TE Bvwg Beschluss 2019/5/24 W178 2137479-1

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Veröffentlicht am 24.05.2019
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Entscheidungsdatum

24.05.2019

Norm

BPGG §27 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §33

Spruch

W178 2137479-1/12E

I.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Maria PARZER aufgrund der Beschwerde des mj. XXXX , vertreten durch seine Mutter XXXX , diese vertreten durch Alexander De Brito, Arbeiterkammer Wien, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) Wien vom 02.08.2016, Zl. WLA3/ XXXX , betreffend Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 33 VwGVG beschlossen:

A) Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 33 VwGVG stattgegeben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II.

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Maria PARZER über die Beschwerde des mj. XXXX , vertreten durch seine Mutter XXXX , diese vertreten durch Alexander De Brito, Arbeiterkammer Wien, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) Wien vom 02.08.2016, Zl. WLA3/ XXXX , über den Antrag des Beschwerdeführers vom 16.02.2016 auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 27 Abs. 5 BPGG nach dem mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 16.02.2015 abgeschlossenen Verfahrens betreffend Pflegegeld zu Recht erkannt:

1.) Der Beschwerde wird Folge gegeben und gemäß § 27 Abs. 5 BPGG festgestellt, dass der gesetzliche Zustand betreffend das Verfahren über die Leistung (Pflegegeld) des Beschwerdeführers im Zeitraum vom 01.11.2014 bis 31.01.2016 herzustellen ist.

2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) hat mit Bescheid vom 16.02.2015 den Antrag des Beschwerdeführers (Bf) vom 03.10.2014 auf Gewährung von Pflegegeld abgelehnt. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

2. Der Bf hat, vertreten durch seine Mutter am 16.02.2016 einen Antrag auf Wiederaufnahme nach § 69 AVG gestellt, mit der Begründung, dass sie - wie schon länger von ihr vermutet - am 16.02.2016 durch einen Patientenbrief des AKH Wien, Kinderpsychiatrie, davon Kenntnis erlangt habe, dass bei ihrem Sohn von einer Autismus-Spektrum Störung (Typ Asperger) auszugehen sei. Eine Aufstellung der notwendigen Pflegeleistungen für den Bf wurde angeführt.

3. Mit dem hier angefochtenen Bescheid der PVA vom 02.08.2016 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 69 AVG iVm § 27 BPGG abgelehnt, mit der Begründung, dass sich aus dem vorgelegten Patientenbrief keine Änderung der chefärztlichen Beurteilung des Pflegebedarfes vom 29.01.2015 ergäbe. Dieser Bescheid enthielt die Rechtsmittelbelehrung, dass dagegen binnen 3 Monaten Klage an das Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden könne.

4. Das Arbeits- und Sozialgerichts Wien, 21 Cgs 113/16 k, hat die dagegen erhobene Klage betreffend Wiederaufnahme des Pflegegeldverfahrens mit Beschluss vom 07.09.2016 zurückgewiesen, weil beim formalrechtlichen Antrag auf Wiederaufnahme nach § 69 AVG keine Sozialrechtssache vorliege, für die das ASG zuständig sei. Es liege daher Rechtswegunzulässigkeit vor.

5. Mit Bescheid vom 29.06.2016 wurde dem Bf ab 01.02.2016 Pflegegeld der Stufe 2 zuerkannt, nach einem Vergleich vor dem ASG Wien der Stufe 3.

6. Mit 01.09.2016 hat der Bf an die PVA einen Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 27 Abs. 5 BPGG gestellt und die Zuerkennung von Pflegegeld ab 01.11.2014 begehrt. Zur Begründung wurde angeführt, dass bei Kenntnis der im Dezember gestellten Diagnose das Pflegegeld schon ab 01.11.2014 gewährt hätte werden müssen.

Über diesen Antrag wurde bisher noch nicht entschieden.

7. Der Bf, vertreten durch seine Mutter XXXX , diese vertreten durch Mag. Alexander De Brito, AK Wien, hat in der Folge den Antrag vom 03.10.2016 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der belangten Behörde eingebracht und Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiederaufnahme im Bescheid vom 02.08.2016 an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird vorgebracht, dass der Bescheid der PVA eine falsche Rechtsmittelbelehrung enthalte und die Bf erst durch den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 07.09.2016 von der Beschwerdemöglichkeit erfahre habe.

8. Die PVA hat mit 13.10.2016 den Antrag auf Wiedereinsetzung und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt; über den Antrag auf Wiedereinsetzung wurde von der belangten Behörde nicht entschieden.

9. Das BVwG hat den Antrag und die Beschwerde wegen Unzuständigkeit an das Landesverwaltungsgericht (VwG Wien) gemäß § 6 AVG weitergeleitet.

10. Das VwG Wien hat mit Beschluss vom 09.12.2016 seine Unzuständigkeit festgestellt und das Verfahren wieder dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

11. Gegen diesen Beschluss des VwG Wien wurde seitens des Bf außerordentliche Revision an den VwGH erhoben.

12. Im Verfahren über einen weiteren Antrag auf Pflegegeld vom 15.01.2016 wurde seitens der PVA festgestellt ab 01.02.2016 ein Pflegegeld der Stufe 2 (Pflegebedarf durchschnittlich 108 Stunden monatlich), nach dem Vergleich vor dem ASG Wien vom 24.04.2017 ein Pflegegeld ab 01.02.2016 der Stufe 3 zuerkannt.

13. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erk vom 06.03.2018, Zl.2017/08/0071, den Beschluss bestätigt und in der Begründung ausgesprochen, dass das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu I.

Gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Nach Abs. 4 leg.cit. hat bis zur Vorlage der Beschwerde über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

Dem gegenständlichen Antrag auf Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes ist stattzugeben, weil der angefochtene Bescheid, wie im Antrag richtig angeführt, eine falsche Rechtsmittelbelehrung enthalten war; vgl. auch das VwGH-Erk Zl.2017/08/0071.

Zu II.

1. Zuständigkeit:

Die Frage der Zuständigkeit innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde durch das Erk des VwGH vom 06.03.2018, Zl. 2017/08/0071 geklärt und zwar in dem Sinn, dass das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist.

2. Zum Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustands

2.1 Qualifizierung des Antrages

Die belangte Behörde hat zu Recht den Antrag des Bf auf Wiederaufnahme (auch) auf § 27 BPGG gestützt, der eine lex specialis zu § 69 AVG betreffend Wiederaufnahme von rechtskräftig abgeschlossenen Pflegeverfahren darstellt.

Der Antrag ist- dem Parteiwillen entsprechend - als Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes zu werten.

Es schadet nicht, dass die damals unvertretene Mutter des Bf ihr klar formuliertes Anliegen, über das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren neu zu entscheiden, auf § 69 AVG gestützt hat. Die belangte Behörde hat zu Recht den inhaltlichen Kern des Antrages als solchen nach der Spezialnorm zu § 69 AVG, nämlich § 27 Abs. 5 BPGG erkannt und diese Norm als Entscheidungsgrundlage herangezogen.

2.1 Rechtsweg

Auch wenn § 354 ASVG im BPGG nicht ausdrücklich angeführt ist, so führt doch der allgemeine Hinweis in § 24 BPGG, dass die Bestimmungen über das Verfahren in Sozialversicherungsangelegenheiten anzuwenden seien, dazu, dass es sich bei einer Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag u.a. um keine Entscheidung einer Leistungssache, sondern um eine Verwaltungssache handelt, für die die Verwaltungsgerichte zuständig sind.

Abweichende gesetzliche Bestimmungen sind im BPGG nicht enthalten. Es ist auch auf die vom ASG Wien zitierte Auffassung von Kuderna ASGG2 RZ 3 zu § 67 zu verweisen.

Nach der ständigen Judikatur liegt bei der Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG sowie dem wortidenten § 27 Abs. 5 BPGG unbestritten eine Verwaltungssache nach § 355 ASVG vor, vgl. Ra 2017/08/0071 vom 06.03.2018, 2006/08/0239 vom 20.02.2008 mwN)

2.2 Zeitraum

Strittig ist der Zeitraum vom 01.11.2014 bis 31.01.2016

2.3 Feststellungen

Der mj. Bf, Julian XXXX ist am XXXX geboren. Er wird bzw. wurde im streitgegenständlichen Zeitraum von seiner obsorgeberechtigen Mutter, Frau XXXX betreut.

2.3.1 Der Bf wurde im Verfahren vor der belangten Behörde vom chefärztlichen Dienst untersucht. Mit Gutachten der PVA vom 30.11.2014 wurde Folgendes festgestellt:

Punkt 7: Diagnose:

Aufmerksamkeitsstörung, erhöhte cerebrale Erregungsbereitschaft mit Fieberkrampfgefahr

Punkt 8, Gesamtbeurteilung:

Es findet sich ein 4 Jahre und 4 Monate alter Knabe mit oppositionellem Verhalten bei belasteter Familiendynamik, einer Aufmerksamkeitsstörung und einer Störung des Sozialverhaltens.

Das Kind ist sehr aufgeweckt und sehr lebhaft, trotzdem kann er neben der Mutter sitzen und mit mir plaudern. Er zeigt oft die Zunge und probiert so, wo meine Grenzen sind. Er sucht schließlich die Aufmerksamkeit der Mutter.

Bei der Ermittlung des Pflegebedarfes wurde altersentsprechend ein Betreuungs- und Hilfsbedarf für folgende Verrichtungen festgestellt:

Mobil, außer Haus. Es ergibt sich daraus kein ausreichender Pflegebedarf.

2.3.3 Der Bf wurde durch seine Mutter aufgrund der Symptomatik weiteren umfassenden Untersuchungen zugeführt.

Im ambulanten Patientenbrief des AKH, Univ. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 11.01.2016, Leitung Univ. Prof. Dr. Luisa Poustka, Autismus-Spektrum-Störungen, werden folgende Diagnosen (mulitaxiale Diagnosen nach ICD-10) angeführt:

Achse I: Autismus-Spektrum-Störung (Typ Asperger), F84.5 nach ICD-10,

einfache Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung (F 90.0),

Achse II: keine umschriebene Entwicklungsstörung,

Achse III: Durchschnittliche Intelligenz mit inhomogenem Leistungsniveau,

Achse IV: Mulitregionale und generalisiert erhöhte cerebrale Erregungsbereitschaft ohne Herdhinweise

Achse V: (gesamte Lebensspanne):

1.1 Disharmonie in der Familie zwischen Erwachsenen,

5.1 Abweichende Elternsituation

Achse VI: Ernsthaft soziale Beeinträchtigung im vorschulischen Bereich

2.3.4

Das BVwG legt die Diagnose des AKH im oben zitierten Patientenbrief seiner Entscheidung zugrunde.

Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde muss nach Ansicht des Gerichts aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen geschlossen werden, dass die Krankheitsbilder des Bf bereits seit der Erstantragstellung mit Oktober 2014 vorlagen und der entsprechende Pflegebedarf gegeben war.

2.4 Beweiswürdigung:

Die Feststellungen unter 2.3 ergeben sich auf dem Akt der PVA, den internen und externen Gutachten wie oben zitiert, aus dem Vorbringen der Parteien und den vorgelegten Unterlagen.

Aufgrund der höheren Beweiskraft der Untersuchungen durch Fachärzte in der Spezialambulanz des AKH Wien, Abteilung für Kinder und Jugendpsychiatrie, die auf kindliche Erkrankungen spezialisiert sind, ist nach Auffassung des Gerichts die dort gestellte Diagnose als zutreffend der Pflegegeldzuerkennung zugrunde zu legen. Die vom chefärztlichen Dienst der PVA erstellte abweichende Diagnose ist weniger überzeugend, zumal dort kein spezialistierter Facharzt den Bf untersucht hat bzw. bei Zweifel weitere Expertisen eingeholt hat. Seitens der PVA wurde auch ab 02/2016 die Diagnose des AKH dem Pflegegeldanspruch zugrunde gelegt (vgl. Verfahrensverlauf, Pkt. 12)

Dass die Diagnose bereits mit Beginn des hier strittigen Zeitraumes vom 01.11.2014 bis 31.01.2016 zu treffen gewesen wäre, ergibt sich aus dem Befundbericht des Ambulatoriums Fernkorngasse der VKKJ, Zentrum für Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie vom 19.01.2016, mit Bezug auf die Diagnoseerstellung vom Mai 2014. Auch in der "Therapie-Greißlerei" war der Bf bereits seit 30.04.2015 in Behandlung. Im ausführlichen Arztbericht des AKH findet sich kein Hinweis darauf, dass sich die Krankheit des Bf (Autismus-Spektrum-Störung -Typ Asperger, F84.5 nach ICD-10), sich erst im Laufe der Jahre 2014 und 2015 entwickelt hätte.

Nicht zuletzt ist auf die Angaben der Mutter des Bf hinzuweisen, die im Verfahren seit der Erstantragstellung auf eine gravierende Erkrankung ihres Sohnes hinwies, was im ersten Gutachten der PVA vom 30.11.2014 keinen Niederschlag fand.

2.5 Rechtliche Würdigung

2.5.1 Gesetzliche Bestimmungen

Gemäß § 24 Bundespflegegeldgesetz (BPGG) finden auf das Verfahren, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, vor den Sozialversicherungsträgern die Bestimmungen der §§ 354, 358 bis 361, 362a bis 367 ASVG und vor den übrigen Entscheidungsträgern die Vorschriften des AVG mit Ausnahme der §§ 45 Abs. 3 und 68 Abs. 2 AVG Anwendung.

§ 27 (BPGG)

(1) Bescheide nach diesem Bundesgesetz sind schriftlich zu erlassen.

(2) Bescheide haben auf die Möglichkeit, eine Klage beim zuständigen Gerichtshof erster Instanz als Arbeits- und Sozialgericht bzw. beim Arbeits- und Sozialgericht Wien einzubringen, auf die dabei einzuhaltende Frist, die Form der Einbringung und auf das Erfordernis des hinreichend bestimmten Klagebegehrens gemäß § 82 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes (ASGG), BGBl. Nr. 104/1985, hinzuweisen.

(3) Im Falle der Neubemessung des Pflegegeldes als Folge von Änderungen dieses Bundesgesetzes oder der Anpassung des Pflegegeldes besteht keine Verpflichtung zur Erlassung eines Bescheides.

(...)

(5) Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.Hervorhebung durch Gericht

§ 354 ASVG:

Leistungssachen sind die Angelegenheiten, in denen es sich handelt um

1. die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs. 1, soweit nicht hiebei die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 30), die Leistungszugehörigkeit (§ 245) oder die Leistungszuständigkeit (§ 246) in Frage steht;

2. Feststellung der Verpflichtung zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung,

3. Streitigkeiten über Ersatzansprüche der Träger der Sozialhilfe gemäß Abschnitt II des Fünften Teiles;

4. Feststellung von Versicherungs- und Schwerarbeitszeiten außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens auf Antrag des Versicherten (§ 247),

4a. die Feststellung der Invalidität (§§ 255a, 280a) oder der Berufsunfähigkeit (§ 273a),

5. die Feststellung der Kontoerstgutschrift sowie einer Ergänzungsgutschrift oder eines Nachtragsabzuges (§ 15 APG),

6. die Feststellung des Rechtsanspruches auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nach § 253e (§ 270a, § 276e).

2.6 In der Sache

Wie der VwGH in seiner Judikatur festgelegt hat, hat das Verfahren zur Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes zweistufig zu erfolgen: Die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache; die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (vgl. das Erkenntnis vom 1. Juni 1999, Zl. 99/08/0011), d.h. einerseits ist festzustellen, ob ein wesentlicher Irrtum vorliegt (Verwaltungssache), in der Folge hat die Behörde, bei der der Irrtum passiert ist, die Leistung neu, d.h. richtig festzustellen.

Vgl. dazu auch Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 8. Kapitel (Stand 1.11.2017, rdb.at), RZ 8.58 zu § 27 Abs 5 BPGG

Lehnt der Versicherungsträger die Herstellung des gesetzlichen Zustands mit Bescheid ab, so besteht keine sukzessive Kompetenz der Sozialgerichte und eine Klage beim Sozialgericht kann nicht erhoben werden. Die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen ist den Sozialgerichten sohin zwingend entzogen.

Das mit Beschwerde angerufene BVwG hat sich auf die Frage der Zulässigkeit der Herstellung des gesetzlichen Zustands zu beschränken und dem SV-Träger bejahendenfalls die Herstellung, dh die Erlassung eines neuen Leistungsbescheids, aufzutragen. Die Herstellung des gesetzlichen Zustands selbst ist dann eine Leistungssache und damit eine Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (vgl Rz 8.65 ff).

2.7 Frage, ob ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt vorliegt

Ebenso wie nach wortidenten § 101 ASVG und § 69 GSVG bringt § 27 Abs. 5 BPGG im Pflegegeldbereich eine wesentliche Begünstigung des Anspruchwerbers mit der Möglichkeit, zu seinen Gunsten den gesetzlichen Zustand unabhängig von den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 AVG wiederherzustellen (vgl. das Erkenntnis vom 21. Februar 2001, Zl. 95/08/0185 mwN).

Nach Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg), Der SV-Komm, § 101 ASVG Rz. 4 und 5 und der ständigen Judikatur des VwGH zur Frage eines Sachverhaltsirrtums, vgl. Erk Ra 2016/08/0174 vom 13.09.2017 mwH, liegt ein Irrtum über den Sachverhalt nur vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten (vgl. die Erkenntnisse vom 21. Dezember 2005, 2002/08/0281, und vom 28. März 2012, 2012/08/0047, jeweils mwN). Einen Tatsachenirrtum in diesem Sinn könnte etwa eine unrichtige Befundaufnahme durch einen Sachverständigen - etwa das Übersehen eines konkreten Leidenszustandes - darstellen (vgl. die Erkenntnisse vom 27. Juli 2001, 2001/08/0040, und vom 18. März 1997, 96/08/0079). In der Außerachtlassung einer gesicherten Erkenntnis des Faches durch einen Sachverständigen könnte ein offenkundiges Versehen liegen. § 101 ASVG bietet aber keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich - insbesondere auch die Beweiswürdigung - im Nachhinein neuerlich aufzurollen (vgl. die Erkenntnisse vom 26. Mai 2004, 2001/08/0030, und vom 28. März 2012, 2012/08/0047). Insbesondere liegt ein wesentlicher Sachverhaltsirrtum dann nicht vor, wenn sich bloß die medizinische Einschätzung - etwa aufgrund neuerer medizinischer Erkenntnisse - geändert hat (vgl. nochmals das Erkenntnis 2012/08/0047, mwN). Daher werden etwa auch allein dadurch, dass ein Sachverständiger den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die sich aus bestimmten Leidenszuständen ergibt, anders beurteilt, die Voraussetzungen eines Vorgehens nach § 101 ASVG nicht begründet (vgl. in diesem Sinn nochmals die Erkenntnisse 2012/08/0047 und 96/08/0079).

2.6 Im konkreten Fall:

Es ist somit zu prüfen, ob im gegenständlichen Fall ein Tatsachenirrtum über den wesentlichen Sachverhalt vorliegt. Der Bf behauptet, dieser bestehe darin, dass über den Bf für die Zuerkennung des Pflegegeldes vom 01.11.2014 bis 31.01.2016 eine unrichtige bzw. unvollständige Diagnose gestellt wurde und damit der Pflegebedarf durch die Mutter falsch eingeschätzt wurde.

Mit diesem Vorbringen ist der Bf im Recht:

Wie in den obigen Feststellungen dargelegt, wurde im Verfahren vor der PVA der Entscheidung ein unvollständiger Befund und eine falsche Diagnose zugrunde gelegt und auf dieser Basis der Pflegebedarf falsch eingeschätzt.

Bei einer unrichtigen Befundaufnahme durch einen Sachverständigen - etwa das Übersehen eines konkreten Leidenszustandes - handelt es sich um einen Tatsachenirrtum. Es ist nicht bloß von einer abweichenden Meinung bzw. Einschätzung auszugehen.

Auf Basis der überzeugenden Diagnose ist davon auszugehen, dass der Pflegebedarf der Mutter des Bf für seine Betreuung für den Zeitraum vom 01.11.2014 bis 31.01.2016 neu festzustellen ist.

Es ist somit eine Tatsache (abweichende Diagnose) hervorgekommen als dem Pflegegeld-Bescheid der PVA vom 16.02.2015 zugrunde gelegt wurde.

Der Irrtum ist, da zu erwarten ist, dass in der Leistungssache eine andere Entscheidung getroffen werden wird, als wesentlich zu betrachten.

Es ist der gesetzliche Zustand herzustellen und nach dem neu festgestellten Sachverhalt zu beurteilen.

Das BVwG hat in dieser formalrechtlichen Angelegenheit nur darüber zu entscheiden, ob die Rechtskraft einer neuerlichen Entscheidung entgegensteht, was hier zu verneinen ist; die Zuerkennung der Leistung selbst hat durch die PVA zu erfolgen.

Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Zur Frage der Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach den wortidenten Bestimmungen der §§ 101 ASVG, 69 GSVG und 27 Abs. 5 BPGG ist eine umfangreiche Judikatur des VwGH vorhanden, die hier herangezogen wurde, vgl. Erk 2012/08/0047 und Erk 96/08/0079, 27. Juli 2001, Erk 2001/08/0040.

Schlagworte

Gutachten, Pflegebedarf, Pflegegeld, Rechtsmittelbelehrung,
Tatsachenirrtum, Wiedereinsetzung, Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W178.2137479.1.00

Zuletzt aktualisiert am

29.08.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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