Entscheidungsdatum
06.06.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W161 2127801-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Edward W. Daigneault, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2017, Zl. 14-1029625703/14908649, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.03.2019 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte am 25.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag gab der BF an, er sei in XXXX , XXXX geboren und ledig. Seine Muttersprache sei Paschtu, er spreche auch Dari. Er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Er habe ein Jahr lang eine Koranschule in XXXX besucht. Sein Vater sei vor 14 Jahren verstorben. Er habe noch seinen Vater (Anm.: wohl gemeint seine Mutter) und einen Bruder. Seine Schwester sei vor zwei Monaten verstorben. Er habe in Afghanistan in XXXX , XXXX in der Provinz Maidan Wardak gelebt. Er leide an Gastritis und habe seine eigenen Tabletten mit. In Afghanistan habe er seit 10 Jahren als selbstständiger Lebensmittelhändler gearbeitet. Seine Familie besitze ein Haus, die finanzielle Situation sei schlecht. Er habe die Familie als Lebensmittelhändler versorgt.
Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er in seiner Heimat ein Verhältnis mit einer jungen Afghanin namens XXXX gehabt habe. Es habe ein Jahr lang gedauert. Vor ca. zwei Monaten habe sie ihn zu sich eingeladen und sie hätten sich heimlich getroffen. Dabei seien sie von ihrem Onkel väterlicherseits gesehen worden. Der BF sei zu seiner Tante geflüchtet. Fünf Tage nach diesem Vorfall habe die Familie von XXXX seine Schwester XXXX aus Rache lebeding verbrannt. Sein Bruder habe daraufhin auf den Bruder von XXXX eingeschlagen. Er sei am Kopf getroffen worden und verstorben. Die Familie von XXXX habe nun Rache geschworen. Sein Bruder habe auch die Region verlassen müssen, er wisse nicht, wohin dieser geflüchtet sei. Der BF sei aus Angst um sein Leben geflüchtet. Er vermute, dass die Familie von XXXX zu den Taliban gehöre. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor der Rache von XXXX Familie.
3. Am 20.05.2016 brachte der BF eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 BVG (Säumnisbeschwerde) ein. Diese wurde in weiterer Folge dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, welches die Säumnisbeschwerde mit Erkenntnis vom 10.08.2016, Zl.: W169 2127801-1/2E gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG abwies.
4. Am 23.11.2016 wurde der BF niederschriftlich in der Sprache Dari einvernommen.
Vom BFA wurde festgehalten, dass der BF am linken Unterschenkel eine Narbe wegen eines Sturzes habe. Er sei dazu in der Lage, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen und habe keine physischen oder psychischen Probleme. Er leide an Gastritis. Im Heimatland sei er diesbezüglich nicht behandelt worden, er habe dies erst auf der Flucht bekommen und in Österreich Tabletten dagegen bekommen. Er habe vom Schlepper bereits Tabletten erhalten. Er habe bis dato die Wahrheit gesagt und alles sei korrekt protokolliert worden. Seine Mutter lebe in Logar, sein Bruder sei auf der Flucht. Er habe ein Jahr lang eine Koranschule besucht und habe aufgrund seines Geschäftes selbst schreiben gelernt. Er könne die Sprachen Dari und Paschtu lesen und schreiben. Seine Mutter habe als Schneiderin sehr gut verdient und habe ihm das Lebensmittelgeschäft finanziert. Er sei Paschtune. Im Heimatland würden noch seine Mutter, ein Onkel und eine Tante leben. Seine Familie besitze noch das Haus. Die Familie würde in Logar und Ghazni leben. Er habe regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie. Falls es an seiner alten Wohnadresse sicher wäre, könne er dort unterkommen.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF wie folgt an:
"Eines Tages ist ein Mädchen mit einem kleinen Jungen zu mir ins Geschäft gekommen und hat einiges eingekauft. In meinem Geschäft wollte sie mein Handy ausleihen um kurz jemanden anzurufen. Sie sprach kurz mit jemandem und ist wieder gegangen. Am selben Abend um
22. 00 Uhr habe ich 2-mal hintereinander Anrufe bekommen, niemand sprach und es wurde wieder aufgelegt. Beim 3. Mal fragte ich, was das soll und forderte denjenigen auf zu sprechen. Es war dieses Mädchen. Sie wolle mit mir plaudern. So begann unsere Freundschaft und wir führten ca. 1 1/2 Monate eine Beziehung per Telefon. Später hat sie mir erzählt dass sie zum Stamm von XXXX gehört. Dieser XXXX ist in dieser Gegend eine berühmte Person und dieser Stamm ist gefährlich. Ich habe zu dem Mädchen daraufhin sofort gesagt, dass wir nicht mehr miteinander in Kontakt bleiben weil ich das nicht will. Ich wusste, wenn die männlichen Verwandten dieses Mädchens von unserem telefonischen Kontakt erfahren, würden sie mich nicht in Ruhe lassen und ich würde Probleme bekommen. Ich habe sie aufgefordert mich nicht anzurufen. Am darauffolgenden Tag ist sie mit einem Stoff zu meiner Mutter gekommen und wollte ein Kleidungsstück in Auftrag geben. Sie fragte nach mir, meine Mutter war überrascht und fragte woher wir uns kennen. Sie sagte, dass wir gut befreundet sind und in ständigem telefonischen Kontakt sind.
Meine Mutter sagte: "Wenn du bereits verlobt bist, wieso führst du solche Telefonate? Das kann für euch beide gefährlich werden." Am Abend hat meine Mutter mich dann beschimpft und behauptet, dass ich alle damit in Lebensgefahr bringe. Ich habe geschworen, dass ich keine Ahnung hatte, dass sie verlobt ist. Das Mädchen hat mich noch mehrere Male angerufen, nach längerem habe ich dann doch mit ihr gesprochen. Sie hat geweint und sich entschuldigt, dass sie bereits verlobt ist. Der Verlobte ist bereits 50 Jahre alt und hat schon eine Familie und ist ein Talib aus dem XXXX . Sie wolle diese Ehe nicht und sie wolle einen gleichaltrigen Mann. Sie hat am Telefon bitter geweint und erzählt, dass sie die kommende Woche diesen bereits 2-fach verheirateten Mann hätte heiraten müssen. Ihre einzige Bitte war, dass sie mich einmal persönlich sieht, ich habe natürlich nein gesagt. Sie wollte es unbedingt. Sie hat gesagt, dass sie mich gegen 1 Uhr früh erwartet. Da würden alle schlafen und wir könnten in Ruhe einige Minuten sprechen. Danach würde sie mich in Ruhe lassen. Gegen 00.45 habe ich mein Haus verlassen und kurz vor ein Uhr war ich dort. Neben der Eingangstür war ein kleiner Vorraum, dort wollten wir unbeobachtet kurz miteinander reden. 2 - 3 Minuten später tauchte ihr Onkel auf, er war auf der Toilette und hatte unsere Schatten gesehen. Ich wollte mich erst verstecken habe mich dann aber zur sofortigen Flucht entschlossen. Ich habe angefangen zu laufen und gleichzeitig habe ich zurückgesehen um zu wissen wie weit er noch entfernt ist. Deshalb bin ich über einen Stein gestolpert und habe mich dadurch am linken Unterschenkel verletzt. Es war eine offene Wunde und hat geblutet. Trotzdem bin ich mit aller Kraft gelaufen. Ich benützte nicht die Hauptgasse sondern einen Umweg. Als ich nicht mehr konnte versteckte ich mich in einem Apfelgarten unter den Bäumen. Ich weiß nicht ob ich geschlafen habe oder ob ich bewusstlos war. Als ich wieder wach wurde, am nächsten Morgen war ich überall voll Blut. Ich versuchte nach Hause zu kommen. Ein junger Mann aus der Nachbarschaft kam mir entgegen und fragte was bei uns letzte Nacht los war. Ich sagte, dass ich das nicht weiß. Er sagte, dass es sehr, sehr laut zugegangen ist und offensichtlich wurde meine Familie von den Leuten geschlagen. Trotz Verletzungen wollte ich nach Hause. Der Nachbarsjunge riet mir davon ab, er sagte dort war die Hölle los. Der Nachbarjunge meinte dass meine Mutter, meine Schwester und mein Bruder letzte Nacht sehr brutal geschlagen worden wären und hat mir geraten nicht nach Hause zu gehen sondern woanders hin. Ich hatte große Angst und vermutete dass es die Familie des Mädchens war. Ich war verletzt und hatte kein Geld. Der Nachbar hat mir 1.000,- Afghani gegeben und ich bin damit nach Kabul gefahren und habe mich dort bei meiner Tante mütterlicherseits im Stadtteil XXXX versteckt. Meine Tante lebte ursprünglich in Logar hatte aber eine Zyste welche in Kabul entfernt werden musste. Deshalb wurde sie dort operiert und ihr Mann hatte für einige Zeit eine Wohnung gemietet für die weitere Behandlung, deshalb konnte ich mich bei ihr verstecken. Ca. 1 Monat davor war ich schon einmal bei meiner Tante deshalb wusste ich wo sie wohnt. 4 Tage später ist meine Mutter nach Kabul gereist und hat mir ausführlich geschildert, dass die Männer der Familie dieses Mädchens bei uns zu Hause waren. Sie haben meine Mutter und meinen Bruder geschlagen und weil sie mich nicht gefunden haben, haben sie meine Schwester als Geisel mitgenommen.
...
Sie haben dann meine Schwester getötet. Sie haben sie brutal geschlagen, vermutlich hatte sie versucht zu fliehen - sie haben sie so lange geschlagen bis sie tot war.
...
Sie haben meine Schwester mitgenommen und bei sich zu Hause haben sie sie dann geschlagen. Das dauerte vermutlich den ganzen Tag. Eventuell wollte sie dann in der Nacht fliehen und das hat die Männer dann vermutlich so wütend gemacht, dass sie auf sie eingeschlagen haben bis sie tot war. Am nächsten Tag haben sie die Leiche vor unserer Haustür abgelegt. Sie sagten zu meiner Mutter, dass Sie sich umgebracht hätte. Meine Schwester war aber am Rücken sehr verletzt und ihr fehlten auch 2 Zähne, es war offensichtlich, dass sie gefoltert wurde. Meine Mutter hatte dann meinen Bruder zur Polizei geschickt und hat dort eine Anzeige erstattet. Als die Polizei hörte, dass die Täter zum Stamm von XXXX gehören, sagten sie, dass sie sich nicht einmischen werden, weil es sich dabei um eine familiäre Angelegenheit handelt und das die Familien unter sich regeln sollen, das sei nicht Aufgabe der Polizei.
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Am Nachmittag hat meine Familie die Leiche meiner Schwester begraben. Meine Familie vor allem mein Bruder kochte vor Wut. Mein Bruder hat meine Mutter mitgenommen und sie sind zum Haus dieses Mädchens gefahren. Meine Mutter blieb im Auto und mein Bruder hat heftig angeklopft. Er wartete mit einem Stück Holz in der Hand darauf, dass jemand öffnete. Der Bruder des Mädchens öffnete, er war es auch der meine Schwester mitgenommen hatte. Mein Bruder schlug ihn mehrere male mit dem Holzstück er blutete und fiel zu Boden. Meine Mutter und mein Bruder sind danach nach Ghazni zu meinem Onkel XXXX gefahren. Sie verbrachten dort die Nacht. Als mein Onkel erfuhr was passiert ist, hat er sie gebeten wieder zugehen. Er wollte sich und seine Familie nicht in Gefahr bringen. Mein Bruder ist in Ghazni geblieben, wo genau weiß ich nicht. Meine Mutter fuhr nach Hause und hat dort das Geld und die Unterlagen mitgenommen und kam nach Kabul zu mir. Sie erzählte mir ausführlich was die letzten 4 Tage passiert war. Sie war sehr böse auf mich und sagte, dass ich die ganze Familie in Lebensgefahr gebracht hätte und auch Mitschuld am Tode meiner Schwester hätte. Weitere neun Tage blieb ich bei meiner Tante in Kabul, am 10. Tag ging der Ehemann meiner Tante einkaufen und dort hat er vom Geschäftsinhaber erfahren, dass gestern abend unbekannte Leute in der Gegend waren und nach mir und meiner Adresse gefragt hätten. Er kam aufgeregt nach Hause und meinte, dass ich so schnell als möglich Afghanistan verlassen muss. Es war eine Frage der Zeit bis sie mich gefunden hätten, dann hätten sie mich und die ganze Familie meiner Tante getötet. Das Geld das meine Mutter dagelassen hatte haben wir verwendet und den Rest hat er dazugegeben und er schickte mich nach Mazar e Sharif. Von dort habe ich das Land verlassen. Meine Mutter hat mir zudem mitgeteilt, dass auch mein eigener Bruder hinter mir her wäre und er würde mich finden und mich umbringen, weil ich für den Tod unserer Schwester verantwortlich bin.
...
F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?
A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.
V: In der EB gaben Sie an ein Jahr lang unentdeckt eine heimliche Beziehung zu führen? Heute gaben Sie an nur 1 1/2 Monate befreundet zu sein. Was sagen Sie dazu?
A: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich überhaupt eine Zeitangabe gemacht habe, woher diese Angabe kommt, weiß ich wirklich nicht.
F: Wie konkret war die Beziehung zwischen ihnen?
A: Wir haben nur telefonisch miteinander Kontakt gehabt.
F: Wieso hat das Mädchen nicht erwähnt dass sie verlobt war?
A: Sie hatte Angst, wenn sie das erwähnt würde ich nicht mehr mit ihr reden. Deshalb hat sie es verheimlicht.
F: Wieso haben sie wegen eines 2 minütigen Gespräches ein solch enormes Risiko auf sich genommen, Das ist völlig unglaubwürdig und nicht nachvollziehbar.
A: Ich hatte nur Mitleid mit ihr und sie hat geweint, sie wollte dass ich warmherzig mit ihr war.
F: Wie kam es dazu, dass Sie sich als Koranschüler überhaupt auf diese Geschichte einließen?
A: Das war ein Fehler, es war nur Mitleid.
F: Sie haben doch als Geschäftsmann lernen müssen umsichtig zu handeln, Wie erklären sie mir das?
A: Ich gebe zu das war keine rationale Entscheidung, das war keine gut Entscheidung.
F: Woher wussten die Leute, dass Sie es waren, der sich mit dem Mädchen getroffen hatte?
A: Der Onkel dieses Mädchens konnte mein Gesicht sehen, es war Vollmond.
V: Vorher haben sie selbst angegeben, dass er nur ihre Schatten gesehen hätte. Wie geht das?
A: Das ist korrekt. Erst als ich geflohen bin habe ich mich umgedreht und er konnte mein Gesicht sehen.
F: Sie haben erwähnt dass sie sich umgedreht haben, um zu sehen wo ihr Verfolger wäre, wo hat dieser sich befunden?
A: Die haben mich nicht direkt verfolgt, sie sind direkt zu uns nach Hause gelaufen.
F: Wer waren die Personen, sie hatten nur vom Onkel geredet?
A: Das weiß ich nicht ich hörte nur mehrere Stimmen.
F: Woher kamen diese Leute auf einmal?
A: Sie haben sich meinem Onkel vermutlich angeschlossen, als sie sahen, dass er mich verfolgte, genaues weiß ich nicht.
F: Wieso haben Sie sich nicht an die Weißbärtigen gewendet als Sie merkten, dass das Mädchen sie nicht in Ruhe ließ und sie lt. eigenen Angaben Probleme dadurch befürchteten?
A: Die könnten uns nicht helfen, weil der Stamm von XXXX stärker ist.
F: Sie haben nur telefoniert und das Mädchen gesehen, sie haben sie weder berührt noch sonstige unsittliche Dinge gemacht, wie kam die Familie dazu solch drastische Strafen zu vollziehen?
A: Die wussten nicht dass wir keine sexuelle Beziehung haben, und außerdem war es sowieso verboten, dass ein Mädchen sich mit einem Jungen privat trifft.
F: Wieso haben sie dann nicht Rücksicht auf das Mädchen genommen und sie in diese Lage gebracht?
A: Sie wollte unbedingt dass wir uns sehen.
F: Was ist ihrer Freundin passiert?
A: Das weiß ich nicht.
F: Warum hat die Familie des Mädchens sich nicht an die Weißbärtigen gewandt um sich Rat zu holen oder die Situation zu besprechen?
A: Sie waren nicht an der Lösung interessiert, das sind Taliban und sie haben jahrelang nur gekämpft, sie wollten sich nur rächen.
F: Woher und seit wann wissen sie, dass diese Leute zu den Taliban gehören?
A: Das wissen alle in der Gegend.
F: Trotzdem sind sie in das Haus des Mädchens gegangen, das ist nicht nachvollziehbar, das ist nicht glaubwürdig.
A: Wie gesagt es war ein Fehler, wir dachten es wäre sicher.
F: Wie genau ist der Übergriff auf ihre Familie und die Geiselnahme ihrer Schwester passiert?
A: Ich weiß das nur aus Erzählungen meiner Mutter ich selbst war nicht dabei. Meine Familie wurde geschlagen und sie sagten zu meiner Mutter, dass ich die Ehre dieser Familie beschmutzt hätte. Meine Familie hatte keine Ahnung und waren sehr überrascht.
V: Sie sagten aber doch, dass das Mädchen ihre Mutter bereits über ihren Kontakt informiert hätte?
A: Na, ja das ist richtig.
F: Wer waren die Personen?
A: Das weiß ich nicht, meine Mutter sagte es waren die männlichen Mitglieder der Familie des Mädchens.
F: Wie konkret ist das abgelaufen?
A: Alle wurden geschlagen und weil ich nicht da war wurde meine Schwester mitgenommen.
F: In ihren Kulturkreisen ist es üblich, dass immer die Männer herangezogen werden und nicht die Frauen die Strafe für die Männer abbekommen. Das ist absolut nicht nachvollziehbar. Was sagen Sie dazu?
A: Generell ist das richtig, aber es ging um Rache. Ich hatte die Ehre der Tochter verletzt, deshalb wollten sie sich auch an meiner Schwester rächen. Frau gegen Frau.
F: Gibt es eine Bestätigung der Anzeige ihres Bruders bei der Polizei?
A: Nein, es gibt keine Bestätigung.
F: Wieso wurden nicht Sie verfolgt und bestraft?
A: Das ist das Problem in Afghanistan, wenn es um Rache geht wird blind gehandelt.
F: Was wurde ihnen überhaupt zur Last gelegt?
A: Ich wurde in dem Haus gesichtet und dadurch war es für die klar, dass wir unmoralische Sachen gemacht hatten.
F: Wie lange sind sie gelaufen bis sie zu dem Apfelgarten gelangten?
A: Das waren ca. 5 Minuten.
F: Sie gaben an aufgrund ihrer Verletzung mit letzter Kraft gelaufen zu sein, das hat nur für 5 Minuten gereicht?
A: Ja, so ist es.
F: Zeigen Sie mir die Narbe dieser Verletzung!
A: AW zeigt mir eine Narbe 3- 4 cm lang am linken Knie!
V: Sie haben doch vorher gesagt, dass die Verletzung am linken Unterschenkel ist.
A: Nein, es ist das Knie.
F: Wieso haben Sie nichts von den Vorfällen mitbekommen, wo es doch bei ihnen zu Hause so laut zugegangen war!?
A: Das war in der anderen Richtung.
F: Wie kam der Nachbar gerade in diese Gegend?
A: Das war nur ein Zufall.
F: Was hat der Bruder des Mädchens unternommen nach dem ihr Bruder ihn geschlagen hatte?
A: Laut Angaben meiner Mutter wurde der Bruder am Kopf schwer getroffen und meine Mutter vermutete dass er danach tot war. Ich selbst weiß es nicht.
F: Gab es diesbezüglich eine Anzeige?
A: Nein, schriftliches gibt es nicht. Es gab von den Behörden keine Ermittlungen, das waren Familienangelegenheiten.
F: Wollen Sie mir erklären, dass in Afghanistan Mord eine Privatangelegenheit ist.
A: Bei vielen Tötungsdelikten hält sich die Polizei raus, überhaupt wenn die Taliban im Spiel ist.
F: Obwohl ihr Bruder wusste, dass es sich um Talibanangehörige handelt, ist er dorthin gegangen?
A: Ja.
F: Gibt es eine Bestätigung über den Tod ihrer Schwester? (Mullah, Weißbärtige)
A: Nein, es gibt dort keine öffentliche Bestätigung.
F: Gibt es für den Tod des Bruders des Mädchens eine offizielle Bestätigung?
A: Nein, wir wissen nicht einmal ob er tot ist.
F: Sie gaben an, dass ihr Bruder in Ghazni geblieben ist und ihre Mutter fuhr nach Hause. Wie genau ging das von statten?
A: Meine Mutter ist mit dem öffentlichen Verkehrsmittel zurück.
F: Wo war das Auto ihrer Familie?
A: Das war bei meinem Bruder.
F: Hatte ihre Mutter dann keine Probleme?
A: Sie war nur kurz zu Hause und ist dann nach Kabul zu mir.
F: Wie lange hat sich die Tante in Kabul aufgehalten?
A: Als ich zu ihr gereist bin war sie bereits 2 1/2 Monate dort. Wie lange sie dann noch dort war weiß ich nicht.
F: Was hat bei der OP so lange gedauert?
A: Sie war nur einige Tage stationär im Krankenhaus aber die Nachuntersuchungen waren sehr langwierig. Meine Mutter ist dann gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Mann nach Logar gereist.
F: Sie gaben an, dass in Kabul nach ihnen gefragt wurde. Woher sollten diese Geschäftsleute wissen wie sie heißen und wo sie wohnen?
A: Der Ehemann meiner Tante kannte diese Leute seit sie dort wohnten. Er wurde gefragt ob er Gäste habe.
F: Wollen sie mir erklären, dass in einer Millionenstadt wie Kabul ausgerechnet sie gefunden worden wären? Ihr Onkel war überdies erst seit 2 1/2 Monaten dort aufhältig.
A: Das ist richtig, ich will nicht behaupten, dass man in Kabul nicht untertauchen kann. Man hat dann aber immer Angst, dass man entdeckt wird.
F: Wie ist der Vorfall bei dem ihr Bruder den Bruder ihrer Freundin geschlagen hat abgelaufen?
Erzählen Sie alle Details.
A: Laut meiner Mutter war es am Abend und er hat angeklopft. Der Bruder des Mädchens hat aufgemacht. Mein Bruder hat 2, 3 mal zugeschlagen, mehr weiß ich nicht.
F: Wieso sind Sie nicht in einen anderen Landesteil oder eine andere Stadt geflüchtet? (Kabul)
A: Man kann sich 2- 3 Jahre irgendwo verstecken aber nicht ein Leben lang, das ist nicht möglich und das wollte ich auch nicht. Ich wäre in ganz Afghanistan nicht sicher gewesen.
F: Sie geben an, dass auch ihr Bruder hinter ihnen her wäre, woher weiß ihre Mutter das?
A: Mein Bruder hat zu meiner Mutter gesagt, ich werde ihn nicht am Leben lassen.
F: Wann war das?
A: Als sie sich in Ghazni getrennt hatten.
F: Sie haben behauptet, dass sie nicht wissen wo ihr Bruder sich aufhält. Was sagen Sie dazu?
A: Das stimmt, weder ich noch meine Mutter wissen wo er ist.
V: Sie haben in der Erstbefragung angegeben, dass Ihre Schwester von den Familienmitgliedern ihrer Freundin lebendig verbrannt wurde, heute behaupten Sie dass sie erschlagen wurde. Wollen Sie dazu etwas sagen?
A: Das ist ein Missverständnis, ich habe alles nur von meiner Mutter erfahren. Sie hat mir immer nur geschildert, dass meine Schwester brutal getötet wurde. Wir können alle nur vermuten wie meine Schwester umgekommen ist. Meine Mutter hat einmal so gesagt und dann wieder anders. Sie hat einmal erwähnt dass sie vermutet, dass sie lebendig verbrannt wurde.
F: Wie soll das gehen? Der Leichnam ihrer Schwester ist doch lt, ihren Angaben vor dem Haus abgelegt worden, dann kann ihre Mutter das doch nicht behaupten?
A: Meine Mutter weiß das auch nicht, sie meinte dass sie Verbrennungsmale gesehen hätte. Es weiß keiner genau wie meine Schwester getötet wurde.
F: Wurden sie jemals selbst konkret bedroht oder verfolgt?
A: Nein, das war nicht der Fall, wenn sie mich gefunden hätten, hätten sie mich vermutlich umgebracht.
V: Ihre sämtlichen Angaben zu ihrer Verfolgung und Bedrohung beruhen auf Vermutungen und Erzählungen durch Dritte. Sie können weder Beweise noch persönliche Erlebnisse vorbringen.
Können Sie dazu etwas sagen?
A: Ich habe heute die Wahrheit gesagt. Ich habe keine Beweismittel und ich muss damit leben dass ich meiner Familie so viele Probleme verursacht habe, das ist sowieso nicht leicht für mich.
F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?
A: Nein, das habe ich nicht.
F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?
A: Nein, das werde ich nicht.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?
A: Nein, das ist nicht vorgekommen.
F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?
A: Nein, nie.
F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?
A: Nein, ich bin nicht politisch aktiv.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?
A: Nein, das ist vorgekommen.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?
A: Nein, das war nie der Fall.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?
A: Nein, auch das nicht.
F: Gab es jemals auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?
A: Nein, das ist nicht vorgekommen.
F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?
A: Ich werde dort getötet. Entweder von meinem Bruder oder von der Familie dieses Mädchens oder vom Verlobten bzw. jetzigen Ehemann dieses Mädchens.
F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?
A: Nein.
...
Zu seinem Leben in Österreich führte der BF aus, dass er einen Deutschkurs und einen Fitnessclub besuche. Er gehe mit Freunden spazieren und habe Gemeindearbeit geleistet. Er würde gerne eine Lehre als Friseur oder Koch machen. Er lebe von der Grundversorgung und habe Kontakt zu Einheimischen.
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte der BF folgende neue Unterlagen vor:
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Tazkira;
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Mitgliedskarte eines Fitnessstudios;
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Bestätigung, wonach der BF einen Deutschkurs Niveau A1 besucht und abgeschlossen habe;
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Gastroskopie Befund einer Universitätsklinik (Ambulanz für chirurgische Endoskopie) vom 30.10.2015, Diagnose: "Bild einer mäßiggradig ausgeprägten und akuten Pangastritits". Zudem wurde der Beginn einer Protonenpumpenhemmertherapie empfohlen.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 12.01.2017 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Zudem wurde in Spruchpunkt IV. festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Das Bundesamt stellte fest, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Paschtunen angehöre und sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekenne. Er stamme aus der Provinz Maidan Wardak (Dorf XXXX ). Er leide an keinen schwerwiegenden psychischen oder physischen Krankheiten. Er leide an einer mittelgradigen Gastritis, welche mit Medikamenten behandelt werde. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe.
Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die Fluchtgründe des BF unplausibel, nicht nachvollziehbar, widersprüchlich und unglaubwürdig seien. So habe er bei der Erstbefragung angegeben, die heimliche Beziehung habe ein Jahr gedauert, während er bei der Einvernahme vor dem BFA aber angegeben habe, dass er lediglich 1,5 Monate telefonischen Kontakt zu dem Mädchen gehabt habe. Weiters habe er in der Erstbefragung angeführt, seine Schwester sei lebendig verbrannt worden, während er bei der Einvernahme angegeben habe, seine Schwester sei so lange geschlagen worden, bis sie tot gewesen sei. Diesbezüglich befragt, habe er die Diskrepanzen lapidar als Missverständnis dargestellt. Weiters sei unglaubwürdig, dass alle Familienangehörigen in Vergeltungsmaßnahmen involviert gewesen seien, der BF als Verursacher aber nicht. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb er sich nicht zu seiner Familie begeben habe, um sich nach ihnen zu erkundigen. Auch die zeitlichen Angaben hinsichtlich des Vorfalles würden divergieren. Während er in der Erstbefragung gesagt habe, die Schwester sei fünf Tage nach dem Übergriff getötet worden, habe er im Widerspruch dazu in der Einvernahme angegeben, dass die Leiche der Schwester am nächsten Tag vor der Haustür abgelegt worden wäre. Er habe sich auch immer wieder nur auf Vermutungen und auf Erzählungen durch Dritte berufen. Der BF hätte als gläubiger Moslem auch wissen müssen, dass sein Verhalten gegen die Glaubensregeln verstoße und er das Mädchen in eine gefährliche Situation bringe. Auch habe der BF in der Einvernahme angegeben, erst in Österreich wegen der Gastritis behandelt worden zu sein, während er in der Erstbefragung aber noch ausgesagt habe, vom Schlepper Tabletten bekommen zu haben. Weiters habe er angegeben, eine Narbe am linken Unterschenkel von einer Verletzung zu haben, als er bei der Flucht vom Onkel über einen Stein gestolpert wäre, während er dann später aber nach Aufforderung aber eine Narbe am linken Knie vorgezeigt habe. Es sei auch völlig unglaubwürdig, dass der BF in Kabul ausfindig gemacht werden könne. Es wäre ihm zuzumuten gewesen, seinen Wohnsitz in eine andere Provinz zu verlegen.
Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass der BF bei einer Rückkehr nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Medizinische Behandlungsmöglichkeiten seien vorhanden und zugänglich. Er verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte und sei als Lebensmittelhändler tätig gewesen.
Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass die öffentlichen Interessen an einer Rückkehr nach Afghanistan gegenüber den privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich überwiegen würden.
6. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde, welche inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Weiters wird ausgeführt, dass die Familie des Mädchens aus Rachegründen die Schwester des BF zu Tode geschlagen und anschließend verbrannt habe. Die Familie sei nun hinter ihm her. Der BF habe seine Fluchtgründe detailgetreu geschildert. Die Widersprüche hinsichtlich der Zeitangaben und der Todesumstände seine Schwester seien keine, weil die Behörde berücksichtigen müsse, dass er seit dem furchtbaren Mord an seiner Schwester schwer traumatisiert sei. Die Ereignisse würden ihn noch heute belasten. Er habe davon Alpträume und er wisse nicht genau, was der Realität entspreche. Das Bundesamt habe eine Begutachtung durch einen Psychologen unterlassen, die Zumessung der Widersprüche sei daher nicht richtig. Abgesehen davon könne er nicht lesen und schreiben, da er nur eine Koranschule besucht habe. Auch dies müsse die Behörde berücksichtigen. Ungenaue Rechnungen oder Zeitangeben dürften ihm daher nicht vorgeworfen werden. Hinsichtlich der Verletzung wurde ausgeführt, dass diese jedenfalls geblutet habe, ob er voller Blut gewesen sei oder nur ein wenig, könne er nicht mehr sagen, da es bei exzeptionellen Stressfaktoren passieren könne, dass man sich gegebenenfalls etwas einbilde, was nicht geschehen sei. Wenn die Behörde behaupte, ihm hätten die Konsequenzen des Besuchs bei seiner Angebeteten als gläubiger Moslem bewusst sein müssen, so sei die Liebe zu ihr stärker gewesen. In einem solchen Moment denke man nicht an Gefahren. Die Angehörigen des Stammes der XXXX seien Verbündete der Taliban und würde der BF gefunden werden. Das was er getan habe, stelle in Afghanistan ein schweres Verbrechen (Zina) dar. Auch wenn er nur telefonischen Kontakt mit dem Mädchen gehabt habe, so habe ihm die Familie des Mädchens ein Verhältnis zu dieser unterstellt. Allein der Verdacht genüge. Es sei ihm nichts Anderes übriggeblieben, als zu fliehen. Die Behörde habe sich auch nicht mit der prekären Situation in seiner Heimatprovinz Maidan Wardak auseinandergesetzt. Dem BF sei daher Asyl, andernfalls subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Jedenfalls sei aber die Unzulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan festzustellen.
7. Der BF wurde im Zuge einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 07.03.2019 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu seinen Verwandten und den Lebensumständen in Afghanistan, seinen Fluchtgründen, seiner Integration in Österreich und seinen gesundheitlichen Problemen befragt. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil, die Verhandlungsmitschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. In der Verhandlung wurde in die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie die aktuelle Kurzinformation der Länderfeststellungen vom 31.01.2019 Einsicht genommen.
Der BF legte in der Verhandlung folgende Unterlagen vor:
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Bestätigung vom 21.02.2019, wonach der BF seit Oktober 2017 monatlich etwa 40 bis 42 Stunden gemeinnützige Arbeit in einer Schule leiste (Unterstützung des Hausmeisters);
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Psychotherapeutischer Kurzbericht einer Psychotherapeutin des XXXX Zentrums für Interkulturelle Psychotherapie vom 22.02.2019, wonach der BF "seit August 2019" wöchentlich in psychotherapeutischer Behandlung stehe. Diagnostik "Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) und Angst und depressiver Stimmung (F41.2). Kopfschmerzen und massive Schlafstörung mit Alpträumen und überfluteten Bildern des Traumas. Dissoziative Störungen."
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Ärztlicher Befundbericht vom 25.02.2019, wonach der BF seit 09.10.2017 in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der volljährige BF ist ein Staatsangehöriger Afghanistans und bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnit). Er ist ledig, hat keine Kinder und keine Sorgepflichten.
Die Volksgruppenzugehörigkeit des BF konnte nicht konkret festgestellt werden.
Der BF spricht die Sprachen Dari und Paschtu auf muttersprachlichem Niveau. Er kann lesen und schreiben.
Der BF wurde in Afghanistan in der Provinz Maidan Wardak (Dorf XXXX) geboren, wo er gemeinsam mit seiner Familie in einem Haus lebte. Er besuchte ein Jahr lang die Koranschule und war in Afghanistan als selbstständiger Lebensmittelhändler tätig.
Die Mutter des BF, eine Tante samt Ehemann sowie ein Onkel leben noch in Afghanistan (Logar und Ghazni). Der BF hat zu seiner Mutter in Afghanistan regelmäßigen Kontakt. Die Familie des BF besitzt in der Provinz Maidan Wardak ein Haus.
Seit seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet und der anschließenden Antragstellung am 25.08.2014 ist der BF in Österreich als Asylwerber aufhältig.
Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden oder ihn in seiner Arbeits- oder Leistungsfähigkeit einschränken würden.
Der BF ist arbeitsfähig sowie leistungsfähig und kann bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der BF (telefonischen bzw. persönlichen) Kontakt zu einem Mädchen hatte und er oder seine Familienangehörigen deshalb von der Familie des Mädchens asylrelevant bedroht oder verfolgt wurden. Es war weiters nicht glaubwürdig, dass die Schwester des BF getötet wurde.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
Der BF war in Afghanistan keiner Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt und ist im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keiner konkreten gegen ihn gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.
Er wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder aufgrund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwo Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.
Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat und "westlich" orientiert ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt zu befürchten hätte. Afghanische Staatsangehörige, die aus Europa nach Afghanistan zurückkehren, droht in Afghanistan alleine aufgrund ihres Aufenthaltes außerhalb Afghanistans keine psychisch und/oder physische Gewalt.
Dem BF droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.
Der BF hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung iSd GFK glaubhaft gemacht.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Der BF ist volljährig, anpassungsfähig, arbeits- und leistungsfähig sowie kinderlos und ledig. Er hat keine Sorgepflichten und verfügt in Afghanistan über familiäre Unterstützung.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.
Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif läuft er nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder dass sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Eine medizinische Versorgung ist in Herat bzw. Mazar-e Sharif vorhanden und sind psychische Krankheiten dort behandelbar bzw. die notwendigen Medikamente dort verfügbar.
Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.
Der BF kann bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.
1.4. Zum (Privat) Leben des BF in Österreich:
Der unbescholtene BF hält sich seit etwa vier Jahren und neun Monaten im Bundesgebiet auf. Er bezieht seit seiner Ankunft in Österreich laufend Leistungen aus der Grundversorgung und wohnt in einer Unterkunft für Asylwerber Er geht seit Oktober 2017 einer gemeinnützigen Tätigkeit in einer Schule nach (Unterstützung des Hausmeisters). Der BF hat in Österreich Deutschkurse besucht, eine Deutschprüfung hat er allerdings bis dato nicht absolviert. Er verfügt über einfache Deutschkenntnisse. In seiner Freizeit geht er ins Fitnessstudio, spielt Volleyball und trifft sich mit Freunden.
Der BF gehört keinem Verein, keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung in Österreich an. Er führt kein Familienleben in Österreich und hat auch keine sonstigen engen sozialen Bindungen. Er hat in Österreich keine Schule und keine sonstige Fortbildung besucht.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Unter Bezugnahme auf das aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 31.01.2019) und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen:
KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).
KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.-amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).
Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).
Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).
KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabu l
Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).
Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der
Präsidentschaftswahl
Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).
Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.