TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/27 W248 2195893-1

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Veröffentlicht am 27.06.2019
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Entscheidungsdatum

27.06.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W248 2195893-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. NEUBAUER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die XXXX gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX - XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 iVm §§ 34, 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geb. XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1 Verfahrensgang:

XXXX , geb. XXXX (im Folgenden Beschwerdeführer) reiste spätestens am 17.12.2015 illegal in das Bundesgebiet ein.

Am selben Tag stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, den Namen XXXX zu führen, aus Afghanistan zu stammen und am XXXX geboren zu sein.

Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am 17.12.2015 vor der PI Traiskirchen EAST Ost gab der Beschwerdeführer an, dass er in Bezug auf sein Herkunftsland Afghanistan keine Fluchtgründe hätte, da er im Iran geboren und aufgewachsen wäre. Zu den Gründen für das Verlassen des Irans gab der Beschwerdeführer an: "Ich war noch nie Afghanistan, ich bin im Iran geboren. Ich wurde im Iran von der Frau meines Onkels sehr schlecht behandelt. Er hat für mich die Reise organisiert, damit ich bei meinen Eltern in Österreich leben kann".

Am 23.12.2015 wurde das Verfahren des Beschwerdeführers zugelassen.

Am 18.04.2016 wurde durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) eine Anfrage an die Staatendokumentation betreffend "Kriterien zur Adoption für afghanische Staatsbürger im Iran" gestellt. Am 19.05.2016 langte die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation beim BFA ein.

Am 05.12.2016 wurde die leibliche Mutter des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX (IFA XXXX ) vom BFA als Zeugin zur Klärung der familiären Verhältnisse einvernommen. In dieser Einvernahme gab XXXX an, sie habe insgesamt 5 Kinder geboren, wobei die ersten beiden (der Beschwerdeführer und seine Schwester XXXX ) Zwillinge seien. XXXX sei an der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei verloren gegangen. Den Beschwerdeführer habe sie ihrer Schwägerin ( XXXX , geb. XXXX [IFA XXXX ], der Halbschwester ihres Ehemannes) gegeben, weil diese keine Kinder bekommen könne. Die restlichen 3 Kinder XXXX , XXXX und XXXX sollten bei ihr bleiben. Der Vater ihrer Kinder sei seit 4 bis 5 Jahren verschollen.

Betreffend ein im Iran ausgestelltes Dokument über die "Übergabe" des Beschwerdeführers, welches XXXX vorgelegt hatte, erklärte XXXX , dass sie davon nichts wisse, weil ihr Mann "alles gemacht" habe. Sie selbst sei aber - ebenso wie ihre Schwägerin - mit dieser "Übergabe" einverstanden gewesen. Der Beschwerdeführer wisse auch nichts darüber, dass sie seine leibliche Mutter sei, sondern halte XXXX für seine Mutter, und das solle auch so bleiben.

Am 17.08.2017 wurde der Beschwerdeführer von einem Organwalter des BFA einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, der Volksgruppe der Sadat anzugehören und muslimischer Schiit zu sein. Er sei im Iran geboren und dort auch aufgewachsen und habe sich noch nie in Afghanistan aufgehalten. Aus welcher Provinz in Afghanistan seine "Eltern" stammen, warum sie aus Afghanistan in den Iran gegangen seien und wann sie das getan hätten, wisse er nicht. Ebenso wenig wisse er, wovon seine "Eltern" den Lebensunterhalt in Afghanistan und im Iran bestritten hätten und was sie beruflich gemacht hätten, um die Familie zu ernähren. Neben seinen "Eltern" halte sich auch noch XXXX , die "Frau seines Onkels", in Österreich auf; sie lebe in Baden. Wie alt XXXX sei und wann sie nach Österreich gekommen sei wisse er nicht.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er sei im Iran belästigt worden und habe dort (d.h. im Iran) nicht mehr leben können. Die Belästigungen hätten darin bestanden, dass "sie" gesagt hätten, dass er Afghane sei, und dass er sich nicht frei bewegen habe können. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht wisse, wann er geflohen sei. Fluchtauslösend sei gewesen, dass seine "Eltern" bereits in Österreich gewesen seien und er nicht gewusst hätte, was er noch im Iran machen sollte. Afghanistan betreffende Fluchtgründe habe er nicht.

Mit Obsorgebeschluss des BG Baden vom 14.08.2017, XXXX , wurde die Obsorge für den Beschwerdeführer der leiblichen Mutter XXXX entzogen und zur Gänze auf deren Schwägerin XXXX übertragen.

Mit Bescheid des BFA vom 13.04.2018, Zl. XXXX - XXXX (postalisch versandt am 18.04.2018), wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Absatz 4 AsylG bis zum 13.04.2019 erteilt. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde hinsichtlich der Zuerkennung des Status der bzw. des Asylberechtigten iSd. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.).

Bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.03.2017, XXXX , war der leiblichen Mutter des Beschwerdeführers, XXXX der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt worden.

Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 13.04.2018, Zl. XXXX - XXXX erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine gesetzliche Vertreterin XXXX , diese vertreten durch die XXXX gem. GmbH, mit Schreiben vom 16.05.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wo die Beschwerde der Gerichtsabteilung W139 zugewiesen wurde. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.03.2019 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W139 abgenommen und der Gerichtsabteilung W248 neu zugewiesen.

2 Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2.1 Feststellungen:

2.1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Fluchtgründen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der eingebrachten Stellungnahmen, der mündlichen Verhandlung betreffend die leibliche Mutter des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungs- und Gerichtsakten, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer führt als Verfahrensidentität den Namen XXXX Ali und gibt an, am XXXX geboren zu sein. Er ist Staatsangehöriger Afghanistans, muslimisch-schiitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Sadat an.

Der Beschwerdeführer wurde im Iran, in der Provinz Teheran, geboren.

Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt seiner Antragstellung der minderjährige, unverheiratete Sohn von XXXX .

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich bei XXXX und XXXX (IFA XXXX). Der Beschwerdeführer hat auch schon im Iran bei diesen Personen gelebt. Diesbezüglich wurde zwischen XXXX und der leiblichen Mutter des Beschwerdeführers, XXXX , im Iran ein "Vertrag" abgeschlossen, der allerdings nicht den iranischen Voraussetzungen für eine Adoption entspricht und daher zu keiner rechtsgültigen Adoption geführt hat. Die Obsorge für den Beschwerdeführer wurde mit Obsorgebeschluss des BG Baden vom 14.08.2017, XXXX , der leiblichen Mutter XXXX entzogen und zur Gänze auf XXXX übertragen.

XXXX und XXXX sind subsidiär schutzberechtigt.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist gesund, und es besteht kein Behandlungsbedarf aufgrund einer lebensbedrohlichen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich bisher nicht straffällig geworden.

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 17.12.2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

Eigene, auf Afghanistan bezogene Fluchtgründe des Beschwerdeführers wurden im gesamten Verfahren nicht vorgebracht. Er ist im Iran geboren und war noch nie in Afghanistan. Die Gründe, warum seine Familie Afghanistan verlassen hat, sind ihm ebenso unbekannt wie der Zeitpunkt.

Der leiblichen Mutter des Beschwerdeführers ( XXXX ) wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.03.2017, Zl. XXXX , der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt.

2.2 Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, zu seiner Staatsangehörigkeit und zu seinen Familienverhältnissen ergeben sich aus dem vom BFA übermittelten Verwaltungsakt des Beschwerdeführers, aus den Verwaltungsakten betreffend XXXX , XXXX und XXXX sowie aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Zahlen XXXX ( XXXX ), XXXX ( XXXX , leibliche Mutter des Beschwerdeführers), und dem gegenständlichen Gerichtsakt W248 2195893 ( XXXX , Beschwerdeführer).

Dass der durch den Vater des Beschwerdeführers zwischen XXXX und der leiblichen Mutter des Beschwerdeführers, XXXX , im Iran abgeschlossene "Übergabevertrag" zu keiner rechtsgültigen Adoption des Beschwerdeführers geführt hat, ergibt sich aus der vom BFA eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "IRAN - Adoption durch Ausländer" vom 19.05.2016, welches bereits im angefochtenen Bescheid gewürdigt wurde.

Dass die Obsorge für den Beschwerdeführer der leiblichen Mutter XXXX entzogen und zur Gänze auf XXXX übertragen wurde, ergibt sich aus dem Beschluss des BG Baden vom 14.08.2017, XXXX .

2.3 Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Nach § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, (in der Folge: VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 01.01.2014 in Kraft. Nach § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Nach § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2.3.1 Zu A) Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt sein, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und es ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).

Eigene, auf Afghanistan bezogene Fluchtgründe des Beschwerdeführers wurden im gesamten Verfahren nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich; vielmehr ergibt sich aus den diesbezüglichen, glaubhaften Äußerungen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren, dass dieser im Iran geboren wurde und noch nie in Afghanistan war. Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan kann schon aus diesem Grund bisher nicht stattgefunden haben. Es sind auch im gesamten Verfahren keine Gründe hervorgekommen, die für eine zukünftige Bedrohung/Verfolgung des Beschwerdeführers aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung sprechen würden. Eine "originäre" Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 kommt daher für den Beschwerdeführer nicht in Frage.

XXXX , der leiblichen Mutter des Beschwerdeführers ist es jedoch in ihrem eigenen, beim Bundesverwaltungsgericht zu Zl. XXXX geführten Verfahren gelungen, glaubhaft zu machen, dass sie der sozialen Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen zugehörig ist, sodass ihr der Status der Asylberechtigten iSd. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt wurde.

§ 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 lautet:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[...]

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat;

dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

[...]"

§ 34 AsylG 2005 lautet:

"Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Dem Beschwerdeführer, bei dem keine eigenen Fluchtgründe festgestellt wurden, ist gemäß § 34 iVm § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 der gleiche Status zuzuerkennen wie seiner leiblichen Mutter, da er im Zeitpunkt seiner Antragstellung ein minderjähriges lediges Kind von XXXX war. Die im Iran geschlossene "Übergabevereinbarung", die selbst nach iranischem Recht nicht zu einer wirksamen Adoption des Beschwerdeführers durch XXXX geführt hat, vermag an der Obsorgeverpflichtung von XXXX nichts zu ändern. Dabei verkennt das Bundesverwaltungsgericht keineswegs, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 24.02.2009, 2008/22/0583, ausgesprochen hat, dass die Bestimmung des § 34 AsylG 2005 die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Inland gewährt, wodurch ein Eingriff in das (gegenständlich offenbar nicht bestehende) Familienleben vermieden werden kann; gleichwohl muss der Schutz des im Zeitpunkt der Antragstellung (noch) minderjährigen Kindes auch dann zur Anwendung kommen, wenn ein Elternteil seine Obsorgeverpflichtung nicht wahrnimmt (und - wie im gegenständlichen Fall - sogar rechtsirrig davon ausgeht, dass diese Verpflichtung gar nicht [mehr] besteht). Der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des "Familienangehörigen" ist im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen (VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040; 22.11.2017, Ra 2017/19/0355, mwN).

Dass die Obsorge für den Beschwerdeführer in weiterer Folge mit Obsorgebeschluss des BG Baden vom 14.08.2017, XXXX , der leiblichen Mutter XXXX entzogen und zur Gänze auf XXXX übertragen wurde, schadet im gegebenen Zusammenhang nicht, da der Beschwerdeführer zweifellos nach wie vor das Kind seiner leiblichen Mutter ist (vgl. § 143 ABGB:. "Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat."). Gerade das Faktum, dass die Obsorge mit diesem Beschluss der leiblichen Mutter entzogen wurde, erweist, dass es sich bei XXXX und die leibliche Mutter des Beschwerdeführers handelt und dass die Obsorgeverpflichtung der Mutter bis zu diesem Zeitpunkt bestanden hat. Dafür, dass die Eigenschaft als "Familienangehöriger" iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 davon abhängig wäre, dass die Obsorgeverpflichtung tatsächlich erfüllt wird, bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte.

Auch die mittlerweile eingetretene Volljährigkeit des Beschwerdeführers steht einer Anwendung des § 34 AsylG 2005 (Familienverfahren im Inland) nicht entgegen, da § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 hinsichtlich des Tatbestandselements "minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ..., dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde" auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellt. Dem Eintritt der Volljährigkeit vor dem Entscheidungszeitpunkt kommt in diesem Fall keine Bedeutung zu (VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040; 28.1.2016, Ra 2015/21/0230, 0231; VwGH 28.10.2009, 2007/01/0532 bis 0535 [zu den gleichgelagerten Regelungen nach dem AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003]).

Die in § 34 Abs. 2 Z 1 - 3 AsylG 2005 genannten Gründe für einen Ausschluss von der Zuerkennung liegen offensichtlich nicht vor.

Die Anträge des Beschwerdeführers und seiner leiblichen Mutter wurden am 16.12.2015 ( XXXX ) bzw. am 17.12.2015 (Beschwerdeführer), somit nach dem 15.11.2015 gestellt, sodass dem Beschwerdeführer ebenso wie seiner leiblichen Mutter gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zukommt. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

2.3.2 Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, befristete
Aufenthaltsberechtigung, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W248.2195893.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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