TE Vwgh Beschluss 2019/8/6 Ra 2017/22/0020

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Veröffentlicht am 06.08.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §20
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des S B, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Dezember 2016, G306 2138168- 1/4E, betreffend Aufenthaltstitel, Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des (nunmehrigen) Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen der Republik Kosovo, gegen den Bescheid der (belangten) Behörde vom 23. September 2016 - mit dem sein Antrag vom 8. Jänner 2015 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen, gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung nach § 46 FPG festgestellt, gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen festgesetzt und gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 FPG ein Einreiseverbot für die Dauer eines Jahres erlassen worden war - als unbegründet ab.

Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.

2.2. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. ein Abweichen von einer solchen Rechtsprechung in den nachfolgend erörterten Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

3.1. Der Revisionswerber macht geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, ob eine Rückkehrentscheidung samt Abschiebung in Ansehung eines kosovarischen Staatsangehörigen, der seit dem vierten Lebensjahr in der Schweiz gelebt, dort die Schule besucht und zuletzt bei einer Pflegefamilie gelebt habe, der an einer Intelligenzminderung (IQ von 60) leide und den mit dem Herkunftsstaat nur mehr das formelle Band der Staatsangehörigkeit verbinde, zulässig sei.

3.2. Mit diesen Ausführungen wendet sich der Revisionswerber der Sache nach gegen die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts nach § 9 BFA-VG. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung, dass eine derartige unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0113; 29.8.2018, Ra 2018/22/0180).

3.3. Vorliegend werden vom Revisionswerber - wobei dieser zum Teil auch nicht von den getroffenen Feststellungen ausgeht (wonach er insbesondere gesund und arbeitsfähig ist, nicht an einer geminderten Intelligenz leidet und fähig ist, sein Leben selbst zu führen) - keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die nach dem Vorgesagten die Zulässigkeit der Revision begründen könnten. Derartige Umstände sind für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu sehen, erweist sich doch die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Interessenabwägung als jedenfalls nicht unvertretbar.

4.1. Der Revisionswerber bemängelt, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung abgewichen, indem es gegen die Ermittlungspflicht verstoßen und folglich die Entscheidung mit Feststellungsmängeln belastet habe (so habe es Arbeitsunwilligkeit konstatiert, obwohl sich der Revisionswerber auf Grund seiner geistigen Entwicklung auf dem Stand eines Kindes befinde und nicht arbeiten könne). Weitere Ermittlungen zur geistigen Reife und zu den familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat seien unterblieben.

4.2. Soweit der Revisionswerber mit diesem Vorbringen das Unterlassen einer entsprechenden Ermittlungstätigkeit als wesentlichen Verfahrensmangel geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass in der Zulässigkeitsbegründung der Revision die Relevanz eines behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang darzulegen ist (vgl. VwGH 16.1.2018, Ra 2017/22/0212).

Der Revisionswerber hätte daher konkret dartun müssen, welche weiteren tatsächlichen Ermittlungen das Verwaltungsgericht im Fall eines mängelfreien Verfahrens durchzuführen gehabt hätte und inwiefern sich daraus eine für ihn günstigere Sachverhaltsgrundlage hätte ergeben können. Eine - wie hier - im Rahmen der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe nicht weiter konkretisierte und substanziierte Behauptung eines Verfahrensmangels reicht nicht aus, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. VwGH 27.4.2017, Ra 2016/22/0119; 15.5.2019, Ra 2016/08/0056).

4.3. Soweit sich der Revisionswerber (allenfalls auch) gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, ist ihm entgegenzuhalten, dass diese einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nur insofern zugänglich ist, als es um die ordnungsgemäße Ermittlung der Beweisergebnisse und die Kontrolle der Schlüssigkeit der angestellten Erwägungen geht. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die diesbezügliche Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 16.8.2016, Ra 2015/08/0074).

Vorliegend hält die Beweiswürdigung den aufgezeigten Kriterien einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof stand. Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungen auf Basis des Vorbringens und der - großteils bereits durch die Behörde aufgenommenen - Beweise (vor allem der niederschriftlichen Vernehmung des Revisionswerbers und des eingeholten Sachverständigengutachtens) getroffen und dabei eine schlüssige Beweiswürdigung vorgenommen. Dass diese Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre, ist nicht zu sehen.

5.1. Der Revisionswerber moniert, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung abgewichen, indem es eine - von ihm auch beantragte - mündliche Verhandlung nicht durchgeführt habe. Von einer Verhandlung könne nur dann abgesehen werden, wenn der Sachverhalt bereits durch die Behörde derart festgestellt sei, dass keine Fragen mehr offen seien. Vorliegend sei der Sachverhalt nicht als geklärt zu erachten, zumal zwei einander widersprechende Gutachten vorlägen, wobei das Verwaltungsgericht auch eine wesentliche ergänzende Beweiswürdigung vorgenommen habe. Ferner müsse bei der von der Behörde unterlassenen Prüfung des Privat- und Familienlebens (vor allem in Bezug auf den Herkunftsstaat) eine Verhandlung anberaumt werden, weil diese nicht allein an Hand von Rechtsfragen beurteilt werden könnten und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukomme.

5.2. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt zu den Kriterien für die Abstandnahme von einer Verhandlung - auch im Fall eines ausdrücklichen Antrags - nach § 21 Abs. 7 BFA-VG in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039; 5.5.2015, Ra 2014/22/0035; 18.2.2019, Ra 2016/22/0115; u.v.a.), dass für die Auslegung der (in dieser Bestimmung enthaltenen) Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung wesentliche Sachverhalt muss von der Behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Behörde muss die die maßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten des von der Behörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstoßendes Vorbringen.

5.3. Vorliegend vermag der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision keine Gründe aufzuzeigen, aus denen das Verwaltungsgericht von den soeben dargestellten Grundsätzen unvertretbar abgewichen wäre:

Der Revisionswerber behauptet einerseits einen ungeklärten Sachverhalt wegen Vorliegen widersprechender Gutachten. Er übersieht dabei jedoch, dass die Behörde das von ihr eingeholte neurologische und klinisch-psychologische Sachverständigengutachten

den wesentlichen Feststellungen zugrunde gelegt hat und dabei keine Fragen offen geblieben sind (insbesondere wurde auch dargelegt, warum einem widersprechenden älteren Bericht eines Schweizer Arztes nicht zu folgen sei). Diesen Ausführungen ist der Revisionswerber in der Beschwerde nicht substanziiert entgegengetreten. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die tragenden Argumente des behördlichen Bescheids im Zusammenhang mit dem eingeholten Gutachten im Wesentlichen geteilt. Soweit es dabei hinsichtlich des von der Behörde eingeholten Gutachtens weitere würdigende Ausführungen getätigt hat, haben diese bloß der Abrundung des Gesamtbilds, nicht jedoch der Klärung von für die Beurteilung ausschlaggebenden Widersprüchen gedient.

Der Revisionswerber macht andererseits geltend, die Behörde habe eine Prüfung seines Privat- und Familienlebens (vor allem in Bezug auf den Herkunftsstaat) unterlassen. Die angebliche Unterlassung wird jedoch nicht konkret und substanziiert aufgezeigt. Auch hat die Behörde die vermeintlich unterlassene Prüfung vorgenommen und im Bescheid näher ausgeführt, dass - laut den eigenen Angaben des Revisionswerbers im Rahmen seiner niederschriftlichen Vernehmung - diverse Anknüpfungspunkte (auch im Kosovo) vorhanden sind. Die diesbezüglichen Angaben des Revisionswerbers wurden in der Beschwerde nicht substanziell in Abrede gestellt. Das Verwaltungsgericht hat sich ebenso auf die betreffenden Angaben des Revisionswerbers gestützt. Wurden aber ohnehin die eigenen Angaben des Revisionswerbers zugrunde gelegt, so war fallbezogen die Verschaffung (auch) eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung nicht (zwingend) erforderlich.

5.4. Nach dem Vorgesagten war daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten. Ihr Unterbleiben stellt fallbezogen keinen aufzugreifenden Mangel dar.

6. Insgesamt wird daher - in der maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162) - keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 6. August 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017220020.L00

Im RIS seit

07.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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