TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/25 W210 2195254-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.2019
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Entscheidungsdatum

25.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W210 2195254-1/15E

Schriftliche Ausfertigung des am 21.05.2019 verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Gerhard MORY, Wolf Dietrich-Straße 19, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.05.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 21.05.2020 erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 29.11.2015, damals als Minderjähriger, gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 30.11.2015 von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt. Hier gab er an, am XXXX in Ghazni geboren zu sein und die letzten drei Jahre im Iran gelebt zu haben. Sein Vater habe ihn zu seinem Onkel in den Iran geschickt, damit er dort eine gute Schule besuchen könne. Im Iran habe er keine Aufenthaltsgenehmigung gehabt und sei vor der Wahl gestanden, in Syrien zu kämpfen oder auszureisen. Sein Vater habe ihm geraten, nicht zurück nach Afghanistan zu kommen und "irgendwo anders" hinzugehen.

3. Am 30.01.2018 wurde der (damals noch minderjährige) Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein eines Dolmetschers und seiner gesetzlichen Vertretung niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab er an, dass seine Gründe aus der Erstbefragung stimmen würden, er diese aber ergänzen wolle. Er habe Afghanistan aus religiösen Gründen verlassen, da er nicht habe beten wollen und sich vom Islam unter Druck gesetzt gefühlt habe. Er habe sich diesbezüglich nicht äußern können, da er sonst sowohl von seiner Familie als auch von den Taliban bedroht worden wäre. Deshalb sei er in den Iran gegangen. Dort sei er illegal aufhältig gewesen und zudem vergewaltigt worden. Sein Vater habe dann entschieden, dass der Beschwerdeführer nach Europa reisen solle.

4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG werde die Frist für die freiwillige Ausreise mit Erreichen der Volljährigkeit des Beschwerdeführers und ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine gesetzliche Vertretung, mit Schreiben vom 08.05.2018 vollumfängliche Beschwerde. Die Beschwerde behauptet eine Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten, seiner Abkehr vom Islam und seinem Interesse an westlichen Werten. Eine innerstaatliche Schutzalternative bestehe mangels aufrechtem familiärem oder sozialem Netzwerk in Afghanistan nicht, der Beschwerdeführer habe Afghanistan im Alter von zwölf Jahren verlassen und würde im Falle einer Rückkehr keine Lebensgrundlage vorfinden. Er sei zudem bereits hervorragend integriert, weshalb die erlassene Rückkehrentscheidung unzulässig sei.

6. Das BFA legte die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. Mit Eingabe vom 20.07.2018 legte der Beschwerdeführer einen Bescheid des AMS vom 19.07.2018 vor, mit welchem eine Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer für die Tätigkeit als Metalltechniker-Werkzeugbautechniker (Lehrling/Auszubildender) erteilt wurde.

8. Am 21.05.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des (damals bereits volljährigen) Beschwerdeführers, seinem gewillkürten Rechtsvertreter und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

9. Nach Schluss der Verhandlung verkündete die Richterin das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Das Verhandlungsprotokoll vom 21.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung am 21.05.2019 persönlich ausgefolgt und dem BFA mit Schreiben vom 22.05.2019 übermittelt, wo es am selben Tag einlangte.

10. Mit Eingabe vom 23.05.2019 beantragte das BFA die Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG, worüber der Beschwerdeführer mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2019 informiert wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hiergerichtlichen Akt betreffend den Beschwerdeführer; insbesondere in die Befragungsprotokolle und in die durch das BFA in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.05.2019 und Einholung neuer Länderberichte, so das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis einschließlich 26.03.2019, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender, die EASO-Country-Guidance aus Juni 2018, der EASO-Bericht aus Jänner 2018 zu Netzwerken in Afghanistan, die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 07.12.2018 zur Lage in Mazar-e Sharif, Herat und Kabul, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Christen, Konvertiten und Abtrünnigen in Afghanistan vom 12.07.2017 und die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017, a-10159, zur Situation von vom Islam abgefallenen Personen, Konvertiten, Personen, die Kritik am Islam äußern, Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und Rückkehrern aus Europa sowie durch Berücksichtigung der in der Beschwerde und der Stellungnahme vom 16.05.2019 zitierten Berichte und Judikate:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Leben und seinen Fluchtgründen:

Der im Entscheidungszeitpunkt volljährige Beschwerdeführer ist am XXXX geboren, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er ist schiitischer Moslem, übt seine Religion aber nicht aus.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi und mittlerweile Deutsch.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , auch XXXX , geboren, wo er bei seiner Familie aufwuchs. Er besuchte dort fünf Jahre die Schule und hat in Afghanistan - außer auf der familieneigenen Landwirtschaft - noch nicht gearbeitet.

Im Jahr 2012 wurde der Beschwerdeführer von seinem Vater in den Iran geschickt, um dort die Schule zu besuchen und bei seinem Onkel mütterlicherseits zu leben. Er besuchte im Iran drei Jahre die Schule.

Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2015 auf Anraten seines Vaters aus dem Iran aus und stellte am 29.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Eltern und die vier (allesamt jüngeren) Geschwister des Beschwerdeführers haben Afghanistan aus wirtschaftlichen Gründen im Jahr 2016 ebenfalls verlassen und leben jetzt im selben Stadtteil wie der Onkel des Beschwerdeführers mütterlicherseits im Iran. Der Beschwerdeführer hat wöchentlichen Kontakt mit seinen Eltern, diesen und seinen Geschwistern geht es gut.

In Afghanistan lebt noch der Großvater des Beschwerdeführers mütterlicherseits. Weitere Verwandte hat der Beschwerdeführer nicht. Es gibt weder familiäre noch soziale Anknüpfungspunkte in Mazar-e Sharif oder Herat, auch hat sich der Beschwerdeführer noch nie in Herat oder Mazar-e Sharif aufgehalten.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten, hat in Österreich Sprachzertifikate bis zum Niveau B2 erworben, bestand im Juli 2017 die Pflichtschulabschluss-Prüfung, war in den Schuljahren 2017/18 und 2018/19 Schüler einer Handelsakademie in XXXX und absolviert seit September 2018 eine dreieinhalbjährige Lehre als Metalltechniker mit Schwerpunkt Werkzeugbau bei der Firma XXXX in XXXX . In seiner Freizeit treibt er Sport und verbringt seit April 2018 Zeit mit der Familie XXXX , deren Sohn er im Rahmen seiner Schulzeit an der Handelsakademie kennengelernt hat.

Dem Beschwerdeführer droht in seinem Herkunftsstaat keine gegen ihn gerichtete Bedrohung oder Verfolgung, sei es durch staatliche Organe oder durch Private, aufgrund seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen), auch war er keiner derartigen Bedrohung oder Verfolgung vor seiner Ausreise ausgesetzt war.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - Afghanistan:

Zur Sicherheitslage allgemein:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S.16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S.59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S.62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S.70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S.63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S.63.).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 26.03.2019, S. 47 f.).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv und zeichnete im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia, auf die Mawoud-Akademie in Dasht-e Barchi/Kabul am 15.08.2018, auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi am 05.09.2018 sowie auf eine Demonstration gegen die Übergriffe der Taliban in Ghazni und Uruzgan am 12.11.2018 und auf das Kabuler Gefängnis Pul-i-Charkhi am 31.10.2018 verantwortlich (LIB 26.03.2019, S. 17, 29, 37). Der ISKP, auch IS, hat eine eingeschränkte territoriale Reichweite und diese Übergriffe stehen zumeist mit einer vorgeworfenen Solidarität mit dem Iran und der Bekämpfung des IS in Syrien in Zusammenhang (EASO Country Guidance Notes, Seite 61 und 62).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346 f.).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Ghazni:

Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet. Die Provinz besteht aus 19 Distrikten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (LIB 26.03.2019, S.123).

Ghazni zählt zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv. Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (LIB 26.03.2019, S.124).

Regierungsfeindliche Elemente haben weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (LIB 26.03.2019, S.124).

Im Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen Missbrauch (LIB 26.03.2019, S.125).

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv. Für den Zeitraum 1.1.- 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine IS-Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S.126).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S.258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance, Seite 102), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher (EASO Country Guidance, S. 29).

Die Provinz Balkh ist ethnisch heterogen, Tadschiken bilden die größte Gruppe, daneben leben auch Paschtunen, Usbeken, Hazara, Turkmenen und Araber in Balkh. Die Siedlungsgebiete sind entlang ethnischer Trennlinien angelegt (ACCORD, Afghanistan, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, 07.12.2018, S. 24).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261) und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139), wobei die Verbindungsroute in die Stadt bei Tageslicht jedenfalls sicher ist (EASO Country Guidance, S. 29), und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten (LIB 26.03.2019, S. 341).

Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteils aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 29 - 30).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Zudem gibt es in Städten Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer, in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 31).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Pashtunen sind somit die größte Ethnie Afghanistans, Tadschiken die zweitgrößte (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak, Central Bihsud/Behsood und Hisa-i-Awal Bihsud. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 26.03.2019, S. 316 f.).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 26.03.2019, S. 317).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (26.03.2019, S. 317).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Es existiere in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Hazara beschweren sich über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. Arbeitsplatzanwerbung erfolgt hauptsächlich über persönliche Netzwerke; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (26.03.2019, S. 317).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangs-rekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB 26.03.2019, S. 318). Dennoch existieren keine Berichte über Verfolgung durch den Staat, Angehörige der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner psychischen und physischen Gewalt ausgesetzt (EASO Country Guidance, Seite 61).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304 f.).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 26.03.2019, S. 307 f.).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit (LIB 26.03.2019, S. 307 f.).

Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch kommt es zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 26.03.2019, S. 307).

Angehörige der Schiiten sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit keiner psychischen und physischen Gewalt ausgesetzt (EASO Country Guidance, Seite 62).

Apostaten, Konvertiten

Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie (LIB 26.03.2019, S. 304). Das Strafgesetzbuch ermöglicht den Gerichten jedoch Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst sind, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (Anfragebeantwortung vom 01.06.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Für Männer gilt Enthauptung als angemessene Strafe, für Frauen lebenslange Haft. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (LIB 26.03.2019, S. 305).

Die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, ist eine andere als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen ist mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen sind (Anfragebeantwortung vom 01.06.2017).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben, ohne den Islam zu praktizieren oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw. "Konvertiten" sind, in der afghanischen Gesellschaft möglich. Solche Personen sind in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren. Gefährlich wird es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben (Anfragebeantwortung vom 01.06.2017). Eine Person wird nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt. Auch für strenggläubige Muslime kann es legitime Gründe geben religiösen Zeremonien fernzubleiben. Personen im städtischen Raum ist es möglich, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Es gibt auch Unterschiede je nach ethnischer und religiöser Gruppe. So haben Schiiten mehr Freiheit zu entscheiden, zu welchem Mullah sie gehen möchten und damit auch in Bezug auf die Frage, ob sie in die Moschee gehen wollen und gegebenenfalls in welche Moschee. Bei Sunniten werde in stärkerem Ausmaß erwartet, dass sie zumindest eines der fünf Gebete am Tag in einer Moschee verrichten (Anfragebeantwortung vom 01.06.2017).

Sofern sich Personen, die vom Islam abgefallen sind nicht auf Diskussionen einlassen, die den/ihren Glauben betreffen, welche zu sozialen Unruhen führen, werden staatliche Behörden keine Maßnahmen gegen sie setzen. Sollten sie aber soziale Probleme hervorrufen, indem sie sich auf Diskussionen einlassen, um ihren Abfall vom Glauben zu unterstützen, so werden die staatlichen Behörden ihnen das nicht erlauben und sie belangen (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 4).

Abtrünnige haben weiterhin Zugang zu staatlichen Leistungen, denn es existiert kein Gesetz oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 5).

Wenn Konvertiten/Atheisten jedoch ihren Glauben veröffentlichen, wird der Staat aktiv, um Chaos und Unruhe zu vermeiden (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 6). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiert keine Definition von Apostasie (LIB 26.03.2019, S. 304).

Christen und Konversion zum Christentum

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Die Taliban haben ausländische Hilfsorganisationen und ihre Gebäude auf der Grundlage angegriffen, dass diese Zentren des christlichen Glaubens seien. Nichtmuslimische religiöse Gemeinschaften sind weiterhin von gesellschaftlicher Diskriminierung, Schikanierung und mitunter auch Gewalt betroffen (Anfragebeantwortung vom 01.06.2017).

Die Christen verlautbarten, dass die öffentliche Meinung gegenüber Missionierung feindlich ist. Es gibt keine öffentlichen Kirchen. Für christliche Afghan/innen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (LIB 26.03.2019, S. 307). Die religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Beschränkungen, denen Christen in Afghanistan unterworfen sind, gestalten sich nicht anders als für andere Gruppen mit Meinungen, Weltansichten, politischen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, die als Abfall vom Islam wahrgenommen werden könnten. Ebenso wie Personen mit säkularen Ansichten, Atheisten und nichtgläubige Afghanen müssten auch Christen ständige Selbstzensur üben und könnten sich wegen drohender Angriffe nicht zu ihrem Verhältnis zum bzw. ihrer Sicht auf den Islam äußern (Anfragebeantwortung vom 01.06.2017).

Christliche Konvertiten werden vom Staat und von Behörden ganz normal wie andere Menschen behandelt. In den meisten Fällen versuchen die Behörden sie gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potentielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 5).

Gemäß dem Gesetz haben alle Afghanen - gleich welchen Glaubens - dieselben Bürgerrechte und genießen alle Leistungen, die von staatlichen Behörden angeboten werden; keine staatliche Agentur oder Behörde fragt nach dem Glauben, bevor sie eine öffentliche Leistung anbietet. Damit werden alle Leistungen gleich sowohl an muslimische und als auch nicht muslimische Afghanen angeboten (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 4).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Heimatprovinz, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinen sonstigen Sprachkenntnissen und zu seinem Familienstand gründen auf den gleichlautenden und daher glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 1 und 87; BVwG-Akt, OZ 11, S. 3 f.).

Der im Spruch angeführte Name und das im Spruch wiedergegebene Geburtsdatum dienen mangels Vorlage eines originalen Identitätsnachweises lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei. Aus dem vom Beschwerdeführer angegebenen und auch dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Geburtsdatum resultiert die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Antragstellungszeitpunk, im Zeitpunkt seiner Erstbefragung und im Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA. Der Beschwerdeführer ist nach diesem Geburtsdatum im Entscheidungszeitpunkt jedoch jedenfalls volljährig.

Die Feststellungen zur Ausreise des Beschwerdeführers in den Iran im Jahr 2012 gründen ebenfalls auf dessen gleichlautenden Angaben im Verfahren (BFA-Akt, AS 86; BVwG-Akt, OZ 11, S. 3). Zudem gab der Beschwerdeführer konsistent an, von seinem Vater in den Iran geschickt worden zu sein, um dort eine Schule zu besuchen (BFA-Akt, AS 11 und 87; BVwG-Akt, OZ 11, S. 7).

Dass sich seine Eltern und seine vier (allesamt jüngeren) Geschwister seit dem Jahr 2016 aus wirtschaftlichen Gründen im Iran aufhalten, entspringt den konsistenten Aussagen des Beschwerdeführers (BFA-Akt, AS 87; BVwG-Akt, OZ 11, S. 5 f.). Der Beschwerdeführer erklärte in der mündlichen Verhandlung, seit einiger Zeit wöchentlich mit seinen Eltern zu sprechen (BVwG-Akt, OZ 11, S. 5). Auch gab er stets gleichlautend an, dass in Afghanistan nur mehr sein Großvater mütterlicherseits lebe (BFA-Akt, AS 87; BVwG-Akt, OZ 11, S. 6).

Der Beschwerdeführer gab weiter glaubhaft zu Protokoll, noch nie in Herat oder Mazar-e Sharif gewesen zu sein und in diesen Landesteilen auch über keine Verwandten zu verfügen (BVwG-Akt, OZ 11, S. 9).

Zu den Feststellungen zur Schulbildung des Beschwerdeführers ist Folgendes auszuführen: Der Beschwerdeführer gab in seiner Erstbefragung an, von 2007 bis 2012 - sohin rund fünf Jahre - die Grundschule in Afghanistan und sodann von 2012 bis 2015 die Grundschule bzw. Sonderschule im Iran besucht zu haben (BFA-Akt, AS 1 f.). Dies ist glaubhaft, zumal den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden muss (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299). Vermeint der Beschwerdeführer im weiteren Verfahren, die Schule bloß zwei (BFA-Akt, AS 87) bzw. vier Jahre (BFA-Akt, AS 91) besucht zu haben und dies nur unregelmäßig, wobei er in unterschiedlichen Klassen gewesen und manchmal auch zuhause unterrichtet worden sei (BFA-Akt, AS 91), können diese Angaben den Feststellungen ebenso wenig zu Grunde gelegt werden wie seine anderslautende Aussage in der mündlichen Verhandlung, wonach er die Schule in Afghanistan drei Jahre und im Iran ungefähr ein Jahr besucht habe (BVwG-Akt, OZ 11, S. 5). Vielmehr sprechen der hohe Bildungsstand des Beschwerdeführers und seine schulischen Leistungen in Österreich dafür, dass er - wie ursprünglich angegeben - sowohl in Afghanistan als auch im Iran eine fundierte Schulbildung erhalten hat.

Die Feststellungen zur Berufserfahrung des Beschwerdeführers im Iran und zur (mangelnden) Berufserfahrung in Afghanistan entspringen seinen Angaben. Der Beschwerdeführer erklärte konsistent, im Iran als Gelegenheitsarbeiter auf Baustellen und auf Hühnerfarmen gearbeitet zu haben (BFA-Akt, AS 3, 87; BVwG-Akt, AS 6). Aus seinen Angaben resultiert weiter, dass er in Afghanistan keine Berufsausbildung erhalten und dort - abgesehen von Tätigkeiten auf der familieneigenen Landwirtschaft - auch keine Berufserfahrung gesammelt hat. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund glaubhaft, als der Beschwerdeführer Afghanistan bereits im Alter von zwölf Jahren verlassen hat und Kinder unter 14 Jahren in Afghanistan gemäß den Länderfeststellungen unter keinen Umständen arbeiten dürfen (vgl. Pkt. II.1.2.)

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich zweifelsfrei aus den im Verfahren vorgelegten Dokumenten (BFA-Akt, AS 101-141; BVwG-Akt, OZ 11, Beilage ./1) in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer hierzu getätigten Angaben (BVwG-Akt, OZ 11, S. 8).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers entspringen dessen eigenen Angaben, welcher im gesamten Verfahren erklärte, gesund zu sein und keiner medizinischen Behandlung zu bedürfen (BFA-Akt, AS 89; BVwG-Akt, OZ 11, S. 3).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft. Die dislozierte und nicht näher begründete Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich in Erscheinung getreten sei (BFA-Akt, AS 281), ist tatsachenwidrig, zumal nicht einmal ein Abschlussbericht jeglicher Art vorliegt.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers und seiner Rückkehrbefürchtungen:

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559); die Aussage des Asylwerbers ist dabei die zentrale Erkenntnisquelle, der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Der Beschwerdeführer wurde im Laufe des Verfahrens drei Mal niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Er hatte somit ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen. Er wurde mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Die erkennende Richterin konnte im Zuge der mündlichen Verhandlung zudem einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen.

Im Rahmen der Beweiswürdigung ist zudem zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung sowie im Zeitpunkt seiner Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA minderjährig war. Im Hinblick darauf bedarf es einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200; 14.12.2006, 2006/01/0362), zumal die Dichte dieses Vorbringens nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden darf und das Alter sowie der Entwicklungsstand des Minderjährigen in die Bewertung eines Vorbringens mitaufzunehmen sind (vgl. dazu auch UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 8 - Asylanträge von Kindern vom 22.12.2009, Rz 4). Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war der Beschwerdeführer bereits volljährig.

Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen:

In seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er von seinem Vater in den Iran geschickt worden sei, um dort eine gute Schule zu besuchen. Da er im Iran aber keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen habe und deshalb nur eine afghanische Schule habe besuchen können, habe er zurück zu seiner Familie nach Afghanistan gewollt. Aufgrund der Sicherheitslage in Afghanistan habe ihm sein Vater jedoch geraten "irgendwo anders" hinzugehen, aber nicht nach Afghanistan zurückzukommen. Dieses Vorbringen erscheint plausibel und ist als glaubwürdig zu qualifizieren; eine asylrelevante Verfolgung ist diesem jedoch nicht zu entnehmen. Dabei wird - auch unter Berücksichtigung der damaligen Minderjährigkeit des Beschwerdeführers - nicht verkannt, dass sich die Angaben in der Erstbefragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen haben (vgl. VfGH 20.02.2014, U 1919/2013 ua; 27.06.2012, U 98/12). Ein Be

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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