TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/24 W205 2174693-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2019
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Entscheidungsdatum

24.04.2019

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61

Spruch

W205 2174694-1/10E

W205 2174693-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerden 1.) der XXXX , geb. XXXX ,

2.) des XXXX , geb. XXXX , beide StA. Iran, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2017, Zl.en 1.) 1150369005, 170507277, 2.) 1150366308, VZ: 170507609, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, sie sind beide Staatsangehörige des Iran. Sie reisten gemeinsam im April 2017 ins österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 27.04.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt keine EURODAC-Treffermeldung vor.

Ein Abgleichsbericht zu einer VIS-Anfrage ergab, dass den Beschwerdeführern von einer italienischen Konsularbehörde in Teheran jeweils ein Visum der Kategorie C für die Dauer von acht Tagen im Zeitraum vom von 03.04.2017 bis 25.04.2017 erteilt wurde.

Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 27.04.2017 brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie und ihr Sohn psychische Probleme hätten und die Erstbeschwerdeführerin bereits mehrere Suizidversuche verübt habe. Sie sei direkt nach Österreich geflogen, weil sie gehört habe, dass es hier Sicherheit und Unterstützung für Frauen und Christen gebe. Der Schlepper habe alle Dokumente angefertigt, sie wisse nichts von einem italienischen Visum. Ihr Heimatland habe sie verlassen, weil sie ihren Glauben gewechselt habe und deshalb von ihrem Ehemann, der sehr religiös und konservativ gewesen sei, gefoltert und geschlagen worden sei. Er habe sie mit einem Messer auf der Hand und auf dem Fuß erwischt, ihr Ehemann habe sie der Polizei übergeben wollen, weil sie zum Christentum gewechselt sei, was im Iran rechtswidrig wäre. Aus diesem Grund habe sie sich niemals bei der Polizei über die Misshandlungen beschweren können. Sie fürchte den Tod seitens ihres Mannes bzw. seiner Familie und die Todesstrafe.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 03.05.2017 hinsichtlich der Beschwerdeführer auf Art. 12 Abs. 2 oder 3 Dublin III-VO gestützte Aufnahmeersuchen an Italien, die in der Folge unbeantwortet blieben. Mit Schreiben vom 10.07.2017 wies das BFA die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Aufnahme der Antragsteller gemäß Art. 22 Abs. 7 hin.

Einer gutachterlichen Stellungnahme einer Ärztin für Allgemeinmedizin, die über ein ÖÄK-Diplom f. psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin verfügt, vom 13.08.2017 ist hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin zu entnehmen, dass bei dieser Angst und depressive Störung gemischt, F41.2 DD: Angst und depressive Reaktion, gemischt F 43.22 PTSD, F 43.1 ebenfalls nicht sicher auszuschließen, es wären begleitende Psychotherapie für Mutter und Kind am jeweiligen Aufenthaltsort empfohlen. Eine Verschlechterung könne nicht ausgeschlossen werden, eine Affekthandlung mit Selbstschädigung sei ebenfalls nicht auszuschließen.

In einem ärztlichen Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie vom 14.08.2017 sind folgende Diagnosen für die Erstbeschwerdeführerin festgehalten worden: rez. Depressive Erkrankung - ggw. mittelschwer depressiv, schwer posttraumatische Belastungsstörung nach jahrelangen, multiplen Traumata, Zustand nach mehrfachen, schweren Selbstmordversuchen. Als Therapievorschlag wurde festgehalten 1.) Fortsetzung der Psychotherapie, 2.) Erhöhung der Psychopharmaka, 3.) Kontrolltermin beim Psychiater in einem Monat, 4.) aus psychiatrischer Sicht dringliche Abratung von einer Abschiebung der Patientin und ihrem Sohn, nach jahrelangen schweren Traumata seien für die Erstbeschwerdeführerin als auch für ihren Sohn stabilere soziale Verhältnisse aus psychischer Sicht überlebenswichtig, eine Abschiebung würde speziell die Mutter in einem lebensgefährlichen Ausmaß destabilisieren.

Einem ärztlichen Befundbericht desselben Facharztes für Psychiatrie vom 21.08.2017 ist zu entnehmen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin seit August 2017 in hochfrequenter, regelmäßig psychiatrischer Betreuung befinde, es finde aktuell eine medikamentöse Einstellung der multiplen Beschwerden statt und werde nach einer Psychotherapie auf Farsi gesucht. Verkomplizierend komme die Traumatisierung ihres siebenjährigen Sohnes, der jahrelang Zeuge des Missbrauchs der Mutter geworden sei und sich jetzt eindeutig psychiatrisch verhaltensauffällig präsentiere, für ihn werde nach einer kinderpsychiatrischen Betreuung gesucht. Die Familie präsentiere sich ggw. höchst instabil, eine Abschiebung der Beschwerdeführer würde zu einer weiteren Destabilisierung und vermutlich Eskalation der Situation führen, mit der Notwendigkeit einer akutpsychiatrischen stationären Aufnahme beider, eine Abschiebung wäre aus psychiatrischer Sicht kontraindiziert.

Einem Bericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 21.08.2017 ist zu entnehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin eine Überdosis Medikamente in suizidaler Absicht genommen habe und wegen ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes in ein Landesklinikum gebracht worden sei. Grund für die Herbeiführung sei der für den nächsten Tag, den 22.08.2017 angesetzte Asyleinvernahmetermin gewesen.

Einem ärztlichen Entlassungsbrief vom 23.08.2017 ist zu entnehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin von 21.08.-23.08.2017 stationär aufgenommen worden sei, da sie in suizidaler Absicht Psychopharmaka in unbestimmter Dosis eingenommen habe.

Am 06.09.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin nach durchgeführter Rechtsberatung. In dieser gab sie an, dass ihre Angaben auch für ihren Sohn, den Zweitbeschwerdeführer, gelten würden. Als sie nach Österreich gekommen sei, habe sie gedacht, die Stresssituation sei vorüber und sie könne hier ein neues Leben anfangen. Als sie dann die Briefe, die 29-er Meldung erhalten habe, sei sie durcheinandergekommen. Es gehe ihr gesundheitlich momentan überhaupt nicht gut, sie habe sehr viel Stress und habe Angst, nach Italien geschickt zu werden. Sie sei in psychiatrischer Behandlung und spreche mit ihrem Sohn einmal die Woche mit einer Psychologin, sie nehme Psychopharmaka. Wenn sie Stress bekomme, zittere sie an den Händen und habe Herzrasen, sie stottere und habe sehr schlimme Schlafstörungen. Sie könne auch nicht viel essen. Wenn es ihr sehr schlecht gehe, sei sie auch eine sehr schlechte Mutter, sie vergesse dann auf ihren Sohn. Sie leide seit sieben Jahren an Depressionen und habe bereits im Iran Medikamente genommen, sie habe eine Phobie vor Messern, weshalb sie immer Angst habe, dass jemand in einer Menschenansammlung ein Messer dabeihabe und es heraushole. Die Medikamente würden ihr helfen, ihre Gedanken wären allerdings so negativ, dass ihr schwer etwas helfen könne. Zum PSY III Gutachten wolle sie anführen, dass die Ärztin ihre Hände gar nicht genau angeschaut und nur aus der Ferne einen Blick darauf geworfen habe. Sie habe tiefe Schnittwunden, da sie sich tatsächlich umbringen habe wollen. Nachgefragt, wie es ihrem Sohn gesundheitlich gehe, gab sie an, dass er extrem aggressiv sei und nachts nicht schlafen könne, er schlage sie den ganzen Tag und beschimpfe sie, in der Nacht sage er ihr, dass er sie liebe. Einmal in der Woche habe er ein psychotherapeutisches Gespräch in der Betreuungsstelle, er glaube, dass sein Vater sie wieder verfolge und finde. Er sei täglich von seinem Vater geschlagen worden, der wie ein Tier gewesen sei und ihn beschimpft habe. Sie könne zu ihrem Sohn nicht streng sein, weil sie wisse, wie beschädigt er sei, er habe immer Angst, dass sie verschwinde oder sie ihn zurücklasse. Ihr Sohn nehme keine Medikamente, er sei dafür zu jung. In Österreich sei sie Mitglied in einer Kirche, sie habe dort bereits einige Freunde gefunden. Sie fühle sich in Österreich sehr sicher, niemand könne ahnen, dass sie sich hier aufhalte. Nach Italien könne sie nicht gehen, ihre Schwiegerfamilie wisse, dass sie ein italienisches Visum gehabt habe. Sie habe sehr große Angst vor ihrem Ehemann, er sei ein richtiger Psycho. Er habe sie und ihren Sohn sehr schlimm behandelt. Ihr Sohn schaue sich manchmal brutale Film an und sage, dass er mit seinem Vater kämpfen wolle. Ihr Mann habe das Leben ihres Kindes zerstört. Sie habe Angst, dass ihr Mann oder ihr Schwiegervater sie ihn Italien finden und ihr etwas antun könnten. Auch ihr Sohn habe in Österreich endlich Sicherheit gefunden, sie bitte darum, dass ihm nicht diese Sicherheit wieder genommen werde.

Einem weiteren ärztlichen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Psychiatrie vom 29.09.2017 hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin ist zu entnehmen, dass diese weiterhin höchst instabil und durch die erfolgten Abschiebungen im Camp schwer belastet sei. Eine Abschiebung der schwer traumatisierten und an der Kippe zur Suizidalität der Patientin würde mit Sicherheit zu einer völligen Dekompensation mit enormer Selbstgefährdung führen. Sie brauche jetzt viel Stabilität, Sicherheit und hochfrequent psychotherapeutische sowie psychiatrische Kontrollen.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 12 Abs. 2 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Das BFA traf Länderfeststellungen zur Lage in Italien und führte aus, die Anträge auf internationalen Schutz seien zurückzuweisen, weil gemäß Art. 12 Dublin III-VO Italien für die Prüfung zuständig sei. Aus medizinischer Sicht spreche nichts gegen eine Rücküberstellung. Aus dem PSY III Gutachten ergebe sich, dass die Erstbeschwerdeführerin unter Angst und einer depressiven Störung gemischt, F 41.2. sowie Angst und eine depressive Reaktion gemischt, F 43.22 leide, eine PTSD F 43.1 habe ebenfalls nicht sicher ausgeschlossen werden können. Aus dem vorliegenden Entlassungsbriefs des Landesklinikums vom 23.08.2017 gehe hervor, dass sie unter einer Depression, sowie einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung leide, was auch aus den vorliegenden Befunden des behandelnden Facharztes für Psychiatrie hervorgehe. Aus den Länderberichten zu Italien sei ersichtlich, dass Behandlungsmöglichkeiten bestehen würden und die medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei zwar legal mittels Schengen-Visum, ausgestellt von den italienischen Behörden, nach Österreich gereist, doch habe ihr bereits vor ihrer Asylantragstellung bewusst sein müssen, dass sie nach Ablauf der Gültigkeit des Visums zur Ausreise aus Österreich verpflichtet wäre. Es bestehe darüber hinaus keine besondere Integrationsverfestigung. Aus ihren Angaben seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass die Beschwerdeführer tatsächlich konkret Gefahr laufen würden, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihnen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Zu ihrer Befürchtung, in Italien von ihrem Gatten gefunden zu werden, welcher sie in der Vergangenheit schlecht behandelt und geschlagen habe, sei anzumerken, dass sie dadurch keine konkrete Verfolgungsgefahr dargebracht habe. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer hier relevanten Verletzung des Art. 4 Grundrechtecharta, beziehungsweise von Art. 3 EMRK, im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Da sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts ergeben habe, sei der Antrag zurückzuweisen gewesen.

Einem ärztlichen Befundbericht des behandelnden Psychiaters vom 29.09.2017 ist zu entnehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin weiterhin höchst instabil und sehr belastet durch die Abschiebungen im Camp sei. Eine Abschiebung der schwer traumatisierten Patientin würde mit Sicherheit zu einer völligen Dekompensation mit enormer Selbstgefährdung für die Patientin führen. Sie brauche Stabilität, Sicherheit und hochfrequent psychotherapeutisch sowie psychiatrische Kontrollen.

Einem Arztbrief einer Fachärztin für Jugendpsychiatrie vom 28.09.2017 ist hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung zu entnehmen, es wären Schlaftabletten und regelmäßige kinderpsychiatrische Kontrolltermine vorgesehen, außerdem Erziehungsberatung der Mutter, psychiatrische Unterstützung der Mutter, Informationen über das Projekt HIPPY Verein Menschenleben.

Die Bescheide wurden der Erstbeschwerdeführerin am 07.10.2017 durch persönliche Ausfolgung zugestellt.

3. Gegen diese Bescheide richtet sich die mit Schriftsatz des Rechtsberaters vom 20.10.2017 eingebrachte Beschwerde. In dieser wurde nochmals auf die schlechte psychische Verfassung der Beschwerdeführer verwiesen und betont, dass eine Überstellung sehr gefährlich wäre. Auch beim Zweitbeschwerdeführer sei eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt worden, bei einer Traumabehandlung sei die Stabilisierung der psychosozialen Situation ohne weitere Abbrüche notwendig. Die Situation für Dublin Rückkehrer nach Italien sei menschenrechtlich höchst bedenklich und würden genügend Gründe dafürsprechen, dass Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch mache. Die Behörde habe diesen Umständen nicht Rechnung getragen, dass die Bedingungen in nahezu allen italienischen Flüchtlingsunterkünften eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würden.

4. Die Beschwerdeführer verfügen seit 14.11.2017 über keine aufrechte Meldeadresse im Bundesgebiet.

5. Mit hg. Beschluss vom 31.10.2017 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

6. Mit hg. Schreiben vom 30.04.2019 wurden den Verfahrensparteien aktualisierte Feststellungen zur Lage in Italien, zusammengestellt von der Staatendokumentation, übermittelt und ihnen Gelegenheit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben. Ausdrücklich wurde auch die Gelegenheit eingeräumt, Zweckdienliches zur Frage der Beurteilung der Zuständigkeit Österreichs zur Behandlung ihres Antrages auf internationalen Schutz, insbesondere zum aktuellen Gesundheitszustand, vorzubringen und allfällige damit im Zusammenhang stehende Beweismittel (Dokumente und Unterlagen, z.B. aktuelle medizinische Befunde, in Original oder in Kopie) vorzulegen.

Zu diesem Vorhalt erging seitens der - zu diesem Zeitpunkt vertretenen - Beschwerdeführer keine Stellungnahme, der Rechtsvertreter übermittelte mit Schreiben vom 05.04.2019 eine Vollmachtsauflösung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, sie sind beide Staatsangehörige des Iran. Für beide wurden italienische Schengenvisa mit einer Gültigkeit von acht Tagen im Zeitraum vom 03.04.2017 bis 25.04.2017 erteilt. Sie reisten aus Italien nach Österreich und suchten am 27.04.2017 in Österreich um die Gewährung internationalen Schutzes an.

Das BFA richtete am 03.05.2017 auf Art. 12 Abs. 2 oder 3 Dublin III-VO gestützte Aufnahmeersuchen an Italien, die in der Folge unbeantwortet blieben. Mit Schreiben vom 10.07.2017 wies das BFA die italienische Dublin-Behörde auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Aufnahme der Antragsteller hin.

Konkrete, in der Person der beschwerdeführenden Partei gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.

Die Erstbeschwerdeführerin litt zum Beschwerdeeinbringungszeitpunkt unter einer rez. depressiven Erkrankung, mittelschwer depressiv, schwerer posttraumatischer Belastungsstörung und Zustand nach mehrfachen, schweren Selbstmordversuchen. Sie befand sich in Österreich in psychiatrischer Behandlung und nahm regelmäßige Kontrolltermine wahr, sie befand sich einige Tage in stationärer Behandlung. Ihr wurden Antidepressiva verordnet.

Der Zweitbeschwerdeführer litt zu diesem Zeitpunkt ebenfalls an einer posttraumatischen Belastungsstörung und war bei einer Fachärztin für Jugendpsychiatrie in Behandlung.

Die Beschwerdeführer verfügen seit 14.11.2017 über keine aufrechte Meldeadresse in Österreich.

Für eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bestehen keine Anhaltspunkte, ebenso wenig für eine lebensbedrohliche Erkrankung bzw. dafür, dass die Beschwerdeführer aktuell nicht transportfähig oder akut stationär behandlungsbedürftig wären.

In Italien sind medizinische Behandlungen für die oben angeführten Erkrankungen sowie wirkungsgleiche Medikamente verfügbar, die Behandlungen entsprechen europäischen Standards.

Im Bundesgebiet lebt der Schwager der Erstbeschwerdeführerin, er befindet sich in einem laufenden Asylverfahren. Zu ihm besteht keine besondere Nahebeziehung. Weitere private, familiäre oder berufliche Bindungen bestehen im österreichischen Bundesgebiet nicht.

Aufgrund der den Beschwerdeführern vom BVwG zum Parteiengehör übermittelten Länderfeststellungen werden folgende Feststellungen zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Italien getroffen:

"Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 18.12.2018, Sicherheits- und Immigrationsdekret (Salvini-Dekret); Asylstatistik (relevant für Abschnitt2/ Allgemeines zum Asylverfahren; Abschnitt 3/Dublin-Rückkehrer, Abschnitt 6/Unterbringung und Abschnitt 7/Schutzberechtigte)

Das Sicherheits- und Immigrationsdekret des italienischen Innenministers Matteo Salvini ist am 28.11.2018 vom italienischen Parlament endgültig als Gesetz angenommen worden (GF 3.12.2018; vgl. DS 28.11.2018, INT 27.11.2018).

Es sieht eine Reihe von Änderungen im Asylbereich vor. Um die wichtigsten zu nennen: Der humanitäre Aufenthalt, zuletzt die am häufigsten verhängte Schutzform in Italien, wird künftig nur noch für ein Jahr (bislang zwei Jahre) und nur noch als Aufenthaltstitel für "spezielle Fälle" vergeben, nämlich wenn erhebliche soziale oder gesundheitliche Gründe vorliegen, bzw. wenn im Herkunftsland außergewöhnliche Notsituationen herrschen. Schutzberechtigten, die bestimmte Straftaten begehen, kann der Status leichter wieder aberkannt werden. Ebenso können Migranten, denen bereits die italienische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, diese wieder verlieren, wenn sie wegen Terrorismusdelikten verurteilt werden. Die Aufenthaltsdauer in den Abschiebezentren wird von maximal 90 auf 180 Tage verdoppelt. Es wird insgesamt weniger Geld für den Bereich Immigration zur Verfügung gestellt, dafür mehr für die Repatriierung. Das SPRAR-System der Unterbringung soll künftig nur noch für unbegleitete minderjährige Asylwerber und anerkannte Schutzberechtigte zugänglich sein, während andere Asylwerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens in den CAS/CARA bleiben sollen. Auch ist vorgesehen, dass besetzte Gebäude geräumt und Besetzer bestraft werden sollen. Italien wird hinkünftig eine Liste sicherer Herkunftsstaaten führen (GF 3.12.2018; vgl. INT 27.11.2018, SO 29.11.2018).

Vulnerable Asylwerber mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger haben demnach keinen Zugang zum SPRAR-System mehr. Diese Personen werden nun im Rahmen des CAS-Systems untergebracht. Das italienische Innenministerium hat hierzu bekannt gegeben, dass für CAS daher neue Ausschreibungsbedingungen ausgearbeitet wurden, die seitens der Präfekturen in Zukunft bindend herangezogen werden müssen. Es steht derzeit noch eine abschließende Prüfung durch den italienischen Rechnungshof aus, daher wurden diese noch nicht veröffentlicht. Seitens des italienischen Innenministeriums wurde jedoch betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) komme es zu keiner Kürzung oder Streichung. Lediglich Integrationsmaßnahmen seien in der neuen Systematik Personen mit internationalem Schutz vorbehalten (VB 17.12.2018).

Von der Neuregelung des Aufnahmesystems in Italien sind auch Dublin-Rückkehrer betroffen. Diese werden bereits aktuell nicht mehr im Rahmen des SPRAR-Systems, sondern im CAS untergebracht und laut italienischem Innenministerium kann eine adäquate Unterbringung sichergestellt werden (VB 17.12.2018).

Laut offizieller italienischer Statistik wurden im Jahr 2018 bis zum 14. Dezember 52.350 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 bereits 53.834 Anträge negativ erledigt (inkl. Unzulässige), 6.852 erhielten Flüchtlingsstatus, 4.132 erhielten subsidiären Schutz, 19.884 erhielten humanitären Schutz. 7.651 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 14.12.2018).

Quellen:

-

DS - Der Standard (28.11.2018): Salvini pflügt Italiens Asylrecht radikal um,

https://derstandard.at/2000092626603/Salvini-pfluegt-via-Sicherheitsdekret-italienisches-Asylrecht-um, Zugriff 5.12.2018

-

GF - Guida Fisco (3.12.2018): Decreto Sicurezza: riassunto del testo e cosa prevede su immigrazione, https://www.guidafisco.it/decreto-sicurezza-testo-cos-e-cosa-prevede-cambia-salvini-immigrazione-2157, Zugriff 5.12.2018

-

MdI - Ministero dell'Interno (14.12.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail

-

INT - Internazionale (27.11.2018): Cosa prevede il decreto sicurezza e immigrazione,

https://www.internazionale.it/bloc-notes/annalisa-camilli/2018/11/27/decreto-sicurezza-immigrazione-cosa-prevede, Zugriff 18.12.2018

-

SO - Spiegel Online (29.11.2018): Italien verschärft seine Einwanderungsgesetze drastisch, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-italien-verschaerft-seine-einwanderungsgesetze-drastisch-a-1241091.html, Zugriff 5.12.2018

VB des BM.I Italien (17.12.2018): Bericht des VB, per E-Mail -

Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 21.3.2018; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2018 bis zum 21. September 42.613 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 38.512 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige),

4.756 erhielten Flüchtlingsstatus, 2.838 erhielten subsidiären Schutz, 17.728 erhielten humanitären Schutz. 5.433 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 21.9.2018).

Die Asylverfahren nehmen je nach Region sechs bis fünfzehn Monate in Anspruch. Wenn Rechtsmittel ergriffen werden, kann sich diese Dauer auf bis zu zwei Jahren erstrecken (USDOS 20.4.2018).

Am 24.9.2018 hat Italiens Regierung ein Dekret verabschiedet, das Verschärfungen im Asylrecht vorsieht. Der Schutz aus humanitären Gründen würde weitgehend abgeschafft werden, besetzte Häuser sollen geräumt werden und deren Bewohnern drohen Haftstrafen. Auch die Regelungen für den Verlust des Schutzanspruchs würden verschärft werden. Das vom Kabinett einstimmig verabschiedete Dekret bleibt unter Juristen jedoch umstritten. Es muss nun vom Präsidenten unterzeichnet und dann innerhalb von 60 Tagen auch noch vom Parlament verabschiedet werden, bevor es in Kraft treten kann. In Anbetracht der umstrittenen Materie, kann es also noch zu einer Abschwächung des Dekrets kommen (NZZ 25.9.2018).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018

-

MdI - Ministero dell'Interno (21.9.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (25.9.2018): Italien verschärft sein Asylrecht: Der Schutz aus humanitären Gründen wird abgeschafft, https://www.nzz.ch/international/italien-verschaerft-sein-asylrecht-ld.1422862, Zugriff 25.9.2018

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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018

2. Dublin-Rückkehrer

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und zumeist auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 21.3.2018).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 21.3.2018).

2. Ist das Verfahren des Rückkehrers in der Zwischenzeit positiv ausgegangen, hat er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (AIDA 21.3.2018).

3. Ist das Verfahren des Rückkehrers noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere Asylwerber auch (AIDA 21.3.2018).

4. Wenn das Verfahren vor endgültiger Entscheidung unterbrochen wurde, etwa weil sich der Antragsteller diesem entzogen hat, und der Betreffende wird von Italien im Rahmen von Art. 18(1)(c) zurückgenommen, wird das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen (EASO 12.2015).

5. Bei Rückkehrern, die unter Art. 18(1)(d) und 18(2) fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, beginnt die Rechtsmittelfrist erst zu laufen, nachdem der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde (EASO 12.2015; vgl. AIDA 21.3.2018).

6. Wurde der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien von einer negativen Entscheidung in Kenntnis gesetzt und hat dagegen nicht berufen, kann er zur Außerlandesbringung in ein Schubhaftlager gebracht werden (AIDA 21.3.2018).

7. Hat sich der Rückkehrer dem persönlichen Interview nicht gestellt und sein Antrag wurde daher negativ beschieden, kann er nach Rückkehr ein neues Interview beantragen (AIDA 21.3.2018).

(Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.3. Dublin-Rückkehrer.)

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (12.2015): Quality Matrix Report: Dublin procedure, per E-Mail

3. Non-Refoulement

Das italienische Innenministerium hat explizit bestätigt, dass alle Migranten das Recht haben, vor Refoulement geschützt zu werden und keine Ausweisungen zu erhalten, ohne zuvor korrekt darüber informiert worden zu sein. Die italienische Kooperation mit Libyen im Kampf gegen die Migration über das Mittelmeer ist Gegenstand starker Kritik durch Menschenrechtsorganisationen. Es gibt Berichte über sogenannte Push-backs an der österreichischen Grenze (AIDA 21.3.2018).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018

4. Versorgung

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (AIDA 21.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Im SPRAR gibt es die Möglichkeit an Jobtrainigsprogrammen teilzunehmen und es werden auch standardisierte Integrationsprogramme für Asylwerber und Schutzberechtigte angeboten. Dazu gehören auch Ausbildungen und Praktika. Diese Art von Integrationsmaßnahmen wird nur im SPRAR angeboten, allerdings auch hier mit regionalen Unterschieden. Berufliche Schulungen oder andere Integrationsprogramme können auch mit nationalen Mitteln (8xmille) oder mit Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) über das Innenministerium und NGOs bereitgestellt werden. Die im Rahmen von AMIF finanzierten Projekte sind jedoch in Bezug auf die Dauer der Aktivität und die Anzahl der Projekte sehr begrenzt. Kommunen können auch Berufsausbildungen, Praktika und spezielle Beschäftigungsstipendien finanzieren (borse lavoro), die sowohl Italienern als auch Ausländern offenstehen, einschließlich Asylsuchenden. Die Möglichkeit, an Berufsausbildungen oder Praktika teilzunehmen, ist im Falle von Asylsuchenden, die in Regierungszentren untergebracht sind, erheblich begrenzt. In der Praxis haben Asylwerber Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sprachbarriere, Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 21.3.2018).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018

-

USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018

4.1. Unterbringung

Grundsätzlich sind Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht dieses Recht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Asylwerber können überall in Italien untergebracht werden, je nach Verfügbarkeit von Plätzen und ohne Einspruchsmöglichkeit. Gemäß der Praxis in den Jahren 2016 und 2017 erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione) anstatt sofort nach der erkennungsdienstlichen Behandlung (fotosegnalamento). Zwischen diesen beiden Schritten sind, abhängig von Region und Antragszahlen, Wartezeiten bis zu mehreren Monaten möglich, in denen Betroffene Probleme beim Zugang zu alternativer Unterbringung haben können. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben (AIDA 21.3.2018).

Schätzungen der NGO Médecins sans Frontières (MSF) zufolge, waren im Feber 2018 im ganzen Land mindestens 10.000 Personen von der Unterbringung faktisch ausgeschlossen, darunter Asylwerber und Schutzberechtigte. Sie leben nicht selten in besetzen Gebäuden, von denen mittlerweile durch Involvierung von Regionen oder Gemeinden aber auch viele legalisiert wurden (MSF 8.2.2018). Vertreter des UNHCR, von IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichteten ebenfalls über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 20.4.2018).

Von den in Aufnahmestellen der Regierung untergebrachten Migranten ist ein kleiner Prozentsatz in Zentren untergebracht, die direkt von lokalen Behörden geführt werden und deren Qualität allgemein als hoch gilt, während der Rest in Zentren mit sehr unterschiedlicher Qualität untergebracht ist, unter anderem in alten Schulen, Kasernen und Wohnungen (USDOS 20.4.2018).

Das italienische Unterbringungssystem ist in drei Phasen eingeteilt:

die Phase der unmittelbaren Notversorgung in sogenannten CPSA/Hotspots in den Hauptankunftsorten von Bootsflüchtlingen; die Erstaufnahmephase in großen Zentren (CARA bzw. CDA) bzw. in temporären Strukturen (CAS), wenn keine Plätze verfügbar sind; und schließlich die Zweitaufnahmephase in den sogenannten SPRAR-Unterkünften. Gemäß Gesetz muss die Unterbringung in der Erstaufnahme lediglich grundlegenden Bedürfnissen Rechnung tragen, während sie im SPRAR die individuelle Integration im Fokus haben soll:

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(AIDA 21.3.2018)

Grundsätzlich sollten Antragsteller dieses System "so schnell als möglich" durchlaufen und in SPRAR-Strukturen untergebracht werden. Platzmangel hat aber dazu geführt, dass dies nicht immer eingehalten wird (AIDA 21.3.2018).

Mit Stand 31.8.2018 waren 155.619 Migranten in staatlichen italienischen Unterbringungseinrichtungen untergebracht. (VB 24.9.2018).

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Im Zuge der zunehmenden Migrationsbewegungen in Richtung Europa hat die Europäische Kommission im Mai 2015 zur besseren Steuerung der Migration den sogenannten "Hotspot approach" eingeführt, um in den Hauptankunftsstaaten für Migranten (Griechenland und Italien) eine rasche Identifizierung und Registrierung der ankommenden Migranten zu gewährleisten und die Effektivität der EU-Relocationprogramme zu erhöhen (GDP 18.1.2018).

Personen, die - vor allem auf dem Seeweg - illegal nach Italien gelangen, kommen zunächst in die großen Zentren (CPSA, derzeit formell als Hotspots operativ) in Pozzallo, Trapani und Messina (Lampedusa und Taranto wurden im März 2018 vorläufig geschlossen) und werden dort formell erkennungsdienstlich behandelt und in Asylwerber und Migranten getrennt und entsprechend weiter behandelt - also wenn möglich außer Landes gebracht (eventuell verbunden mit Schubhaft in einem CPR) bzw. in Asylwerberunterkünfte verlegt. Kritiker bezeichnen die Art und Weise wie diese Gruppen identifiziert werden, als oberflächlich (AIDA 21.3.2018).

Der Aufenthalt in den Hotspots soll so kurz als möglich sein und 48 bis 72 Stunden nicht überschreiten, was aber oft nicht eingehalten wird. Kritiker sprechen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Hotspots von Haft ohne ausreichende gesetzliche Basis und richterliche Anordnung (AIDA 21.3.2018; vgl. GDP 18.1.2018). Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, dürfen nach der erkennungsdienstlichen Behandlung (fotosegnalamento) die Hotspots in der Regel zwar ungehindert verlassen und betreten, es wurden in der Vergangenheit aber Verzögerungen bei der Einbringung von Asylanträgen beobachtet, wodurch Antragsteller für Monate in Hotspots bleiben mussten (AIDA 21.3.2018).

Die Gesamtkapazität der Hotspot-Zentren lag im Juli 2017 bei ca.

1.600 Plätzen (GDP 18.1.2018).

CDA (Centri di accoglienza) / CARA (Centri d'accoglienza richiedenti asilo) / CAS (Centri di accoglienza straordinaria)

Zum Unterschied von der Phase der ersten Hilfe und Unterstützung an den Hauptanlandungspunkten von Migration über das Mittelmeer (siehe oben) findet die klassische Erstaufnahme in kollektiven Zentren und - wenn nötig - in temporären Strukturen statt. CDA und CARA sind kollektive Erstaufnahmezentren (AIDA 21.3.2018).

Wenn in anderen Unterbringungsstrukturen temporäre Engpässe herrschen, können CAS als Notunterkünfte, solange als unbedingt notwendig, von den Präfekturen zur Verfügung gestellt werden. Von den CAS sollen die Unterzubringenden im Idealfall dann in SPRAR weitervermittelt werden. Ende August 2017 gab es 9.150 CAS in Italien, 77 davon reserviert für unbegleitete Minderjährige. Anfang Dezember 2017 lebten 151.239 Personen in CAS, das waren 81% des gesamten italienischen Aufnahmesystems (AIDA 21.3.2018).

Erstaufnahmestrukturen sind große Zentren mit sehr vielen Unterbringungsplätzen und bieten eine eher grundlegende Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Basisinformation, Rechtsberatung und medizinischer Notversorgung. Es handelt sich um. Die Qualität der Leistungen, insbesondere bei juristischer und psycho-sozialer Unterstützung, ist jedoch regional unterschiedlich. Die Identifizierung und Betreuung von Vulnerablen lassen oft zu wünschen übrig. In diesen Strukturen ist auf die persönlichen Bedürfnisse der Antragsteller (Alter, Geschlecht, Familienverhältnisse, Vulnerabilität) Rücksicht zu nehmen. In CDA, CARA und CAS gibt es in der Regel ein Taschengeld. Ende November 2017 gab es 15 Erstaufnahmezentren in sieben Regionen Italiens, mit damals 10.738 Untergebrachten (AIDA 21.3.2018).

SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati)

Das SPRAR bietet Unterbringung, Unterstützung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte. Finanziert wird dieses System durch das italienische Innenministerium und die Gemeinden. In der Praxis deckt das SPRAR aber nur rund 20% des Unterbringungsbedarfs in Italien ab. Die SPRAR-Projekte bieten Übersetzungsleistungen, linguistisch-kulturelle Mediation, rechtliche Beratung, Sprachtraining, Einschulung, medizinische Versorgung, sozio-psychologische Unterstützung, Unterstützung Vulnerabler, Jobtrainings, Integrationsberatung sowie kulturelle und Freizeitaktivitäten und ein Taschengeld. Auch im SPRAR kann die Qualität der gebotenen Leistungen regional unterschiedlich sein. Das SPRAR besteht (Stand Feber 2018) aus 876 kleineren dezentralisierten, öffentlich finanzierten Aufnahmeprojekten lokaler Gemeinden und NGOs mit gesamt 35.869 Plätzen. Davon waren 3.488 Plätze in 143 Projekten für unbegleitete Minderjährige und 734 Plätze in 52 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen reserviert. Meist handelt es sich bei den Unterbringungen um Wohnungen (AIDA 21.3.2018).

NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von karitativen Organisationen bzw. Kirchen. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel. Im April 2017 beherbergten über 500 Familien in Italien einen Fremden. In einer Initiative der Caritas waren im Mai 2017 rund 500 weitere Migranten privat untergebracht (AIDA 21.3.2018).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Personen, die sich illegal im Land aufhalten und keinen internationalen Schutz beantragen, kommen unter bestimmten Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem Schubhaftzentrum (CPR) infrage. Gleiches gilt für Personen die eine Ausweisung erhalten haben. Italien verfügt über fünf CPR mit zusammen 610 Plätzen; vier weitere CPR sind derzeit inaktiv. Unbegleitete Minderjährige und Vulnerable können nicht in CPR untergebracht werden, Familien hingegen schon. In der Praxis werden aber nur sehr selten Kinder in CPR untergebracht (AIDA 21.3.2018). Wenn Migranten in den Hotspots die Abgabe von Fingerabdrücken verweigern, können sie für max. 90 Tage (30 Tage mit zweimaliger Verlängerungsmöglichkeit) in CPR inhaftiert werden (CoE-CPT 10.4.2018).

Diese Zentren waren vormals unter der Bezeichnung Centri di identificazione ed espulsione (CIE) bekannt (GDP 18.1.2018).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018

-

CoE-CPT - Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (10.4.2018): Report to the Italian Government on the visit to Italy carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 7 to 13 June 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1428908/1226_1523350206_2018-13-inf-eng-docx.pdf, Zugriff 21.9.2018

-

GDP - Global Detention Project (18.1.2018): Immigration Detention in Italy,

https://www.globaldetentionproject.org/wp-content/uploads/2017/11/GDP-Immigration-Detention-Report-2018.pdf, Zugriff 21.9.2018

-

MSF - Médecins Sans Frontières (8.2.2018): "Out of sight" - Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 19.9.2018

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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018

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VB des BM.I Italien (24.9.2018): Bericht des VB, per E-Mail

4.2. Dublin-Rückkehrer

Dublin-Rückkehrer die noch nicht in Italien offiziell untergebracht waren, haben Zugang zu Unterbringung. Eine allgemeine Aussage, wie lange es dauert bis tatsächlich ein Platz gefunden ist, ist nicht möglich. Aufgrund von mangelnder Information der Rückkehrer am Flughafen zum Wiedereintritt in das italienische Unterbringungssystem, Fragmentierung des Systems und Platzknappheit, dauert es tendenziell länger. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden und sich daher selbst um ihre Unterbringung - mitunter in Behelfssiedlungen - kümmern müssen. Wenn Rückkehrer in Italien bereits einmal offiziell untergebracht waren und diese Unterbringung einfach verlassen haben, kann dies zu Problemen führen. Wenn diese Personen nach Rückkehr einen Antrag auf Unterbringung stellen, kann dieser von der zuständigen Präfektur abgelehnt werden. Gestützt auf Daten aus dem Jahr 2016, denen auch für 2017 Gültigkeit bescheinigt wird, bezeichnen NGOs den Zugang von Dublin-Rückkehrern, auch von Familien mit Kindern, zu Unterbringung in Italien, als willkürlich (AIDA 21.3.2018). Die NGO Baobab Experience betreibt in Rom ein informelles Migrantencamp und berichtet von einer Zunahme von Dublin-Rückkehrer, Antragstellern die das offizielle Unterbringungssystem verlassen müssen weil sie die maximale Unterbringungsdauer erreicht haben und Inhabern eines Schutztitels unter den von ihnen Betreuten (MSF 8.2.2018).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils des EGMR stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von SPRAR-Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, die als Dublin-Rückkehrer nach Italien zurückkehren. Zuletzt wurde am 4. Juli 2018 ein neuer Rundbrief versendet und die Liste aktualisiert. Diese umfasst nun 19 SPRAR-Projekte mit zusammen 79 Unterbringungsplätzen, welche für die Unterbringung von Familien mit Kindern im Rahmen der Dublin-Rückkehr reserviert sind (MdI 4.7.2018).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018

-

MdI - Ministero dell'Interno (4.7.2018): Circular Letter, per E-Mail

-

MSF - Médecins Sans Frontières (8.2.2018): "Out of sight" - Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 19.9.2018

4.3. -Medizinische Versorgung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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