TE OGH 1984/11/8 8Ob610/84

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Veröffentlicht am 08.11.1984
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekurs durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** L*****, vertreten durch Dr. Leo Häusler, Rechtsanwalt in Leipnitz, wider die beklagte Partei A***** L*****, vertreten durch Dr. Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 10. Mai 1984, GZ 6 R 74/84-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. Dezember 1983, GZ 26 Cg 71/83-15, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 3.193,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von 240 S die USt von 268,50 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 18. Dezember 1934 geborene Klägerin und der am 14. Juni 1934 geborene Beklagte schlossen am 25. November 1956 vor dem Standesamt K***** die Ehe. Aus der Ehe stammen der am ***** 1960 geborene A***** L*****, der am ***** 1962 geborene E***** S***** und die am ***** 1965 geborene A***** L*****. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Parteien war *****.

Am 28. Jänner 1977 hatte die Klägerin gegen den Beklagten eine auf Eheverfehlungen nach § 49 EheG gestützte Ehescheidungsklage eingebracht. Dieses Verfahren ruht jedoch seit 16. November 1977. In der am 15. März 1983 zu Protokoll gegebenen weiteren Ehescheidungsklage behauptete die Klägerin Eheverfehlungen des Beklagten durch Unterhaltsverletzungen sowie Vernachlässigung der Arbeitstätigkeit und machte ehewidrige Beziehungen des Beklagten zu anderen Frauen geltend.

Der Beklagte widersprach dem Scheidungsbegehren nicht, beantragte aber die Feststellung des überwiegenden Verschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe, weil sie sich um ihn nicht gekümmert, sein Nervenleiden ignoriert, ihn in kränkender Weise beschimpft und aus der Ehewohnung gedrängt habe.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Ehe der Streitteile verlief durch einen Zeitraum von 10 Jahren harmonisch, ehe sich das Verhältnis der Eheleute zueinander verschlechterte und es immer häufiger zu Streitereien, verbunden mit gegenseitigen Beschimpfungen kam. Das Verhältnis des Beklagten zu den Kindern wurde immer schlechter. Etwa zu dieser Zeit nahm die Klägerin ihre Mutter in den ehelichen Haushalt auf, 1970 auch ihren Vater und ungefähr 1973 noch ihren Bruder. Etwa im Jahre 1966 begann der Beklagte an einem Nervenleiden und an Depressionen zu laborieren. Er stand deshalb seit rund 15 Jahren bis vor etwa 4 bis 5 Jahren bei seinem Hausarzt aber auch bei anderen Ärzten in Behandlung, während er in letzter Zeit Naturheilmethoden anwandte. Der Beklagte zeigte ein so stark ausgeprägtes depressives Zustandsbild, dass ein mehrmaliger stationärer Aufenthalt in einschlägigen Kliniken erforderlich wurde. Sein Krankheitszustand führte bis zur Arbeitsunfähigkeit, wobei dafür vermutlich exogene Gründe und eine gewisse Veranlagung ausschlaggebend waren. Zufolge dieser Krankheit konnte der Beklagte seinen Beruf nicht mehr voll ausüben. Er war letztlich nur mehr einige Monate im Jahr arbeitsfähig, was zum Niedergang seines Betriebs führte. Ab 1977 geriet der Beklagte in Zahlungsschwierigkeiten. Er brauchte daher mehr und mehr Unterstützung, die ihm aber von seiner Familie nicht gewährt wurde. Die Klägerin verkannte das Ausmaß der Krankheit, bezeichnete den Beklagten wiederholt als „Tachinierer“ und „Taugenichts“, verwies ihn immer wieder aus der Ehewohnung, gerade wenn der Beklagten am dringendsten der Hilfe bedurft hätte, und beschimpfte ihn unter anderem mit den Worten „geh´ dich aufhängen und verschwind endlich aus der Wohnung; deine Krankheit ist ja schlimmer als ein Krebs; bei einem Krebsleiden ist man spätestens in drei Jahren hin“. Auch die Kinder des Beklagten brachten für die Krankheit des Vaters wenig Verständnis auf und ließen ihm keinen Beistand zukommen.

Sofern der Beklagte aus gesundheitlich Gründen dazu in der Lage war, leistet er seiner Familie Unterhalt; dies geschah zumeist in der Form von Naturalien, teilweise in Bargeld. Ab 1977 sah sich die Klägerin gezwungen, fallweise selbst einem Erwerb als Küchenhilfe im Landeskrankhaus Wagna nachzugehen, um den Unterhalt bestreiten zu können. Die Familienbeihilfe bezog, von einigen Monaten abgesehen, der Beklagte. Geldzuwendungen zur Bestreitung des Unterhalts erhielt die Klägerin auch von ihren Eltern. Im Juni 1983 wurden der Betrieb des Beklagten und die Ehewohnung im Zuge eines Zwangsversteigerungsverfahrens geräumt; etwa ein Jahr zuvor war der Beklagten aus der Ehewohnung ausgezogen, nachdem er schon bis dahin tage- und nächtelang nicht zur Familie heimgekehrt war und auch vorübergehend anderswo Aufenthalt genommen hatte, so im Jahre 1977 bei Maria B*****.

Im Jahre 1981 lernte der Beklagte die damals 67-jährige Julia S***** kennen; die Beziehung zwischen den beiden vertiefte sich; Julia S***** unterstützte den Beklagten sowohl psychisch als auch mit Naturalien und mit nicht unerheblichen Geldmitteln. In einem an den Beklagten gerichteten Brief vom September 1982 schreibt sie:

„Mein Liebling! Viele liebe Grüße und Bussi von mir … Du weißt ja, wie ich mich kränke und Tag und Nacht nur mehr weine und nicht schlafen kann … aber jetzt wo es dir besser geht hast du Alles vergessen? … Ja, vielleicht schlägt für mich bald die letzte Stunde, denn so kann es nicht anders sein, wo ich Dich so gern gehabt habe und alles getan habe für Dich … warum machst du es mir so schwer, kann nichts essen, nicht schlafen … Nun mein Liebling, komme sobald wie möglich herauf … Nun mein Schatz … Ich erwarte Dich mit großer Sehnsucht viele Bussi“.

Rechtlich hielt das Erstgericht, in seinen Feststellungen auch darauf hinwies, dass die zwischen den Streitteilen auftretenden Spannungen mit der Aufnahme der Mutter der Klägerin und dem Beginn des Nervenleidens des Beklagten ihren Ausgangspunkt genommen hatten, ein gleichteiliges Verschulden der Streitteile an der Zerrüttung der Ehe als gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die den Ausspruch des Alleinverschuldens des Beklagten anstrebte, teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass es die Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten schied. Der Klägerin lastete das Gericht zweiter Instanz ein Mitverschulden an. Da die gegenseitigen Beschimpfungen der Streitteile bis in die letzte Zeit vor der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft und auch darüberhinaus noch angedauert hätten, sei ein Zurückgreifen auf weiter zurückliegende Eheverfehlungen der Klägerin keineswegs unbillig. Die Hinwendungen des Beklagten zu Juliane S***** sei jedoch so gravierend, dass dies den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten rechtfertige.

Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Ehe der Streitteile aus dem Alleinverschulden des Beklagten geschieden werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO); aber auch jener der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist nicht gegeben.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach erkannte (8 Ob 169/69; 1 Ob 540/81; 8 Ob 514, 515/84) entspricht es der im § 60 Abs 3 EheG normierten Billigkeit, nicht fristgerecht geltend gemachte Eheverfehlungen für den Mitschuldantrag dann heranzuziehen, wenn eine bestimmte Eheverfehlung für die Zerrüttung der Ehe in hervorragender Weise maßgebend war. Ein solcher Fall liegt hier vor:

Es bedarf zur Widerlegung des Standpunkts der Klägerin, wonach ihr Fehlverhalten nicht weiter relevant gewesen sei, nicht des Hinweises des Berufungsgerichts darauf, dass die gegenseitigen Beschimpfungen der Streitteile bis zur Auflösung der ehelichen Gemeinschaft und auch darüberhinaus andauerten, vielmehr zeigt sich bereits in der gesamten jahrelang andauernden Verständnislosigkeit der Klägerin gegenüber dem schweren Nervenleiden des Beklagten ein großes Maß an oberflächlicher Beurteilung der für eine gedeihliche Ehe maßgeblichen Persönlichkeitsstruktur des Ehemannes. Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit die Aufnahme des Vaters, der Mutter und des Bruders in den ehelichen Haushalt der Klägerin die depressive Veranlagung des Beklagten steigerte; jedenfalls verwies das Erstgericht in nicht zu übergehender Weise darauf, dass die ehelichen Spannungen mit dem Einzug der Mutter in die Ehewohnung begannen; die Reaktionen der Klägerin auf das zu völligem beruflichen Ruin führende Nervenleiden des Beklagten mit Hinauswürfen aus der Ehewohnung, Beschimpfungen und Schmähungen verstoßen in gröblicher Weise gegen die Pflicht zu ehelichem Beistand und ehelicher Gesinnung. Es vermögen daher deren Hinweise auf die schweren Eheverfehlungen des Beklagten durch die Hinwendung zu anderen Frauen die ohnehin nicht mehr fraglichen Eheverfehlungen des Beklagten zwar nochmals bloßzulegen, eine Änderung der Qualifikation ihrer eigenen Eheverfehlungen als durchaus so gravierend, dass sie den vom Berufungsgericht gefassten Mitschuldausspruch rechtfertigten, kann die Revision der Klägerin nicht bewirken. Ihr war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E125945

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00610.840.1108.000

Im RIS seit

04.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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