TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/4 W278 2214462-6

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Veröffentlicht am 04.07.2019
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Entscheidungsdatum

04.07.2019

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W278 2214462-6/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Algerien, im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) stellte nach illegaler Einreise am 04.07.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, nachdem er zuvor bereits am 18.02.2014 in Griechenland und am 14.06.2015 in Ungarn Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatte.

Bei seiner Erstbefragung am 05.07.2015 gab der BF an XXXX zu heißen, am XXXX geboren und algerischer Staatsangehöriger zu sein. Bereits am 27.07.2015 wurde der BF wegen unbekannten Aufenthalts von der Grundversorgung abgemeldet.

Am 29.10.2015 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland.

Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 06.01.2016 gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass Ungarn gemäß Art. 25 Abs. 2 iVm 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 - Dublin-III-VO zuständig sei. Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Außerlandesbringung des BF angeordnet.

Eine Überstellung des BF nach Ungarn scheiterte auf Grund seines unbekannten Aufenthaltsortes.

2. Am 28.09.2016 stellte der BF seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab bei seiner am selben Tag durchgeführten Erstbefragung wiederum seine bereits am 05.07.2015 genannten Identitätsdaten an. Auch bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 09.03.2017 wiederholte der BF diese Daten.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 16.03.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 28.09.2016 vollinhaltlich abgewiesen und dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gleichzeitig wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung getroffen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde aberkannt.

Dieser Bescheid erwuchs am 06.04.2017 in Rechtskraft.

3. Am 11.08.2017 wurde bei der algerischen Vertretungsbehörde ein Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF unter Angabe seiner von ihm bisher genannten Identitätsdaten gestellt. Am 12.06.2018 teilten die niederländischen Behörden mit, dass dort der BF unter der im Spruch genannten Alias-Identität bekannt sei. Der BF wurde am 18.09.2018 einer Delegation der algerischen Vertretungsbehörde vorgeführt und als Staatsangehöriger Algeriens identifiziert. Eine Überprüfung der Identitätsdaten in Algerien wurde jedoch für erforderlich erachtet.

4. Auf Grund wiederholter Straffälligkeit des BF wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 06.11.2018 gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist. Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Dieser Bescheid wurde dem BF am 08.11.2018 durch persönliche Übernahme zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15.11.2018 wurde nach vorhergehendem schriftlichen Parteiengehör über den BF Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet, welcher am 19.11.2019 nach Entlassung des BF aus der Strafhaft in Vollzug gesetzt wurde.

6. Am 19.02.2019 fand beim Bundesverwaltungsgericht auf Grund einer Schubhaftbeschwerde eine mündliche Verhandlung statt, in der der BF unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch befragt wurde. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er gesund sei und in seinen bisherigen Verfahren in Österreich, den Niederlanden und in Frankreich jeweils unterschiedliche Identitätsdaten angegeben habe, um seine Abschiebung zu verhindern. Die von ihm in Österreich genannten Daten seien seine tatsächlichen Identitätsdaten. In Ungarn habe er einen Asylantrag gestellt um nicht in Haft zu bleiben. Nach seiner Freilassung sei er nach Österreich weitergereist. In Österreich sei er untergetaucht, weshalb eine Überstellung nach Ungarn nicht möglich gewesen sei. Er verfüge über keine Familienangehörigen in Österreich und habe noch nie in Österreich gearbeitet. Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. In Österreich habe er eine Freundin.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.02.2019 wurde die Schubhaftbeschwerde als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des BF vorliegen.

7. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.03.2019, 12.04.2019, 09.05.2019 und am 06.06.2019 wurde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft rechtmäßig ist.

8. Am 27.06.2019 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt zur neuerlichen Prüfung der Verhältnismäßigkeit dem Bundesverwaltungsgericht vor und gab dazu eine Stellungnahme ab, aus der sich im Wesentlichen ergibt, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF vom Bundesamt regelmäßig - zuletzt am 24.06.2019 - urgiert worden sei. Es liege gänzlich in der Hand des BF durch richtige Angaben über seine Identität und Staatsangehörigkeit die Erlangung eines Heimreisezertifikates zu ermöglichen.

II. Feststellungen:

1. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft

1.1. Die Identität des BF steht nicht fest, er ist Staatsangehöriger Algeriens, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.2. Der BF wird seit 19.11.2018 in Schubhaft angehalten.

1.3. Der BF ist gesund und haftfähig.

2. Zum Sicherungsbedarf und zur Fluchtgefahr

2.1. Gegen den BF liegt mit der mit Bescheid des Bundesamtes vom 06.11.2018 erlassenen Rückkehrentscheidung eine rechtskräftige und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, dem mit Antrag auf internationalen Schutz vom 04.07.2015 eingeleiteten Verfahren hat sich der BF entzogen.

2.2. Der BF hat nach Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz vom 28.09.2016 mit Bescheid des Bundesamtes vom 16.03.2017 und der gleichzeitigen Erlassung einer Rückkehrentscheidung Österreich verlassen und ist in die Niederlande weitergereist.

2.3. Der BF hat in Griechenland, Ungarn, Österreich, Deutschland und den Niederlanden Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

2.4. Der BF gab in Österreich an XXXX , am XXXX geboren und algerischer Staatsangehöriger zu sein. In den Niederlanden nannte der BF den Namen XXXX , das Geburtsdatum XXXX und die Staatsangehörigkeit Algerien, während er in Frankreich angab XXXX zu heißen, am XXXX geboren und griechischer Staatsangehöriger zu sein.

2.5. Der BF verfügt in Österreich weder über Familienangehörige noch über ein soziales Netz.

2.6. Der BF verfügt in Österreich über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz, geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und besitzt kein zur Sicherung seiner Existenz ausreichendes Vermögen.

2.7. Der BF versuchte während seiner Anhaltung in Schubhaft durch Hungerstreik, den er von 21.11.2018 bis 28.11.2018 aufrecht hielt, seine Haftunfähigkeit herbeizuführen und seine Entlassung aus der Schubhaft zu erzwingen.

2.8. Am 08.03.2019 versuchte der BF in der Schubhaft ein von ihm eingeschmuggeltes Mobiltelefon weiter zu geben.

3. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft

3.1. Der BF weist in Österreich folgende Verurteilungen auf:

3.1.1. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX wurde der BF wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs. 1 erster Fall, 15 Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, wovon ein Teil von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Dieser Verurteilung liegen Taten zu Grunde, die der BF am 14.07.2015, 18.08.2015, 13.12.2016 und 01.02.2017 begangen hat.

3.1.2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX wurde der BF wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z. 1, 130 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2 zweiter Fall, 15 Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wovon ein Teil von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Dieser Verurteilung liegen Taten zu Grunde, die der BF am 05.10.2016, 06.10.2016 und 19.06.2018 begangen hat.

3.2. Das Bundesamt leitete am 11.08.2017 das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF ein und gab bisher sämtliche vom BF genannten Identitätsdaten bekannt. Der BF wurde am 18.09.2018 einer Delegation der algerischen Vertretungsbehörde vorgeführt und als algerischer Staatsangehöriger identifiziert, wobei die Durchführung von Erhebungen in Algerien für erforderlich erachtet wurde. Das Bundesamt hat die Ausstellung des Heimreisezertifikates am 15.10.2018, 07.01.2019, 26.03.2019, 19.04.2019, 14.05.2019, sowie am 24.06.2019 bei der algerischen Vertretungsbehörde urgiert. Bisher langte keine Mitteilung der algerischen Vertretungsbehörde ein, dass für den BF kein Heimreisezertifikat ausgestellt werde. Es ist daher weiterhin davon auszugehen, dass ein Heimreisezertifikat für den BF erlangt werden kann und danach seine Abschiebung möglich sein wird.

3.3. Eine Änderung der Umstände für die Verhängung der Schubhaft seit 19.11.2018 hat sich im Verfahren nicht ergeben.

III. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes die bisherigen Überprüfungen der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft betreffend, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem sowie in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zur Person des BF und den Voraussetzungen der Schubhaft

1.1. Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes, insbesondere auf den Angaben des BF und der Tatsache, dass bisher noch kein Dokument zum Nachweis der Identität des BF vorgelegt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der BF wurde am 18.09.2018 einer Delegation der algerischen Vertretungsbehörde vorgeführt und als algerischer Staatsangehöriger identifiziert. Die Anträge des BF auf internationalen Schutz wurden ab- bzw. zurückgewiesen, weshalb der BF weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter ist.

1.2. Dass der BF seit 19.11.2018 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes sowie aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.3. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach beim BF eine Haftunfähigkeit vorliegen würde. Eine Haftunfähigkeit oder eine die Verhältnismäßigkeit ausschließende Erkrankung wurden vom BF nicht behauptet. Auch aus der Anhaltedatei ergeben sich keine Arztbesuche des BF.

2. Zum Sicherungsbedarf und zur Fluchtgefahr

2.1. Dass gegen den BF mit Bescheid vom 06.11.2018 eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde steht auf Grund der Bescheidausfertigung im Verwaltungsakt fest. Dass er sich dem Verfahren auf Grund des Asylantrages vom 04.07.2015 entzogen hat ergibt sich daraus, dass der BF entsprechend den Aufzeichnungen im Grundversorgungs-Informationssystem bereits am 27.07.2015 wegen unbekannten Aufenthaltes aus der Grundversorgung entlassen wurde.

2.2. Dass der BF nach Zustellung des Bescheides vom 16.03.2017 Österreich verlassen hat, ergibt sich daraus, dass die niederländische Dublin-Behörde entsprechend dem im Verwaltungsakt einliegenden Schreiben vom 12.06.2018 am 02.05.2018 ein Wiederaufnahmegesuch an Österreich gerichtet hat. Da der BF Österreich somit unrechtmäßig verlassen hat, hat er sich seiner Abschiebung aus Österreich entzogen.

2.3. Dass der BF in Griechenland, Ungarn und Deutschland Anträge auf internationalen Schutz gestellt hat, ergibt sich aus den Eurodac-Treffern, die im Zentralen Fremdenregister vermerkt sind. Dass der BF in den Niederlanden einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat ergibt sich aus dem am 18.04.2018 in den Niederlanden ausgestellten Identitätsdokument, welches in Kopie im Verwaltungsakt einliegt.

2.4. Die Feststellungen zu den unterschiedlichen Identiätsdaten, die der BF in Österreich, Frankreich und den Niederlanden angegeben hat, ergeben sich hinsichtlich Österreich aus den im Verwaltungsakt einliegenden Protokollen über die Erstbefragungen und die Einvernahmen des BF im Asylverfahren, hinsichtlich Frankreichs aus der im Verwaltungsakt befindlichen Mitteilung des Bundeskriminalamtes vom 20.08.2018 und hinsichtlich der Niederlande aus dem unter Punkt 2.3. genannten Ausweisdokument. Dass er unterschiedliche Daten angegeben hat um seine Abschiebung zu verhindern, gestand der BF auch in der Beschwerdeverhandlung vom 19.02.2019 zu.

2.5. Die Feststellungen zu den familiären, sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkten beruhen auf den Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 19.02.2019.

2.6. Die Feststellungen zum Hungerstreik und dem Versuch der Weitergabe eines eingeschmuggelten Mobiltelefons beruhen auf den Eintragungen in der Anhaltedatei.

3. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft

3.1. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus den im Verwaltungsakt einliegenden Urteilsausfertigungen.

3.2. Die Feststellung zu den vom Bundesamt im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezeritfikates vorgenommenen Veranlassungen ergeben sich aus dem Verwaltungakt und der im Rahmen der Aktenvorlage übermittelten Stellungnahme des Bundesamtes.

3.3. Eine Änderung der Umstände für die Verhängung der Schubhaft seit 19.11.2018 ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Gegenteiliges ist auch im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

IV. Rechtliche Beurteilung:

1. Zu Spruchteil A. - Fortsetzungsausspruch

1.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1

FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

"Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde" (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

"Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird" (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

1.3. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - möglich ist. Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft ist das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Zur Sicherung der Abschiebung kommt Schubhaft darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.

1.4. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor. Der BF wurde von der algerischen Vertretungsbehörde als Staatsangehöriger Algeriens identifiziert, die vom BF bekannt gegebenen Identitätsdaten werden von der algerischen Vertretungsbehörde überprüft. Die Erlangung eines Heimreisezertifikates und damit die Abschiebung des BF sind weiterhin realistisch möglich.

1.5. Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:

Gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG ist zu berücksichtigen, ob der Fremde die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Der BF ist mehrfach untergetaucht, zuletzt nach Zustellung der mit Bescheid des Bundesamtes vom 16.03.2017 erlassenen Rückkehrentscheidung. Er hat dadurch seine Abschiebung zumindest erschwert und damit den Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG erfüllt.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). Da gegen den BF eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt und er seine Abschiebung durch Untertauchen erschwert und sich dem mit Antrag vom 04.07.2015 eingeleiteten Asylverfahren entzogen hat, ist auch der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG erfüllt.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt sind gemäß § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG der Grad der sozialen Verankerung des Fremden in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen. Der BF verfügt über keine Familienangehörigen oder sonstige soziale Bindungen im Bundesgebiet, geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, hat kein Vermögen und ein eigener gesicherter Wohnsitz existiert nicht. Es liegen daher keine Umstände vor, die im Sinne des § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG gegen eine Fluchtgefahr sprechen, weshalb auch dieser Tatbestand erfüllt ist.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z. 1, 3 und 9 FPG vor.

1.6. Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF vor Verhängung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung hat ergeben, dass mehrere Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprechen. Es war daher eine konkrete Einzelfallbeurteilung vorzunehmen welche ergeben hat, dass sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose einen Sicherungsbedarf ergeben, da im Fall des BF ein beträchtliches Risiko des Untertauchens gegeben ist.

Der BF hat mehrfach Österreich verlassen wodurch er seine Abschiebung erschwert und er sich seinen Asylverfahren entzogen hat. Darüber hinaus hat er in mehreren Mitgliedstaaten Anträge auf internationalen Schutz gestellt und dabei unterschiedliche Identitätsdaten angegeben, um seine Abschiebung zu verhindern. In Österreich befinden sich weder Familienangehörige des BF noch ist er sonst sozial verankert. Der BF verfügt in Österreich über keinen Wohnsitz und auch nicht über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung. Einer legalen Beschäftigung ging er in Österreich bisher nicht nach.

Es ist davon auszugehen, dass der BF, insbesondere aufgrund der zu erwartenden Abschiebung, nach einer Freilassung aus der Schubhaft neuerlich untertauchen und in einen anderen Mitgliedstaat ausreisen werde um sich seiner Abschiebung zu entziehen.

Auf Grund des vom BF vor Anordnung der Schubhaft bereits mehrfach gezeigten Verhaltens, dass er unrechtmäßig aus Österreich ausreist um in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, ist daher weiterhin Sicherungsbedarf gegeben und wird dies dadurch untermauert, dass der BF während seiner Anhaltung in Schubhaft versucht hat durch Hungerstreik seine Freilassung zu erzwingen.

1.7. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der BF hat keinerlei familiäre oder soziale Bindungen in Österreich. Einer legalen Erwerbstätigkeit geht der BF in Österreich nicht nach und verfügt über keinen Wohnsitz. Der BF ist mehrfach untergetaucht und hat sich damit seinem Verfahren und seiner Abschiebung entzogen.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Der BF weist zwei Vorstrafen wegen gewerbsmäßigen Diebstahls auf, wobei er dabei auch das Verbrechen des gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls begangen hat. Bemerkenswert ist, dass sich der Zeitraum, in dem der BF die seinen Verurteilungen zu Grunde liegenden Taten begangen hat, vom 14.07.2015 bis 19.06.2018 reicht. Insbesondere ist dabei festzustellen, dass der BF bereits wenige Tage nachdem er am 05.07.2015 seinen ersten Asylantrag in Österreich gestellt hat, straffällig geworden ist. Auch eine bereits vollzogene Haftstrafe konnte ihn nicht von der Begehung weiterer einschlägiger Delikte abhalten. Es besteht ein besonders hohes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Vermögensdelikten. Da nicht einmal eine Haftstrafe den BF zu einem gesetzeskonformen Verhalten bewegen konnte und er über keine finanziellen Mittel verfügt, ist daher davon auszugehen, dass der BF auch künftig Straftaten, insbesondere Vermögensdelikte begehen wird, sodass der Aufenthalt des BF die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährdet und ein besonders hohes öffentliches Interesse an der baldigen Außerlandesbringung des BF besteht.

Die Dauer der Schubhaft ist durch das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF bedingt. Dass sich die Erlangung dieses Dokumentes verzögert, ist dem Verhalten des BF zuzurechnen, da er keine Dokumente vorgelegt hat, die seine Identität bescheinigen und er bisher unterschiedliche Angaben zu seiner Identität gemacht hat.

Den persönlichen Interessen des BF kommt daher insgesamt ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen - insbesondere an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung - zumal der BF bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er die ihn treffenden Verpflichtungen nicht einhält und im Verfahren auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er dieses Verhalten in Zukunft unter Berücksichtigung der bevorstehenden Abschiebung ändert.

Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt. Dies auch unter Berücksichtigung der Verpflichtung der Behörde auf eine möglichst kurze Dauer der Schubhaft hinzuwirken, da das Bundesamt die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF regelmäßig - zuletzt am 24.06.2019 - bei der algerischen Vertretungsbehörde urgiert. Insbesondere hat das Bundesamt bereits während der Anhaltung des BF in Strafhaft Verfahrensschritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF gesetzt und ihn der algerischen Vertretungsbehörde vorgeführt.

Anhaltspunkte dafür, dass die Schubhaft auf Grund des Gesundheitszustandes des BF unverhältnismäßig wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Bei einer im Sinne des § 80 Abs. 4 Z. 1 und Z. 4 FPG höchstzulässigen Dauer der Schubhaft von 18 Monaten erscheint die Aufrechterhaltung der seit 19.11.2018 bestehenden Anhaltung des BF in Schubhaft verhältnismäßig.

Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

1.8. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung kann auf Grund der fehlenden finanziellen Mittel des BF nicht zur Anwendung kommen. Aber auch die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens - insbesondere da er bereits mehrfach untergetaucht und nach Deutschland sowie den Niederlanden ausgereist ist - nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des neuerlichen Untertauchens des BF besteht. Dies umso mehr, als bereits eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Entscheidung vorliegt und ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF geführt wird.

Zu berücksichtigen ist dabei auch das vom BF während seiner Anhaltung in Schubhaft gezeigte Verhalten. So trat der BF in den Hungerstreik, um seine Freilassung aus der Schubhaft zu erzwingen, und versuchte ein eingeschmuggeltes Mobiltelefon weiterzugeben. Es ist daher auf Grund der dadurch manifestierten mangelnden Bereitschaft mit den Behörden zu kooperieren nicht davon auszugehen, dass der BF seinen Verpflichtungen aus einem gelinderen Mittel nachkommen würde, sondern vielmehr dass er nach seiner Freilassung wiederum untertauchen würde, um sich erneut seiner Abschiebung zu entziehen.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

1.9. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine "ultima ratio" dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

1.10. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

2. Zu Spruchteil B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot, Fluchtgefahr, Fortsetzung der Schubhaft, Identität,
öffentliche Interessen, Rückkehrentscheidung, Schubhaft,
Sicherungsbedarf, strafrechtliche Verurteilung, Überprüfung,
Untertauchen, Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W278.2214462.6.00

Zuletzt aktualisiert am

28.08.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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