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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des 1968 geborenen IN in Wien, vertreten durch Dr. H und Dr. G, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. März 1997, Zl. 303.750/12-III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt über einen gewöhnlichen Sichtvermerk mit Geltungsdauer vom 11. Mai 1993 bis 9. Jänner 1995. Er beantragte am 15. Dezember 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Februar 1995 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs nach der Aktenlage in Rechtskraft.
Am 11. August 1995 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. August 1995 gemäß § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Er brachte vor, er halte sich seit seinem 4. Lebensjahr mit Ausnahme einer Abwesenheit zur Ableistung des Wehrdienstes im Zeitraum zwischen Dezember 1988 und Jänner 1990 in Österreich auf. Er habe hier die Volks- und Hauptschule besucht. Er habe sodann den Beruf eines Koch-Kellners gelernt. Eine Abschlußprüfung habe er jedoch nicht abgelegt. Für ihn sei ein Befreiungsschein mit Geltungsdauer bis 4. Februar 1998 ausgestellt. Er verfüge über eine Wohnung in Wien. Seine Eltern, Geschwister und Großeltern lebten seit über 20 Jahren in Wien und seien "voll integriert".
Aus einer Eingabe des Beschwerdeführers vom 18. Jänner 1996 geht die Behauptung hervor, daß sein Aufenthalt bis zum Ablauf seiner letztgültigen Bewilligung rechtmäßig gewesen sei und sich auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufhalte.
Schließlich geht aus einer im Akt enthaltenen Arbeits- und Lohnbestätigung vom 16. Dezember 1996 hervor, daß der Beschwerdeführer als Büroangestellter bei einem inländischen Unternehmen tätig ist und einen Bruttomonatslohn von S 9.700,-- ins Verdienen bringt.
Mit dem angefochtenen Ersatzbescheid (der im ersten Rechtsgang ergangene Bescheid der Berufungsbehörde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AufG wegen mangelnden Unterhalts abgewiesen worden war, wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. Juni 1996, B 50/96, aufgehoben) des Bundesministers für Inneres vom 26. März 1997 wurde die in Rede stehende Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei wie folgt strafgerichtlich verurteilt worden:
durch das Strafbezirksgericht Wien mit einem am 6. Juli 1993 in Rechtskraft erwachsenen Urteil wegen §§ 83, 84 Abs. 1 und 2 Z. 2 StGB;
durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 21. Februar 1997 wegen § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 WaffenG.
Das den Verurteilungen wegen schwerer Körperverletzung und wegen unbefugten Besitzes von Faustfeuerwaffen und verbotenen Waffen zugrundeliegende Fehlverhalten lasse auf eine hohe Gefährlichkeit des Beschwerdeführers schließen. Dieser habe gezeigt, daß er nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung zu respektieren und einzuhalten. Es sei die Annahme gerechtfertigt, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers werde eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG darstellen. Die Erteilung einer Bewilligung sei aus dem Grunde des § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK sei die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen werde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele notwendig sei. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung dürfe nicht verweigert werden, wenn die Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Lebenssituation des Fremden oder seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung. Bei dieser Abwägung sei auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Antragstellers und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen. Dabei habe die belangte Behörde sehr wohl berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer bereits "seit sehr langer Zeit" im Bundesgebiet aufhältig sei und hier arbeite. Ebenso sei berücksichtigt worden, daß sich die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers in Österreich aufhielten. Dennoch sei den öffentlichen Interessen an der Versagung einer Bewilligung die Priorität einzuräumen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, über welche dieser erwogen hat:
§ 5 Abs. 1 AufG lautete:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Der gegenständliche Antrag vom 11. August 1995 wurde gestellt, nachdem ein gemäß § 13 Abs. 1 AufG rechtzeitig gestellter Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften mit einem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Februar 1995 abgewiesen worden war. Ein Fall des § 113 Abs. 6 oder 7 FrG 1997 liegt daher nicht vor. Der angefochtene Bescheid blieb vom Inkrafttreten des FrG 1997 unberührt.
Die belangte Behörde zog im angefochtenen Bescheid erstmals den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG heran. Sie konfrontierte den Beschwerdeführer auch im angefochtenen Bescheid erstmals mit den ihm zur Last liegenden strafgerichtlichen Verurteilungen. Will die Berufungsbehörde ihrer Entscheidung in wesentlichen Punkten einen anderen Sachverhalt unterstellen als die erstinstanzliche Behörde, muß sie zur Wahrung des Parteiengehörs der Partei Gelegenheit geben, sich zu den neuen Sachverhaltsannahmen zu äußern (vgl. Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze2, E. 347 zu § 45 AVG). Dieses Gebot hat die belangte Behörde vorliegendenfalls mißachtet. Der Beschwerdeführer erstattet das nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterliegende Vorbringen, seiner Bestrafung am 21. Februar 1997 sei nicht das Führen einer Faustfeuerwaffe, sondern (ausschließlich) das unbefugte Führen eines Schlagringes zugrundegelegen. Die zuvor erlittene strafgerichtliche Verurteilung sei überdies auf ein Verhalten im Jahr 1988 oder 1989 zurückzuführen gewesen; lediglich die Rechtskraft des Urteiles des Strafbezirksgerichtes Wien sei erst relativ spät eingetreten. Überdies sei die erstgenannte Bestrafung schon im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung vorgelegen.
Selbst bei Richtigkeit dieses Vorbringens wäre die Auffassung der belangten Behörde, das diesen Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhalten rechtfertige die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zu treffende Gefährlichkeitsprognose, nicht zu beanstanden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0261).
Dem Beschwerdeführer ist jedoch insoweit beizupflichten, daß die von der belangten Behörde vorgenommene Beurteilung nach Art. 8 Abs. 2 MRK auf mangelhaft und unzureichend ermittelten Tatsachengrundlagen beruht.
Die belangte Behörde führt zwar aus, der Beschwerdeführer halte sich bereits "seit sehr langer" Zeit im Bundesgebiet auf, ohne jedoch nähere Feststellungen über die Dauer dieses Aufenthaltes zu treffen. Andererseits fehlen Feststellungen über die Zeitpunkte der den gerichtlichen Verurteilungen (insbesondere jener gemäß §§ 83, 84 Abs. 1 und 2 Z. 2 StGB) zugrundeliegenden Straftaten. Ebenso fehlt die Beschreibung des diesen Straftaten zugrundeliegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers. Schließlich ist die Feststellung, der Beschwerdeführer sei auch wegen unbefugten Besitzes von Faustfeuerwaffen bestraft worden, mit dem oben aufgezeigten Verfahrensmangel (Verstoß gegen § 45 Abs. 3 AVG) behaftet.
Diese aufgezeigten Feststellungs- und Verfahrensmängel betreffen wesentliche Punkte des zu ermittelnden Sachverhaltes, weil jedenfalls bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und in seiner Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof davon auszugehen wäre, daß der Eingriff durch die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit der vorliegenden, auf § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gestützten Entscheidung in die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK nicht gerechtfertigt wäre. Eine Bedachtnahme auf die während eines langjährigen Voraufenthaltes begründeten privaten und familiären Beziehungen in Österreich bei einer auf § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG infolge strafrechtlichen Fehlverhaltens gestützten Entscheidung ist auch dann geboten, wenn die Verlängerung einer vorangegangenen Bewilligung bereits durch eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung versagt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2193).
Bei Zutreffen des Vorbringens des Beschwerdeführers wäre zu bedenken, daß seine Verurteilung wegen des Deliktes nach §§ 83, 84 Abs. 1 und 2 Z. 2 StGB im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits über sieben Jahre zurückgelegen wäre.
Jedenfalls stünden dem durchaus gravierenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers bei Zutreffen seiner Behauptungen besonders intensive nach Art. 8 MRK geschützte Interessen im Bundesgebiet gegenüber:
Der 1968 geborene Beschwerdeführer hätte sich seit seinem vierten Lebensjahr mit einer etwa einjährigen Unterbrechung zur Ableistung seines Wehrdienstes rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Wie auch im Bescheid festgestellt, hielten sich seine Eltern und Geschwister in Österreich auf. Der Beschwerdeführer hätte im Inland die Volks- und Hauptschule absolviert. Für ihn wäre nach seinem Vorbringen ein Befreiungsschein ausgestellt, aufgrund dessen er - wie auch im angefochtenen Bescheid festgestellt - bei Bescheiderlassung in Arbeit stand.
Bei Zutreffen der Tatsachenbehauptungen des Beschwerdeführers wäre daher die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aufgrund des seinen Verurteilungen zugrundeliegenden Fehlverhaltens nicht im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt gewesen.
Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998190012.X00Im RIS seit
02.05.2001