TE Vfgh Erkenntnis 2007/9/25 B572/07

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Veröffentlicht am 25.09.2007
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

DSt 1990 §77
StPO §353

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durchAbweisung des Antrags auf Wiederaufnahme eines Disziplinarverfahrensgegen einen Rechtsanwalt; keine vorwegnehmende Beweiswürdigung beiPrüfung des Vorliegens geeigneter Gründe für einen Freispruch odereine Strafmilderung; vertretbare Annahme des Nichtvorliegens "neuer"Beweismittel

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 21. Februar 1997 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe seit Juli 1991 einen Rechtsanwalt als Treuhänder an der Erfüllung von dessen Verpflichtung gegenüber zweier Banken zur Verbücherung von Pfandrechten zur Sicherstellung von Krediten ob mehrerer Liegenschaften entgegen übernommener Verbindlichkeiten gehindert. Hiedurch habe er das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen und wurde zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße in der Höhe von ATS 100.000,- sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 7. September 1998 keine Folge gegeben.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes abgewiesen (VfSlg. 16.008/2000).

2. Am 27. Dezember 2000 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 9. März 2001 abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der OBDK vom 16. Dezember 2002 keine Folge gegeben.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes abgewiesen (VfSlg. 17.151/2004).

3. Am 7. Juli 2005 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens. Begründend berief er sich auf Zeugenaussagen in Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und dem Landesgericht Wiener Neustadt sowie auf ein Schreiben eines Rechtsanwaltes.

Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 7. Dezember 2005 abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Beschluss der OBDK vom 27. November 2006 keine Folge gegeben. Begründend wird ausgeführt, dass weder neue Tatsachen noch neue Beweismittel iSd §352 Z2 StPO hervorgekommen seien.

4. Gegen diesen als Bescheid zu wertenden Beschluss der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht geltend gemacht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Verfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer behauptet eine Verletzung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde die Beweisergebnisse, die der Beschwerdeführer für sich ins Treffen führt, gewürdigt habe, ohne dass diese im bisherigen Verfahren verwendet worden wären, womit sie einen Akt vorwegnehmender Beweiswürdigung gesetzt habe.

2.2. §77 Disziplinarstatut 1990, BGBl. 474/1990, zuletzt geändert durch BGBl. I 71/1999, lautet:

"Sinngemäße Anwendung von Bestimmungen der

Strafprozeßordnung

§77. (1) Für die Berechnung von Fristen, die Beratung und Abstimmung sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozeßordnung.

(2-3) (...)"

§353 Strafprozessordnung (im Folgenden: StPO), BGBl. 631/1975, lautet:

"§353. Der rechtskräftig Verurteilte kann die Wiederaufnahme des Strafverfahrens selbst nach vollzogener Strafe verlangen:

1. wenn dargetan ist, daß seine Verurteilung durch Fälschung einer Urkunde oder durch falsches Zeugnis oder Bestechung oder eine sonstige strafbare Handlung einer dritten Person veranlaßt worden ist;

2. wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen; oder

3. wenn wegen derselben Tat zwei oder mehrere Personen durch verschiedene Erkenntnisse verurteilt worden sind und bei der Vergleichung dieser Erkenntnisse sowie der ihnen zugrunde liegenden Tatsachen die Nichtschuld einer oder mehrerer dieser Personen notwendig anzunehmen ist."

2.3. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Tatsachen oder Beweismittel sind neu iSd §353 Z2 StPO, wenn sie entweder in früheren Verfahren nicht zur Kenntnis des Gerichts gelangt oder ihm erst später zugänglich geworden sind. Für das Verfahren der Wiederaufnahme ist nach dem Wortlaut des §353 Z2 StPO maßgeblich, dass die neu beigebrachten Tatsachen oder Beweismittel die Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen geeignet erscheinen. Die in diesem Verfahren notwendige Prüfung der Eignung stellt keine vorwegnehmende Beweiswürdigung dar.

Der belangten Behörde kann auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass die vom Beschwerdeführer beigebrachten Beweismittel nicht "neu" iSd §353 Z2 StPO sind. Spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung dieser Frage nicht anzustellen.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Wiederaufnahme, Strafprozeßrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B572.2007

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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