TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/26 L507 2194191-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.04.2019
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Entscheidungsdatum

26.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L507 2194191-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 17.02.2017 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, nachdem er bereits zweimal in Ungarn sowie einmal in Deutschland im Jahr 2016 Asylanträge gestellt hatte.

Begründend brachte der Beschwerdeführer vor, dass er die Türkei verlassen habe, da dort diverse Repressalien gerade gegen die kurdische Bevölkerung vorlägen und er den Militärdienst nicht ableisten könne. Darüber hinaus hätte die Polizei im Rahmen einer Auseinandersetzung nicht den Beschwerdeführer, sondern die Nationalisten unterstützt. Die Heimatstadt des Beschwerdeführers sei zudem vom Staat zerstört worden, das Haus der Familie gäbe es nicht mehr.

Dieser Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 06.04.2018, Zl. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß

§ 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.).

2. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit hg. mündlich verkündetem Erkenntnis vom 30.05.2018, Zl. L519 2194191-13Z, gemäß § 3 Abs. 1 und

§ 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG, § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2, § 52 Abs. 9 iVm

§ 46 FPG als unbegründet abgewiesen.

Zur Person des Beschwerdeführers wurden im hg. Erkenntnis folgende Feststellungen getroffen:

"Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, welcher der Volksgruppe der Kurden angehört und Moslem ist. Er ist Drittstaatsangehöriger und stammt aus XXXX , Provinz Mardin.

Es liegen EURODAC Treffermeldungen der Kategorie 1 für Ungarn (08.05.2016 und 06.12.2016) und Deutschland (13.05.2016) vor.

Er ist ein junger, weitgehend gesunder, arbeitsfähiger Mann mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Der Beschwerdeführer hat in der Türkei acht Jahre die Grundschule besucht und im Anschluss als Elektriker gearbeitet. Aus beruflichen Gründen pendelte er zuletzt zwischen Istanbul und seiner Heimatstadt. Er spricht Türkisch, Kurdisch und etwas Deutsch. Er besucht einen Deutschkurs, hat aber noch keine Prüfung abgelegt.

Die Eltern und drei Geschwister leben nach wie vor in der Türkei in der Heimatstadt des Beschwerdeführers, wo dieser auch aufwuchs. Ein Bruder des Beschwerdeführers arbeitet in Antalya, ein Bruder lebt in Deutschland. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet als Wachmann, die Mutter zeitweise in der Landwirtschaft.

In Österreich bestehen keine familiären Kontakte, in der Freizeit besucht der Beschwerdeführer einen kurdischen Verein und spielt Fußball.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Er bezieht Leistungen der Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer hat Blutarmut, erhöhtes Cholesterin und eine nicht näher klassifizierte Depression. Diese Erkrankungen sind in der Türkei behandelbar und nicht lebensbedrohend.

Die Identität des BF steht fest."

Zu den Gründen betreffend die Ausreise des Beschwerdeführers aus der Türkei wurden im hg. Erkenntnis folgende Feststellungen getroffen:

"Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei einer begründeten Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung unterliegt. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass im Falle einer Rückkehr in die Türkei er der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Ableistung des Militärdienstes in der Türkei eine relevante Benachteiligung oder asylrelevante Verfolgung droht.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass er in der der Türkei aufgrund der kurdischen Abstammung bedroht oder verfolgt wurde bzw. im Falle der Rückkehr werden würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig und möglich ist."

Beweiswürdigend wurde vom Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes ausgeführt:

"Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde hat das BFA dem Beschwerdeführer zwar die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen, sondern ist vielmehr vom Vorbringen des Beschwerdeführers ohne nähere Erörterung ausgegangen. Das Vorbringen wurde allerdings richtiger Weise als nicht asylrelevant eingestuft.

Das BVwG geht entgegen der Einschätzung der belangten Behörde davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zwar im Kernpunkt zum Unwillen, den Militärdienst abzuleisten und der teilweisen Zerstörung der Heimatstadt des Beschwerdeführers der Wahrheit entspricht. Das darüberhinausgehende Vorbringen ist jedoch teilweise unglaubwürdig.

Im Rahmen seiner Erstbefragung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, dass in seiner Heimat die Repression der türkischen Armee sehr hoch sei. Es würden überall willkürlich Menschen verhaftet, gefoltert und inhaftiert. Der Vater habe Angst um den Beschwerdeführer gehabt, und somit dessen Flucht aus der Heimat unterstützt. Der Beschwerdeführer hätte bei Verwandten in Deutschland leben sollen. In der Heimat habe der Beschwerdeführer Angst, dass der verhaftet und inhaftiert werde.

Der weitere Grund für seine Ausreise sei, dass er den Militärdienst nicht antreten wolle, dieser dauere ca. ein bis zwei Jahre und wolle er nicht auf Landsleute schießen müssen. Des Weiteren werde das Militär auch im Kriegsgebiet in Syrien eingesetzt. Da der Beschwerdeführer gegen Gewalt sei, hätte er den Dienst nicht antreten wollen und werde er nunmehr vom Militär in der Heimat gesucht.

In der Einvernahme vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer vorweg an, dass er sein bisheriges Vorbringen dahingehend ergänzen wolle, dass seine Heimatstadt nunmehr vernichtet worden sei. Er könne in dieser Gesellschaft nicht mehr weiterleben, er könne nicht sagen, dass er Atheist ist.

Befragt dazu, aus welchem Grund er den Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, gab der Beschwerdeführer völlig vage an, in der Türkei könne man nicht mehr weiterleben, dies setze ihn zu sehr unter Druck. Seine Heimatstadt sei zerstört worden und er sei zum Militärdienst einberufen worden. Seine Heimatstadt sei zerstört worden, damit die Leute flüchten und die Stadt nicht mehr in der Hand der PKK ist. Sein Elternhaus sei ebenfalls zerstört worden, er telefoniere zwar regelmäßig mit seiner Familie, wisse jedoch nicht, wo konkret die Familie nunmehr lebe.

Seiner Einberufung im Jahr 2016 habe der Beschwerdeführer nicht Folge geleistet. Den Militärdienst wolle er nicht ableisten, da die Leute, welche Anhänger der PKK sind, von Erdogan in den Tod geschickt werden würden. Den HDP-Anhängern passiere Unrecht bei Militärdienst.

Befragt nach dem konkreten Anlass im Zeitpunkt des Verlassens der Türkei, gab der Beschwerdeführer an, dass es ihm nicht immer gut gegangen sei vor seiner Ausreise. Dort wo er gearbeitet habe, hätte er sich nicht wohl gefühlt. Nachgefragt ob er somit alle Gründe für die Ausreise genannt habe, bejahte der Beschwerdeführer dies.

Über Nachfrage, ob er jemals in der Türkei politisch aktiv gewesen sei, gab der Beschwerdeführer an, nie politisch aktiv gewesen zu sein. Bei den Protestmärschen wegen Kobane sei er jedoch schon dabei gewesen. Nachdem Teilnehmer inhaftiert worden wären, hätte er auch dagegen demonstriert. In seiner Heimatstadt seien Schützengräben ausgehoben worden. Er hätte wie alle anderen auch dabei mitgeholfen. Gekämpft hätte er jedoch nie, das hätten nur die Guerillas der PKK gemacht. Die Mitarbeit am Bau der Schützengräben habe keinerlei Konsequenzen für ihn gehabt.

Es sei auch nie ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet worden, er habe sich auch nie im Gefängnis befunden, aber ein älterer Bruder und ein Onkel seien im Gefängnis wegen ihrer Anhängerschaft zur PKK gewesen. Der Bruder sei nach der Enthaftung nach Deutschland gegangen, wo auch viele Cousins des Beschwerdeführers leben würden. Der Onkel befinde sich noch immer im Gefängnis.

Auf die Frage, ob er jemals Probleme mit der Polizei oder dem Militär in der Türkei gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, nie festgenommen worden zu sein. Er sei aber einmal von einem türkischen Nationalisten verprügelt worden, da er kurdischen Musik gehört hätte. Die Polizei, die daraufhin gekommen sei, hätte nicht dem Beschwerdeführer, sondern dem Nationalisten geglaubt und dann auch noch den Beschwerdeführer verprügelt. Ganz konkret nachgefragt, ob dies das einzige Mal gewesen sei, bei dem er Probleme mit der Polizei gehabt hätte, bejahte der Beschwerdeführer dies.

Schon das Verhalten des Beschwerdeführers im Zuge seiner ersten Asylantragsstellungen in der EU in Deutschland und Ungarn zeigt, dass der Beschwerdeführer mit allen Mitteln versucht, einen Aufenthaltstitel in Deutschland oder Österreich zu erlangen. Dezidiert gab er in der Erstbefragung an, dass er nach Deutschland gerne zurückwolle, auch in Österreich bleiben könne, jedoch nach Ungarn keinesfalls zurückkönnte. Dass der Beschwerdeführer nicht aus gegründeter Angst vor Verfolgung im ersten sicheren Land bleiben wollte, welches er erreichte, indiziert bereits, dass er sich aus wirtschaftlichen Gründen zu seinen Verwandten nach Deutschland begeben wollte und keinerlei Verfolgung im Heimatland ausgesetzt war.

In Deutschland versuchte er gemäß eigenen Angaben sogar über seine Identität zu täuschen. Man hätte in Deutschland allerdings erkannt, dass der Beschwerdeführer kein Syrer ist und ihn deshalb nach Ungarn zurückgebracht. Auch dies zeigt, dass der Beschwerdeführer bereit ist auf alle Mittel zurückzugreifen, um in der EU Asyl zu erhalten, jedoch kein tatsächliches Verfolgungsszenario erlebt hat.

Angemerkt wird weiter, dass gerade der vom Beschwerdeführer schon zwei Jahre vor der Ausreise gefasste Entschluss, das Heimatland zu verlassen, und die nach einem weiteren Jahr erfolgte Ausreise belegen, dass der Beschwerdeführer nicht aus gegründete Furcht sein Heimatland verlassen hat. Zum konkreten Zeitpunkt des Verlassens des Heimatlandes gab er sogar an, dass es ihm letztlich nicht gut gegangen sei und er sich an seinem Arbeitsplatz nicht wohl gefühlt hätte. Ein Verfolgungsrelevantes Szenario stellt dies jedoch nicht dar.

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung noch angegeben, dass sich sein Reisepass und der Personalausweis in der Türkei befinden. In der Einvernahme vor der belangten Behörde konnte der Beschwerdeführer jedoch nur seinen Personalausweis vorlegen. Der Beschwerdeführer blieb eine Erklärung schuldig, warum er gerade diesen und nicht auch den Reisepass vorgelegt hat. Gerade vor diesem Hintergrund, dass ihm der Personalausweis gemäß seinen Angaben dann aus der Türkei geschickt worden sein müsste, ist es nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht wissen will, wo in seiner Heimatstadt seine Familie nunmehr lebe, da ihm wohl diese ja die Dokumente übermittelt haben müssten.

Auch im Zusammenhang mit seinen eigenen Aufenthaltsorten vor seiner Ausreise verwickelte sich der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde in zahlreiche Widersprüche. Er konnte bis zuletzt letztlich nicht angeben, wo und wie lange er sich vor seiner Ausreise konkret aufgehalten hat, wobei es dahingestellt bleiben kann, wo konkret sich der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise aufgehalten hat, da jedenfalls festzustellen ist, dass er zwischen Istanbul und seinem Heimatdorf regelmäßig gependelt ist, da er in Istanbul zeitweise auf Baustellen gearbeitet und damit auch teilweise dort gelebt hat.

Der Beschwerdeführer hat mehrfach behauptet, Atheist zu sein. Demgegenüber hat er jedoch in der Einvernahme vor der belangten Behörde befragt nach Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit angegeben, dass er Kurde und Moslem sei, aber seine Familie den Islam nicht praktizieren würde. Der Beschwerdeführer gab bei seinen Einvernahmen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür an, dass ihm aus diesem Grund eine Verfolgung gedroht hätte bzw. im Falle der Rückkehr drohen würde. Lediglich beim Militär müsste er behaupten, dass er Moslem ist, was er selbst jedoch in der Einvernahme als für sich selbstverständlich und möglich angegeben hat.

Der Beschwerdeführer verneinte auch bei seiner Einvernahme jegliche aktive politische Tätigkeit und führte an, dass er lediglich an Demonstrationen teilgenommen und bei der Verteidigung seiner Heimatstadt durch Schützengräbenbau mitgeholfen habe. Eine Verfolgung in diesem Zusammenhang behauptete der Beschwerdeführer nicht einmal am Rande selbst in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Vielmehr gab er trotz intensiven Nachfragens an, auch nie Probleme mit der Polizei und dem Militär - mit Ausnahme eines Vorfalles - gehabt zu haben.

Diesen einzelnen Vorfall, bei welchem die Polizisten zu einem Nationalisten und nicht zum Beschwerdeführer geholfen und sogar den Beschwerdeführer verprügelt hätten, erwähnte der Beschwerdeführer jedoch nur am Rande und machte derartige Probleme nicht für seine Ausreise verantwortlich.

Hierzu ist festzuhalten, dass auch wenn es in der Türkei (noch) zu Misshandlungen durch die Polizei kommt, nicht festgestellt werden kann, dass diese systematisch und flächendeckend stattfinden, sondern es sich hierbei um fallweise auftretendes individuelles Fehlverhalten einzelner Organwalter handelt, wogegen man sich durch die Ergreifung der entsprechenden Rechtsbehelfe zur Wehr setzen kann. Auch bezieht sich die Berichtslage in Bezug auf Misshandlungen überwiegend auf das polizeiliche Ermittlungsverfahren, welches im gegenständlichen Fall sichtlich schon abgeschlossen ist. Es kann letztlich nicht über das Kalkül der bloßen Wahrscheinlichkeit hinausgehend festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, von polizeilichen Übergriffen betroffen zu sein.

Auch aus der Inhaftierung seiner Verwandten leitete der Beschwerdeführer für sich selbst keine Verfolgung ab. Vielmehr wurde vom Beschwerdeführer am Ende der Einvernahme angegeben, dass er im Falle der Rückkehr in die Türkei befürchte, zum Militärdienst eingezogen zu werden und dort nicht sagen zu können, dass er Atheist sei, sondern dort angeben zu müssen, dass er Moslem sei. Nochmals konkret auf Onkel und Bruder angesprochen gab der Beschwerdeführer zwar an, dass diese wegen Anhängerschaft zur PKK ins Gefängnis gekommen wären und zusätzlich auch Cousins inhaftiert seien, dass auch ihm eine Haft drohe, gab der Beschwerdeführer jedoch nicht an.

Befragt zu sonstigen Befürchtungen traf der Beschwerdeführer nur mehr allgemeine Ausführungen dazu, dass es religiöse Unterdrückung gäbe und verwies zusätzlich abschweifend auf Kobane und Afrin. In diesem Zusammenhang wird nicht verkannt, dass es gerade auch aus der Heimatregion des Beschwerdeführers zahlreiche Binnenvertriebene in der Türkei gibt und die Heimatstadt XXXX des Beschwerdeführers von Ausgangssperren, Menschenrechtsverletzungen und Kämpfen zwischen türkischer Armee und kurdischen Kämpfern gerade im Zeitraum der Ausreise des Beschwerdeführers in den Jahren 2015/2016 betroffen war. Dennoch wird festgehalten, dass es notorischer Weise nunmehr zum Wiederaufbau in der Region gekommen ist und die Sicherheitslage als stabil eingeschätzt werden kann. Im Lichte dessen gehen auch die Ausführungen des Beschwerdeführers, seine Heimat sei zerstört und er könne quasi aus diesem Grunde nicht zurückkehren, ins Leere.

Auch in der Beschwerde wurden lediglich Berichte zitiert, ohne ein substantiiertes Vorbringen dazu zu erstatten, inwiefern der Beschwerdeführer davon tangiert sein sollte.

Sofern sich die Beschwerde auf die Pauschalbehauptung stützte, der Beschwerdeführer werde im Falle der Rückkehr wegen seiner Teilnahme an Protestmärschen angehalten, inhaftiert und verfolgt, ist dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich keinen konkreten Anhaltspunkt dafür geben konnte, aus welchen Gründen gerade ihn solche Verfolgungsgefahr treffen würde. So vermochte er auch nicht darzulegen, dass er sich vor der Ausreise in irgendeiner Weise exponiert hätte, sodass er dadurch in das Blickfeld der Regierung gelangt wäre. Er ist gemäß eigenen Angaben selbst nicht politisch aktiv gewesen und auch kein Mitglied einer Partei, sondern hat nur an allgemeinen Demonstrationen als einfacher Teilnehmer teilgenommen bzw. beim Schützengräbenbau für seine Heimatstadt mitgeholfen. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in diesem Zusammenhang strafrechtlich verfolgt werden würde, ließen sich im Verfahren nicht ausmachen. Auch aus den in der Beschwerde zitierten Berichten ließ sich eine konkrete Verfolgungsgefahr individuell für den Beschwerdeführer nicht ableiten.

Schließlich gibt es nicht einmal Hinweise darauf, dass sämtliche Mitglieder der legalen kurdischen Parteien in der Türkei systematisch verfolgt würden. Dies wäre auch tatsächlich in Anbetracht des großen Wählerstammes und der sehr großen Minderheit der Kurden in der Türkei ein für den türkischen Staat nicht zu bewältigender logistischer Aufwand. Dass der Beschwerdeführer in irgendeiner Form in diesem Zusammenhang gesucht oder verfolgt worden wäre, hat der Beschwerdeführer letztlich selbst verneint und auch angegeben, dass er niemals festgenommen worden sei.

Aus den Länderfeststellungen und den vorgelegten Berichten geht zwar hervor, dass tatsächlich diverse HDP Funktionäre und insbesondere die Ko-Vorsitzenden der HDP in der Türkei wegen angeblicher Verbindung zur PKK inhaftiert wurden. Der Beschwerdeführer war jedoch in der Türkei für die Partei in keiner exponierten Position tätig, dies lässt sich aus seinen vagen Angaben hierzu, insbesondere auch zu seinen Demonstrationsteilnahmen ableiten.

Aus den vom Beschwerdeführer gesetzten Aktivitäten war für das erkennende Gericht nicht abzuleiten, dass er dadurch das Interesse der türkischen Behörden an seiner Verfolgung auf sich gezogen hätte. Gegen diese Annahme sprach der untergeordnete Charakter seiner Beteiligungen in Verbindung mit der dazu herangezogenen länderkundlichen Lageeinschätzung. Letztlich kann davon ausgegangen werden, dass nur HDP Mitglieder, die in herausgehobener oder erkennbar führender Position für die HDP tätig sind bzw. denen letztlich ein Kontakt zur PKK unterstellt wird oder welche sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen.

Aus behaupteten Nachteilen für den Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe war auch angesichts der fehlenden Eingriffsintensität derselben kein als Verfolgung zu qualifizierendes Szenario zu gewinnen.

Diesbezüglich ist grundsätzlich festzuhalten, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind dahingehend hinzunehmen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers für sich allein nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 23.06.1998, Zl. 96/20/0144, ausgesprochen, dass die bloße Zugehörigkeit türkischer Staatsangehöriger zur Volksgruppe der Kurden und das alevitische Religionsbekenntnis samt der damit einhergehenden Diskriminierung noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung bilden.

Hinsichtlich der Abstammung des Beschwerdeführers ist weiter auszuführen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte die Situation für Kurden - abgesehen von den Berichten betreffend das Vorgehen des türkischen Staates gegen Anhänger und Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften PKK und deren Nebenorganisationen - nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Abstammung in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der Person des Beschwerdeführers haben sollten, wurden nicht vorgebracht.

Schließlich leben auch Verwandte weiterhin in der Türkei als Kurden, offenbar ohne besondere Probleme im Zusammenhang mit ihrer Volksgruppe zu haben.

Zum Kernvorbringen des Beschwerdeführers, er möchte seinen Militärdienst nicht ableisten, da er in den Tod geschickt, in Kampfhandlungen verwickelt werden und gegen Landsleute kämpfen müsste, ist festzuhalten, dass dieses Vorbringen nicht asylrelevant ist.

Hinsichtlich der behaupteten Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung ist vorweg nochmals festzuhalten, dass der Beschwerdeführer erst in der Beschwerde konkret einen Haftbefehl in diesem Zusammenhang erwähnte, welchen er jedoch nicht vorlegen konnte, was dieses Vorbringen an sich nicht glaubwürdig erscheinen lässt. Es erscheint an sich schon nicht nachvollziehbar, dass sich der Beschwerdeführer gerade zu einem derart wesentlichen Punkt keine Beweise ausstellen ließ bzw. diese wie den Personalausweis nachreicht. Zudem gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme an, dass es seiner Meinung nach früher möglich gewesen wäre, sich freizukaufen, jetzt jedoch nicht mehr. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer 5000 Euro an den Schlepper bezahlt haben will, erscheint es nicht plausibel, warum er sich dann nicht konkret vor der Ausreise dazu erkundigt, ob er sich nicht freikaufen kann.

Mit seinen Angaben, dass er nicht für Erdogan sterben bzw. auf Landsleute schießen wolle, konnte der Beschwerdeführer auch keinesfalls glaubhaft machen, dass er aus Gewissensgründen den Wehrdienst in der Türkei nicht ableisten könnte. Hingewiesen wird auch auf die rechtliche Begründung unten, wonach dem Vorbringen des Beschwerdeführers an sich - selbst bei Wahrunterstellung des Vorliegens eines Haftbefehls - keinesfalls Asylrelevanz zukommt.

Schließlich hat der Beschwerdeführer selbst nicht fundiert behauptet, dass er gerade als Kurde während eines noch abzuleistenden Militärdienstes in der Türkei maßgeblich schlechter behandelt werden würde als andere Personen. Er gab lediglich vage an, dass Anhängern der HDP Unrecht beim Militärdienst geschehe, wobei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen wird, dass der Beschwerdeführer jegliche politischen Aktivitäten - außer einigen Demonstrationsteilnahmen - verneinte und damit letztlich auch nicht als Anhänger der HDP gesehen werden kann. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich jedenfalls, dass Kurden nicht absichtlich in Kriegsgebiete geschickt werden und auch sonst keine systematischen Misshandlungen von Kurden beim Militär gegeben sind.

Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid entsprechende Länderfeststellungen wiedergegeben. Aus diesen ergibt sich, dass die türkischen Streitkräfte ihre Wehrpflichtigen generell in anderen Landesteilen als ihrer Heimat einberufen würden, damit diese die Türkei kennen lernen. Ebenso dient diese Vorgangsweise Bildungszwecken. Damit stellt die Befürchtung des Beschwerdeführers, absichtlich in Kriegsgebiete geschickt zu werden, eine bloße Mutmaßung dar. Dies vor allem auch, da der Beschwerdeführer aus der Süd-Ostregion der Türkei stammt, und es damit wahrscheinlich ist, dass er seinen Militärdienst gerade nicht in einer Krisenregion ableisten muss.

Aktuell sind dem Gericht auch keine umfassenden Kampfhandlungen auf türkischem Staatsgebiet oder im Grenzgebiet der Türkei bekannt, vor deren Hintergrund es allenfalls zu einer Generalmobilmachung oder zumindest zu einem großangelegten Einsatz von Bodentruppen, für den auch Grundwehrdiener herangezogen werden, bekannt. Eine besondere Benachteiligung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Person oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit wurde vom ihm nicht fundiert behauptet und kann auch aufgrund der Länderfeststellungen nicht angenommen werden. Ein gezieltes, systematisches Vorgehen ist nicht erkennbar (vgl. rechtliche Ausführungen).

Für den Fall der Einziehung des Beschwerdeführers zum Militärdienst im Gefolge einer Rückkehr in die Türkei war nicht feststellbar, dass er diesfalls aus in seiner Person gelegenen Gründen mit einer schlechteren Behandlung gegenüber anderen Wehrdienern zu rechnen hätte.

Die vom Rechtsvertreter in der Verhandlung erwähnte Verurteilung der Türkei durch den Europäischen Gerichthof (Ülke vs. Türkei vom 24.01.2006, BeschwerdeNr. 39437/98, NL 2006, 23) wurde von diesem nicht im Zusammenhang mit Verfolgungs- oder Asylgründen getroffen. In diesem Fall hat vielmehr der damalige Präsident der Izmirer Vereinigung von Kriegsgegnern, Ülke, öffentlich auf einer Pressekonferenz seinen Einberufungsbefehl verbrannt und sich damit aufgrund seiner pazifistischen Einstellung geweigert, den Militärdienst abzuleisten. Nach seiner Verurteilung zu einer sechsmonatigen Haftstrafe im Jänner 1997 trat Ülke den Militärdienst an, verweigerte aber regelmäßig die Ausführung von Befehlen sowie das Tragen einer Uniform. Aufgrund dessen (Befehlsverweigerung) wurde er zwischen März 1997 und November 1998 achtmal verurteilt.

Dazu hat der EGMR ausgeführt, dass "zahlreichen Strafverfolgungen, der damit zusammenhängende kumulative Effekt der verhängten strafrechtlichen Sanktionen und der beständige Wechsel von Anklage und Haftstrafe, zusammen mit der Möglichkeit, für den Rest seines Lebens strafrechtlich verfolgt zu werden, als Sanktionen wegen der Verweigerung des Wehrdienstes unverhältnismäßig zum gesetzlich verfolgten Ziel der Gewährleistung der Ableistung des Wehrdienstes sind."

Weiters wurde festgestellt, dass Ülke durch den türkischen Staat im Rahmen seiner Behandlung im Zuge von mehreren Verurteilungen wegen Wehrdienstverweigerung schwere Schmerzen und Leiden zugefügt wurden, welche über das übliche Maß an Demütigungen, welche einer Verurteilung und Haft innewohnen, hinausgegangen sind. In Summe haben diese Handlungen des Staates zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK geführt, und wurde weiters ausgeführt, dass das damalige Sanktionssystem in der Türkei im Falle der Wehrdienstverweigerung ungeeignet ist, um Situationen wie denen im Fall Ülke gerecht zu werden. Keinesfalls wurde mit dieser Entscheidung der Türkei auferlegt, damit etwas am grundsätzlich verpflichtenden Wehrdienstwesen zu ändern bzw. wurde auch die Möglichkeit, den Zivildienst abzulegen, nicht als verpflichtend einzurichtendes Institut angesehen. Damit hält der EGMR im Urteil Ülke vs. Türkei nur fest, dass eine übermäßig strenge Strafe eine erniedrigende Behandlung darstellen und zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen kann und stellt damit fest, dass der gesetzliche Rahmen in der Situation des Ülke nicht tauglich war und keine angemessenen Mittel zur Verfügung stellte.

Auch diese Entscheidung ändert damit nichts an der Einschätzung der Fehlenden Asylrelevanz des diesbezüglichen Vorbringens des Beschwerdeführers. Allein die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes stellt auch nach dieser Entscheidung grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar; ebenso wenig wie eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes oder wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Türkei in wirtschaftlicher Hinsicht in keine existenzbedrohende Notlage geraten würde, stützt sich darauf, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen arbeitsfähigen Mann handelt, der bereits vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat in der Lage gewesen ist, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Der Beschwerdeführer verfügt über eine mehrjährige Schulbildung und war vor seiner Ausreise erwerbstätig. Der Beschwerdeführer war insofern schon in der Türkei selbsterhaltungsfähig, weshalb nicht ersichtlich wäre, warum es ihm nicht möglich sein sollte, seinen Lebensunterhalt wie schon zuvor aus eigener Kraft zu bestreiten. Auch lebt seine Familie nach wie vor in der Türkei, weshalb von familiärer Unterstützung auszugehen ist."

Diese Entscheidung erwuchs mit der mündlichen Verkündung am 30.05.2018 in Rechtskraft.

3. Am 16.01.2019 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten, verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.01.2019 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er sich vor seiner neuerlichen Einreise in das österreichische Bundesgebiet vom Juni 2018 bis Oktober 2018 in Deutschland und von Oktober 2018 bis 16.01.2019 in der Schweiz aufgehalten habe. Zur Begründung seines zweiten Antrages auf internationalen Schutz führte der Beschwerdeführer aus, dass er vor ungefähr 20 Tagen bemerkt habe, dass er in einer Facebook-Nachricht von einer unbekannten Frau mit blonden Haaren bedroht worden sei. Der Beschwerdeführer sei von dieser Frau mit der Ermordung bedroht worden, wobei sie geschrieben habe, dass sie Leute wie den Beschwerdeführer schon zur Genüge umgebracht hätte, und dass der Beschwerdeführer auf einer Liste stehe. Diese Bedrohung sei in türkischer Sprache gesendet worden. Der Beschwerdeführer wisse nicht, von welcher Seite diese Nachricht gesendet worden sei. Vermutlich sei diese Nachricht von behördlichen Stellen abgesandt worden. Man könne dies in seinem Facebook-Account nachvollziehen. Der Beschwerdeführer habe Angst um sein Leben. Auch sein Bruder sei einmal festgenommen und zusammengeschlagen worden. Es gebe Agenten, die Kurden identifizieren und dann an die Behörden weiterleiten würden. Menschen würden willkürlich festgenommen und man würde sie verschwinden lassen.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch ein Organ des BFA am 01.02.2019 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass die Gründe aus dem ersten Asylverfahren nach wie vor aktuell seien. Zudem sei er in Facebook-Nachrichten bedroht worden. Man würde wissen, wer der Beschwerdeführer sei und man habe ihn erkannt. Sie hätten 13 Personen erkannt und der Beschwerdeführer würde auch "drankommen". Die letzte Drohung in dieser Art habe er im März 2018 erhalten. Seinen Facebook-Account wolle der Beschwerdeführer deswegen aber nicht löschen. Diese Drohungen hätten mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers im ersten Asylverfahren nichts zu tun. Jemand habe den Beschwerdeführer fotografiert und dadurch sei er erkannt worden, als er 2018 bei einer Demonstration in Österreich gewesen sei. Aber genaueres wisse der Beschwerdeführer nicht. Die Mutter des Beschwerdeführers habe ihm gesagt, dass es für eine Rückkehr in die Türkei zu gefährlich sei und er festgenommen werden könne. Auch der kurdische Verein in Österreich, den der Beschwerdeführer besuche, habe ihm von einer Rückkehr in die Türkei abgeraten.

Der Beschwerdeführer sei von Juni 2018 bis zum 16.01.2019 nicht in Österreich aufhältig gewesen. Er besuche einen kurdischen Verein, sei aber kein Mitglied dieses Vereines. Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers würden nach wie vor in der Türkei leben. Er habe zu seinen Verwandten in der Türkei regelmäßig Kontakt.

Dieser verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des BFA vom 07.02.2019, Zl. XXXX , hinsichtlich des Status des Asylberichtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß

§ 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. Und II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 [AsylG] nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm

§ 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt V.). Festgestellt wurde, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen ab dem 01.02.2019 im Quartier, XXXX , Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.).

In diesem Bescheid wurde vom BFA festgestellt, dass das Asylverfahren mit der Zahl 170211572 - Außenstelle Niederösterreich rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei. In diesem Verfahren seien alle bis zur Entscheidung dieses Asylverfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden, sodass darüber nicht mehr neuerlich zu entscheiden sei.

In dieser Entscheidung sei auch der Refoulement Sachverhalt im Sinne des § 50 FPG berücksichtigt worden.

Die Begründungen im ersten Asylverfahren seien als unglaubwürdig erachtet worden.

Im neuen Antrag auf internationalen Schutz habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er vor ca. 20 Tagen mehrere Facebook-Nachrichten von diversen unbekannten Personen erhalten hätte. Eine dem Beschwerdeführer unbekannte Frau hätte den Beschwerdeführer mit dem Ermorden bedroht und ihm gesagt, dass er auf einer Liste stehen würde.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 01.02.2019 habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er vor ca. zehn Monaten auf Facebook diverse Drohnachrichten erhalten habe. Man würde wissen, wer der Beschwerdeführer sei. Jene nach Nachrichten seien dem Beschwerdeführer erst im Zuge seines Aufenthaltes in der Schweiz vor ungefähr zwei Monaten aufgefallen. Der Beschwerdeführer wolle aus diesem Grund aber seinen Facebook Account nach wie vor nicht löschen. Ein Bruder des Beschwerdeführers sei festgenommen und für ca. sechs Jahre inhaftiert worden. Agenten hätten den Beschwerdeführer bei der Polizei gemeldet und würde er nun Angst haben, ebenfalls festgenommen zu werden. Am Ende habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er während einer Demonstration in Österreich im März 2018 fotografiert worden sei.

Vom BFA könne insgesamt kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden, da seine Angaben weiterhin keinen glaubhaften Kern aufweisen würden und auf sein vorheriges Vorbringen aufbauen würden. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche somit nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen.

Ferner wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer am 16.01.2019 von Deutschland erneut in das österreichische Bundesgebiet eingereist und seitdem in Österreich aufhältig sei.

Zudem habe der Beschwerdeführer angegeben gelegentlich einen kurdischen Verein zu besuchen, jedoch kein Mitglied dieses Vereines zu sein.

Es hätten keine besonderen Integrationsmerkmale in Österreich festgestellt werden können. Unter Beachtung sämtlich bekannter Tatsachen könne kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 3 und Art. 8 MRK erkannt werden.

Das BFA traf sodann im angefochtenen Bescheid nachfolgend wörtlich wiedergegebene Feststellungen zur Lage in der Türkei:

"1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 28.1.2019, Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) zur Menschenrechtslage und der Situation der Opposition (relevant für die Abschnitte 4.Rechtsschutz/Justizwesen, 11. Allgemeine Menschenrechtslage und 13.1.Opposition)

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat am 24.1.2019 eine Resolution [Nr.2260] zur weiterhin besorgniserregenden Lage der Demokratie, sowie zur Verschlechterung der Situation der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte verabschiedet. Mit Sorge sieht PACE die Aufhebung der Immunität von über 154 Parlamentariern, wovon die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) unverhältnismäßig stark betroffen ist; die Auswirkungen der, während des Ausnahmezustandes zwischen Juli 2016 und Juli 2018 erlassenen Notstandsdekrete auf die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die Medien und die lokale Demokratie;

die Verfassungsreformen von 2017; die übereilte Durchführung der vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2018 und die, diesen unmittelbar vorausgegangene, Wahlrechtsreform. Die Meinungsfreiheit steht laut PACE vor dauerhaften Herausforderungen, insbesondere durch das Anti-Terror-Gesetz und dessen breite Auslegung sowie durch die Artikel 299 und 301 des Strafgesetzbuches.

In diesem Zusammenhang bringt die Versammlung ihre Besorgnis über die Inhaftierung von oppositionellen Parlamentariern, einschließlich des ehemaligen Co-Vorsitzenden der HDP Selahattin Demirtas, zum Ausdruck. Laut PACE diente die wiederholte Haftverlängerung für Demirtas, gerade während der entscheidenden Kampagnen zum Verfassungsreferendum und den Präsidentschaftswahlen, dem Zweck den Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken. Enttäuschend und besorgniserregend ist hierbei die Behauptung von Staatspräsident Erdogan, wonach die Türkei trotz der Verpflichtung, Gerichtsurteile gemäß Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention umzusetzen, im Fall von Herrn Demirtas nicht an das Kammerurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden sei, das dessen sofortige Freilassung eingemahnt hat. PACE ist daher der Ansicht, dass diese Entwicklungen in Summe die Fähigkeit der Oppositionspolitiker, ihre Rechte auszuüben und ihre demokratischen Rollen innerhalb und außerhalb des Parlaments zu erfüllen, zunehmend verringern, behindern oder untergraben. Zudem sind gemäß PACE die Rechte von Oppositionspolitikern auf lokaler Ebene eingeschränkt, insbesondere im Zusammenhang mit der Kurdenfrage, nämlich infolge des Austauschs von über 90 gewählten Bürgermeistern der HDP oder ihrer Schwesterpartei durch von der Regierung ernannte Treuhänder, unter Verstoß gegen die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung. Dies habe das Funktionieren der lokalen Demokratie, insbesondere im Südosten der Türkei, ernsthaft beeinträchtigt. Die Situation der Oppositionspolitiker hat sich in einem Kontext verschlechtert, der durch kontinuierliche restriktive Maßnahmen der Behörden gekennzeichnet ist, um insbesondere Journalisten, Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Wissenschaftler und andere abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen (PACE 24.1.2018).

Quellen:

• PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (24.1.2019): The worsening situation of opposition politicians in Turkey: what can be done to protect their fundamental rights in a Council of Europe member State? [Resolution 2260 (2019)], http://assembly.coe.int/nw/xml/Xref/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=25425&lang=en, Zugriff 28.1.2019

2. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems (9.7.2018) der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative Iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).

Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).

Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wieder eingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen

457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des Türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018). [siehe auch: 4. Rechtsschutz/Justizwesen,

5. Sicherheitsbhörden und 3.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung]

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

• AM - Al Monitor (17.4.2017): Where does Erdogan's referendum win leave Turkey?

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-erdogan-referendum-victory-further-uncertainty.html, Zugriff 19.9.2018

• AM - Al Monitor (18.4.2017): Calls for referendum annulment rise in Turkey,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-referendum-fraud.html, Zugriff 19.9.2018

• EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final],

https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.9.2018

• FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.4.2017): OSZE kritisiert Erdogans Umgang mit Manipulationsvorwürfen, http://www.faz.net/aktuell/tuerkei-referendum-osze-kritisiert-erdogans-umgang-mit-manipulationsvorwuerfen-14977732.html, Zugriff 19.9.2018

• HDN - Hürriyet Daily News (10.2.2017):More than 38,000 FETÖ-linked persons remanded, convicted in Turkey: Minister, http://www.hurriyetdailynews.com/more-than-38-000-feto-linked-persons-remanded-convicted-in-turkey-minister-127098, Zugriff 21.9.2018

• HDN - Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 19.9.2018

• HDN - Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018, Zugriff 19.9.2018

• NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 20.9.2018

• OSCE - Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report,

http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true, Zugriff 19.9.2018

• OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017):

INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey - Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions,

https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 19.9.2018

• OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey - Early Presidential and Parliamentary Elections - 24.6.2018,

https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true, Zugriff 19.9.2018

• SCF - Stockholm Center for Freedom (7.9.2019): Turkish gov't investigates 612,347 people over 'armed terror organization' links in 2 years,

https://stockholmcf.org/turkish-govt-investigates-612347-people-over-armed-terror-organization-links-in-2-years/, Zugriff 21.9.2018

• TP - Turkey Purge (29.8.2018): Turkey's post-coup crackdown, https://turkeypurge.com/, Zugriff 10.10.2018

• TP - Turkey Purge (10.9.2018): 612,437 people faced terror investigations in Turkey in past 2 years: gov't, https://turkeypurge.com/612437-people-faced-terror-investigations-in-turkey-in-past-2-years-govt, Zugriff 21.9.2018

• ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 20.9.2018

3. Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu S

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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