Entscheidungsdatum
01.07.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
G314 2196862-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des kosovarischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.07. (richtig wohl 05.) 2018, Zl.: XXXX, betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 08.02.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG, konkret einer "Aufenthaltsberechtigung plus", weil Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt sei. Am 19.04.2018 wurde er dazu vor dem BFA vernommen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag vom 08.02.2018 abgewiesen und gegen den BF gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise festgelegt (Spruchpunkt III.).
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und dem BF die beantragte Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 30.05.2018 einlangte.
Feststellungen:
Die BF wurde am XXXX im kosovarischen Ort XXXX geboren. Er ist kosovarischer Staatsangehöriger und verfügt über einen am 05.05.2010 ausgestellten und bis XXXX.2020 gültigen kosovarischen Reisepass. Seine Muttersprache ist Albanisch. Er besuchte im Kosovo nach der Volks- und Hauptschule eine technische Mittelschule (Bildungsprofil Bautechniker), die er 2004 abschloss, und begann anschließend in XXXX ein Bautechnikstudium. 2010 und 2011 arbeitete er im Kosovo als Sicherheitsfachkraft.
Der BF hält sich seit März 2012 kontinuierlich im Bundesgebiet auf und war seither nur ab und zu für einige Tage zu Besuch im Kosovo. Er ist seit 05.03.2012 durchgehend an verschiedenen Adressen in XXXX und XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet. Zwischen 20.12.2011 und 22.12.2014 verfügte er über Aufenthaltsbewilligungen als Studierender. Am 15.12.2014 stellte er den letzten Verlängerungsantrag, der er am 09.12.2016 in einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot - Karte als selbständige Schlüsselkraft änderte. Dieser Antrag wurde letztlich mit dem Bescheid vom 07.09.2017 abgewiesen; der Beschwerde des BF dagegen wurde mit dem am 07.12.2017 mündlich verkündeten und am 02.01.2018 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark nicht Folge gegeben. Obwohl der BF seither keine Aufenthaltsgenehmigung mehr hat, verließ er Österreich nicht.
Der BF wurde 2011 zum Bachelorstudium der XXXX an der Technischen Universität Graz unter der Bedingung, die Ergänzungsprüfung aus dem Fach Deutsch abzulegen, zugelassen. Ab 2014 studierte er an der Technischen Universität Wien. Ende 2016 setzte er das Studium aus finanziellen Gründen und wegen mangelnden Studienerfolgs aus; er hat aber nach wie vor den Wunsch, es einmal abzuschließen
Im August 2015 legte der BF eine Deutschprüfung für das Sprachniveau A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (elementare Sprachverwendung - Grundlagen) erfolgreich ab. Die Ergänzungsprüfung aus dem Fach Deutsch hat er bislang nicht abgelegt.
Der Bruder des BF ist mit einer Österreicherin verheiratet; ihm wurde ein Aufenthaltstitel als Familienangehöriger erteilt. Das Paar lebt seit 2015 zusammen in Österreich; der BF hat zu ihnen regelmäßig Kontakt, ohne dass ein gemeinsamer Haushalt oder ein Abhängigkeitsverhältnis vorlägen. Im Bundesgebiet leben keine weiteren Angehörigen des BF. Seine Mutter und ein Bruder leben im Kosovo, ebenso seine verheiratete Schwester mit ihrer Familie. Der BF hat zu ihnen regelmäßig Kontakt.
Der BF verfügte zwischen April 2012 und Februar 2013 im Bundesgebiet über eine Selbstversicherung nach § 16 Abs 2 ASVG. Von Juni 2012 bis August 2014 war er (zum Teil mehrfach) geringfügig beschäftigt; zwischen März und Mai 2013 bestand eine Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG. Von Juni 2013 bis April 2018 hatte der BF eine Gewerbeberechtigung für das Verspachteln vormontierter Gipskartonplatten. Von Juni 2013 bis Mai 2014 und von April 2016 bis April 2018 war er in diesem Bereich selbständig erwerbstätig; dazwischen war er von September 2014 und August 2015 als Arbeiter (Tellerwäscher in der Gastronomie) vollversichert erwerbstätig. Seither lebt er von seinen Ersparnissen, wird aber auch von seinem in Österreich lebenden Bruder finanziell unterstützt. Der BF hatte Anfang 2018 (bei Vorliegen entsprechender Genehmigungen) einen Arbeitsplatz bei einem Unternehmen in Aussicht, über dessen Vermögen aber mittlerweile der Konkurs eröffnet wurde. Derzeit hat der BF keinen konkreten Arbeitsplatz in Aussicht.
Der BF ist alleinstehend und kinderlos. Er hat in Österreich einen Freundeskreis, mit dem er seine Freizeit verbringt. Aktuell bewohnt er eine Mietwohnung in Graz. Er ist in keinem Verein aktiv und engagiert sich nicht ehrenamtlich. Er ist gesund und arbeitsfähig und in strafrechtlicher Hinsicht unbescholten.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und der Gerichtsakten des BVwG.
Die Feststellungen beruhen vorwiegend auf den Angaben des BF in seinem ursprünglichen Antrag und bei der Einvernahme vor dem BFA sowie auf den von ihm vorgelegten Unterlagen.
Die Identität des BF wird durch den (dem BVwG in Kopie vorliegenden) unbedenklichen Reisepass belegt. Auch seine Geburtsurkunde liegt vor. Die Feststellungen zu Ausbildung und Erwerbstätigkeit des BF im Kosovo basieren auf seinen Angaben, die mit dem vorgelegten Lebenslauf in Einklang stehen, und dem Abschlussdiplom vom 17.06.2004.
Der Inlandsaufenthalt des BF ergibt sich aus seiner Aussage und aus den Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR). Die ihm erteilten Aufenthaltsbewilligungen sind im Fremdenregister dokumentiert. Die Abweisung des letzten Verlängerungs- bzw. Zweckänderungsantrags geht aus dem aktenkundigen Bescheid vom 07.09.2017, der Verhandlungsschrift des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 07.12.2017 und dem an diesem Tag verkündeten und am 02.01.2018 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis hervor.
Die Feststellungen zum Studium des BF in Österreich beruhen auf den Akten des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung GZ XXXX und auf seinen Angaben gegenüber dem BFA.
Das Zeugnis über die Deutschprüfung für das Sprachniveau A2 wurde vorgelegt. Entsprechende Deutschkenntnisse des BF sind plausibel, zumal er vor dem BFA ohne Dolmetsch vernommen werden konnte. Ein Beweis für die positive Absolvierung der vorgeschriebenen Ergänzungsprüfung aus dem Fach Deutsch wurde nicht erbracht, zumal sich der BF nach der vorgelegten Anmeldebestätigung erst am 09.06.2018 für eine Deutschprüfung für das Sprachniveau B1 anmeldete und für die Ergänzungsprüfung idR Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau C1 notwendig sind (siehe z.B. https://www.tugraz.at/studium/studieren-an-der-tu-graz/anmeldung-und-zulassung/zulassung-von-internationalen-studienwerberinnen-und-werbern/deutschkenntnisse-nachweisen/, https://www.tuwien.at/fileadmin/Assets/dienstleister/Datenschutz_und_Dokumentenmanagement/Beschluss_Deutschkenntnisse.pdf [Zugriff jeweils am 25.06.2019]).
Die Zeiten der Sozialversicherung und der Erwerbstätigkeit des BF ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug. Die dem BF erteilte Gewerbeberechtigung und deren Beendigung sind im Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) dokumentiert. Die selbständige Erwerbstätigkeit des BF wird auch durch die vorgelegten Buchhaltungsunterlagen belegt.
Ein mit 25.01.2018 datierter Arbeitsvorvertrag zwischen dem BF und der XXXX KG wurde zwar vorgelegt; aus dem Firmenbuch und der Insolvenzdatei ergibt sich aber, dass über deren Vermögen am 07.03.2019 ein Insolvenzverfahren eröffnet, am 09.04.2019 die Unternehmensschließung angeordnet und am 21.05.2019 die Bezeichnung des Verfahrens von Sanierungs- auf Konkursverfahren abgeändert wurde. Die KG ist laut Firmenbuch infolge der Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst, sodass der BF den in Aussicht gestellten Arbeitsplatz nicht antreten können wird. Die Feststellung, dass er seit der Beendigung seiner Erwerbstätigkeit von seinen Ersparnissen und der Unterstützung seines Bruders lebt, folgt seinen plausiblen und nachvollziehbaren Angaben vor dem BFA dazu.
Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF beruhen auf seinen Angaben gegenüber dem BFA. Der Aufenthaltstitel und die Heiratsurkunde seines Bruders liegen vor. Da der Bruder des BF mit seiner Frau laut ZMR in XXXX lebt, der BF dagegen in XXXX, ist ein gemeinsamer Haushalt auszuschließen. Anhaltspunkte für ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den volljährigen Brüdern bestehen nicht, zumal die finanzielle Unterstützung auch nach der Rückkehr des BF in den Kosovo fortgesetzt werden kann. In der Beschwerde wird bestätigt, dass der Kontakt des BF zu seinen im Kosovo lebenden Verwandten aufrecht ist. Dafür sprechen auch die von ihm geschilderten Besuche dort.
Die Wohnverhältnisse des BF können anhand des ZMR-Auszugs festgestellt werden. Demnach wohnt er derzeit nicht mehr in der früher gemeinsam mit XXXX bewohnten Wohnung in der XXXX in XXXX oder gemeinsam mit XXXX bewohnten Wohnung mit der Adresse XXXX in XXXX, wohnt. Der Freundeskreis des BF in Österreich ist aufgrund seines mehrjährigen Aufenthalts, des Studiums und der Erwerbstätigkeit nachvollziehbar und wird durch die vorgelegten Empfehlungsschreiben belegt. Es gibt keine Anhaltspunkte für ein ehrenamtliches Engagement des BF oder eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben.
Die Unbescholtenheit des BF geht aus dem Strafregister hervor. Im Verfahren sind keine Hinweise für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit hervorgekommen.
Anhaltspunkte für über die getroffenen Feststellungen hinausgehende Integrationsmomente oder Anbindungen des BF in Österreich sind nicht aktenkundig, sodass von deren Fehlen auszugehen ist.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Der BF ist als Staatsangehöriger des Kosovo Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG.
Gemäß § 55 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.
§ 58 AsylG regelt das Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 ff AsylG. Gemäß § 58 Abs 8 AsylG hat das BFA im verfahrensabschließenden Bescheid über die Zurück- oder Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG abzusprechen. Gemäß § 10 Abs 3 AsylG und § 52 Abs 3 FPG ist die Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG grundsätzlich mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das BFA gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Bei der Beurteilung, ob die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens des BF geboten ist, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Dabei muss ein Ausgleich zwischen dem Interesse des BF auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden werden. In die gebotene Gesamtbeurteilung sind alle gemäß Art 8 EMRK relevanten Umstände seit seiner Einreise einzubeziehen.
Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist hier gemäß § 9 Abs 2 Z 1 BFA-VG zu berücksichtigen, dass sich der BF seit mehr als sieben Jahren im Bundesgebiet aufhält. Der VwGH hat wiederholt ausgesprochen, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt ist dagegen regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen, außer wenn die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht zur soziale und beruflichen Integration genützt wurde (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120). Der Inlandsaufenthalt des BF war bis Dezember 2017 rechtmäßig, wobei ihm Aufenthaltsbewilligungen für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck des Studiums iSd § 8 Abs 1 Z 12 NAG erteilt wurden und der Aufenthalt daher gemäß § 2 Abs 3 NAG nicht als Niederlassung gilt. Er konnte somit nicht von einer Zulässigkeit des dauerhaften Verbleibs im Bundesgebiet ausgehen. Seit Ende 2017 ist der Aufenthalt des BF nicht mehr rechtmäßig, weil er nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer seines Aufenthaltstitels und der rechtskräftigen Abweisung des Verlängerungs- bzw. Zweckänderungsantrags im Inland verblieb, obwohl ihm keine weitere Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde. Weder Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG noch die Beschwerde gegen die Entscheidung darüber begründen ein Aufenthalts- oder Bleiberecht (vgl §§ 58 Abs 13 AsylG, 16 Abs 5 BFA-VG).
Zwar wurde über den Verlängerungsantrag des BF vom 15.12.2014 erst am 07.12.2017 endgültig entschieden; dies ist aber nicht nur den Behörden iSd § 9 Abs 2 Z 9 BFA-VG zuzuschreiben, sondern zum Teil auch dem BF, der zwischendurch einen Zweckänderungsantrag einbrachte und durch die Verlegung seines Wohnsitzes von Graz nach Wien und retour jeweils eine Änderung der Behördenzuständigkeit und dadurch gewisse weitere Verzögerungen bewirkte.
Im Inland besteht kein gemäß § 9 Abs 2 Z 2 BFA-VG zu berücksichtigendes Familienleben des volljährigen, alleinstehenden und kinderlosen BF.
Unter Privatleben iSd Art 8 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR das Netzwerk persönlicher, sozialer und ökonomischer Beziehungen zu verstehen, die das Privatleben eines jeden Menschen ausmachen. Ein schutzwürdiges Privatleben ist nach § 9 Abs 2 Z 3 BFA-VG bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, ebenso nach § 9 Abs 2 Z 4 BFA-VG der Grad der Integration, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schul- und Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert. Zugunsten des BF sind dabei neben der Beziehung zu seinem in Österreich lebenden Bruder und dessen Ehefrau gute Deutschkenntnisse und die während des Aufenthalts im Inland geknüpften Sozialkontakte und Freundschaften mit hier lebenden Personen zu berücksichtigen. Diese integrationsbegründenden Umstände werden gemäß § 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG dadurch relativiert, dass sie in Kenntnis des unsicheren Aufenthaltsstatus des BF entstanden, zumal er angesichts der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen (siehe oben) und des zuletzt ausbleibenden Studienerfolgs nicht von einer Erlaubnis zu einem nicht bloß vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet ausgehen durfte. Der BF kann den Kontakt zu seinen im Bundesgebiet lebenden Bezugspersonen auch ohne die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels durch wechselseitige Besuche in Österreich, im Kosovo und in anderen Staaten sowie über diverse Kommunikationsmittel (Telefon, E-Mail, Internet) aufrecht halten.
Der BF war zwar früher im Bundesgebiet erwerbstätig, was ein Anhaltspunkt für seine Integrationsbemühungen ist; aktuell ist er jedoch nicht selbsterhaltungsfähig und hat (aufgrund der Insolvenz seines präsumtiven Arbeitgebers) auch keinen konkreten Arbeitsplatz in Aussicht. Bislang gelang es ihm in Österreich nicht, neben der Erwerbstätigkeit zielgerichtet ein Studium zu verfolgen.
Der BF hat nach § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG maßgebliche Bindungen zu seinem Heimatstaat, wo er einen erheblichen Teil seines Lebens verbrachte, zumal seine Mutter und zwei Geschwister dort leben. Er spricht eine übliche Sprache, hat im Kosovo die Schule absolviert, ein Studium begonnen und war dort früher auch schon erwerbstätig. Sein in Österreich lebender Bruder kann ihn auch nach seiner Rückkehr in den Kosovo von Österreich aus weiterhin finanziell unterstützen.
Die nach § 9 Abs 2 Z 6 BFA-VG relevante strafrechtliche Unbescholtenheit des BF vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Abgesehen vom unrechtmäßigen Aufenthalt liegen keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs 2 Z 7 BFA-VG vor.
Dem durch die bereits relativ lange Aufenthaltsdauer verstärkten persönlichen Interesse des BF an einer Fortsetzung seines Privatlebens in Österreich steht das große öffentliche Interesse am geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften gegenüber. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt dabei im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu.
Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt hier - bei Berücksichtigung der starken Bindungen des BF zu seinem Herkunftsstaat - das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Die Integration des BF ist noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung seines Privatlebens geboten wäre. In den letzten Jahren erzielte er kaum Fortschritte bei dem Studium, für das ihm der Aufenthalt in Österreich ursprünglich bewilligt worden war, sondern konzentrierte sich vielmehr auf seine (mittlerweile aufgegebene) Erwerbstätigkeit. Außer dem Erwerb von Deutschkenntnisse und einem Freundeskreis im Inland liegen keine besonderen integrationsbegründenden Umstände vor. Weder hat der BF im Inland eine eigene Familie gegründet noch ist er selbsterhaltungsfähig. Da er vor seinem nunmehrigen Aufenthalt in Österreich im Kosovo lebte, die Universität in XXXX besuchte und familiäre Anknüpfungspunkte hat, ist davon auszugehen, dass ihm in seiner Heimat keine großen Hindernisse bei der Wiedereingliederung begegnen werden, zumal er gesund und arbeitsfähig ist, über einen Abschluss einer höheren technischen Schule, deutsche und albanische Sprachkenntnisse und Berufserfahrung in der Gastronomie und im Baugewerbe verfügt.
Die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Aufenthaltsberechtigung liegen somit nicht vor, sodass gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 52 Abs 3 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist. Die Gründe, warum diese nicht auf Dauer unzulässig ist, decken sich mit den Überlegungen zur Abweisung des Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG.
Der BF kann für einen neuerlichen Aufenthalt in Österreich, z.B. zur Fortsetzung des Studiums, von seinem Heimatstaat aus einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG stellen. Es ist ihm zumutbar, einen allfälligen neuerlichen Aufenthalt im Bundesgebiet nach den gesetzlichen Vorgaben des NAG von dort aus zu legalisieren. Der Umstand, dass eine solche Antragstellung allenfalls nachweis-, gebühren- und quotenpflichtig ist, vermag daran nichts zu ändern.
Für die gemäß § 52 Abs 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Da keine dieser Voraussetzungen hier zutrifft, ist die Abschiebung des BF in den Kosovo zulässig. Es liegen unter Berücksichtigung der stabilen Situation dort und der Lebensumstände des gesunden und arbeitsfähigen BF, der die Universitätsreife und Berufserfahrung hat und dessen Mutter und Geschwister dort leben, keine konkreten Gründe vor, die eine Abschiebung unzulässig machen würden. Der BF wird in der Lage sein, in seiner Heimat, wo er auch Zugang zu den vorhandenen (wenn auch allenfalls bescheidenen) öffentlichen Leistungen und zur Gesundheitsversorgung hat, wieder für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, ohne in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten, unter Umständen auch mit Hilfe seiner Angehörigen. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen könnte, liegt aktuell im Kosovo - auch bei Berücksichtigung der schwierigen wirtschaftlichen Lage - jedenfalls nicht vor.
Gemäß § 55 FPG wird zugleich mit einer Rückkehrentscheidung eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Diese beträgt - abgesehen von Fällen, in denen besondere Umstände vorliegen, die hier aber nicht behauptet wurden - 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht zu beanstanden.
Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher nicht korrekturbedürftig; die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Nach § 21 Abs 7 BFA-VG kann bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen - trotz Vorliegens eines Antrags - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann allerdings im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des oder der Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm oder ihr einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. zuletzt VwGH 16.01.2019, Ra 2018/18/0272).
Da hier ein eindeutiger Fall vorliegt, der Sachverhalt anhand der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine andere Entscheidung denkbar ist, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal in der Beschwerde kein von den nunmehr getroffenen Feststellungen abweichender Sachverhalt behauptet wurde und keine entscheidungserheblichen Widersprüche in den Beweisergebnissen bestehen.
Zu Spruchteil B):
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zu lösen waren. Bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK, die das Schwergewicht der Beschwerde bildet, handelt es sich um eine typische Einzelfallbeurteilung.
Schlagworte
Interessenabwägung, öffentliche Interessen, Resozialisierung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2196862.1.00Zuletzt aktualisiert am
29.08.2019