TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/4 W255 2169464-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.07.2019
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Entscheidungsdatum

04.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W255 2169464-1/40E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkte II., III. und IV., des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zl. 1091941606-151601200, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.08.2018 und 01.07.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise acht Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste am 21.10.2015 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 22.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Muslim, Tadschike und am XXXX in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , geboren zu sein. Der BF habe in Afghanistan sieben Jahre die Grundschule besucht und sei mit seinen Eltern, zwei Brüdern und vier Schwestern aufgewachsen. Sein älterer Bruder, XXXX , befinde sich seit ca. zwei Jahren in Österreich. Der BF habe Afghanistan verlassen, da vor ca. zwei Jahren zwei bewaffnete Talibankämpfer ins Elternhaus des BF gekommen seien und sich im Elternhaus versteckt hätten. Die afghanische Armee und ausländische Soldaten hätten das erfahren und seien um Mitternacht (desselben Tages) in das Elternhaus des BF gekommen. Die Soldaten hätten die zwei Taliban, den Vater, den Onkel und den Cousin des BF mitgenommen. Nach ca. drei Tagen seien der Vater, der Onkel und der Cousin des BF freigelassen worden. Dann hätten die Taliban die Familie des BF beschuldigt, mit der afghanischen Armee zusammenzuarbeiten. Die Familie des BF sei von den Taliban bedroht worden, daher habe der BF Afghanistan verlassen. Zunächst sei sein älterer Bruder XXXX aus Afghanistan ausgereist, dann der Rest der Familie. Die Familie sei an der Grenze zwischen Afghanistan und dem Iran zurückgeblieben, nur der BF in den Iran gereist. Der BF sei dreimal vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden, jeweils aber sofort wieder in den Iran gereist. Dann habe er den Iran verlassen und sei nach Europa gereist.

1.3. Am 28.01.2016 wurde der BF zwecks Feststellung seiner Minder- bzw. Volljährigkeit von einem seitens des BFA bestellten medizinischen Sachverständigen untersucht. In dessen Gutachten vom 06.02.2016 kommt der Sachverständige zum Schluss, dass das (spätest mögliche) fiktive Geburtsdatum des BF XXXX laute und das vom BF im Rahmen der Erstbefragung bekannt gegebene Geburtsdatum nicht mit dem festgestellten Mindestalter vereinbar sei.

1.4. Am 22.06.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg (im Folgenden: BFA), einvernommen. Dabei gab der BF an, dass er im Dorf XXXX aufgewachsen und sieben Jahre die Schule besucht habe. Seine Familie habe ein Haus mit einer Grundstücksfläche von 3 Jirib besessen. Der BF habe in Afghanistan nie gearbeitet, jedoch während seines eineinhalb jährigen Aufenthalts im Iran. Er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, ausgenommen seinem in Österreich lebenden Bruder XXXX . Zwei seiner Schwestern und ein Onkel würden in XXXX leben, aber der BF habe keinen Kontakt mit ihnen.

Der BF habe Afghanistan verlassen, da im November 2012 Taliban zum Elternhaus des BF gekommen seien und gegen den Willen der Familie das Haus betreten hätten. Die Taliban hätten Verpflegung und einen Schlafplatz haben wollen. Sie seien über Nacht geblieben. Gegen Mitternacht sei die Regierung samt Amerikanern gekommen und hätten den BF, seinen Onkel, seinen Vater, seine Mutter und seinen Bruder mitgenommen, gefesselt und die Augen verbunden. Sie hätten das Haus durchsucht und die Familie des BF habe bis 04:00 Uhr früh draußen warten müssen. Dann hätten sie den Vater, Onkel und Cousin des BF mitgenommen und den BF, seinen Bruder und seine Mutter zurückgelassen. Die Taliban hätten das Elternaus des BF neuerlich aufgesucht und gefragt, warum der BF und sein Bruder von den Amerikanern nicht mitgenommen worden seien. Die Taliban hätten den BF der Spionage verdächtigt. Nach drei Tagen seien der Vater und Onkel des BF von den Amerikanern freigelassen worden. Die Taliban seien wiedergekommen und hätten den Vater des BF mitgenommen und geschlagen. Danach sei der Vater zurückgekehrt und die Familie habe ständig Drohbriefe erhalten. Der Bruder des BF ( XXXX ) sei im Visier der Taliban gewesen und er habe sich deshalb drei Monate lang bei einer Schwester (drei Dörfer weiter) versteckt. Dann sei XXXX in den Iran gereist. Die Familie sei weiter von den Taliban bedroht worden. Daher seien der BF, seine Eltern, zwei Schwestern und der jüngere Bruder Richtung Iran geflüchtet. An der Grenze habe der BF seine Familie aus den Augen verloren und bis heute keinen Kontakt mehr mit ihr. Im Iran habe der BF seinen Bruder XXXX über Skype gefunden.

Der BF legte die folgenden Dokumente vor:

* A1/2 - Deutschkursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 01.06.2017;

* Alphabetisierungskurs 2 - Kursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 26.09.2016;

* Drohbrief der Taliban an den Bruder des BF;

* Karte für subsidiär Schutzberechtigte des Bruders des BF;

* Tazkira des Bruders des BF.

1.5. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 10.08.2017, Zl. 1091941606-151601200, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von "2 ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung" bestimmt (Spruchpunkt IV.).

1.6. Gegen den unter Punkt 1.5. genannten Bescheid richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wiederholte der BF im Wesentlichen sein Vorbringen, dass seine Familie einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt gewesen sei. Von einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei nicht auszugehen, da der BF sein ganzes Leben in XXXX verbracht habe und über kein soziales und familiäres Netzwerk in Afghanistan verfüge.

1.7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 31.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.8. Die für 12.04.2018 anberaumte Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde kurzfristig abgesagt, da der BF dem Bundesverwaltungsgericht am 11.04.2018 um 20:09 Uhr schriftlich mitteilte, dass er aus gesundheitlichen Gründen verhindert sei. Dem Schreiben war eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung der XXXX für den Zeitraum vom 11.04.2018 bis 12.04.2018 beigefügt.

1.9. Mit Schreiben vom 18.07.2018 wurden dem BF vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt.

1.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.08.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF und seiner Lebensgefährtin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF an, dass er in der Provinz XXXX mit seinen Eltern, vier Schwestern und zwei Brüdern aufgewachsen sei. Die Familie habe ein Lebensmittelgeschäft und viele Grundstücke gehabt. Der BF wisse seit 2013 nichts mehr von seinen Eltern und Geschwistern. Der BF sei in den Iran geflüchtet und seine Familienangehörigen in Afghanistan geblieben. Seitdem wisse er nichts mehr von ihnen. Zwei Schwestern hätten nicht versucht zu flüchten, sondern seien gemeinsam mit ihren Ehegatten in XXXX geblieben. Der BF habe ein Jahr und acht Monate im Iran verbracht und als Bauarbeiter gearbeitet. Dann sei er nach Österreich geflüchtet. Als Fluchtgrund gab der BF zusammengefasst Probleme mit den Taliban und "ausländischen Truppen" an.

Der BF habe in Österreich vor einem Monat die afghanische Staatsangehörige XXXX , geheiratet und lebe seit vier oder fünf Tagen an einer neuen Adresse in XXXX , nunmehr gemeinsam mit seiner Ehegattin. Auf Nachfrage korrigierte er dies dahingehend, dass er nur traditionell im Flüchtlingsheim geheiratet habe, eine standesamtliche Hochzeit aber nicht möglich gewesen sei. Der BF habe diesbezüglich nichts, was er nachweisen könne. Der BF kenne seine Lebensgefährtin seit zwei Jahren und zwei Monaten aus XXXX . Er führe auch seit zwei Jahren und zwei Monaten eine Beziehung mit ihr. Der BF habe von Anfang an auf ihre zwei kleinen Kinder aufgepasst. Der leibliche Vater der Kinder sei aus Afghanistan nach Österreich gekommen, aber seine Lebensgefährtin habe sich vom leiblichen Vater der Kinder getrennt, nachdem dieser gewalttätig geworden sei. Der BF und seine Lebensgefährtin würden aber (doch) nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben. Er besuche sie ein bis zweimal wöchentlich und komme dann von Salzburg nach XXXX , weil die Kinder seiner Lebensgefährtin sehr oft nach ihm fragen würden. Er wohne deshalb nicht mit seiner Lebensgefährtin zusammen, da sein Asylverfahren noch offen sei und er deshalb nicht die Möglichkeit habe, zu übersiedeln. Der BF habe in Österreich die A1-Prüfung abgelegt, aber nicht bestanden. Der BF habe zwei Freunde in seine Flüchtlingsunterkunft eingeladen und sei deswegen aus der Unterkunft hinausgeschmissen worden. Nun lebe er mit vier weiteren Personen, drei davon aus Afghanistan und einem Kurden, in einem anderen Heim. Der BF habe in Österreich noch nie gearbeitet, aber freiwillig im Flüchtlingsheim geholfen, z.B. die Wände gestrichen. Der BF legte eine Einstellungszusage der XXXX vor und gab dazu an, dass er selbst nie mit dem Besitzer des Restaurants, der die Bestätigung ausgestellt habe, gesprochen habe, sondern nur sein Bruder. Der BF habe außerhalb des Restaurants gewartet, da er frisch aus XXXX angekommen und erschöpft gewesen sei.

Seine Lebensgefährtin lebe in XXXX , arbeite derzeit nicht und sei auf der Suche nach einer Arbeit. Sie wohne mit ihren zwei Kindern in einer Mietwohnung und erhalte Unterstützung von der Caritas und vom AMS. Der BF gehe ab und zu laufen, Fußball spielen, ins Fitness Studio, Volleyballspiel usw. Er spiele mit Freunden aus seiner Unterkunft. Der BF habe seine Lebensgefährtin in seiner Einvernahme vor dem BFA am 22.06.2017 deshalb nicht erwähnt, weil er nicht nach ihr gefragt worden sei.

Der BF telefoniere in Österreich drei bis fünfmal pro Woche mit seinem Bruder. Dieser lebe in XXXX .

Die Lebensgefährtin des BF gab als Zeugin befragt an, dass ihr vor ca. zwei Monaten in Österreich Asyl gewährt worden sei. Sie sei gemeinsam mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern von Afghanistan nach Österreich gekommen. Ihr Ehemann habe sie geschlagen, sei sechs Monate im Gefängnis gewesen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Sie kenne den BF seit zwei Jahren und führe seither eine Beziehung mit ihm. Sie würden mehrmals täglich miteinander telefonieren und sich zweimal wöchentlich sehen. Ihre Kinder hätten sich sehr an ihn gewöhnt. Sie habe den BF in Österreich nur in Anwesenheit eines Mullahs geheiratet, standesamtlich jedoch nicht. Sie würden deshalb nicht zusammenleben, da sie zuerst heiraten müssten, damit es möglich wäre, dass der BF zu ihr nach XXXX komme. Sie wisse nicht, warum der BF Afghanistan verlassen habe. Sie hätten nie darüber gesprochen. Sie besuche einen Deutschkurs und arbeite nicht. Sie habe zwar eine Ausbildung als Küchengehilfin angeboten bekommen, jedoch das Angebot nicht annehmen können, da das Angebot ein Vollzeitjob gewesen sei und die BF Alleinerzieherin sei. Sie habe den Bruder des BF, der in Österreich lebe, bisher nicht kennenlernt.

Der BF legte die folgenden Dokumente vor:

* Konventionspass seiner Lebensgefährtin und deren Kinder;

* Meldezettel;

* Teilnahmebestätigung an einem "Werte- und Orientierungskurs";

* Unterstützungsschreiben des Leiters der Grundversorgung " XXXX ;

* A1/2 - Deutschkursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 01.06.2017;

* Alphabetisierungskurs 2 - Kursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 26.09.2016;

* Bestätigung der Vorsprache des BF zwecks Spracheinstufung;

* Anmeldung zum Deutschkurs A1/A2;

* Liste des Magistrats der XXXX "Dokumente für Eheschließung oder Ehefähigkeitszeugnis";

* Karte für subsidiär Schutzberechtigte des Bruders des BF;

* Tazkira des Bruders des BF.

1.11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2018, GZ W255 2169464-1/18E, wurde die unter Punkt 1.6. genannte Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung." Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

1.12. Gegen das unter Punkt 1.11. genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhob der BF fristgerecht Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

1.13. Mit Erkenntnis vom 25.02.2019, GZ E 4181/2018-16, erkannte der Verfassungsgerichtshof, dass der BF durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2018, GZ W255 2169464-1/18E, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art. I Abs. 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 380/1973) verletzt worden sei. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts werde insoweit aufgehoben. Im Übrigen (betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) werde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom 31.08.2018 die am Vortag (30.08.2018) erlassenen Richtlinien von UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender gänzlich außer Acht gelassen habe.

1.14. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.04.2019, GZ Ra 2018/19/0573-8, wurde die Revision des BF hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zurückgewiesen. Im Übrigen wurde die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt, da offenbar geworden sei, dass der BF durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.02.2019, GZ E 4181/2018-16, bezüglich der übrigen Spruchpunkte klaglos gestellt worden war.

1.15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.07.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF und seiner Lebensgefährtin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er beabsichtige, seine Lebensgefährtin am XXXX zu heiraten und am XXXX der gemeinsame Sohn XXXX geboren worden sei. Kurz nach Erhalt des negativen (unter Punkt 1.11. genannten) Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts sei die Lebensgefährtin des BF schwanger geworden. Die Schwangerschaft sei gewollt gewesen. Der BF sei derzeit noch mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet, verbringe aber seit der Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin die meiste Zeit bei seiner Lebensgefährtin in XXXX und beabsichtige, zu ihr zu ziehen. Die alleinige Obsorge für den gemeinsamen Sohn komme der Lebensgefährtin des BF zu. Der BF habe bisher keine Deutschprüfung positiv absolviert und besuche derzeit auch keinen Deutschkurs. Er habe in Österreich noch nie gearbeitet. Er lebe von der Grundversorgung und unterstütze seine Lebensgefährtin nicht in finanzieller Hinsicht. Sie unterstütze ihn finanziell, soweit es gehe. Der BF habe in Österreich ehrenamtlich gearbeitet, aber keine Bestätigungen, die er diesbezüglich vorlegen könne. Für wie viele Wochen er ehrenamtlich gearbeitet habe, wisse er nicht mehr. Der BF habe auf seiner Flucht im Iran als Friseur und Maler gearbeitet und würde in Österreich auch gerne als Friseur oder Maler arbeiten. Der BF habe keine Informationen über seine Verwandten, die nicht in Österreich leben. Als er im Iran angekommen sei, seien seine Verwandten auf der afghanischen Seite der Grenze festgenommen worden und seither wisse der BF nicht, was mit ihnen passiert sei.

Die Lebensgefährtin des BF gab als Zeugin befragt an, dass der BF zwar in XXXX gemeldet sei, aber mit ihr gemeinsam in XXXX leben würde. Beim BF handle es sich um den Vater ihres am XXXX geborenen Sohnes. Sie wolle gemeinsam mit dem BF leben, da sie ihn aufrichtig liebe und der Sohn nicht ohne Vater aufwachsen solle. Sie beabsichtige, den BF am XXXX zu heiraten.

Der BF legte die folgenden Dokumente vor:

* Geburtsurkunde des Sohnes des BF samt Auszug aus dem Geburtseintrag;

* Vaterschaftsanerkenntnis des BF;

* Antrag auf internationalen Schutz des Sohnes des BF vom 27.06.2019;

* Heiratsurkunde des BF (Heirat nach islamischem Recht, ausgestellt von der Islamischen Religionsgemeinde Linz) vom 13.02.2019;

* Terminbestätigung des Standesamtes Linz;

* Mutter-Kind-Pass der Lebensgefährtin und des gemeinsamen Sohnes des BF.

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 09.08.2018 und 01.07.2019, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt betreffend den BF, seine Lebensgefährtin ( XXXX , geb. XXXX , Zahl 1104711200-160194182) und seinen in Österreich lebenden Bruder ( XXXX , Zahl 831700605-1755166 bzw. GZ W222 2103830-1), das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1. Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und ist am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX , geboren und aufgewachsen.

2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Dari.

2.1.3. Der BF wuchs in seinem Heimatdorf gemeinsam mit seinen Eltern, vier Schwestern, zwei Brüdern, seinem Onkel und einem Cousin auf und besuchte in seinem Heimatdorf sieben Jahre die Grundschule.

2.1.4. Der BF ist gesund und im erwerbsfähigen Alter.

2.1.5. Der BF ist der Vater des minderjährigen XXXX , StA. Afghanistan.

2.1.6. Die Eltern des BF, zwei Schwestern, der jüngere Bruder, ein Onkel mütterlicherseits und sein Cousin leben nach wie vor im Heimatdorf des BF. Zwei Schwestern und drei Onkel väterlicherseits leben im selben Distrikt, aber anderen Dörfern. Die Familie des BF besitzt ein Lebensmittelgeschäft und viele Grundstücke samt Wohnhaus.

2.1.7. Der BF verließ Afghanistan ca. Ende 2013 und reiste in den Iran, wo er 1 Jahr und 8 Monate blieb und sich seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter und/oder Maler und/oder Friseur verdiente. Im Oktober 2015 reiste der BF vom Iran nach Österreich, wo er am 22.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2.2. Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1. Der BF besuchte von 03.05.2016 bis 16.08.2016 einen Kurs "Deutsch für Asylwerbende - Alphabetisierung 2" und von 24.02.2017 bis Juni 2017 einen Kurs "Deutsch für Asylwerbende - A1/2". Er nahm am 04.07.2018 an einem eintägigen Werte- und Orientierungskurs teil. Der BF ist seit seiner Einreise in Österreich einmal zu einer Deutschprüfung auf A1-Niveau angetreten und hat diese nicht bestanden. Er ist seither zu keiner weiteren Deutschprüfung angetreten. Er hat seit Juli 2017 keinen Deutschkurs mehr besucht und besucht zum Entscheidungszeitpunkt keinen Deutschkurs.

2.2.2. Der BF ist nicht Mitglied eines Vereins. Er hat sich bisher nur vereinzelt wenige Wochen in seiner ehemaligen Flüchtlingsunterkunft im Rahmen Koch/Putz/Organisationstätigkeit eingesetzt, sich darüber hinaus aber nie ehrenamtlich engagiert und ist bisher keiner bezahlten regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er verfügt nicht über den eigenen Lebensbedarf deckende finanzielle Mittel.

2.2.3. Der BF verfügt über keine rechtlich verbindliche Einstellungszusage.

2.2.4. Der BF ist in Österreich im Rahmen der Grundversorgung untergebracht. Der BF wurde einmal an einem nicht feststellbaren Tag aus disziplinären Gründen von seiner Unterkunft in eine andere Unterkunft verlegt. In weiterer Folge wurde er am 27.07.2018 neuerlich aus disziplinären Gründen aus der Grundversorgung des Landes XXXX entlassen und mit 06.08.2018 wieder in die Grundversorgung des Landes XXXX aufgenommen wurde.

2.2.5. Der BF führt eine Beziehung mit der afghanischen Staatsangehörigen XXXX , der im Juni 2018 in Österreich der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde. XXXX reiste im Jahr 2016 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann sowie ihren beiden Kindern XXXX , in Österreich ein. Der damalige Ehemann der BF (und Vater ihrer beiden Kinder) wurde gewalttätig gegenüber XXXX , wurde in Österreich inhaftiert und nach Afghanistan abgeschoben. XXXX hält keinen Kontakt mehr zu ihrem damaligen Ehemann. Ihr kommt das alleinige Sorgerecht für die beiden minderjährigen Kinder zu. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in einer privat angemieteten Wohnung in XXXX .

2.2.6. Der BF und XXXX lernten sich im August 2016 in XXXX kennen und führen seither eine (Fern-)Beziehung. Der BF traf XXXX und ihre beiden Kinder bis Dezember 2018 zweimal wöchentlich in XXXX , während er in XXXX wohnte. Zudem telefonierten sie regelmäßig miteinander. Seit Dezember 2018 verbringt der BF den Großteil der Zeit bei seiner Lebensgefährtin in XXXX . Er kehrt regelmäßig - ca. alle zwei Wochen - in jene Unterkunft für Asylwerber in XXXX zurück, wo er mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. Seine Lebensgefährtin ist mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Der Mietvertrag läuft ausschließlich auf sie. Die zwei Kinder der Lebensgefährtin des BF sind mit dem BF vertraut.

2.2.7. Der BF und XXXX sind seit XXXX nach islamischem Recht, nicht aber nach österreichischem Recht verheiratet. Sie beabsichtigen, am XXXX im Standesamt Linz zu heiraten. Der Termin für den XXXX wurde am XXXX vereinbart.

2.2.8. Am XXXX wurde der gemeinsame Sohn des BF und seiner Lebensgefährtin, XXXX , in XXXX geboren. Er heißt XXXX und ist afghanischer Staatsangehöriger. Die Lebensgefährtin des BF stellte am 27.06.2019 als gesetzliche Vertreterin für ihren minderjährigen Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens.

Der gemeinsame Sohn XXXX wurde gezeugt, nachdem dem BF das unter Punkt 1.11. genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2018, mit dem die Beschwerde des BF in allen Spruchpunkten abgewiesen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung festgestellt und eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt wurde, zugestellt worden war. Der BF und seine Lebensgefährtin wussten zum Zeitpunkt der Zeugung des Sohnes, dass über den Antrag auf internationalen Schutz des BF sowohl vom BFA als auch vom Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf alle Spruchpunkte negativ entschieden worden war. Sie wollten zu diesem Zeitpunkt in Kenntnis der negativen Entscheidungen des BFA und des Bundesverwaltungsgerichts bewusst eine Schwangerschaft und Geburt eines gemeinsamen Kindes herbeiführen. Der Lebensgefährtin des BF kommt die alleinige Obsorge für den gemeinsamen Sohn zu. Der Sohn ist in der Mietwohnung seiner Mutter gemeldet und lebt dort. Der BF hat die gemeinsame Obsorge nicht beantragt. Der BF leistet keinen finanziellen Beitrag für seine Lebensgefährtin und/oder den gemeinsamen Sohn. Die Verwandten des BF, die in Österreich leben, unterstützen den BF finanziell, nicht aber seine Lebensgefährtin und den Sohn.

2.2.9. Der ältere Bruder des BF, XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, lebt in XXXX . Er reiste direkt von Afghanistan nach Österreich, wo er am 18.11.2013 ankam und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Ihm wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.09.2015, GZ W222 2103830-1/7E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA (Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung des Asylberechtigten) wurde vom Bruder des BF im Zuge des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgezogen. Der BF telefoniert mehrmals wöchentlich mit seinem Bruder. Der BF erhält von seinem Bruder finanzielle Unterstützung in Höhe von durchschnittlich EUR 200-300,- monatlich. Der Bruder des BF arbeitet in einem Restaurant.

2.2.10. Ein Cousin väterlicherseits des BF, namens XXXX , lebt mit seiner Familie in Österreich. Der BF steht mit diesem Cousin und dessen Familie nicht in regelmäßigem Kontakt.

2.2.11. Der BF verfügt über keine weiteren als den unter 2.2.1. bis 2.2.10. dargestellten familiären und sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.12. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2.3. Zur Rückkehr des BF nach Afghanistan:

2.3.1. Im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX würde dem BF ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

2.3.2. Der BF wäre im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.3.3. Der BF ist volljährig, anpassungsfähig, mobil, gesund und arbeitsfähig. Er verfügt über siebenjährige Schulbildung in Afghanistan und 20monatige Berufserfahrung als Bauarbeiter und/oder Maler und/oder Friseur im Iran. Er wuchs in XXXX in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Angesichts seiner Bildung, seiner Sprachkenntnisse, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner Berufserfahrung könnte er sich in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Die Eltern des BF, zwei Schwestern, der jüngere Bruder, ein Onkel mütterlicherseits und sein Cousin leben nach wie vor im Heimatdorf des BF. Zwei Schwestern und drei Onkel väterlicherseits leben im selben Distrikt, aber anderen Dörfern. Die Familie des BF besitzt ein Lebensmittelgeschäft und viele Grundstücke samt Wohnhaus. Der in Österreich lebende Bruder des BF unterstützt den BF in Österreich mit durchschnittlich EUR 200-300,- monatlich und wäre in der Lage, den BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ebenso finanziell zu unterstützen. In einer Gesamtbetrachtung sind Herat und Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über die jeweiligen Flughäfen gut erreichbare Städte. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.3.4. Im Falle der Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.3.5. Der BF kann die Stadt Städte Herat oder Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

2.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 26.03.2019:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 01.03.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

2.1. Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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