Entscheidungsdatum
25.06.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W176 2199261-1/13E
W176 2199258-1/13E
W176 2199262-1/13E
W176 2199260-1/13E
W176 2199205-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerden von (1.) XXXX , geb. XXXX , (2.) XXXX , geb. XXXX , (3.) XXXX , geb. XXXX , (4.) XXXX , geb. XXXX , und (5.) XXXX , geb. XXXX , alle afghanische Staatsangehörige, mj. Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer gesetzlich vertreten durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2018, Zlen. (1.) 15-1097767108/151916596, (2.) 15-1097767402/151916618, (3.) 15-1097767609/151916642, (4.) 15-1097767707/151916655 bzw. (5.) 15-1097767903/151916669, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerden werden jeweils hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) als unbegründet abgewiesen.
II. Soweit sich die Beschwerden jeweils gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide richten, wird ihnen stattgegeben und XXXX ,
XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG sowie XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 1 AsylG jeweils der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG werden XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX befristete Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 24.06.2020 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführer stellten am 02.12.2015 jeweils für sich und den Drittbeschwerdeführer (BF3), den Viertbeschwerdeführer (BF4) und den Fünftbeschwerdeführer (BF5) einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF1 und die BF1 wurden beide am 02.12.2015 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab der BF1 im Wesentlichen Folgendes an: Er stamme aus Mazar-e Sharif, sei mit der BF2 verheiratet, spreche Farsi, bekenne sich zum Islam schiitischer Ausrichtung und sei Angehöriger der ethnischen Gruppe der "Ghezel Bash". Seine letzte Adresse in Afghanistan gab er als " XXXX " an. Als Fluchtgrund gab er an, bewaffnete Personen hätten ihm in seinem Dorf öfters das Auto weggenommen, was zu Problemen mit der Regierung geführt habe, da diese den BF1 für einen Unterstützer dieser bewaffneten Gruppen gehalten habe. Somit sei er Gefährdung sowohl durch bewaffnete Gruppen als auch durch die Regierung ausgesetzt. Im Falle einer Rückkehr befürchte er Probleme mit der Polizei und dadurch unmenschliche Bestrafungen. Der BF1 legte einen afghanischen Führerschein vor.
Die BF2 gab in der Erstbefragung an, sie stamme aus Kabul, sei mit dem BF1 verheiratet, spreche Farsi, bekenne sich zum Islam schiitischer Ausrichtung und sei Angehörige der ethnischen Minderheit der Tadschiken in Afghanistan. Als Fluchtgrund gab sie an, es sei zu einigen Vorfällen gekommen, bei denen sie von bewaffneten Männern bedroht worden seien. Dazu seien Probleme mit der Polizei gekommen, die gedacht hätte, dass sie diese Männer unterstützen würden. Diese hätten ihnen das Auto ab und zu weggenommen, um es zu verwenden. Im Falle einer Rückkehr drohe ihnen Tod durch die bewaffneten Männer und eine unmenschliche Behandlung durch die Polizei.
2. Am 26.02.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) erstmalig niederschriftlich (auf Dari) einvernommen, führte der BF1 - zusammengefasst - Folgendes aus: Er stamme aus der Stadt Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh und sei Angehöriger der ethnischen Gruppe der "Qezeibash". Seine Schwiegermutter lebe in Afghanistan; in Österreich seien seine Ehefrau, seine Mutter, sein Bruder und seine drei Söhne aufhältig. Er habe keinen Kontakt zu Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten in Afghanistan. Bis 2013 habe er in Mazar-e Sharif gelebt, 2013 bis 2015 in der Provinz Balkh, Distrikt und Großdorf XXXX , ca. 20 Minuten Autofahrt entfernt von der Stadt Balkh. Er habe zuerst als Schneider gearbeitet, von 2013 bis 2015 als Gemüse- und Milchproduktverkäufer. Seine Muttersprache sei Dari. Als Fluchtgrund gab er an, er werde von der afghanischen Behörde gesucht, sei jedoch noch nie angehalten, festgenommen oder verhaftet worden. Seine Probleme hätten etwa ein Jahr und vier Monate nach dem Umzug von Mazar-e Sharif nach XXXX begonnen. Eines Nachts hätten vier bewaffnete Männer sein Auto einfach mitgenommen, nachdem er abgelehnt hätte, es ihnen freiwillig zu geben. Zwei Tage später hätten sie es zurückgebracht. Danach habe sich dies etwa ein bis dreimal im Monat immer wieder wiederholt. Als die Männer das Auto zuletzt geholt hätten, hätten sie es nicht mehr zurückgebracht. Danach habe der BF1 angefangen, danach zu suchen und entdeckt, dass sie damit Sprengstoffe und illegale Waffen transportiert hätten und das Auto von der afghanischen Behörde sichergestellt worden sei. Er habe gewusst, dass er, wenn er von der Polizei festgenommen würde, seine Unschuld nicht beweisen könne; denn das das Auto sei auf seinen Namen registriert gewesen und sie würden davon ausgehen, dass er mit den bewaffneten Männern zusammengearbeitet habe. Die Beschwerdeführer hätten beschlossen, Afghanistan zu verlassen, da die afghanische Behörde und die Polizei hinter ihnen her gewesen sei. Die bewaffneten Männer seien genau sechs Monate vor seiner Ausreise aus Afghanistan das erste Mal zu ihm nach Hause gekommen. Viel später habe er herausgefunden, dass es sich dabei um Taliban aus der Gegend gehandelt habe. Dies wisse er deshalb, da er, als sie das Auto nicht zurückgebracht hatten, angefangen habe, nachzufragen. "Die Leute" hätten ihm erzählt, dass sie Taliban aus der Gegend seien und "solche Sachen" transportiert hätten. Näher dazu befragt gab er an, er sei in die Stadt Balkh gegangen. Dort habe er die Leute gefragt, die ihm auch erzählt hätten, dass die Behörde hinter ihm her sei. Er habe Angst bekommen, vor allem, weil die Behörde Leute zu ihm nach Hause geschickt habe, um ihn festzunehmen. Konkret gesprochen habe er mit den Geschäftsinhabern, vor allem den Straßenverkäufern, die immer Bescheid wüssten, wenn in der Stadt etwas passiere. Diese hätten ihm erzählt, dass die Leute überall darüber sprächen, dass so ein Auto sichergestellt worden und die Behörde hinter dem Besitzer des Autos her sei. Als das Auto nicht mehr zurückgebracht worden sei, habe er etwa eine Woche gewartet, um es zu suchen. Die Behörde habe Polizeisoldaten zu ihm nach Hause geschickt, die tagsüber gekommen seien, als er nicht zuhause gewesen sei, nur die BF2. Sie hätten den BF1 sprechen wollen und gesagt, es ginge um sein Auto. Sein Bruder und er seien da gerade in der Stadt Balkh gewesen, um sein Auto zu suchen. Insgesamt seien sie dreimal da gewesen. Nach dem ersten Polizeibesuch hätten er und sein Bruder verstanden, dass die Behörde hinter ihnen her sei und seien deshalb zu dieser Zeit kaum zu Hause, sondern in Mazar-e Sharif gewesen. Ein, zwei Tage nach dem dritten Polizeibesuch hätten sie das Land verlassen. Etwa zehn bis zwölf Tage seien zwischen dem ersten und dem letzten Polizeibesuch vergangen. Er wisse nicht, ob die Polizei ihn festnehmen würde, aber Probleme hätte er auf jeden Fall.
Der BF1 legte zwei Deutschzertifikate (A1 und A2), ein Empfehlungsschreiben, Bestätigungen seiner Teilnahme an Kompetenzanalysen und einer Umfrage und eine Trainingsbestätigung vor. Er gab weiters auch an, täglich gemeinnützig für die Gemeinde zu arbeiten und legte eine Bestätigung darüber vor.
Die BF2 gab bei ihrer Befragung durch die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes an: Sie sei in Kabul geboren, gehöre der ethnischen Minderheit der Tadschiken an, bekenne sich zum schiitischen Islam, sei verheiratet und habe drei Kinder. Zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern habe sie seit mehreren Jahren keinen Kontakt mehr; ihr Vater sei verstorben; ihre Mutter und ihre Brüder würden in Kabul leben, der Aufenthaltsort ihrer Schwestern sei ihr nicht bekannt. Sie habe auch keinen Kontakt zu Freunden oder Bekannten in Afghanistan. Bis zu ihrer Hochzeit habe sie in Kabul gelebt, danach bis zwei Jahre vor der Ausreise in Mazar-e Sharif, danach zwei Jahre lang in " XXXX ". Sie habe keine Schulbildung, ihre Muttersprache sei Dari. Zu ihren Fluchtgründen gab sie an, ihr Ehemann habe etwa drei Tage, nachdem er mit seinem Bruder in Mazar-e Sharif gewesen sei, beschlossen, Afghanistan zu verlassen. Sie gab an, in Afghanistan nicht von der Polizei oder Behörde gesucht zu werden oder festgenommen worden zu sein oder Probleme mit den Behörden gehabt zu haben. Als Hausfrau habe sie nie mit der Außenwelt zu tun oder Probleme gehabt. Sie habe Afghanistan verlassen, da ihr Ehemann und Schwager von den Taliban in Gefahr seienund auch von der Regierung verfolgt würden. Dadurch bestünde auch die Gefahr, dass sie selbst in Lebensgefahr geraten würde. Unbekannte Männer hätten mit Gewalt das Auto ihres Mannes benutzt, später hätten sie erfahren, dass sie damit Waffen und Explosivmaterial transportiert hätten. Das hätten sie von der Polizei erfahren, weil sie ihnen das vorgeworfen hätte. Dieses Problem hätten sie ca. sechs Monate gehabt, währenddessen etwa zwei- oder dreimal im Monat das Auto weg- und wieder zurückgebracht worden sei. Die BF2 habe Angst, als Ehefrau und Mutter der Kinder des BF1 von der Regierung zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Polizei sei zu ihnen gekommen und habe nach ihrem Mann und Schwager gefragt. Zu diesem Zeitpunkt seien diese am Bazar in Balkh gewesen. Insgesamt sei die Polizei dreimal gekommen. Nach dem ersten Vorfall seien der BF1 und sein Bruder für etwa drei Tage nach Mazar-e Sharif gegangen. Eine Rückkehr nach Afghanistan könne sich die BF1 nicht mehr vorstellen, sie lebe in Österreich ganz anders. In Afghanistan habe sie eine Burka und ein Kopftuch getragen, aus Angst. Hier habe sie weder Angst vor anderen, noch vor ihrem Mann oder ihrer Schwiegermutter, sie lebe so wie es ihr gefalle. Sie könne noch etwas lernen, einen Beruf ausüben, oder auch mit anderen Männern zusammenarbeiten und in Kontakt treten. Nach Herat, Kabul oder Mazar-e Sharif könne sie nicht ausweichen, da sie nicht nur Probleme mit den Taliban, sondern auch mit der Regierung hätten. Ihr Leben in Österreich unterscheide sich von ihrem Leben in Afghanistan durch die Freiheit und die Sicherheit. Sie habe keine Angst, zu tun und zu lassen was sie möchte. In Afghanistan habe sie nur mit ihrem Mann oder ihrer Schwiegermutter und in der Burka das Haus verlassen können. Sie spiele gelegentlich Volleyball und habe auch Fahrrad fahren gelernt. Sie treffe auch österreichische Freunde. Ihre Angaben würden auch für ihre Kinder gelten.
Die BF2 legte ein Hochzeitsfoto, mehrere Empfehlungsschreiben, Bestätigungen ihrer Teilnahme an Kompetenzanalysen und einer Umfrage sowie an Deutschkursen (Alphabetisierung und A1) vor. Sie gab weiters auch an, gemeinnützig in einem Altersheim zu arbeiten und legte eine Bestätigung darüber vor.
3. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden vom 22.05.2018 wies die belangte Behörde jeweils die Anträge von BF1, BF2, BF3, BF4 und BF5 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG); gegen die Beschwerdeführer (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dem BF1 werde nicht geglaubt, dass er von der afghanischen Polizei gesucht. Die von ihm angegebenen Gründe für das Verlassen Afghanistans seien unglaubwürdig, dem BF1 drohe weder durch die Taliban noch die afghanische Polizei noch sonst asylrelevante Verfolgung. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die BF2 eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstelle und sie aufgrund dessen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr unterliege. Hinsichtlich der BF3, BF4 und BF5 wurde ausgeführt, sie hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern würden sich nur auf die "Gründe im Familienverfahren" beziehen. Insgesamt sei die vom BF1 und der BF2 vorgebrachte Gefährdungslage nicht glaubhaft und könne ihnen eine Rückkehr zugemutet werden. Es stehe ihnen jedoch auch frei, sich mit ihrer Familie woanders in Afghanistan niederzulassen.
4. Gegen diese Bescheide erhoben die BF1 bis BF5 fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass das Kindeswohl der minderjährigen Beschwerdeführer nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Auch habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan drastisch verschlechtert. Zum Beweis hinsichtlich der konkreten Situation in Afghanistan und einer fehlenden Niederlassungsmöglichkeit in Teilen des Landes wurde auf ein Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 verwiesen und der Antrag gestellt, diese zur Beurteilung der Situation in Afghanistan als Sachverständige im konkreten Verfahren zu bestellen. Im Falle einer Rückkehr würde die junge Familie jedenfalls in eine ausweglose und existenziell bedrohliche Lage gebracht werden.
5. Mit Schreiben vom 21.06.2018, eingelangt am 26.06.2018, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verfahrensunterlagen - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
6. Mit per Fax eingebrachtem und am 27.05.2019 eingelangtem Schreiben brachte die belangte Behörde eine Stellungnahme zur anberaumten Verhandlung ein. Darin verwies sie auf die Beweiswürdigung der angefochtenen Bescheide, welche "vollinhaltlich aufrechterhalten" würde, und wiederholte, warum das Fluchtvorbringen des BF1 nicht für glaubhaft erachtet wurde. Weiters wurde auf die UNHCR-Richtlinien vom 31.05.2018 Bezug genommen, die sich lediglich dahingehend geändert hätten, dass die Stadt Kabul nicht als innerstaatliche Fluchtalternative herangezogen werden könne. Beim BF1 handle es sich um einen jungen, arbeitsfähigen, gesunden Mann. U.a. wurde darauf hingewiesen, dass die Mutter der BF2 in Afghanistan lebe und gegebenenfalls zur Kinderbetreuung herangezogen werden könne. Überdies sei die Existenz der minderjährigen BF3, BF4 und BF5 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Erwerbsfähigkeit ihres Vaters und die Absicherung im Familienverband gesichert. Hinsichtlich des Familienverbands wurde auf die Großmutter mütterlicherseits sowie den (nunmehr in Österreich aufhältigen) Onkel väterlicherseits Bezug genommen wurde. Zuletzt wies die belangte Behörde darauf hin, dass auch den aktuellen UNHCR-Richtlinien nicht entnommen werden könne, dass bezüglich der Städte Mazar-e Sharif und Herat eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative von vornherein ausgeschlossen sei.
7. Mit am 28.05.2019 eingelangtem Schreiben brachten auch die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zur anberaumten Verhandlung ein, wobei insbesondere auf die "Verfolgungssituation der Frauen in Afghanistan" sowie die aktuellen UNHCR-Richtlinien (2018) verwiesen wurde.
8. Am 03.06.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm.
Bei seiner Vernehmung gab der BF1 zusammengefasst Folgendes an: Er sei schiitischer Moslem, gehöre der Volksgruppe der Qizilbash an, stamme aus Mazar-e Sharif und habe zuletzt in der Provinz Balkh, im Dorf XXXX gelebt. XXXX befinde sich etwa 20 Autominuten von der Stadt Balkh entfernt. Sein Bruder und er hätten mit einem Pick-up die Ernten von den Feldern in die Stadt Balkh transportiert. Zuvor, als er noch in Mazar-e Sharif gelebt habe, sei er als Schneider tätig gewesen. Zwei Jahre vor seiner Ausreise aus Afghanistan sei er von Mazar-e Sharif nach XXXX übersiedelt. Er habe einen Bruder, keine Schwestern, seine Onkel väterlicherseits seien verstorben und er habe keine Tanten väterlicherseits, seit etwa 20 Jahren habe er keinen Kontakt zu seinen ca. 4 Cousins und Cousinen väterlicherseits. Er habe eine Tante mütterlicherseits, die seit langem in Amerika lebe und zu der er seit sehr langem keinen Kontakt mehr habe. Diese habe keine Kinder. Die BF2 habe derzeit keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe brachte der BF1 vor, in den letzten sechs Monaten vor seiner Ausreise hätten wiederholt maskierte Männer ihn und seinen Bruder gezwungen, ihnen das Auto zu geben. Nachdem sie es das letzte Mal nicht mehr zurückgebracht hätten, habe die Regierung Soldaten geschickt und mitgeteilt, dass sie ihr Auto gefunden hätten und sie dort erscheinen müssten. Daraufhin hätten sie bei den Geschäften in der Nähe gefragt, worauf sie erfahren hätten, dass es die Taliban gewesen seien, die das Auto immer wieder ausgeborgt und für illegale Tätigkeiten verwendet hätten. Sie hätten auch gesagt, dass die Regierung sie nicht in Ruhe lassen werde und sie fix festnehmen werde. Aus Angst, von der Regierung festgenommen zu werden, hätten sie sich entschieden zu fliehen. Auf Vorhalt, dass der BF1 vor der belangten Behörde eine andere Reihenfolge der Vorgänge angegeben habe als in der Verhandlung, gab er an, die Soldaten seien am Tag zu ihnen gekommen, als er in der Stadt Balkh gewesen um nachzufragen, wo sein Auto sei, und sie hätten dies der BF2 mitgeteilt. Er habe erstmals von den Verkäufern in der Stadt Balkh erfahren, dass er aufgrund des Verschwindens des Autos mit der Behörde Probleme habe. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan würde ihn wahrscheinlich die Behörde festnehmen und ausfragen und einer Straftat beschuldigen, die er nicht begangen habe. Ihm könne keiner versichern, dass die Regierung nicht nach ihm suche. Außerdem würden seine Kinder in Österreich zur Schule gehen, hätten sich dieser Gesellschaft angepasst, und könnte sich auch die BF2 hier weiterbilden und arbeiten. In Afghanistan wäre das nicht möglich und müsste sie ein Kopftuch tragen.
Die BF2 gab in der Verhandlung zusammengefasst Folgendes an: Sie sei schiitische Muslimin und Tadschikin, sie stamme aus Kabul. Vor ihrer Ausreise aus Afghanistan habe sie davon gelebt, dass ihr Mann Milch, Jogurt und Gemüse transportiert habe. Sie habe keine Schul- oder Berufsausbildung, ihr Vater sei verstorben. Zu ihren beiden Schwestern habe sie keinen Kontakt, da sie beide älter als sie seien und früher geheiratet hätten und ausgezogen seien. Zu ihrer Mutter und ihren Brüdern habe sie zuletzt vor sechs oder sieben Jahren Kontakt gehabt. Sie habe jeweils einen Onkel und zwei Tanten väterlicherseits und mütterlicherseits sowie sechs Cousins und Cousinen, wisse aber nicht wo sich ihre Verwandten aufhalten würden. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab sie an, bewaffnete Männer hätten mehrmals das Auto des BF1 und seines Bruders mitgenommen und wieder zurückgebracht. Eines Tages sei der BF1 in die Stadt gegangen um zu fragen, wer diese Leute seien und warum sie immer sein Auto nehmen würden. Man habe ihm erzählt, dass das Auto jetzt bei der Behörde sei und damit Sprengstoff und Waffen transportiert worden sei. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre ihr Leben wegen den Problemen des BF1 in Gefahr, da "diese Leute", die das Auto genommen hätten, Kontakte zur Regierung hätten. Das seien sicher mächtige Leute gewesen, sonst hätten sie das nicht tun können. Außerdem würden die Beschwerdeführer als Ungläubige beschimpft, weil sie jetzt hier in Österreich gewesen seien. Sie seien in Österreich frei, könnten sich offen anziehen und tun und lassen, was sie wollten. In Afghanistan sei das nicht möglich, man müsse dort ein Kopftuch tragen und bedeckt sein.
Auf Nachfrage zu den genaueren Umständen, unter denen der BF1 in die Stadt gegangen sei, um sich über die Leute zu erkundigen, die das Auto genommen hätten, gab die BF2 an, es habe keinen speziellen Anlass dafür gegeben. Er sei auch davor schon einmal in der Stadt gewesen um nachzufragen, gleich nachdem sie zum ersten Mal das Auto genommen hätten. Damals habe er jedoch keine Informationen bekommen. Auf Nachfrage, wie sie erfahren habe, dass das Auto von der Behörde sichergestellt worden sei, gab die BF2 an, es sei gewesen, weil sie es nicht mehr zurückgebracht hätten, als sie es das letzte Mal genommen hätten. Auf Nachfrage, ob dieser vage Verdacht auch irgendwann einmal bestätigt worden sei, gab die BF2 an, es seien ein- bis zweimal Polizisten bei ihnen zu Hause gewesen und hätten nach dem BF1 gefragt.
In der Verhandlung legten die BF Fotos der BF2 und der minderjährigen Kinder im Kindergarten bzw. in der Schule, Schuldokumente der BF3 und BF4, eine Bestätigung über die freiwillige Tätigkeit der BF2 beim Roten Kreuz, eine Bestätigung der Deutschprüfung auf A2-Niveau des BF1, eine Bestätigung der Teilnahme der BF2 an einem Deutschkurs (A1), Teilnahmebestätigungen des BF1 und der BF2 an einem Workshop zum Thema "Asylverfahren in Österreich", Bestätigungen der Mitarbeit des BF1 von Jänner 2016 bis Mai 2018 und der BF2 von Oktober 2016 bis Mai 2018 in einem Altersheim, Bestätigungen der Mitarbeit des BF1 und der BF2 von September bis Oktober 2018 in einem Wohn- und Pflegeheim, eine Bestätigung der Teilnahme des BF1 an einem Deutschkurs (B1), eine Bestätigung der Tiroler Sozialen Dienste über die gemeinnützigen Tätigkeiten des BF1 und der BF2 in ihren Grundversorgungseinrichtungen, Bestätigungen der Integration der BF durch die Gemeinde, einen Lehrer, Lehrerinnen und eine Kindergartenpädagogin, eine Kopie des Rotkreuz-Dienstausweises der BF2, Urkunden der BF3, 4 und 5 betreffend ein Skischulrennen sowie ein von Mitschülerinnen und Mitschülern gestaltetes Plakat vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Beschwerdeführern:
Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind die traditionell verheirateten Eltern der minderjährigen Dritt- (BF3), Viert- (BF4) und Fünftbeschwerdeführer (BF5). Der BF3 wurde am 01.01.2008, der BF4 am 01.01.2010 und der BF5 am 01.01.2013 geboren. Sie sind afghanische Staatsangehörige und schiitische Muslime und gehören ethnischen Minderheiten an, und zwar der BF1 den Qizilbash und die BF2 den Tadschiken. Bei den Qizilbash handelt es sich um eine militärisch geprägte Volksgruppe schiitischen Glaubens, von denen sich heute ein großer Teil als Tadschiken bezeichnet, bei denen aber auch Beziehungspunkte zu den Hazara bestehen.
Der BF1 stammt aus Mazar-e Sharif, die BF2 aus Kabul, nach der Heirat haben sie bis 2013 in Mazar-e Sharif gelebt, von 2013 bis zu ihrer Ausreise 2015 im Dorf XXXX in der Provinz Balkh. Die Beschwerdeführer haben keinen Kontakt zu ihren in Afghanistan lebenden Verwandten (etwa vier Cousins und Cousinen väterlicherseits des BF1, Mutter, zwei Brüder und zwei Schwestern der BF2 sowie ihre Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) oder andere engere soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Die mit den Beschwerdeführern im gemeinsamen Haushalt lebende Mutter des BF1 bzw. der mit den Beschwerdeführern im gemeinsamen Haushalt lebende Bruder des BF1 haben gemeinsam mit den Beschwerdeführern Afghanistan verlassen und ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.
Die Beschwerdeführer stellten jeweils am 02.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
Die Beschwerdeführer beherrschen Farsi und Dari. Der BF1 hat - im Gegensatz zur BF2 - in Afghanistan die Schule besucht und war dort auch berufstätig, nämlich zunächst als Schneider in Mazar-e Sharif und danach als Lebensmittelhändler bzw. -transporteur in XXXX .
In Österreich haben der BF1 und die BF2 mehrere Deutschkurse besucht, die BF2 hat zuletzt einen Deutschkurs auf A1-Niveau abgeschlossen, der BF1 einen Deutschkurs auf B1-Niveau. Der BF1 und die BF2 haben beide jahrelang gemeinnützige Tätigkeiten in Alters- bzw. Pflegeheimen verrichtet, die BF2 hat sich zusätzlich noch beim Roten Kreuz engagiert. Die BF3, BF4 und BF5 besuchten bzw. besuchen den Kindergarten bzw. die Schule in Österreich. Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Bekanntenkreises. Sie beteiligen sich am gesellschaftlichen Leben und sind sportlich aktiv.
Die Beschwerdeführer sind gesund.
Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Der BF1 hat sein Vorbringen, sowohl von den Taliban als auch von der Polizei verfolgt zu werden, da die Taliban etwa ein halbes Jahr lang immer wieder sein Auto weggenommen und wiedergebracht hätten, es letztlich jedoch mit Sprengmitteln und Waffen beladen von der Polizei beschlagnahmt wurde, nicht glaubhaft gemacht.
Bei der BF2 handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht zum Entscheidungszeitpunkt nur wenig Deutsch und hat keine selbstbestimmte Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Die BF2 trägt in Österreich weder ein Kopftuch noch eine Burka.
Die Beschwerdeführer sind in Afghanistan nicht individuell und konkret bedroht oder verfolgt worden und wären auch bei einer Rückkehr keiner konkreten individuellen Verfolgung etwa durch Taliban oder die Polizei aufgrund ihrer politischen Gesinnung, des Geschlechts, der religiösen oder sexuellen Orientierung, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete, an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer nach Afghanistan:
Die BF3, BF4 und BF5 (minderjährige Kinder im Alter von elf, neun und sechs Jahren) wären im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung ihres Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch nichtstaatliche Akteure wie die Taliban, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, ausgesetzt, wobei der Staat nicht in der Lage wäre, Schutz vor ernsthaftem Schaden zu bieten, dies zum einen durch das reale Risiko, in Feuergefechte dieser Akteure zu geraten, sowie zum anderen in Hinblick auf die allgemein angespannte Sicherheitslage in ganz Afghanistan (Entführungen, Erpressungen, Verletzung durch Kriegsrelikte, Anschläge, hohe Kriminalität).
Die Beschwerdeführer haben keine in Afghanistan lebenden Familienangehörigen, mit denen sie noch in Kontakt stehen, welche im Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführer willens und in der Lage wären, diese zu unterstützen.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt nach wie vor labil und verschlechtert sich insbesondere auch in Kabul-Stadt verschlechtert. Die meisten regierungsfeindlichen Angriffe fanden in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandarhar, Uruzgan und Herat statt. Zivile Opfer durch Kämpfe und Anschläge gab es auch in den Provinzen Kunar, Nangarhar, Kunduz und Kabul sowie entlang verschiedener Hauptstraßen in diesen Provinzen. Alle Provinzzentren sind jedoch unter Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung.
Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. 84.000 Personen nach Herat-Stadt und
94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).
Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes: Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018). Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).
Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).
Ergänzend wird zur Sicherheitslage im Kapitel 3 im Wesentlichen ausgeführt: Die Sicherheitslage in Afghanistan ist sehr instabil. Es ist mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Die afghanische Regierung bzw. deren Sicherheitskräfte behalten auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen. Die Aufständischen üben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren aus. Sie greifen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige an; es gibt Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS. Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt. Es haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden. Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen. Die Taliban kontrollieren zwischen 10% und 14 % der afghanischen Distrikte Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).
Zur Heimatprovinz der BF1, BF3, BF4 und BF5 wird im LIB ausgeführt (Abschnitt 3.5. Balkh):
Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).
Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017). Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:
Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017). Hauptursache für zivile Opfer waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl.
Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017). Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018). Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017). Vom IS verursachte Vorfälle wurden registriert (ACLED 23.2.2018).
Zu Kabul, der Heimatstadt der BF2, wird im LIB ausgeführt (Abschnitt 3.1. Kabul):
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). [...]
Hauptursache für zivile Opfer waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt
1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018).
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).
In der Provinz Kabul wurden vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).
Aus dem Abschnitt 17.1. Kinder:
Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes (USDOS 3.3.2017). Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018).
Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind.
Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können (AA 9.2016). Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld (AA 9.2016; vgl. CAN 2.2018), in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016). Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren (CAN 2.2018).
Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653). In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein (AA 5.2018). Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuchs im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen (MoJ 15.5.2017; vgl. LSE 24.1.2018). Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vgl. AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 5.2018). Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (TAD 9.3.2017). Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 5.2018).
Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert (AA 5.2018; vgl. UNTC 9.4.2018). Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten (AA 5.2018). Berichten zufolge arbeiten mindestens 15% der schulpflichtigen Kinder (IRC 15.2.2018; vgl. FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Viele Familien sind auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen (AA 5.2018; vgl. IDMC 1.2018). Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen für diese gesetzlichen Regelungen (AA 5.2018). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem (USDOS 20.4.2018; vgl. IRC 15.2.2018, FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt (USDOS 20.4.2018).
Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9.2016). Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5.2018).
Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke (USDOS 20.4.2018).
Lt. Punkt 19 des LIB garantiert das Gesetz interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Gesellschaftliche Sitten schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein. (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).
Zur Situation von Frauen, Abschnitt 17 des LIB:
Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).
Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.). Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017). Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WB 28.8.2017). Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).
Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation; vgl. AKDN 26.7.2017). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).
Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öf