TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/24 W140 1426829-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.05.2019
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Entscheidungsdatum

24.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W140 1426829-2/54E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Schriftliche Ausfertigung des am 16.04.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Alice HÖLLER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2014, Zl. XXXX , nach Durchführung von 3 mündlichen Verhandlungen am 11.05.2015, 15.09.2017 sowie am 16.04.2019

A)

I. beschlossen:

Das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Absatz 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 wird XXXX , geb. XXXX , der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 30.09.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesasylamt wies den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten des BF mit Bescheid vom 04.05.2012 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchteil I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchteil II.) ab. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idF FrÄG 2011 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchteil III.)

Einer dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.02.2014 statt, behob den angefochtenen Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen (im Folgenden: Bundesamt) zurück.

Mit Bescheid vom 18.07.2014 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 30.09.2011 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Unter einem erteilte es dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und 55 AsylG und erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Darüber hinaus wurde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem BF einen 14tägige Frist ab Rechtskraft zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt III.). Gegen den oben genannten Bescheid des BFA richtete sich die beim Bundesamt fristgerecht am 06.08.2014 eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.05.2015 eine mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ein Dolmetscher der Sprache Paschtu, und ein Rechtsberater des BF teilnahmen. Das Bundesamt blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

Die Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

"VR. Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?

BF: Afghanistan.

VR: Woher aus Afghanistan stammen Sie?

BF: Aus der Provinz XXXX , Distrikt: XXXX , Dorf: XXXX .

VR: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Paschtune.

VR: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin sunnitischer Moslem.

VR: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin verheiratet.

VR: Ist Ihre Frau auch da?

BF: Ich bin verheiratet, meine Ehefrau und meine 3 Kinder leben in der Provinz XXXX , Distrikt: XXXX . Dorf: XXXX , bei meiner Tante mütterlicherseits.

VR: Haben Sie Kinder?

BF: 3 Kinder.

VR: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe in Afghanistan keine Schule besucht und ich war auch nicht berufstätig. Ich habe mich zu Hause um die Familie gekümmert, während mein Vater für die Familie gesorgt hat.

VR: Welchen Beruf haben Sie?

BF: Ich habe nicht gearbeitet.

VR: Haben Sie noch Familienangehörige in Afghanistan? Wenn ja, wo? Wovon lebt Ihre Familie? Haben Sie Kontakt zu Ihren Familienangehörigen?

BF: Meine Mutter, meine Ehefrau und meine drei Kinder leben bei meiner Tante mütterlicherseits. Ich habe 5 Schwestern. Sie sind alle verheiratet und sie leben mit ihren Familien zusammen. Ich habe einen Onkel mütterlicherseits, zu dem ich keinen Kontakt habe und ich nichts über seinen Aufenthaltsort angeben kann. Mein Vater ist verstorben. Zu meiner Mutter und meiner Ehefrau habe ich 1x in 2 Monaten telefonischen Kontakt.

VR: Können Sie heute Dokumente oder andere Beweismittel vorlegen, die Ihre Angaben zu Ihrer Identität belegen (zB. Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde)?

BF: Ich habe eine Tazkira vorgelegt.

VR: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

BF: Nein.

(...)

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

VR: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Ich musste aus Afghanistan fliehen, weil mein Leben in Gefahr war. Mein Vater war LKW- XXXX in Afghanistan. Er hat XXXX zwischen XXXX und XXXX transportiert. Bei einem Angriff der Taliban ist mein Vater getötet worden. Der Auftraggeber meines Vaters, der auch der Besitzer des LKWs war, hat von mir Schadenersatz verlangt. Er hat im Distrikt XXXX eine Jirga (Rat) einberufen. Die Teilnehmer dieser Jirga haben zu seinen Gunsten entschieden, nämlich, dass ich diesen Mann bezahlen musste. Da ich nicht ausreichend Geld hatte, wollte dieser Mann als Ersatz eine Schwester für sich. Ich hatte sehr große Angst vor diesem Mann. Er war sehr einflussreich und hatte viel Geld. Er pflegte auch Kontakte zu hochrangigen Taliban. Nach dem Entschluss der Jirga bin ich geflüchtet. Meine Mutter und meine Ehefrau sind dann zu meiner Tante in die Provinz XXXX gezogen. Es gab auch einen Bombenangriff auf unser Haus im Heimatdorf. Bei diesem Angriff ist niemand verletzt worden, unser Haus ist dabei sehr stark zerstört worden. Da ich Angst davor hatte, getötet zu werden, bin ich geflüchtet.

VR unterbricht um 16.58 Uhr die Verhandlung.

Fortsetzung: 17.04 Uhr.

VR: Wieso sollten die Taliban ein Fahrzeug vernichten, welches Ihnen gehört?

BF: Auf den Hauptverkehrswegen in Afghanistan kommt es immer wieder zu Angriffen seitens der Taliban. Die Taliban kennen nicht jedes Fahrzeug. Das Fahrzeug, mit dem mein Vater gefahren ist, wurde im Distrikt XXXX , angegriffen. Jener Geschäftsmann, für den mein Vater gearbeitet hat, hatte Kontakt zu den Taliban im Distrikt XXXX . Die Taliban greifen wahllos LKWs und Busse mit Reisenden an. Sie entführen Reisende und rauben LKWs aus."

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.05.2015 wurde XXXX zum Sachverständigen auf dem Gebiet der Psychiatrie bestellt. Mit Eingabe vom 12.08.2015 erstattete der Sachverständige seinen psychiatrischen Befund. Das Gutachten wurde den Parteien mit Parteiengehör vom 04.09.2015 übermittelt und die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme binnen vierzehn Tagen ab Zustellung gegeben.

Mit Schriftsatz vom 25.04.2016 gab RA XXXX sein Vollmachtsverhältnis mit dem BF bekannt, und zog die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) zurück. Ferner erstattete er ein beschwerdeergänzendes Vorbringen, wobei er unter anderem Ausführungen zur Sicherheitslage in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , und der Provinz XXXX , traf.

Mit Beschluss vom 08.06.2016 wurde Dr. XXXX als Sachverständige auf dem Gebiet der Psychotherapie bestellt. Das Gutachten langte am 07.07.2016 ein und wurde den Parteien mit Parteiengehör vom 11.07.2016 mit der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

Mit Eingabe vom 03.09.2016 bezog der rechtsfreundliche Vertreter zum psychotherapeutischen Sachverständigengutachten wie folgt Stellung:

"Aus dem Gutachten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine psychotherapeutische Unterstützung und fachärztliche Begleitung zur psychischen Stabilisierung benötigt. Unter Zugrundelegung der getroffenen Länderfeststellungen ist davon auszugehen, dass die Behandlung von psychischen Erkrankungen - abgesehen von einzelnen Pilotprojekten - noch nicht in ausreichendem Maße stattfindet. So wird eine psychotherapeutische Behandlung derzeit nur in wenigen staatlichen Krankenhäusern angeboten: In XXXX gibt es nur zwei psychiatrische Einrichtungen, das Mental Health Hospital mit 100 Betten und die Universitätsklinik Aliabad mit 48 Betten, in Mazar-e Sharif lediglich eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle aufnimmt. Darüber hinaus leidet die medizinische Versorgung landesweit an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärzten und Ärztinnen. Auch sind die Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen für viele Haushalte nicht finanzierbar. Ebenso sind Folgebehandlungen oft schwierig zu leisten [...]. Im gegenständlichen Fall kann unter Berücksichtigung der den BF betreffenden persönlichen und gesundheitlichen Verhältnisse nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mangels des ausreichenden Vorhandenseins psychiatrischer Behandlungsmöglichkeiten sowie mangels eines sozialen oder familiären Netzwerkes in eine Notsituation geraten würde" (BVwG 2.8.2016, W217 1427234-2/11E). In Zusammenhalt mit der prekären Sicherheitslage in der Provinz XXXX , aus der der Beschwerdeführer stammt und die sich in den letzten Monaten noch verschlechtert hat, und der fehlenden innerstaatlichen Fluchtalternative in XXXX wird der Beschwerdeantrag, dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, vollinhaltlich aufrecht erhalten. Auf die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird verzichtet."

Mit Eingabe vom 14.06.2017 langte ein ergänzendes psychotherapeutisches Sachverständigengutachten ein. Mit Schriftsatz vom 26.06.2017 wurde das ergänzende psychotherapeutische Sachverständigengutachten dem Beschwerdeführer zum Parteiengehör übermittelt.

Mit Eingabe vom 06.09.2017 legte der rechtsfreundliche Vertreter des BF nachstehende Unterlagen vor:

-

Attest der praktischen Ärztin XXXX vom 22.8.2017 samt Behandlungsbogen und Medikamentenliste;

-

Email von XXXX vom 27.6.2017

-

Email von XXXX vom 28.6.2017

-

Aktenvermerk über Telefongespräch mit XXXX (Psychosoziale Beratungsstelle XXXX ) vom 31.8.2017

-

Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5.4.2017 betreffend "Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung.

Zudem führte die rechtsfreundliche Vertretung des BF ergänzend aus:

"Der Beschwerdeführer steht bei Frau XXXX in laufender Behandlung, unter anderem wegen Depressio. Sie fährt eine medikamentöse Therapie und verschreibt aktuell Novalgin FTBL, Venlafaxin Blu Ret HKPS 75 und Trittico Ret TBL 75 mg. Der unterfertigende Rechtsvertreter hat ihr die beiden Gutachten von XXXX vom 6.7.2016 und vom 9.6.2017 zukommen lassen und sie gebeten, die facheinschlägige Einschätzung der Sachverständigen bei ihrem Behandlungsplan zu berücksichtigen. Die ihr gestellte Frage, ob ein Schmerzmittelabusus besteht, hat Frau XXXX nicht beantwortet. Der Beschwerdeführer hat lange nicht wirklich verstanden, dass er professioneller psychotherapeutischer Unterstützung bedarf; im übrigen ist es für Asylwerber sehr schwierig, auf Krankenschein geeignete Therapieplätze zu finden, zumal die Therapeuten für Personen mit Migrationshintergrund besondere Kompetenzen im transkulturellen Bereich aufweisen und meist auch auf Dolmetscher angewiesen sind, welche die Krankenkasse nur ungern bezahlt. Nach Zustellung des Psychotherapeutischen Sachverständigengutachten vom 9.6.2017 hat es der unterfertigende Rechtsvertreter daher selbst in die Hand genommen, für den Beschwerdeführer in XXXX einem geeignete Behandlungsplatz zu finden:

XXXX hat wegen Überlastung am 27.6.2017 abgesagt und an die Männerberatungsstelle und manche Psychosozialen Beratungsstellen verwiesen (siehe Email von XXXX ); XXXX hat am 28.6.2017 wegen der langen Warteliste ebenfalls abgesagt (siehe Email von XXXX ). Die Männerberatungsstelle hat auf die Anfrage nicht reagiert, und die für ihn örtlich zuständige Psychosoziale Beratungsstelle (PSB) kann ihn nicht aufnehmen, weil sie nicht über die erforderlichen Dolmetscher verfügt; sie hat für ihn aber ausnahmsweise - unter Umgehung der Warteliste - einen Termin bei XXXX erwirken können (siehe Aktenvermerk vom 31.8.2017). Dieser Termin hat bereits stattgefunden. Die Hausärztin Frau XXXX hat dem Beschwerdeführer auf Aufforderung des unterfertigenden Rechtsvertreters hin im August 2017 eine Überweisung für XXXX , Facharzt für Psychiatrie, mitgegeben. Der Beschwerdeführer konnte bereits einen Sitzungstermin bei diesem Facharzt wahrnehmen. Weiters hat der Beschwerdeführer einen Augenarzttermin vereinbart, weil er seine Depression mit seiner Sehschwäche in Verbindung bringt und seit Jahren die Brillenstärke nicht kontrolliert hat, weil er vermeint, sich eine neue Brille finanziell nicht leisten zu können. Der Beschwerdeführer hat nun verstanden, dass er die verschriebenen Medikamente in der verordneten Dosis genau einnehmen muss, sie nicht eigenmächtig absetzen darf und er sich auch nicht von Freunden von der Einnahme abhalten lassen soll. Er hat jetzt eingesehen, dass er eine psychotherapeutische Unterstützung und fachärztliche Begleitung zur psychischen Stabilisierung benötigt. Aus der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergibt sich, dass psychosoziale Probleme und psychische Erkrankungen in Afghanistan bisher stark unterschätzt und daher kaum angegangen, wenn nicht sogar ignoriert, werden. Es bestehen kaum Kapazitäten zur Behandlung psychischer

Erkrankungen. Medikamente sind kostenpflichtig verfügbar (wenngleich oft nur in minderer Qualität oder sogar als gesundheitsgefährdende Fälschungen); eine kostenfreie Abgabe hängt von der Finanzierung durch NGOs und internationale Geldgeber ab und ist daher nicht gesichert. Im gegenständlichen Fall kann unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer betreffenden persönlichen und gesundheitlichen Verhältnisse somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mangels des ausreichenden Vorhandenseins psychiatrischer Behandlungsmöglichkeiten sowie mangels eines sozialen oder familiären Netzwerkes in eine Notsituation geraten würde (vgl. BVwG 2.8.2016, W217 1427234-2/11E). In Zusammenhalt mit der prekären Sicherheitslage in der Provinz XXXX , aus der der Beschwerdeführer stammt und die sich in der letzten Zeit noch verschlechtert hat, und der fehlenden innerstaatlichen Fluchtalternative in XXXX wird der Beschwerdeantrag, dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, vollinhaltlich aufrecht erhalten."

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.09.2017 erneut eine mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ein Dolmetscher der Sprache Paschtu, und ein Rechtsberater teilnahmen. Die Verhandlung gestaltete sich, nach Erläuterung des bisherigen Verfahrensganges, wie folgt:

" (...)

R: Dieses Gutachten wurde Ihrem Vertreter zur Stellungnahme übermittelt. Ihr Vertreter brachte am 06.09.2017 eine Stellungnahme mit Urkundenvorlage dazu ein, in der er auf Ihren gesundheitlichen Zustand eingeht. Aus dieser geht hervor, dass Sie eine psychotherapeutische Unterstützung sowie fachärztliche Begleitung zur psychischen Stabilisierung benötigen.

R an BF: Haben Sie schon mit der Therapie begonnen?

BF: Ich befinde mich in fachärztlicher Behandlung und ich muss regelmäßig Medikamente nehmen, dazu kann ich eine Überweisung vorlegen.

R: Ich werde die Überweisung in Kopie zum Akt nehmen. Ich ersuche Sie, mir nach Abschluss der Therapie (fachärztlichen Behandlung) die diesbezüglichen Atteste sowie Befunde zukommen zu lassen. Ich werde dann erneut eine Verhandlung anberaumen.

R an BFV: Haben Sie dazu etwas vorzubringen?

BFV: Das ist in Ordnung.

R an BF: Haben Sie dazu etwas vorzubringen?

BF: Ich stimme dem zu."

Mit Schriftsatz vom 20.12.2017 gab der rechtsfreundliche Vertreter des BF eine Stellungnahme ab, in der er ausführte, dass der BF nunmehr in psychotherapeutischer Behandlung bei XXXX , einem Facharzt für Psychiatrie, stehe. Unter einem wurde ein Befund vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass der BF weiterhin eine medikamentöse Therapie sowie beratende Gespräche benötige. Ferner sei der BF in das Projekt "Rehabilitation, Empowerment and Integration" des Vereins XXXX aufgenommen wurden, an dem er seit 11.09.2017 regelmäßig an drei Nachmittagen pro Woche teilnehme. Darüber hinaus besuche der BF einen Deutschkurs für Asylwerber und habe auch den Werte- und Orientierungskurs des ÖIF erfolgreich abgeschlossen.

Mit Eingabe vom 02.02.2018 wurde ein Zertifikat zur Bestätigung der Teilnahme des BF am Modulprogramm "Rehabilitation, Empowerment and Integration" des Vereins XXXX vorgelegt.

Mit Eingabe vom 26.03.2018 wurde eine Behandlungsbestätigung des BF bei XXXX vorgelegt.

Mit Eingabe vom 16.07.2018 legte die ARGE eine Vollmacht vor und übermittelte nachstehende Dokumente:

-

Deutschkursbestätigung im Zeitraum 17.10.2017 - 16.12.2017 auf dem Niveau A1.2;

-

Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF am 17.11.2017;

-

Teilnahmebestätigung am XXXX Projekt "Rehabilitation, Empowerment und Integration";

-

Befundbericht von XXXX vom 23.11.2017;

-

Bericht XXXX vom 12.07.2018, wonach der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer Depression mit rezidivierenden suizidalen Gedanken leide;

-

Behandlungsbestätigung von XXXX vom 15.03.2018, sowie Medikamentenverschreibung von XXXX ;

Mit Parteiengehör vom 12.11.2018 wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan mit der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

Mit Eingabe der Rechtsberatung vom 27.11.2018 wurde bekannt gegeben, dass der BF seit 19.10.2017 beim Verein XXXX wegen posttraumatischer Belastungsstörungen und Depression mit rezidivierenden suizidalen Gedanken in psychotherapeutischer Behandlung sei. Zudem sei der BF auch regelmäßig in psychiatrischer Behandlung und nehme Trittico sowie Venlafaxin ein. Der BF sei trotz seiner psychischen Erkrankung bemüht, mit Österreichern in Kontakt zu treten und ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein. Unter einem wurde ein diesbezügliches Unterstützungsschreiben vorgelegt.

Mit Eingabe vom 29.11.2018 wurde eine Bestätigung über die Teilnahme des BF an einem Deutschkurs der Niveaustufe B1 im Zeitraum 03.09.2018 - 21.12.2018 vorgelegt.

Mit Parteiengehör vom 14.01.2019 wurden dem Beschwerdeführer die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, das LIB Afghanistan vom 29.06.2018 (letzte KI: 11.09.2018) sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Afghanistan, Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund der anhaltenden Dürre vom 13.09.2018, mit der Möglichkeit hierzu binnen zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens Stellung zu beziehen, vorgelegt.

Mit Eingabe vom 30.01.2019 erstattete der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsberater eine Stellungnahme.

Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.04.2019, zu der ein Vertreter des BFA nicht erschienen ist, wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des Beschwerdeführers im Beisein seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin, weiters durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Verhandlung gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

"R an BF: Haben Sie noch etwas vorzubringen?

BF: Ich nehme wegen meiner psychischen Erkrankung nach wie vor Medikamente ein. Mit den Medikamenten fühle ich mich etwas besser.

R: Sie sind nach wie vor in Behandlung?

BF: Meine Medikamente dienen dazu, dass meine Nerven ruhig bleiben. Manchmal werde ich aber trotz der Medikamente wütend, ich werde aggressiv gegen mich selbt. Ich überlege mein Leben zu beenden. Ich suche nämlich nach einem Grund, warum es ausgerechnet mir so schlecht gehen muss.

R an BFV: Haben Sie noch etwas vorzubringen?

BFV: Der BF ist außerdem nach wie vor in psychotherapeutischer Behandlung beim Verein XXXX . Durch die Medikamente und die Psychotherapie hat sich die psychische Lage stabilisiert, jedoch würde bei eine Rückkehr nach Afghanistan eine massive Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes des BF eintreten. Abgesehen davon, dass der BF aus seinem gewohnten Lebensumfeld gerissen wird, ergibt sich aus der aktuellen Berichtslage zu Afghanistan, dass es dem BF kaum möglich wäre eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen oder die finanziellen Mittel aufzubringen, um sich adäquate Medikamente leisten zu könnnen. Nach der Judikatur des VfGH (21.09.2015, E 332/2015) zählt die psychische und physische Integrität des Einzelnen zum Schutzgut des Privatlebens gemäß Artikel 8 Abs 1 EMRK, weshalb dem psychischen Gesundheitszustand des BF jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG erhebliches Gewicht zukommt. Wegen der psychischen Erkrankung wäre es dem BF außerdem nicht möglich in Afghanistan eine Arbeit aufzunehmen und hätte daher keinerlei Erwerbschancen, wodurch er in eine ausweglose Artikel 3 EMRK - verletztende Situation geraten würde. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der BF seit fast 8 Jahren in Österreich ist, wobei die lange Dauer nicht auf ein Verschulden des BF zurückzuführen ist und daher auch diese lange Dauer im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten des BF ins Gewicht fällt. Der BF besuchte laufend - sofern es ihm aufgrund seiner Erkrankung möglich war - Deutschkurse und bemühte sich auch sonst um eine Integration in Österreich. Weiters pflegt der BF keinerlei Kontakte zu seinem Herkunftsstaat mehr. In einer Gesamtschau überwiegen daher die Interessen des BF am Verbleib in Österreich jedenfalls die Interessen an einem geordneten Fremdenwesen. Dem BF ist daher jedenfalls eine Aufenhaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG zu erteilen. Zu § 8 AsylG wird auf die bereits eingebrachten Stellungnahmen verwiesen."

Mit Eingabe vom 19.04.2019 ersuchte das Bundesamt um eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Feststellungen zur Person des Rechtsmittelwerbers:

Der Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei ist Afghanistan. Der Beschwerdeführer (BF) ist Paschtune und gehört dem sunnitischen Islam an. Der BF stellte am 30.09.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er stammt aus der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , Dorf XXXX .

Der BF pflegt keinerlei Kontakte zu seinem Herkunftsstaat mehr. Der BF hat in Afghanistan keine Schule besucht und war auch nicht berufstätig.

Der BF leidet aktuell an einer posttraumatischen Belastungsstörung, sowie an einer Depression mit rezidivierenden suizidalen Gedanken und ist aufgrund dessen in laufender psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde eine massive Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes des BF eintreten.

Der sich mittlerweile - fast 8 Jahre in Österreich befindliche - BF ist strafrechtlich unbescholten und absolvierte neben dem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 17.11.2017, auch einen Deutschkurs der Niveaustufe A1.2 Ende 2017.

1.2. Feststellungen zur Lage in der Islamischen Republik Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der USAmerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen.

Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

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Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) ? Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018). ? Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) . ?

Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Karte Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018). ?

Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017). ? Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen

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legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017). ? Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017). ? Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017). ? In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

- Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018). ? Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018). ? Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.200931.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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