFA aus, dass das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig negativ über den ersten Asylantrag (bzw. die Beschwerde gegen den diesbezüglich negativen Bescheid) entschieden habe. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts sei mit 26.02.2018 in Rechtskraft erwachsen. Der BF sei seiner Verpflichtung der Wohnsitzauflage in der Bundesbetreuungseinrichtung nicht nachgekommen, habe die Bundesbetreuungseinrichtung nach der Aufnahme am 07.08.2018 verlassen und sei nicht mehr dorthin zurückgekehrt. Er sei in die Anonymität abgetaucht. Am 14.08.2018 sei der BF in XXXX aufgegriffen und über ihn die Schubhaft verhängt worden. Am 22.08.2018 habe der BF aus dem Stande der Schubhaft einen Folgeantrag gestellt. Bei der am 06.09.2018 durchgeführten Einvernahme habe er angegeben, dass er keine neuen Fluchtgründe habe. Sein Folgeantrag werde voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein. Es liege kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt vor. Unter Beachtung sämtlicher bekannter Tatsachen könne kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 2, 3 und Art. 8 EMRK erkannt werden. Dieser Entscheidung wurden aktuelle Länderfeststellungen zu Afghanistan zugrunde gelegt. In der Rechtsmittelbelehrung dieses mündlich verkündeten und im Verhandlungsprotokoll schriftlich festgehaltenen Bescheides wurde darauf hingewiesen, dass die Beurkundung als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gelte. Die Verwaltungsakten würden unverzüglich von Amts wegen dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung übermittelt. Dies gelte als Beschwerde.

1.13. Mit Beschluss vom 13.09.2018, GZ W255 2149214-2/3Z, stellte das BVwG gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Art. 89 Abs. 2 iVm Art. 135 Abs. 4 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 22 Abs. 10 dritter und vierter Satz AsylG 2005, in eventu § 22 Abs. 10 dritter und vierter Satz AsylG 2005 und § 22 Abs. 1 BFA-VG, in eventu § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 Abs. 1 BFA-VG, in eventu § 12a Abs. 2 AsylG 2005, § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 Abs. 1 BFA-VG, in eventu §12a AsylG 2005, § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 BFA-VG als verfassungswidrig aufzuheben und wartete mit der Erledigung der Rechtssache gemäß § 62 Abs. 3 VfGG bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu.

1.14. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10.10.2018, G 186/2018-25 ua, wurden gleichlautende Anträge des Verwaltungsgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes abgewiesen, soweit sie sich gegen § 22 Abs. 10 dritter, vierter und fünfter Satz AsylG 2005 sowie gegen § 22 BFA-VG richteten. Im Übrigen wurden die Anträge zurückgewiesen.

1.15. Mit Beschluss des BVwG vom 04.12.2018 zu W255 2149214-2/10E wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes im gegenständlichen Fall gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG für rechtmäßig erklärt.

Es war in der Entscheidung festgestellt worden, dass der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei. Eine entscheidungswesentliche Änderung der Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sei zwischenzeitlich nicht eingetreten. Der Beschwerdeführer habe kein hinreichend schützenswertes Privatund/oder Familienleben im Bundesgebiet. Er sei in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht im Bundesgebiet nicht verfestigt. Dem Beschwerdeführer würde bei einer Überstellung nach Afghanistan kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan liefe er nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es würden keine Umstände vorliegen, welche seiner Außerlandesbringung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden.

1.16 Mit Urteil eines österreichischen Landesgerichts vom XXXX wurde der Beschwerdeführer gemäß § 177 Abs. 1 StGB, §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5, 126 Abs. 1 Z 7 StGB sowie §§ 88 Abs. 3 und 88 Abs. 4 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

1.17. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA vom 05.05.2019 wurde der Folgeantrag des BF hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für seine freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Es wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen (Spruchpunkt VII.).

Es wurde insbesondere festgestellt, dass die Identität des BF nicht feststehe. Er sei ledig, afghanischer Staatsangehöriger und er verfüge über soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Er leide weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit, noch leide er an einer krankheitswerten psychischen Störung. Es würden unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände existierten, welche einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Der BF verfüge über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung. Er habe im gegenständlichen Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens neu entstanden sei. Das Vorbringen im gegenständlichen Verfahren, wonach die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren aufrecht wären, würde als glaubhaft erachtet. Der BF habe im gegenständlichen Verfahren keine neuen Fluchtgründe vorgebracht. Seine Familie befinde sich in Afghanistan, diese sei wirtschaftlich abgesichert. Er habe in Österreich keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden würden. Er sei in Österreich nicht Mitglied in Vereinen oder Organisationen. Hinsichtlich des erlassenen Einreiseverbots wurde im Bescheid auf die zwei strafrechtlichen Verurteilungen in Österreich verwiesen.

Beweiswürdigung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme angegeben habe, die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren seien noch aufrecht. Er habe keine neuen Fluchtgründe vorgebracht, welche nach Rechtskraft seines Erstverfahrens am 28.09.2017 neu entstanden wären. Somit sei für das BFA kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt feststellbar und das BFA sei daher verpflichtet den Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Der BF habe in Österreich keine Familienangehörigen. Dass offensichtlich keine besondere Integrationsverfestigung des BF in Österreich bestehe, ergebe sich einerseits aus der Kürze seines bisherigen Aufenthalts in Österreich in Verbindung mit dem Umstand, dass er seit seiner Einreise nach Österreich -unter objektiven Gesichtspunkten betrachtet - realistischerweise zu keinem Zeitpunkt des Aufenthalts in Österreich davon ausgehen hätte können, dass ihm ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht in Österreich zukommen würde. Auch habe er im Verfahren nicht dargelegt, dass im Fall des BF besonders gewichtige Interessen an einem Verbleib in Österreich vorliegen würden. Unter diesen Gesichtspunkten sei praktisch auszuschließen, dass bislang eine Integrationsverfestigung des BF in Österreich erfolgen hätte können. Der BF sei mit den kulturellen und sprachlichen Gepflogenheiten in seinem Herkunftsstaat vertraut, da er sein gesamtes Leben in Afghanistan verbracht habe und Dari spreche. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich in Summe seit Rechtskraft des Vorverfahrens im Wesentlichen nicht geändert.

1.18. In der dagegen erhobenen Beschwerde führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, dass der Beschwerdeführer über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan mehr verfügt, da sich die Familie nunmehr in Pakistan aufhalte. Hinsichtlich einer möglichen Reintegration sei darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine humanitäre Lage erwarte, die aufgrund des fehlenden Zugangs zu Unterkunft und wesentlichen Grundleistungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstelle, da kein familiäres oder soziales Netzwerk mehr bestehe. Es werde jedoch als Rückkehrer aus Europa für Unterkunftserlangung und Erhalt eines Arbeitsplatzes ein solides soziales Netzwerk benötigt, über das der Beschwerdeführer nicht verfüge. Auch würde man den Beschwerdeführer als Rückkehrer als Europa finanziellen Wohlstand unterstellen, der ihn für Entführungen und Erpressungsversuche angreifbar machen würde. Das vom BFA erlassene Einreiseverbot in der Höhe von fünf Jahren sei objektiv betrachtet zu hoch bemessen. Es sei im Fall des Beschwerdeführers nicht die Schwere und Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu erkennen, die automatisch eine Erlassung des Einreiseverbots im Ausmaß von fünf Jahren verhältnismäßig erscheinen lasse. Er bereue seine Straftat zutiefst und verhalte sich in der Haft bis dato vorbildlich. Die Erlassung eines fünfjährigen Einreiseverbots sei für Personen gedacht, die noch mehr bzw. schwerwiegendere Straftaten begangen haben. Im gegenständlichen Fall sei ein Einreiseverbot im Ausmaß von beispielsweisen zwei Jahren ausreichend, um einen nachhaltigen Gesinnungswandel annehmen zu können.

1.19. Am 17.05. langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und ist volljährig. Seine Familie stammt aus der Provinz Laghman, Afghanistan. Er ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Der BF wurde in Pakistan geboren und wuchs dort auf. In Pakistan leben noch Verwandte des BF (Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten). Der BF besuchte in Pakistan vier Jahre lang die Schule und arbeitete im Textilgeschäft seines Vaters. Zudem arbeitete er vier Monate in der Türkei als Gebrauchtwarenverkäufer.

Das vom BF mit Antrag vom 29.06.2015 angestrengte und zu Zl. 1075523401 - 15075361 (BFA) bzw. W248 2149214-1 (BVwG) geführte (erste) Verfahren auf Gewährung von internationalem Schutz wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.02.2018 negativ abgeschlossen. Mit diesem Erkenntnis wurde zugleich eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 17.02.2017 wurde vom BF vor Erlassung der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit Stellungnahme vom 28.09.2017 zurückgezogen.

Das Erkenntnis wurde dem BF am 26.02.2018 durch Übermittlung an den damaligen ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertreter zugestellt.

Der BF verfügte von 17.03.2018 bis 15.05.2018, von 26.06.2018 bis 06.08.2018 und von 09.08.2018 bis 13.08.2018 über keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet.

Der BF befand sich vom 14.08.2018 bis 15.09.2018 in einem österreichischen Polizeianhaltezentrum. Der BF befand sich ab 15.09.2018 in Untersuchungshaft und ab 15.04.2019 in Haft in österreichischen Justizanstalten.

Am 22.08.2018 stellte der BF aus der Schubhaft seinen zweiten (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz. Dieser zweite (gegenständliche) Antrag auf internationalen Schutz wird einzig mit den Fluchtgründen aus dem ersten Asylverfahren begründet. Der BF gab sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem BFA ausdrücklich an, dass er keine neuen Fluchtgründe hat.

Mit Beschluss des BVwG vom 04.12.2018 zu W255 2149214-2/10E wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes im gegenständlichen Fall gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG für rechtmäßig erklärt.

Die individuelle Situation des BF hinsichtlich seines Herkunftsstaates Afghanistan hat sich nicht in einem Umfang verändert, dass von einer wesentlichen Änderung des Sachverhalts auszugehen ist. Auch die Rechtslage blieb, soweit entscheidungsrelevant, unverändert.

Eine maßgebliche Änderung hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz kann ebenso wenig festgestellt werden wie zur Frage des Vorliegens einer maßgeblichen Bedrohung des BF in Afghanistan. Der BF leidet an keiner schwerwiegenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.

Dem BF würde bei einer Überstellung nach Afghanistan kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan liefe er nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für den Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Es liegen keine Umstände vor, welche seiner Außerlandesbringung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden.

Der BF hält sich seit Juni 2015 in Österreich auf. Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich. Der BF verfügt über soziale Kontakte in Österreich. Der BF besuchte bisher keinen Deutschkurs und spricht nur wenig Deutsch. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der BF hat kein hinreichend schützenswertes Privat- und/oder Familienleben im Bundesgebiet. Er ist in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht im Bundesgebiet nicht verfestigt. Der BF verfügt über kein Einkommen und kein Vermögen, er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er ist kein Mitglied in einem Verein und beschäftigte sich nicht ehrenamtlich. Im Bundesgebiet befinden sich keine Verwandte des BF.

Der BF wurde mit rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Landesgerichts vom XXXX wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2a und Abs. 3 SMG; 15; 269 Abs. 1; 83 Abs. 1, 82 Abs. 2 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

Der BF wurde seit rechtskräftigem Abschluss des inhaltlichen Erstverfahrens in der Folge mit Urteil eines österreichischen Landesgerichts vom XXXX gemäß § 177 Abs. 1 StGB, §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5, 126 Abs. 1 Z 7 StGB sowie §§ 88 Abs. 3 und 88 Abs. 4 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Mit vorzitiertem Urteil wurde die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe, welche mit Urteil vom XXXX verhängt worden war, widerrufen und die Probezeit des bedingten Strafteils auf insgesamt 5 Jahre verlängert.

Der BF lebte seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Jahr 2012 nahezu ausschließlich aus Mitteln der öffentlichen Hand. Er war trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung im Februar 2018 dennoch in Österreich geblieben und hat im August 2018 gegenständlichen zweiten Antrag gestellt. Mit Beschluss des BVwG vom 04.12.2018 zu W255 2149214-2/10E wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes im gegenständlichen Fall gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit

§ 22 BFA-VG für rechtmäßig erklärt. Der BF kann den Besitz von Mitteln zu seinem Unterhalt aktuell nicht nachweisen.

Die entscheidungswesentlichen Feststellungen zu Afghanistan lauten:

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Quellen:

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DW - Deutsche Welle (29.9.2016): Friedensabkommen in Afghanist

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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