TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/25 W103 2217114-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.2019
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Entscheidungsdatum

25.06.2019

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs1 Z4
AsylG 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W103 2217114-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX Rechtsanwalt in XXXX , gegen die Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2019, Zl. 14400107 - 180703383 / BMI-BFA_BGLD_RD, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8, 57

AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein damals minderjähriger Staatsbürger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, gelangte am 19.08.2002 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern illegal nach Österreich und stellte am 30.09.2002 durch seine Mutter einen Antrag auf Asylerstreckung.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.10.2002, Zl. 02.22.791-BAE, wurde der Asylerstreckungsantrag gemäß §§ 10 iVm 11 Abs. 1 AsylG 1997 idgF abgewiesen.

1.3. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 21.10.2003, Zl. 231.993/0-VIII/23/02, wurde der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung stattgegeben und dem damals minderjährigen Beschwerdeführer gemäß § 11 AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg.cit. wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde durch den Unabhängigen Bundesasylsenat damit begründet, dass dem Vater des Beschwerdeführers - somit einem Angehörigen gemäß § 10 AsylG 1997 - mit am 20.10.2003 mündlich verkündetem zweitinstanzlichem Bescheid rechtskräftig Asyl gewährt worden sei.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 142 (1), 143 2. Fall StGB, § 15 StGB § 105 (1) StGB, § 15 StGB §§ 288 (1), 288 (4) StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten, von denen ihm 14 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 84 (4) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, aus welcher er am 27.10.2016, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und der Anordnung der Bewährungshilfe, bedingt entlassen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ), Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

2. Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

2.1. Mit Aktenvermerk vom 26.07.2018 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein. Am 07.09.2018 erfolgte im Rahmen des Parteiengehörs eine niederschriftliche Einvernahme des zwischenzeitig volljährigen Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache sowie seiner Bewährungshelferin, in welcher der Beschwerdeführer bezüglich der Gründe des gegen seine Person eingeleiteten Aberkennungsverfahrens in Kenntnis gesetzt wurde. Der Beschwerdeführer gab auf entsprechende Befragung hin zu Protokoll, in Österreich würden seine Eltern und Geschwister als anerkannte Flüchtlinge leben. Der Beschwerdeführer sei ledig und stehe in Österreich zu keiner Person in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis. Im Herkunftsstaat würden noch Verwandte seiner Eltern leben. Der Beschwerdeführer beherrsche die deutsche Sprache sehr gut, er habe eine Lehre zum Zerspannungstechniker gemacht, sei jedoch am Tag der Prüfung verhaftet worden. Er habe die Volksschule, Hauptschule und HTL besucht und im Anschluss die erwähnte Lehre begonnen. Er leide an keiner schwerwiegenden Erkrankung und nehme keine Medikamente ein. In der Russischen Föderation sei er von seinen Eltern versorgt worden; für den Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation habe er Befürchtungen, laufend würden Leute aufgrund ihrer Verwandtschaft mitgenommen werden. Im Anschluss wurden dem Beschwerdeführer die seitens des Bundesamtes herangezogenen Länderberichte im Rahmen des Parteiengehörs ausgehändigt. Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Bestätigungen über sein Lehrverhältnis sowie Schulzeugnissen vor.

Im Rahmen einer am 03.10.2018 eingebrachten schriftlichen Stellungnahme der Bewährungshelferin des Beschwerdeführers wurde zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer habe eine Kindheit im Krieg und auf der Flucht verbracht und befürchte auch heute noch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien massiver physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt zu werden. Der Beschwerdeführer habe all seine engen sozialen Beziehungen in Österreich und möchte alles daran setzen, seine Lehrabschlussprüfung zu absolvieren, derzeit beziehe dieser Notstandshilfe. Die Bewährungshilfebetreuung verlaufe seit seiner Enthaftung im Juli 2018 als äußerst kooperativ.

In einer desweiteren übermittelten Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 03.10.2018 führte dieser nach Darstellung seines Werdeganges bezogen auf die Situation in Tschetschenien aus, dass dort Leute mit anderen Auslegungen des Islams und anderen kritischen Meiningen einfach verschleppt, gefoltert und in vielen Fällen auch getötet werden würden. Die Familie des Beschwerdeführers sei aus Tschetschenien geflüchtet, da sein Vater im Krieg für die Unabhängigkeit teilgenommen hätte. Dieser habe der Einheit von Aslan MASCHADOV angehört, welcher vom Präsident Tschetscheniens als Feind angesehen worden sei. Noch heute verschwänden Leute, die mit damaligen Oppositionsgegnern befreundet gewesen wären oder ihre Sympathie zu diesen kundgetan hätten. Es bestünde die Gefahr, dass der Vater des Beschwerdeführers noch heute gesucht werde und der Beschwerdeführer als Familienangehöriger ebenfalls hochgefährdet wäre. Es drohe ihnen Folter, Gefängnis oder der Tod in Tschetschenien. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Nachnamens verschleppt, gefoltert oder sogar getötet werde. Der Beschwerdeführer lebe seit dem Alter von sieben Jahren in Österreich; von Russland und Tschetschenien habe er nie viel gesehen, zu den wenigen Verwandten habe er sehr wenig bis gar keinen Kontakt. In Tschetschenien drohe ihm aufgrund seiner religiösen Auslegung und aufgrund seines Familiennamens Folter und auch wenn er diese Grausamkeiten überleben würde, hätte er keine Ahnung, wohin er sollte.

Ferner wurde eine Stellungnahme durch die Beraterin des Beschwerdeführers im "Jugendcoaching" vom 21.09.2018 übermittelt.

2.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.02.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 21.10.2003, Zl. 231.994/0-VIII/23/02, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Feststellung getroffen, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG iVm § 55 Abs. 1 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt (Spruchpunkt IV.).

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe den Status des Asylberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens zuerkannt bekommen. Da es im Verfahren seiner Bezugsperson (Anmerkung: Vater) aufgrund des Wegfalles der Umstände im Sinne einer geänderten Lage im Herkunftsstaat zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten gekommen wäre, sei auch das Verfahren des Beschwerdeführers von dieser Aberkennung betroffen. Es hätten keine Gründe festgestellt werden können, die gegen eine Rückkehr in die Russische Föderation sprechen würden, weshalb dem Beschwerdeführer auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei. Eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage, in der jeder Asylwerber im Falle seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre, sei nicht gegeben. Mit seinen Ausführungen in der schriftlichen Stellungnahme vom 03.10.2018 sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen. Der Beschwerdeführer sei im Alter von etwa sieben Jahren nach Österreich gekommen und sei als Kind in der Russischen Föderation keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen.

Ein Sachverhalt, welcher die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 erforderlich machen würde, habe sich im Verfahren nicht ergeben.

Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 wurde im Wesentlichen damit begründet, dass den drei rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers keine besonders schweren Verbrechen zugrunde gelegen hätten. Berücksichtigung habe neben der Einschätzung der Bewährungshilfe auch der lange Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich von immerhin etwa 16,5 Jahren gefunden, in denen er bestrebt gewesen wäre, sich zu integrieren und selbsterhaltungsfähig zu werden.

2.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch den nunmehrigen gewillkürten Vertreter mit Eingabe vom 28.03.2019 eingebrachte Beschwerde, in welcher begründend im Wesentlichen ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer habe Angst, in sein Heimatland zurückzukehren, da immer wieder Leute aufgrund ihrer Verwandtschaft zu Widerstandskämpfern verhaftet würden. Der Vater des Beschwerdeführers sei als Widerstandskämpfer von russischen Soldaten verhaftet worden und nur aufgrund von Schmiergeldzahlungen wieder freigekommen. Dieselbe Bedrohungslage gelte für den Beschwerdeführer, da er im Sinne einer Sippenhaftung anhand seines Namens ebenfalls mit Verschleppung und Ermordung rechnen müsste. Die Bedrohung, aufgrund welcher dem Vater des Beschwerdeführers Asyl gewährt worden wäre, bestünde nach wie vor. Entsprechend zahlreicher, der Behörde bekannter und dem Länderbericht zu entnehmender, Quellen sei belegt, dass sich die Lage in Tschetschenien und auch in der Russischen Föderation nicht dauerhaft und nachhaltig gebessert hätte. Kadyrow könne seine Handlanger in jede Ecke Russlands und sogar ins Ausland schicken, um Oppositionelle zu bedrohen oder auszuschalten. Die Situation für Tschetschenen habe sich keinesfalls geändert oder gar gebessert. Die Behörde ignoriere Berichte, welche dokumentieren würden, dass Aufständische und Widerstandskämpfer nach wie vor Verfolgung ausgesetzt seien. Eine Person mit anerkanntem Expertenwissen zu Tschetschenien kenne verschiedene Fälle von Rückkehrenden, die verhaftet, gefoltert oder getötet worden seien. Die Regierung von Kadyrow verletze weiterhin Grundfreiheiten, sei in Kollektivbestrafungen von Familien vermeintlicher Rebellen involviert und fördere insgesamt eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung. Folter werde sowohl von lokalen Behördenorganen als auch von föderalen Kräften angewendet. Berichten zufolge würden Beamte mit Polizeibefugnissen nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen verüben, welche in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt würden. Russische Menschenrechtsorganisationen würden von häufigem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier alleine wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten. Kaukasisch aussehende Personen würden unter einer Art Generalverdacht stehen. Da sohin bei richtiger rechtlicher Beurteilung der Asylstatus des Vaters nicht hätte aberkannt werden dürfen, sei auch die Aberkennung für den Beschwerdeführer nicht zulässig. Die Behörde habe es in ihrer Begründung unterlassen, auf die Situation des Vaters des Beschwerdeführers Bezug zu nehmen. Eine Auseinandersetzung der Behörde mit der aktuellen Ländersituation habe nicht stattgefunden; es werde lediglich pauschal darauf verwiesen, dass sich die Lage im Herkunftsstaat verbessert hätte, weshalb keine Gefahr mehr bestehe. Der Verpflichtung, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen, sei die Behörde nicht ansatzweise nachgekommen. Desweiteren habe es die Behörde unterlassen, Ermittlungen entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu tätigen. Dieser habe angegeben, dass es immer wieder zu Verschleppungen von Verwandten ehemaliger Widerstandskämpfer komme. Die Behörde habe dahingehend keine konkreten Feststellungen oder Erhebungen durchgeführt. Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers, welcher nicht mit dem dort gelebten Gedankengut aufgewachsen wäre und noch dazu der namensgleiche Verwandte eines potentiellen Widerstandskämpfers sei, wäre dieser sohin einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt und sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieser inhaftiert, gefoltert und getötet werden würde. Weiters werde die in Tschetschenien praktizierte Sippenhaftung von mehreren Organisationen angeprangert.

2.4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 08.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 23.04.2019 wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers konkretisiert, dass sich die Beschwerde vom 28.03.2019 gegen die Spruchpunkte I., II. und III., nicht jedoch gegen Spruchpunkt IV., des angefochtenen Bescheides richtet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der Beschwerdeführer reiste im August 2002 im Alter von sieben Jahren gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte durch seine Mutter einen Antrag auf Asylerstreckung, dem im Berufungsverfahren mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 21.10.2003, Zl. 231.994/0-VIII/23/02, gemäß § 11 AsylG 1997 (bezogen auf das Verfahren seines Vaters, dem nunmehrigen Beschwerdeführer zu W103 2217117-1) stattgegeben und dem Beschwerdeführer in Österreich Asyl gewährt wurde. Eine individuelle Rückkehrgefährdung des damals minderjährigen Beschwerdeführers wurde nicht festgestellt.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2019 wurde der dem Vater des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 21.10.2003, Zl. 231.998/0-VIII/23/02, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs.4 AsylG die Feststellung getroffen, dass dem Vater des Beschwerdeführers die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Vater des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Datum zu Zahl W103 2217117-1 als unbegründet abgewiesen, zumal ein Wegfall der ursprünglichen Verfolgungsgefahr, welche zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Jahr 2003 geführt hatte, festzustellen war.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Russisch und verfügt über Angehörige im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Alter von sieben Jahren verlassen hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist dazu in der Lage, seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit eigenständig zu bestreiten.

1.3. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 142 (1), 143 2. Fall StGB, § 15 StGB § 105 (1) StGB, § 15 StGB §§ 288 (1), 288 (4) StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten, von denen ihm 14 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 84 (4) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, aus welcher er am 27.10.2016, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und der Anordnung der Bewährungshilfe, bedingt entlassen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ), Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

1.4. Mit dem unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wurde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

...

Präsidentschaftswahl am 18.03.2018: Wie erwartet ist Russlands Präsident Putin bei der Präsidentschaftswahl am 18.3.2018 im Amt bestätigt worden. Nach Auszählung von 99% der Stimmen errang er 76,7% der Stimmen. Putins stärkster Herausforderer, der Kommunist Pawel Grudinin, kam auf 11,8%, dahinter der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski mit 5,7%. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur Tass zufolge bei knapp 67%, und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration. 70% waren in den letzten Wochen inoffiziell als Ziel gestellt worden, zuletzt hatte der Kreml die Erwartungen auf 65% heruntergeschraubt (Standard.at 19.3.2018, vgl. Presse.at 19.3.2018). Die Beteiligung galt als wichtiger Indikator für Putins Rückhalt in der Bevölkerung. Entsprechend beharrlich hatte die russische Führung die Bürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben (Tagesschau.de 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin. Sie stellte Bilder einer Überwachungskamera in einem Wahllokal nahe Moskau zur Verfügung, die offenbar zeigen, wie Wahlhelfer gefälschte Stimmzettel in eine Urne stopfen. Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018). Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montag (7.5.2018) den Eid für seine vierte und somit letzte Amtszeit abgelegt. Vor etwa 5.000 Gästen im Kreml in Moskau gelobte er, "dem Volk treu zu dienen", wie es in der Eidesformel heißt (Kurier.at 7.5.2018). Bei der Präsidentenwahl im März 2018 hatte die Wahlbehörde ihm ein Rekordergebnis von knapp 77% der Stimmen zugesprochen. Überschattet wird die Amtseinführung von der Gewalt, mit der die Polizei am 5.5.2018 Kundgebungen von Regierungsgegnern auflöste. Landesweit wurden dabei etwa 1.600 Anhänger des Oppositionellen Alexej Nawalny festgenommen, die meisten aber wieder freigelassen. Doch das Bürgerrechtsportal "OVD-Info" zählte am Montag immer noch dutzende Demonstranten in Gewahrsam (Standard.at 7.5.2018). Alexej Nawalny hatte zu landesweiten Protesten gegen den Kremlchef aufgerufen, unter dem Motto "Er ist nicht unser Zar" fanden sich in rund 90 Städten Demonstranten zusammen. Die größten Veranstaltungen gab es traditionell in Moskau und St. Petersburg. Vor allem junge Menschen folgten dem Aufruf Nawalnys. In der Hauptstadt Moskau waren es nach Einschätzung der Tageszeitung Kommersant rund 10.000 Demonstranten, während die Polizei die Menge dort auf nur 1.500 Personen taxierte. Die in jedem Fall verhältnismäßig geringe Zahl der Demonstranten ist auch auf die anhaltende Zersplitterung der russischen Opposition zurückzuführen. So beteiligten sich weder die sozialliberale Jabloko-Partei, noch die neue "Partei der Veränderungen" um Xenia Sobtschak und Dmitri Gudkow an den Kundgebungen. Die Obrigkeit hingegen hatte eine enorme Anzahl an Sicherheitskräften aufgefahren, um mögliche Unmutsbekundungen im Keim zu ersticken. Neben der Polizei waren Männer in Kosakenuniform im Einsatz. Kosaken - eigentlich Folklore - treten immer wieder als Hilfspolizisten auf. In Moskau gingen sie hart gegen die Menge vor. Auch die Polizei setzte Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Kritik am harten Vorgehen der Behörden gab es nicht nur von der EU, sondern auch aus dem Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten. Speziell der Einsatz der Kosaken rief dort Unmut hervor. Kremlsprecher Dmitri Peskow hingegen kommentierte die Vorfälle nicht. Nawalny wurde gleich nach seinem Eintreffen auf dem für die Protestaktion zentralen Puschkin-Platz abgeführt. Etwa 80% der Festgenommen wurden innerhalb eines Tages wieder auf freien Fuß gesetzt. Auch Nawalny kam nach mehreren Stunden vorläufig frei, allerdings muss er sich am 11.5.2018 - vier Tage nach den Inaugurationsfeiern im Kreml - vor Gericht wegen der Organisation einer ungenehmigten Kundgebung und Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten. Als Wiederholungstäter droht dem Oppositionellen eine empfindliche Strafe (Standard.at 6.5.2018).

Sicherheitslage: Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017). Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017). Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016). Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015). Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015). Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016). Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017). Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017). Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Sicherheitslage/Nordkaukasus allgemein: Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017). Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017). Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016). Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017). Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

Sicherheitslage/Tschetschenien: Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). 2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017). Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage: Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969); Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991);

Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973); Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004);

Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987); Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001);

Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 24.1.2017). Die Menschenrechtslage in Russland hat sich weiter verschlechtert. Neben der mangelnden Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten sind v.a. Gewaltakte im Strafvollzug gegenüber Häftlingen und deren unzureichende medizinische Versorgung gravierende Probleme. Die damalige Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, mahnte in ihrem Jahresbericht 2015 unter anderem eine Präzisierung des Begriffes "politische Tätigkeit" im Gesetz über NGOs an. Im Mai 2016 kam es in der Tat zu einer Gesetzesänderung. Seitdem wird allerdings nahezu jede NGO-Aktivität im öffentlichen Raum als "politisch" gewertet. Das hat zur Folge, dass NGOs in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen werden können, wodurch sie häufig gezwungen sind, ihre Tätigkeiten massiv einzuschränken oder sogar einzustellen. Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt. Auch der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2015, 14,2% der anhängigen Fälle (9.200 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2015 hat der EGMR 116 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an. Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus und konstatierten mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Hälfte der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation wird von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die OSZE (ODIHR und High Commissioner for National Minorities) berichtete im September 2015 über Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Im Wesentlichen leiden Kritiker der Krim-Annexion, Angehörige der Krim-Tataren, Vertreter des Kiewer Patriarchats der orthodoxen Kirche, der katholischen und protestantischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas unter Einschränkungen ihrer Rechte. Im September 2016 wurde die Mejlis, der repräsentative Rat der Krimtataren, vom russischen Obersten Gerichtshof als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Diverse Mejlis-Mitglieder erleiden (polizeiliche) Repressalien oder stehen unter Anklage (AA 24.1.2017). Menschenrechtsverletzungen kommen regelmäßig vor. Zwar werden in Russland die Grundrechte in der Verfassung garantiert, es wächst jedoch der Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit. Die Staatsführung bekennt sich offiziell zur Einhaltung der Menschenrechte, stellt einige jedoch mit Verweis auf "traditionelle russische Werte" infrage (z.B. Nicht-Diskriminierung von LGBT-Personen) und leistet Verletzungen Vorschub (z.B. Stigmatisierung kritischer Stimmen als staatsfeindlich) bzw. bemüht sich nicht ausreichend um Prävention und Strafverfolgung (z.B. Übergriffe gegen Journalisten). Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Im Verlauf des Berichtszeitraumes hat sich trotz rückläufiger Opferzahlen die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Region insgesamt nicht verbessert. Insbesondere in Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien bleibt die Menschenrechtslage schlecht. Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.1.2017). Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer Aktivitäten mit Geldstrafen belegt oder strafrechtlich verfolgt. Zum ersten Mal kam es wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Agentengesetz zur Strafverfolgung. Eine Reihe von Personen wurde wegen ihrer Kritik an der Staatspolitik oder des Besitzes bzw. Verbreitens extremistischer Materialien nach den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus unter Anklage gestellt. Es gab Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen in den Strafvollzugsanstalten des Landes (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017). Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2017a). Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt. Laut einer rezenten Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%) (ÖB Moskau 12.2016). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und traf sich mit den einzelnen Republikoberhäuptern (ein Treffen mit Ramzan Kadyrow wurde abgesagt, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters der NGO Komitee gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten) (ÖB Moskau 12.2016).

Allgemeine Menschenrechtslage/Tschetschenien: NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017). In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016). Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017). Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

Rebellentätigkeit/Unterstützung von Rebellen: Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017). Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016). Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017). Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015). Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfol

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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