TE Vwgh Beschluss 2019/7/25 Ra 2017/22/0161

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Veröffentlicht am 25.07.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ABGB §1332
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art133 Abs9
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §33 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des N O in W, vertreten durch Mag. Mathias Burger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 3/16, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 24. Mai 2017, VGW-151/V/060/6999/2017-1, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Wie aus den Akten hervorgeht, wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde in der Verhandlung vom 5. April 2017 mit mündlich verkündetem Erkenntnis ab. Es händigte die mit einer Belehrung nach § 29 Abs. 2a VwGVG versehene Niederschrift dem Revisionswerber bzw. dessen Vertreter im Anschluss an die Verhandlung aus.

In der Folge beantragte der (damalige) Vertreter des Revisionswerbers, Rechtsanwalt Dr. R, die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses. Er tat dies mit einem Schriftsatz, der im Rubrum das Datum "19.4.2017" und unter der Adresse des Verwaltungsgerichts den Vermerk "per Fax: (mit der Faxnummer des Verwaltungsgerichts)" aufwies sowie von Dr. R unterfertigt wurde. Der Schriftsatz wurde am 19. April 2017 (einem Mittwoch) um

17.33 Uhr per Fax an das Verwaltungsgericht übermittelt.

Das Verwaltungsgericht fertigte das Erkenntnis mit 28. April 2017 gekürzt aus. Es hielt fest, dass keiner der Berechtigten fristgerecht die schriftliche Ausfertigung beantragt habe. Der Antrag des Dr. R sei am letzten Tag der Frist außerhalb der Amtsstunden per Fax übermittelt worden, sodass er gemäß § 13 Abs. 5 AVG in Verbindung mit der Kundmachung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. Jänner 2015 erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden am 20. April 2017 als eingebracht gelte. Zu dem Zeitpunkt sei aber die Frist für den Antrag auf Ausfertigung bereits abgelaufen gewesen.

2.1. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Antrags auf schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ab.

Es führte aus, der Revisionswerber habe den Antrag damit begründet, dass er Dr. R am 18. April 2017 aufgesucht und beauftragt habe, die Ausfertigung zu beantragen. Dr. R habe (den Antrag verfasst und) eine Mitarbeiterin angewiesen, die Sendung noch am selben Tag auf dem Heimweg in einen Postkasten einzuwerfen. Die Mitarbeiterin habe vergessen, dies zu tun, sie habe jedoch ihre Säumnis am Nachmittag des nächsten Tages bemerkt und den Antrag "noch schnell" an das Verwaltungsgericht gefaxt.

Innerhalb des Kanzleibetriebs des Dr. R sei es noch nie zu einer Fristversäumung gekommen. Dr. R halte mit dem Sekretariat täglich Rücksprache, ob die Post vom Vortag abgeschickt worden sei; er erteile auch genaue Anweisungen, welche Schriftstücke wann und in welcher Form einzubringen seien. Zudem habe er sich einer langjährigen und erfahrenen Mitarbeiterin bedient, die ihre Aufgaben stets sorgfältig erledigt habe.

Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, ein rechtskundiger Parteienvertreter müsse gegenüber seiner Kanzlei alle notwendigen Vorkehrungen - vor allem durch entsprechende Organisation des Betriebs und Überwachung der Mitarbeiter - treffen. Ein Verschulden der Mitarbeiter sei ihm zuzurechnen, wenn er die zumutbare und nach der Sachlage gebotene Kontrolle unterlassen und seiner Überwachungspflicht nicht entsprochen habe.

Vorliegend sei behauptet worden, Dr. R habe genaue Anweisungen erteilt, welche Schriftstücke wann und in welcher Form einzubringen seien. Allerdings hätte ein ordnungsgemäßer Kanzleibetrieb auch Anweisungen für den Fall erfordert, dass ein Schriftstück aus Versehen nicht in der vorgesehenen Form bzw. zum vorgesehenen Termin eingebracht worden sei. Das Fehlen einer solchen Anweisung habe dazu geführt, dass die Mitarbeiterin den Schriftsatz per Fax übermittelt habe, ohne mit Dr. R Rücksprache zu halten. Zudem seien durch den Hinweis "per Fax" und das Datum "19.4.2017" auf dem von Dr. R unterfertigten Schriftsatz Umstände geschaffen worden, die es nachvollziehbar machten, dass die Mitarbeiterin von der Zulässigkeit der Einbringung per Fax ausgegangen sei. Im Ergebnis habe Dr. R daher seine Sorgfaltspflichten (grob schuldhaft) verletzt, sodass der Antrag auf Wiedereinsetzung abzuweisen sei.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3. Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs behauptet wird. Der Revisionswerber bringt im Wesentlichen vor, dem Wiedereinsetzungsantrag sei im Fall eines Versehens einer Hilfsperson eines rechtskundigen Vertreters stattzugeben, wenn dem Vertreter weder ein Auswahl- noch ein Organisations- oder Überwachungsverschulden vorzuwerfen sei. Davon sei hier auszugehen, habe sich Dr. R doch einer bewährten Kanzleikraft bedient und hinsichtlich der ausgehenden Schriftstücke ausdrückliche Anweisungen erteilt. Zwar entspreche ein Vertreter seiner Sorgfaltspflicht nicht, wenn er einen Schriftsatz mit einer unrichtigen Anweisung an die Kanzlei abfasse und unterfertige, weil er mit der Befolgung der Anweisung rechnen müsse. Gegenständlich habe Dr. R jedoch - ungeachtet des Inhalts des Schriftsatzes - ausdrücklich mündlich angeordnet, das Schriftstück zur Post zu bringen, und sich auf die Befolgung dieser Anordnung durch die stets sorgfältige Mitarbeiterin verlassen können.

4.1. Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ein grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 8.6.2015, Ra 2015/08/0005).

4.2. Eine derartige Fehlbeurteilung ist im Revisionsfall nicht zu sehen, hat sich das Verwaltungsgericht doch an den - im Folgenden näher erörterten - vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen orientiert. Das Verwaltungsgericht ist dabei auf jedenfalls nicht unvertretbare Weise zum Ergebnis gelangt, dass die Sorgfaltsverletzung des Dr. R als ein grobes (einen minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden zu werten und daher der Antrag auf Wiedereinsetzung abzuweisen ist.

5.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein dem Rechtsvertreter widerfahrenes Ereignis nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei dar, wenn das Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich nur um einen minderen Grad des Versehens gehandelt hat. Ein Verschulden des Vertreters, das über diesen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung aus (vgl. VwGH 3.7.2015, Ra 2015/08/0018).

Ein Verschulden anderer Personen - etwa von Kanzleikräften - stellt für den Rechtsvertreter ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn er der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür zu sorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. VwGH 30.3.2006, 2006/15/0109).

5.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass ein Rechtsvertreter rein mechanische Vorgänge, wie die Postaufgabe, grundsätzlich der alleinigen Erledigung seiner Kanzlei überlassen kann, wobei diesbezügliche Fehler durch zuverlässige Kanzleiangestellte zur Wiedereinsetzung führen können, allerdings muss ein entsprechendes Kontrollsystem bestehen, um solche Fehler zu verhindern (vgl. VwGH 19.10.2017, Ra 2017/16/0101).

Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner schon judiziert, dass in einer Rechtsanwaltskanzlei Kontrollen (etwa anhand der Aufgabescheine rekommandierter Sendungen) vorzusehen sind, ob zur Postaufgabe bestimmte Sendungen auch tatsächlich zur Post gegeben und versendet wurden. Die ausdrückliche Anweisung gegenüber den stets zuverlässigen Kanzleimitarbeitern, einen Schriftsatz noch am selben Tag rekommandiert aufzugeben, genügt nicht (vgl. VwGH 26.2.2004, 2003/15/0145). Das Fehlen eines diesbezüglichen Kontrollsystems ist gerade in Fällen besonderer Dringlichkeit nicht als minderer Grad des Versehens zu werten (vgl. VwGH 29.5.2015, Ra 2015/08/0013; 18.9.2017, Ra 2017/11/0234).

6.1. Vorliegend ist zunächst festzuhalten, dass Dr. R den betreffenden Schriftsatz - laut dem Antragsvorbringen - bereits am 18. April 2017 verfasst und die Postaufgabe durch eine Mitarbeiterin noch für den selben Tag angeordnet habe. Dieser Darstellung widerspricht freilich, dass in dem von Dr. R unterfertigten Rubrum des Schriftsatzes das Datum "19.4.2017" angeführt wurde, was für eine Verfassung erst an diesem Tag spricht. Dass Dr. R bei der Datierung ein Fehler unterlaufen wäre, wurde nicht behauptet.

Allerdings kann die Frage nach den Hintergründen der Datierung (erst) mit 19. April 2017 im Ergebnis dahinstehen, ist doch die Wiedereinsetzung auch bei Zugrundelegung des Antragsvorbringens aus den nachstehenden Erwägungen jedenfalls zu versagen.

6.2. Laut dem Antragsvorbringen habe Dr. R eine Mitarbeiterin seiner Kanzlei angewiesen, den Antrag noch am 18. April 2017 auf ihrem Heimweg in einen Postkasten einzuwerfen, was diese vergessen habe, sodass sie am Nachmittag des nächsten Tages den Antrag "noch schnell" gefaxt habe.

Nach der schon erörterten Rechtsprechung kann ein Rechtsvertreter die Postaufgabe der Erledigung seiner Kanzlei überlassen, wobei er jedoch ein entsprechendes Kontrollsystem vorzusehen hat, um diesbezügliche Fehler seiner Mitarbeiter möglichst zu verhindern. Laut dem Antragsvorbringen habe Dr. R innerhalb seines Kanzleibetriebs ein derartiges Kontrollsystem eingerichtet, indem er einerseits genaue Anweisungen erteile, welche Schriftstücke wann und in welcher Form einzubringen seien, und andererseits täglich mit dem Sekretariat Rücksprache halte, ob die Post vom Vortag abgeschickt worden sei.

Dass das geschilderte Kontrollsystem im zu beurteilenden Fall eingehalten worden wäre, wurde nicht behauptet bzw. ist aus folgenden Erwägungen auszuschließen. Hätte Dr. R - wie er täglich zu tun pflege - am 19. April 2017 mit dem Sekretariat Rücksprache gehalten, ob die Post vom Vortag abgeschickt worden sei, so hätte er in Erfahrung bringen können, dass die - bereits am Vortag mit dieser Tätigkeit beauftragte - Mitarbeiterin auf die Postaufgabe vergessen habe. Dr. R hätte daraufhin die notwendigen Anordnungen treffen können bzw. müssen, um die fristwahrende Übermittlung des Schriftsatzes an das Verwaltungsgericht noch am selben Tag sicherzustellen. Warum Dr. R - gerade im gegenständlichen Fall mit besonderer Dringlichkeit - das geschilderte Kontrollsystem außer Acht gelassen habe, wurde nicht näher dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Im Hinblick darauf fällt Dr. R jedenfalls ein - einen minderen Grad des Versehens übersteigendes - grobes Verschulden zur Last.

6.3. Dr. R ist ferner insoweit eine Sorglosigkeit unterlaufen, als bei der Abfassung des Schriftsatzes im Rubrum der Vermerk "per Fax: (mit der Faxnummer des Verwaltungsgerichts)" festgehalten wurde, obwohl - nach dem Antragsvorbringen - eine Übermittlung per Telefax durch Dr. R offenbar gar nicht beabsichtigt und beauftragt war. Durch den besagten Vermerk erweckte Dr. R bei seiner Mitarbeiterin den Eindruck, der Schriftsatz könne alternativ zur (am Vortag versäumten) Postaufgabe auch noch am späten Nachmittag des 19. April 2017 per Telefax fristwahrend beim Verwaltungsgericht eingebracht werden. Hätte sich der Vermerk nicht auf dem Schriftsatz befunden, hätte sich die Mitarbeiterin zu einem solchen Vorgehen nicht veranlasst sehen können.

Folglich hat aber Dr. R durch die Anbringung des betreffenden Vermerks selbst eine gefahrengeneigte Situation geschaffen, die letztlich zur nicht fristwahrenden Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax durch die Mitarbeiterin beigetragen hat. Auch dieser Umstand ist daher Dr. R als ein (eigenes) Verschulden anzulasten, wobei - wie schon gesagt - insgesamt jedenfalls ein minderer Grad des Versehens überschritten wurde.

7. Insgesamt ist daher das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum von einem groben Verschulden des Dr. R ausgegangen, das eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt.

Die Revision war mangels Aufwerfung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juli 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017220161.L00

Im RIS seit

16.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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