TE Vwgh Beschluss 2019/8/5 Ra 2018/20/0320

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Veröffentlicht am 05.08.2019
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/20/0321Ra 2018/20/0322Ra 2018/20/0323Ra 2018/20/0324Ra 2018/20/0325

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision

1.

des A N, 2. der F N, 3. der E N, 4. des E N, 5. des M N, und

6.

des A N, alle in K und alle vertreten durch Mag.a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 3. Mai 2018, Zlen. 1. W123 2160699-1/6E, 2. W123 2160704-1/6E,

                 3.       W123 2160701-1/2E, 4. W123 2160702-1/2E, 5. W123 2160706-1/2E und 6. W123 2166509-1/3E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind verheiratet und Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstrevisionswerber. Alle Revisionswerber sind afghanische Staatsangehörige. Die Erst- bis Fünftrevisionswerber stellten am 29. September 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Der Sechstrevisionswerber stellte am 22. Juni 2017, vertreten durch die Zweitrevisionswerberin, einen solchen Antrag.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies die Anträge der Revisionswerber mit Bescheiden vom 19. Mai 2017 und vom 13. Juli 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte jeweils keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerber nach Afghanistan zulässig sei und gewährte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise. 3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 3. Mai 2018 wurden die dagegen erhobenen Beschwerden jeweils als unbegründet abgewiesen. Weiters sprach das BVwG jeweils aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Dagegen erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die angefochtenen Erkenntnisse des BVwG mit Erkenntnis vom 12. März 2019, E 2314-2319/2018-14, "soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§ 57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen werden", aufhob und im Übrigen deren Behandlung ablehnte. Über nachträglichen Antrag trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde mit Beschluss vom 12. April 2019, E 2314-2319/2018-17, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 In der Folge erhoben die Revisionswerber gegen die abweisende Entscheidung des BVwG in Bezug auf die jeweils gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobenen Beschwerden die vorliegende außerordentliche Revision. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG weiche betreffend den Erstrevisionswerber von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es das BVwG trotz Feststellung der Bauunternehmertätigkeit des Erstrevisionswerbers unterlassen habe, Feststellungen zur Situation in seiner Herkunftsprovinz Logar hinsichtlich einer Verfolgungsgefahr durch die Taliban aufgrund von Regierungsaufträgen zu treffen bzw. sich im Verfahren damit auseinanderzusetzen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Asylbehörde bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 4.3.2019, Ra 2018/20/0540, mwN).

11 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 20.11.2018, Ra 2018/20/0528, mwN).

12 Mit dem Vorbringen, das BVwG hätte - sofern es sich mit der tatsächlichen Gefahrenlage auseinandergesetzt hätte - zu dem Schluss kommen müssen, dass dem Erstrevisionswerber Verfolgung drohe, wird die erforderliche Relevanz nicht dargelegt. 13 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG richtet, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2019/20/0028, mwN). Dass die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre, ist nicht ersichtlich, zumal das BVwG dem Fluchtvorbringen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einer nicht als unschlüssig anzusehenden Beweiswürdigung die Glaubwürdigkeit absprach.

14 Dem Vorbringen betreffend die Zweitrevisionswerberin, das BVwG hätte unter Heranziehung aktueller Länderberichte die zu erwartenden Reaktionen auf die von ihr angestrebte Lebensweise in ihrer Heimatregion prüfen müssen, ist zu entgegnen, dass das BVwG dem darauf gerichteten Vorbringen bereits die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat.

15 Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte. Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (vgl. VwGH 12.6.2018, Ra 2018/20/0177-0180, mwN).

16 Das BVwG setzte sich mit dem Vorbringen der Zweitrevisionswerberin zu ihrer aktuellen Lebensweise und den vorgebrachten Alltagsbeschäftigungen auseinander und kam in einer nicht unvertretbaren Weise zum Ergebnis, dass die Zweitrevisionswerberin ihre Lebensweise nicht in dem von der Rechtsprechung geforderten Ausmaß geändert habe.

17 Ergänzend wird in der Zulässigkeitsbegründung vorgebracht, das BVwG habe sich betreffend die Dritt- bis Sechstrevisionswerber nicht mit deren eigenen Fluchtvorbringen auseinandergesetzt. 18 Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht hat, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 5.12.2018, Ra 2018/20/0371, mwN).

19 Bei der pauschalen Aussage der Zweitrevisionswerberin in der mündlichen Verhandlung, ihr Schwiegervater wolle nicht, dass die Kinder in die Schule gingen und die Kinder würden auf dem Weg zur Schule von den Taliban angesprochen werden, handelt es sich jedoch nicht um eine erhebliche Behauptung, die eine Ermittlungsbeziehungsweise Verhandlungspflicht betreffend die Dritt- bis Sechstrevisionswerber auslösen würde. Überdies wurde die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels in der Zulässigkeitsbegründung ebenfalls nicht dargelegt.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. Wien, am 5. August 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018200320.L00

Im RIS seit

06.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

06.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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