Entscheidungsdatum
04.07.2019Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z3Spruch
W171 2220715-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Kosovo, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl: XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG idgF stattgegeben und der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , sowie die Anhaltung in Schubhaft vom 27.06.2019 bis zum 04.07.2019 für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG idgF wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) reiste in Österreich illegal ein und stellte am 05.11.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG ging in weiterer Folge die Entscheidungsverpflichtung auf das BVwG über. Mit Erkenntnis des BVwG vom 04.01.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG und § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 iVm § 52 FPG und § 9 Abs. 3 BFA-VG wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
1.2. Aufgrund eines internationalen Haftbefehls aus dem Kosovo wurde der BF in Österreich festgenommen und am 10.02.2017 an den Kosovo ausgeliefert.
1.3. Am 26.06.2019 erschien der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) und wollte seinen Aufenthaltstitel verlängern. Daraufhin wurde der BF am 26.06.2019 niederschriftlich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot und zur Erlassung der Schubhaft einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, er sei gesund und nehme keine Medikamente. Er sei zum Amt gekommen, um eine Verlängerung seines Aufenthaltstitels zu erreichen bzw. wollte er Auskunft darüber erhalten, ob er einen Asylantrag stellen solle oder er den Aufenthaltstitel verlängern könne. Sein Vater und sein Bruder seien krank und wenn es sein müsse, so würde er einen Asylantrag stellen. Er sei weder in Deutschland, noch in Österreich verurteilt worden und habe noch nie einen Reisepass besessen. Sein Vater und sein Bruder seien in Österreich. Sein Gerichtsverfahren im Kosovo befinde sich in der zweiten Instanz und sei er derzeit in Österreich nicht meldeamtlich erfasst. Er habe während seines damaligen Asylverfahrens bei der Caritas 50 Stunden im Monat gearbeitet und sei, bevor er nach Österreich gekommen sei, als Taxifahrer tätig gewesen. Sein Vater und zwei Brüder seien in Österreich, ein weiterer Bruder sei im Kosovo in Haft. Er wolle in der Nähe seines Vaters und seines Bruders sein und bedanke sich für die seinerzeitige Unterstützung.
1.4. Während der Einvernahme am 26.06.2019 stellte der BF einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.
1.5. Mit Bescheid des BFA vom 27.06.2019 wurde über den BF die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz verhängt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Behörde aufgrund des bisherigen Verhaltens des BF sowie der privaten und familiären Situation vom Bestehen eines Sicherungsbedarfes ausgehe. Der BF erfülle die Beurteilungskriterien des § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG, nach denen zur Beurteilung des Sicherungsbedarfs der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen seien.
Darüber hinaus sei die Verhängung der Schubhaft auch verhältnismäßig, da ein rechtlich relevantes Fehlverhalten des BF insbesondere unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an der baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Interessen des BF an dem Erhalt seiner persönlichen Freiheit überzuordnen war.
Darüber hinaus war im Verhalten des BF eine Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 67 Abs. 1 FPG ebenso zu erkennen und daher die Verhängung von Schubhaft durchzuführen.
1.6. Mit Beschwerde der im Kopf des Judikates genannten vertretungsbefugten Einrichtung vom 01.07.2019 wurde gegen den gegenständlichen Schubhaftbescheid vom 27.06.2019 sowie gegen die Anhaltung seit diesem Tage in Schubhaft Beschwerde erhoben. Darin wurde ausgeführt, dass Schubhaft nie als Standardmaßnahme gegenüber Asylwerbern angewandt werden dürfe. Weder eine illegale Einreise, noch das Fehlen beruflicher Integration oder einer Krankenversicherung sei für sich genommen als Schubhaftgrund ausreichend. Ebenso sei eine fehlende Ausreisewilligkeit des BF für sich genommen nicht ausreichend geeignet, die Verhängung der Schubhaft zu rechtfertigen.
Der BF habe im Rahmen der Rechtsberatung angegeben, dass es ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er in Österreich nicht mehr einreisen dürfe. Er habe zu diesem Zeitpunkt nicht die Absicht gehabt, gegen fremdenrechtliche Vorschriften in Österreich zu verstoßen und sei dies klar darin zu sehen, dass er sich bereits am Tage seiner Einreise bei den Behörden hinsichtlich einer Verlängerung seines Aufenthaltes gemeldet habe. In Österreich halte sich sein pflegebedürftiger Vater auf. Die Schubhaft sei darüber hinaus unverhältnismäßig, da davon auszugehen sei, dass allein durch die Verhängung eines gelinderen Mittels der Sicherungszweck ausreichend erreicht werden könne.
Der BF könne sich überdies bis zu seiner Abschiebung bei seinem namentlich genannten Onkel aufhalten.
Beantragt wurde die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung für rechtswidrig zu erklären und eine mündliche Verhandlung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes durchzuführen. Einen Antrag auf Kostenersatz wurde nicht gestellt.
1.7. Das BFA legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Stellungnahme und beantragte unter Hinweis auf die Begründung im angefochtenen Mandatsbescheid die Abweisung der Beschwerde.
1.8. Im Zuge des gerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde am 03.07.2019 telefonischer Kontakt mit der in der Beschwerde angeführten Onkel bzw. der Tante hergestellt. Diese gab nach Datenabgleich auf Nachfrage durch das Gericht bekannt, dass der BF bei ihr durchaus wohnen könnte und sie für allfällige weitere Rückfragen zur Verfügung stehe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person:
1.1. Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein und ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er ist Fremder i.S.d. Diktion des FPG.
1.2. Er stellte am 05.11.2013 und am 26.06.2019 je einen Antrag auf internationalen Schutz. Bisher hat der BF keinen gültigen dauerhaften Aufenthaltstitel in Österreich erhalten.
1.3. Über ihn wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 04.01.2016 ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung über seine Person auf Dauer unzulässig sei. Durch die Auslieferung des BF in den Kosovo am 10.02.2017 aufgrund eines internationalen Haftbefehls wurde diese Entscheidung obsolet.
1.4. Der BF leidet an keinen Erkrankungen und ist in Österreich nicht vorbestraft.
Zu den Voraussetzungen der Schubhaft:
2.1. Derzeit besteht lediglich eine Aufenthaltsberechtigung aufgrund des laufenden Asylverfahrens.
2.2. Ein gültiger Reisepass liegt nicht vor.
2.3. Ein konkreter Termin für die Abschiebung in den Herkunftsstaat ist nicht bekannt.
2.4. Der BF ist gesund und hafttauglich.
2.5. Der BF ist im Kosovo nicht rechtskräftig verurteilt. Das Verfahren in zweiter Instanz ist nicht abgeschlossen.
2.6. Es besteht kein internationaler Haftbefehl hinsichtlich des BF.
Zum Sicherungsbedarf:
3.1. Der BF hat sich bisher im Verfahren nicht unkooperativ gezeigt.
3.2. Der BF hat im Inland bisher zwei Asylanträge gestellt.
3.3. Er hatte vor seiner Inhaftierung keine aufrechte Meldeadresse im Inland.
3.4. Er ist am 26.06.2019 unaufgefordert vor dem BFA zur "Verlängerung" seines geglaubten Aufenthaltstitels erschienen und sodann festgenommen worden.
Zur familiären/sozialen Komponente:
4.1. Der Vater und zwei Brüder des BF leben in Österreich. Der Vater ist pflegebedürftig und lebt in einem Pflegeheim. Ein Bruder befindet sich in einer österreichischen Justizanstalt.
4.2. Der BF kann bei seiner Tante in Wien einen Wohnsitz begründen und das Verfahren dort für die Behörde greifbar abwarten.
4.3. Sonstige soziale Beziehungen des BF in Österreich die wesentlich ins Gewicht fallen konnten nicht festgestellt werden.
4.4. Der BF geht im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person:
Der Verfahrensgang und hiezu getroffenen Feststellungen sowie die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Durch die seinerzeitige Auslieferung der Person des BF an seinen Heimatstaat aufgrund des gegebenen internationalen Haftbefehls wurde die damals vorliegende Entscheidung der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung obsolet.
Im Rahmen der Einvernahme des BF am 26.06.2019 gab dieser an, gesund zu sein (1.4.). Nach Einsicht in das Strafregister zeigte sich, dass der BF in Österreich unbescholten ist.
2.2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.6.):
Dem behördlichen Akt war zu entnehmen, dass derzeit lediglich eine Aufenthaltsberechtigung aufgrund des am 26.06.2019 gestellten Asylantrags vorliegt (2.1.). Nach eigenen Angaben in der Einvernahme vom 26.06.2019 verfügt der BF nicht über einen Reisepass (2.2.). Ein konkreter Termin für eine allfällige Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat war den Informationen des Aktes nicht zu entnehmen (2.3.).
Hinsichtlich der Gesundheit liegen keine gegenteiligen Informationen vor und hat sich der BF selbst als gesund bezeichnet. Das Gericht konnte daher auch von einer bestehenden Hafttauglichkeit ausgehen (2.4.). Nach glaubwürdigen Angaben des BF im Rahmen der erfolgten behördlichen Einvernahme befindet sich das gegen den BF in Kosovo laufende Strafverfahren nunmehr in der zweiten Instanz. Der BF ist daher nicht als verurteilt anzusehen. Dem behördlichen Verfahren konnte nicht entnommen werden, dass der BF aus einer laufenden freiheitsentziehenden Maßnahme im Kosovo geflohen wäre. Hinweise auf das Bestehen eines internationalen Haftbefehles hinsichtlich der Person des BF beinhaltete das behördliche Aktenverfahren ebenso nicht.
2.3. Zum Sicherungsbedarf:
Die Feststellungen 3.1 bis 3.5 gründen sich auf die Angaben im Akt des BVwG, auf die Angaben im abgeschlossenen Asylakt des BVwG sowie auf die Einsicht in das Zentrale Melderegister. Hinweise darauf, dass sich der BF bisher nicht kooperativ gezeigt habe, waren dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Der BF erschien selbständig vor der Behörde und wurde sogleich festgenommen. Nach Ansicht des Gerichts bestand daher für unkooperatives Verhalten bisher auch kein Raum.
2.4. Familiäre/soziale Komponente:
Die Feststellungen zu 4.1., 4.3. und 4.4. gründen sich im Wesentlichen auf die Informationen im behördlichen Akt. Daraus war zu entnehmen, dass sich der Vater in einer Pflegeeinrichtung und einer der in Österreich lebenden Brüder sich in Haft befindet. Für die Annahme sonstiger sozialer wesentlicher Beziehungen bot sich für das Gericht kein Raum, zumal der BF die letzten Monate nicht in Österreich, sondern im Kosovo in Haft befindlich gewesen ist. Da der BF erst unmittelbar vor seiner Festnahme nach Österreich gereist ist, war auch eine aktuelle Erwerbstätigkeit nicht anzunehmen, zumal diese illegal erfolgen hätte müssen.
Hinsichtlich der Feststellung zu 4.2. darf auf die kurzen Ausführungen zum Sachverhalt verwiesen werden. An diese Stelle wird festgehalten, dass die Behörde im Rahmen der Einvernahme am 26.06.2019 den BF in keiner Form zu einer Wohnmöglichkeit befragt hat. Dem Gericht scheint es wesentlich, dass der BF während des laufenden Verfahrens über eine gesicherte Unterkunft verfügen kann und auch versorgt wäre. Eine einfache Ermittlung seitens der zuständigen Gerichtsabteilung brachte klar hervor, dass der BF problemlos bei seiner Tante wohnen kann und auch versorgt werden würde. Die behördlichen Ermittlungen hiezu waren mangelhaft und mussten durch das Gericht sohin ergänzt werden.
Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.:
3.1.1. Gesetzliche Grundlage: Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.
Zur Judikatur:
3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig"(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, "weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese 'Einstellungsänderung' durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken)." (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).
3.1.3. Im vorliegenden Fall ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts kein ausreichender Sicherungsbedarf gegeben. Nach der gesetzlichen Bestimmung des § 76 FPG darf Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann verhängt werden, wenn im Wesentlichen drei Elemente als erfüllt anzusehen sind. Für die rechtmäßige Verhängung der Schubhaft in diesem Fall sind eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Fremden, Fluchtgefahr und eine Verhältnismäßigkeit der Schubhaft essentiell. Im Rahmen einer klassischen Schubhaftprüfung geht das Gericht insofern davon aus, dass bereits das Fehlen einer dieser drei Elemente zur Unrechtmäßigkeit der Schubhaftverhängung führt. Hinsichtlich des Elementes der Fluchtgefahr hat das Gericht sohin erwogen:
Ausgehend von den behördlichen Feststellungen zur Fluchtgefahr geht das Gericht diesen folgend davon aus, dass das bisherige Verhalten des BF bzw. seine derzeitigen Lebensumstände lediglich die Anwendung des Tatbestandes des § 76 Abs. 3 Z. 9 nahelegen. So hat auch die Behörde lediglich die Erfüllung dieses Tatbestandes bescheidmäßig angenommen. Wie aus den Feststellungen ersichtlich, geht der BF im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Dieser Umstand alleine, ist jedoch nicht geeignet, bereits von Fluchtgefahr auszugehen. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass das Verfahren nicht ergeben hat, dass der BF wesentlich ins Gewicht fallende freundschaftliche soziale Beziehungen in Österreich aufrecht hält. Anders sieht die Sache jedoch aus, wenn man die familiären Verhältnisse des BF näher betrachtet. Bereits das behördliche Verfahren hat ergeben, dass sich in Österreich zwei Brüder und der Vater leben. In Zusammensicht mit den seinerzeitigen Feststellungen im bereits abgeschlossenen Asylverfahren 2015/2016 zeigt sich, dass jedenfalls zwischen dem BF und seinem Vater eine sehr enge Beziehung bestanden hat, sodass das BVwG seinerzeit sogar von einer Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung ausgegangen ist. Diese enge Bindung wurde in der Zwischenzeit durch eine Haft des BF in seiner Heimat unterbrochen. Es bleibt aber klar zu sehen, dass der BF nunmehr abermals sehr bemüht ist, wieder guten Kontakt zumindest zu seinem Vater aufzunehmen. Im Lichte der Erkenntnisse aus dem abgeschlossenen Asylverfahren ist das für das erkennende Gericht auch durchaus plausibel. Es stellt sich daher für das Gericht schon dar, dass der BF im Inland über relevante familiäre Beziehungen verfügt, zumal das gerichtliche Verfahren ergeben hat, dass in Österreich auch noch ein Onkel und eine Tante leben, die dem BF derart nahestehen, dass sie auch bereit sind, ihn bei sich aufzunehmen.
Aufgrund der zu diesem Punkt durchgeführten gerichtlichen Überprüfung ergibt sich, dass der BF nach Ansicht des Gerichtes im Inland über ein soziales Netz verfügt, dass ihn von einem Untertauchen in die Anonymität abhalten könnte. Das Gericht bewertet daher seine vorliegenden familiären Verbindungen in Österreich als durchaus relevant und beachtenswert. Hinzu kommt, dass, wie bereits erwähnt, der BF bei seiner Tante einen Wohnsitz begründen kann und so für die Behörde an einer konkreten Adresse greifbar sein könnte. Es ist zwar richtig, dass der BF sich bisher im Inland nicht angemeldet hat. Geht man jedoch davon aus, dass seine Aussage, am selben Tage seiner Einreise bereits zur Behörde gegangen zu sein, richtig ist, so trifft ihn diesbezüglich auch noch keine Meldeverpflichtung (Meldegesetz). Da sich der BF auch bisher nicht unkooperativ gezeigt hat (hiezu war auch noch keine Gelegenheit) sieht das Gericht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des relevanten Verhaltens des BF eine tatsächliche Fluchtgefahr nicht für gegeben an, zumal auch das unaufgeforderte Erscheinen des BF vor der Behörde tendenziell keinen Rückschluss zulässt, dass der BF sich vor der Fremdenbehörde verborgen halten wollte bzw. will.
Im Ergebnis geht das erkennende Gericht im vorliegenden Fall daher nicht von Vorliegen eines ausreichenden Sicherungsbedarfs aus und war die Schubhaft für rechtswidrig zu erklären. Eine Prüfung der weiteren notwendigen Voraussetzungen für die Schubhaftverhängung (Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhältnismäßigkeit der Schubhaft) konnte daher in weiterer Folge entfallen.
3.1.4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war aufgrund des bereits auf der Aktenlage begründeten geklärten Sachlage nicht erforderlich. Die durch das Gericht erfolgte ergänzende Ermittlung war ohne die gerichtliche Einvernahme im Rahmen einer Verhandlung problemlos möglich und konnte die Verhandlung sohin unterbleiben. Die Durchführung einer Verhandlung wurde von der Behörde auch nicht beantragt.
3.2.0. Ein Kostenzuspruch war nicht geboten, da keine der Parteien einen diesbezüglichen Antrag gestellt hat.
Zu Spruchpunkt II. - Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft
Die getroffenen Feststellung und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihres Zukunftsbezuges keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernden Umstände erkennen. Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung auch die Voraussetzungen für eine nunmehr anschließende rechtmäßige Schubhaft nicht vorliegen.
Zu Spruchpunkt B. - Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.
Schlagworte
familiäre Situation, gelinderes Mittel, Rechtswidrigkeit, Schubhaft,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W171.2220715.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.08.2019