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Verwaltungsverfahren - VStGNorm
VStG §49 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Baumgartner, Dr. Weiss und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissär Dr. Forster, über die Beschwerde des JS in L, vertreten durch Dr. Heinz Mück, Rechtsanwalt in Linz, Kroatengasse 7, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 1. Oktober 1980, Zl. 9.01-16.549-1980, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.310,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 31. Juli 1980 wurde der Beschwerdeführer der Verwaltungsübertretung nach § 52 lit. b Z. 15 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) schuldig erkannt und gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. zu einer Geldstrafe von S 300,-- (Ersatzarreststrafe 24 Stunden) verurteilt.
Innerhalb offener Einspruchsfrist brachte der Beschwerdeführer bei der genannten Behörde einen als "Ansuchen um Strafnachsicht bzw. Strafmilderung" bezeichneten Schriftsatz folgenden Inhalts ein:
"Mit Strafverfügung vom 31. Juli 1980, obige Zahl, wurde über mich eine Geldstrafe von S 300,-- iNEF eine Ersatzarreststrafe von 24 Stunden verhängt, weil ich am 27. 5. 1980 das Gebotszeichen 'Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts' nicht beachtet habe.
Ich sehe ein, daß ich eine Übertretung begangen habe, bitte aber von der Möglichkeit einer Strafnachsicht, in eventu einer Strafmilderung im Sinne des § 51 Abs. 4 VStG 1950 Gebrauch zu machen.
Begründung:
Als rücksichtswürdige Gründe darf ich vorbringen, daß ich völlig ortsfremd bin und mich, da ich ohne eigenes Einkommen und Vermögen bin (derzeit bis zum Einrücken im Oktober zum Bundesheer als Ferialpraktikant tätig) die Strafe sehr empfindlich treffen würde.
Da die Tat keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen hat und das Ausmaß des Verschuldens gering ist, bitte ich vom Gnadenrecht Gebrauch zu machen."
Nachdem die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers erhoben worden waren, fällte die Salzburger Landesregierung am 1. Oktober 1980 ein "Berufungserkenntnis", worin "über den gegen diese Strafverfügung rechtzeitig eingebrachten Einspruch wegen der Strafhöhe" "gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 und § 49 Abs. 2 VStG 1950" ein Bescheidspruch dahin erging, daß dem Einspruch wegen Übertretung nach § 52 lit. b Z. 15 und § 99 Abs. 3 lit. a StVO keine Folge gegeben und die angefochtene Strafverfügung bestätigt werde. Der Bestrafte habe gemäß § 64 VStG 1950 einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 30,-- sowie gemäß § 67 VStG 1950 die auflaufenden Kosten des Strafvollzuges zu leisten. In der Begründung wird zunächst ausgeführt, der Beschwerdeführer bestreite den ihm angelasteten Straftatbestand nicht. Es werde um Nachsicht oder Milderung der Strafe ersucht. Hiezu stelle die Berufungsbehörde fest, daß das Absehen von der Strafe gemäß § 21 VStG (1950) und die Erteilung einer Ermahnung zur Voraussetzung habe, daß die Folgen der Übertretung unbedeutend und das Verschulden des Einspruchswerbers geringfügig sei. Dieses Verschulden könne jedoch nicht als geringfügig bezeichnet werden, weil der Beschwerdeführer bei entsprechender Aufmerksamkeit das Gebotszeichen hätte sehen müssen. Das Verhalten des Beschwerdeführers stelle eine Gefährdung jener Verkehrsteilnehmer dar, welche auf die genaue Einhaltung der Vorschriften durch die anderen vertrauen und sei daher als schwerer Verstoß gegen die straßenpolizeilichen Vorschriften zu werten. Die Übertretung sei gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe bis zu S 10.000,--, im Nichteinbringungsfall mit Ersatzarreststrafe bis zu zwei Wochen bedroht. Die Berufungsbehörde finde, daß die Behörde erster Instanz durch die Verhängung einer ohnehin relativ niedrigen Geldstrafe auf die berücksichtigungswürdigen finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers genügend Bedacht genommen habe. Die Berufungsbehörde sehe daher keine Möglichkeit, dem Einspruch gegen das Strafausmaß Folge zu geben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen "Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften" erhobene Beschwerde, in der behauptet wird, der oben zitierte Schriftsatz des Beschwerdeführers sei eindeutig ein Begehren nach § 51 Abs. 4, letzter Halbsatz VStG 1950, keinesfalls aber nach § 49 Abs. 2 VStG 1950 zu beurteilender Einspruch hinsichtlich der Straffrage. Dadurch, daß die belangte Behörde das Ansuchen um Strafmilderung bzw. Strafnachsicht irrigerweise als Einspruch gewertet und rechtswidrig Kosten für das Berufungsverfahren auferlegt habe, habe sie die Verfahrensvorschriften verletzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 51 Abs. 4 VStG 1950 lautet:
"(4) In der Entscheidung über eine rechtzeitig eingebrachte Berufung kann die Berufungsbehörde bei überwiegen rücksichtswürdiger Umstände die verhängte Strafe in eine mildere Strafe umwandeln oder ganz nachsehen; ein gleiches gilt, wenn innerhalb der Berufungsfrist ein Ansuchen um Nachsicht oder Milderung der Strafe gestellt wird."
Hingegen lautet § 49 Abs. 2 VStG 1950:
"(2) Wird im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der auferlegten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten in Beschwerde gezogen, so ist er als Berufung anzusehen und der Berufungsbehörde vorzulegen."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. Februar 1981, Zl. 03/3047/80, ausgeführt hat, ist eine Eingabe, die sich gegen ein im ordentlichen Verfahren ergangenes Straferkenntnis richtet, unter anderem insoweit als Berufung im Sinne des § 51 Abs. 1 VStG 1950 anzusehen, als ihrem Inhalt zufolge eine Sachentscheidung nach § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 unter Heranziehung des sich aus den §§ 19, 20 und 21 Abs. 1 VStG 1950 ergebenden rechtlichen Maßstabes begehrt wird. In diesem Sinn sei auch eine Eingabe, die von einer von einer Strafverfügung betroffenen Person eingebracht werde und die nur das Ausmaß der auferlegten Strafe betreffe, dann als Berufung anzusehen, wenn darin geltend gemacht werde, daß die Strafe nach dem im § 19 VStG 1950 angeführten Merkmale ein anderes Maß als jenes haben solle, mit welchem sie in der Strafverfügung bemessen wurde, oder auch, daß die Voraussetzungen für ein Absehen von der Strafe nach § 21 Abs. 1 VStG 1950 vorlägen, so zwar, daß sich im Sinne dieser Gesetzesbestimmung das Ausmaß der mit Strafverfügung verhängten Strafe auf ein Absehen von der Strafe reduzieren solle. Eine Eingabe stelle hingegen ein Ansuchen um Nachsicht oder Milderung der Strafe im Sinne des § 51 Abs. 4, zweiter Halbsatz VStG 1950 dann dar, wenn davon auszugehen sei, die betroffene Person begehre nicht die Anwendung der Regelungen der §§ 19, 20 oder 21 Abs. 1 VStG 1950, sondern sie strebe eine von den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 VStG 1950 losgelöste Nachsicht oder eine von den Voraussetzungen des § 20 VStG 1950 losgelöste Milderung der Strafe an, wobei die der Erstbehörde im Instanzenzug übergeordnete Behörde in einem solchen Fall die Frage zu beurteilen habe, ob die Maßnahme, die der Einschreiter erwarte, durch ein der Wahrnehmung am Maßstab der §§ 19 , 20 und 21 Abs. 1 VStG 1950 durch die Erstbehörde entzogenes Überwiegen rücksichtswürdiger Umstände gerechtfertigt sei.
Die Anwendung dieser Rechtsansicht ergibt, daß die Eingabe des Beschwerdeführers vom 19. August 1980 als Ansuchen um Nachsicht oder Milderung der Strafe verstanden werden muß, und zwar ganz unabhängig von ihrer Bezeichnung, schon allein aus ihrem oben zitierten Inhalt.
Da nun der Verwaltungsgerichtshof im Anschluß an die Ausführungen von Hellbling, Kommentar II, S. 330, auch hinsichtlich einer Strafverfügung ein solches Ansuchen für zulässig erachtet - die gegenteilige Ansicht von Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes2, S. 295, geht von einem bloßen Wortverständnis des Ausdruckes "Berufungsfrist" im § 51 Abs. 4 VStG 1950 aus und vermag den Wertungswiderspruch, warum ein solches Ansuchen nur bei einem Straferkenntnis, nicht aber bei einer Strafverfügung zulässig sein soll, nicht zu klären - hätte die belangte Behörde bei richtiger Anwendung des § 51 Abs. 4, zweiter Halbsatz VStG 1950 über das Ansuchen des Beschwerdeführers nach dieser Gesetzesstelle entscheiden müssen. Mit einer Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle ist aber die Auferlegung eines Kostenbeitrages unvereinbar (vgl. Hellbling II, Seite 451.).
Die belangte Behörde hat damit ihre Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Dieser Beschwerdegrund wurde auch inhaltlich von Beschwerdeführer geltend gemacht, obwohl er sich im Ausdruck dahin vergriffen hat, daß er zu Unrecht eine Verletzung von Verfahrensvorschriften als gegeben ansah.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 2 lit. a, 48 Abs. 2 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 sowie Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.
Wien, am 11. November 1981
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1981:1980003601.X00Im RIS seit
02.09.2019Zuletzt aktualisiert am
02.09.2019