Entscheidungsdatum
24.06.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W263 2149603-1/44E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Christina KERSCHBAUMER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den XXXX , wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich des Antrags auf auf internationalen Schutz vom 19.07.2014 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Dem Antrag vom 19.07.2014 wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, (im Folgenden: die BF) reiste in das österreichische Bundegebiet ein, wo sie am 19.07.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
2. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die BF zusammengefasst an, sie sei am XXXX in XXXX , Afghanistan, geboren. Sie sei traditionell verheiratet, ihre Muttersprache sei Dari, welche sie in Wort und Schrift beherrsche, sie gehöre der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Sie habe keine Ausbildung bzw. sei Analphabetin. Als Familienangehörige im Herkunftsstaat oder anderem Drittstaat gab die BF ihre verstorbenen Eltern, ihren Ehemann XXXX , XXXX Jahre alt, sowie ihren Sohn XXXX ,
XXXX Jahre alt und ihre Töchter XXXX , XXXX Jahre alt und XXXX ,
XXXX Jahre alt an. Ihr Sohn XXXX sei XXXX Jahre alt und in Österreich aufhältig, sein genaues Geburtsdatum könne sie nicht angeben. Als ihren Wohnsitz in Afghanistan gab sie XXXX , XXXX , an. Sie habe in XXXX , XXXX , Afghanistan ungefähr sieben Jahre lang gewohnt und in XXXX , XXXX . Sie habe noch nie gearbeitet. Weder die BF noch ihre Familie würden Ländereien/Grundstücke etc. besitzen. Ihre finanzielle Situation und die ihrer Familie sei schlecht. Freunde würden für ihre Kinder sorgen, ihr Ehemann sei verschollen. Sie habe vor 17 Jahren den Entschluss zur Ausreise aus Afghanistan gefasst und sei von XXXX aus ausgereist. Sie habe die letzten 17 Jahre in XXXX , Pakistan, bis zu ihrer Ausreise nach Österreich gelebt.
Befragt zu ihren Fluchtgründen, gab die BF an, ihr Ehemann habe Grundstücksstreitigkeiten mit seinen Brüdern gehabt. Seit sieben Jahren sei ihr Ehemann verschollen. Ihre Schwager seien sehr grausam und gemein zu ihr gewesen. Sie habe immer die ganze Hausarbeit für die ganze Familie machen müssen und wenn es nicht gepasst habe, sei sie geschlagen worden.
Weiters gab sie u.a. an, in Ungarn bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt zu haben und Ungarn nur verlassen zu haben, weil einer ihrer Söhne in Österreich aufhältig sei.
3. Beginnend mit 25.07.2014 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) Dublin-Konsultationen mit Ungarn. Am 01.08.2014 teilten die ungarischen Behörden mit, dass die BF am 16.07.2014 in Ungarn einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und Ungarn eine Rücküberstellung akzeptiere.
4. Am 27.08.2014 fand eine Einvernahme der BF durch das BFA statt. Die BF gab zu ihrem gesundheitlichen Zustand an, sie sei nur etwas doch einander wegen dem ganzen Stress, aber sonst gehe es sehr gut. Sie nehme auch keine Medikamente. Sie denke, ihr Sohn lebe seit etwa fünf Jahren in Österreich. Er habe eine Aufenthaltsbewilligung. Das letzte Mal habe sie in Pakistan in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Sohn gelebt, aber an die Zeit könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie habe außer ihrem Sohn niemanden. Als sie gehört habe, dass er krank geworden sei - er habe Hepatitis und auch psychische Probleme - habe sie zu ihrem Sohn wollen. Er sei früher auch geschlagen worden, darum habe er Probleme. Sie sei beim Deutschkurs gewesen, aber weil sie sich sehr viele Sorgen um ihren Sohn mache, habe sie diesen zusammengefasst abgebrochen. Die BF sei eine alleinstehende Frau und eine Hazara und werde von den anderen Hazara nicht in Ruhe gelassen. Sie sei wegen ihres ältesten Sohnes hier; sie wolle hier in Österreich bleiben und ihre ganze Familie hierher bringen. Drei Kinder seien in Pakistan.
In Ungarn habe sie andere Angaben zu ihren persönlichen Daten ( XXXX , geb. XXXX ) gemacht, weil sie dort nicht bleiben haben wolle. Sie habe zu ihrem kranken Sohn gewollt und wolle auch ihre Kinder aus Pakistan holen.
5. Im weiteren Verfahrensverlauf sprach das BFA mit Bescheid vom 10.11.2014 aus, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 19.07.2014 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen werde. Für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz sei gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Ungarn zuständig. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG werde gegen die BF die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der BF nach Ungarn zulässig.
6. Gegen den Bescheid vom 10.11.2014 erhob die BF mit Schreiben vom 13.11.2014 Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte der Beschwerde mit Beschluss vom 01.12.2014 aufschiebende Wirkung zu. Mit Beschluss vom 23.12.2014 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG statt und behob den bekämpften Bescheid. Das Bundesverwaltungsgericht begründete dies insbesondere damit, dass es das BFA trotz entsprechender Hinweise unterlassen habe, Ermittlungen zum Krankheitsbild des Sohnes der BF und zu eventuellen Betreuungserfordernissen anzustellen. Das BFA habe ggf. in Hinblick auf die Voraussetzungen des Art. 16 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zu ermitteln, ob entsprechende Unterstützungsleistungen durch die BF erbracht werden können und ob diese von ihr und ihrem Sohn auch erwünscht seien.
7. Im weiteren Verfahrensverlauf erfolgte insbesondere die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme, die ergab, dass der Sohn der BF aus ärztlicher Sicht keiner Pflege durch andere Personen bedürfe.
8. Im weiteren Verfahrensverlauf wurden medizinische Unterlagen der BF in Vorlage gebracht, aus welchen sich als Diagnose inbs. XXXX ergibt.
9. Nach einer gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 05.05.2015 lagen hinsichtlich des Sohnes der BF folgende Schlussfolgerungen vor: Zur Zeit der ersten Befundaufnahme im Februar hätten sich Symptome, die mit dem XXXX in Zusammenhang stehen dürften, gefunden. Weiters hätten sich bereits explorierbar dysfunktionale Strategien zur Konfliktlösung gefunden. Bei der zweiten Exploration im April liege eine deutliche Besserung vor; Weglassen der XXXX ; nach den Angaben aber noch immer Tendenzen zur Selbstschädigung, Aggressionsdurchbrüche, Impulskontrollstörungen "wenn jemand etwas Falsches sage". Daher könne der Verdacht auf eine Persönlichkeitsakzentuierung mit Neigung zu emotionaler Instabilität mit Selbstschädigung gestellt werden. Für eine andere Störung würden derzeit keine Hinweise bestehen. Bei der Untersuchung sei keine suizidale Einengung hervorgekommen. Es bestehe aus ärztlicher Sicht kein Bedarf einer Pflege durch andere Personen. Therapeutische und medizinische Maßnahmen wären nicht anzuraten.
10. Weiters wurde die Krankheitsgeschichte der BF während des Aufenthalts in der XXXX eingeholt.
11. Mit Bescheid vom 29.05.2015 sprach das BFA abermals aus, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 19.07.2014 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen werde. Für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz sei gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Ungarn zuständig. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG werde gegen die BF die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Ungarn zulässig.
12. Die BF erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde vom 02.06.2015. Darin wurde u.a. erneut ausgeführt, dass die BF in ständigem Kontakt mit ihrem Sohn sei. Sie versuche ihn jetzt schon zu unterstützen, wo sie nur könne. Sie wolle auch unbedingt mit ihm zusammen wohnen, um seine Betreuung besser gewährleisten zu können, doch sei dies aufgrund der Gebietsbeschränkung derzeit nicht möglich. Die BF leide sehr stark unter der momentanen Situation; sie würde - sobald es geht - zu ihrem Sohn und dessen Lebensgefährtin ziehen, um diese zu unterstützen und ihrem Sohn in seinem Genesungsprozess die mütterliche Fürsorge, die er so dringend brauche, und jegliche Unterstützung zukommen zu lassen.
13. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte der Beschwerde mit Beschluss vom 16.06.2015 aufschiebende Wirkung zu.
14. Nach dem Bericht des XXXX vom 19.06.2015 sei eine E-Mail von
XXXX eingelangt, worin diese die BF beschuldigte, hinsichtlich ihres Asylantrages falsche Angaben gemacht zu haben. Die Person sei unter der angeführten Kontaktnummer erreicht und befragt worden. Die Person habe die Angaben neuerlich bestätigt und mitgeteilt, dass sie dies vom sogenannten Sohn wisse, weil dieser der Freund ihrer Tochter wäre. Nach der E-Mail laute der richtige Name der BF XXXX . Sie sei verheiratet und habe zwei Kinder. Sie habe einen Mann in Pakistan kennengelernt und sei dann in den Iran gereist. Dann habe sie jemand andes bis nach Ungarn gebracht. Später wäre sie nach Österreich gekommen und habe hier unrichtige Angaben gemacht (ihr Mann sei tot, ihr Sohn lebe in XXXX ).
15. Das Bundesverwaltungsgericht gab mit Beschluss vom 15.07.2015 der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG statt, ließ das Verfahren zu und behob den bekämpften Bescheid.
16. Mit Schreiben vom 14.09.2015 wurde ein fachärztliches Schreiben vom 07.09.2015, aus welchem sich die Diagnosen XXXX , XXXX , XXXX ,
XXXX , ergeben, in Vorlage gebracht.
17. Am 07.03.2016 fand eine Einvernahme der BF durch das BFA zum Antrag auf internationalen Schutz vom 19.07.2014 statt. Die BF gab dabei zusammengefasst weiter an:
Sie habe Probleme mit der Familie ihres Mannes gehabt, sie sei wie eine Bedienstete behandelt worden, wie ein Knecht, sie sei immer wieder geschlagen worden. Als afghanische Frau habe sie keine Rechte in Afghanistan gehabt, sie habe sich selbst kein Dokument besorgen können. Sie könne auf Deutsch nicht antworten, sie besuche keinen Deutschkurs, sondern ein Paar lerne mit ihr Deutsch. Sie besuche selbstständig das Krankenhaus. Sie habe keinen Deutschkurs besucht. Sie mache keine Kurse oder Ausbildung. Sie bejahte, lesen und schreiben zu können. Sie habe keine Schule besucht, aber habe die Koranschule besucht und könne deswegen etwas lesen und schreiben.
Sie sei religiös, habe aber noch keine Moschee besucht. Befragt, warum sie kein Kopftuch trage, gab sie an, dass sie ein freies Leben führen wolle und nicht wie eine Gefangene in einem Gefängnis. Sie treibe regelmäßig Sport, ein österreichisches Pärchen besuche sie regelmäßig und zwei bis dreimal in der Woche lerne sie Deutsch. Ihr Knie sei in Afghanistan gebrochen gewesen und es werde demnächst in Österreich operiert. Sie wollen einem Restaurant arbeiten, als Köchin. Sie lebe nicht in einer Ehe, eheähnlichen Beziehung oder einer dem gleichkommenden Partnerschaft.
Sie sei Angehörige der Hazara und der Schiitin.
Ihr Mann sei verschollen, für sie sei es so, als ob er gestorben sei und sei sie somit verwitwet. Sie habe vier Kinder. Ihr Mann sei XXXX Jahre alt. Als sie ihn geheiratet habe, sei er ein alter Mann von XXXX Jahren gewesen. Auf Vorhalt, dass der Ehemann demnach nur acht Jahre älter als die BF sei, führte diese zuerst an, das acht Jahre ein großer Unterschied seien und dann, dass er bei der Eheschließung XXXX und sie XXXX Jahre alt gewesen sei. Sie habe der XXXX bekannt gegeben, dass sie eine Scheidung wolle und sei ihr gesagt worden, dass eine Scheidung in seiner Abwesenheit organisiert werden könne.
Sie sei zu schwach gewesen, ihre Kinder aus Pakistan mitzunehmen. Ihr Schwager habe ihren Sohn nach Österreich geschickt.
Ihr Schwager XXXX , wohnhaft in Afghanistan, habe zu ihrem Ehemann gesagt, er solle nach Afghanistan zurückkehren, damit er die Grundstücksstreitigkeiten beseitigen könne. Der Ehemann sei nach Afghanistan gegangen und sei nicht mehr zurückgekommen.
Der Halbbruder ihres Ehemannes XXXX habe die BF immer derartig misshandelt, wenn sie geblieben wäre, dann hätte er sie umgebracht. Nach Vorhalt, dass dieser Schwager sie nach ihren Angaben finanziell unterstützt habe, gab die BF an, er habe aus eigenem Nutzen XXXX weggeschickt, damit er ein Auge auf die BF haben könne. Es habe sexuelle Übergriffe seitens XXXX gegeben. Daraufhin wurde die Einvernahme zur Bestellung einer weiblichen Dolmetscherin abgebrochen.
18. Eine weitere Einvernahme fand am 06.07.2016 statt. Die BF gab dabei auszugsweise zusammengefasst an, dass sie einen Asylantrag stelle, weil sie, wenn sie dort geblieben wäre, gestorben wäre. Es sei ihr viel Unrecht widerfahren; Dinge, die sie nicht erzählen könne. Er habe sie jeden Tag geschlagen; es gehe ihr sehr schlecht; sie könne immer noch nicht gut schlafen; sie sei so geschlagen worden, dass ihr Bein und Knie gebrochen seien, sie sei geschlagen worden, dann habe sie aufstehen und arbeiten müssen. Zusammengefasst sei es immer wieder zu Übergriffen gekommen.
Sie sei letztmals vor 17 Jahren in Afghanistan aufhältig gewesen. Ihr Ehemann sei nach Afghanistan zurückgekehrt und dann nie wieder zurückgekommen; es sei neun Jahre her; für sie sei er gestorben, sie sehe sich als Witwe, sie wolle das nicht mehr.
Es habe Probleme in Afghanistan gegeben, ihr Mann sei in viele Feindschaften und Streitigkeiten verwickelt gewesen, man habe ihn umbringen wollen. Es gebe Streitigkeiten mit seinem älteren Bruder wegen Grundstücken und Geld. Der ältere Bruder ihres Mannes habe zu ihm gesagt, er würde seine Frau und Kinder umbringen. Dieser Bruder habe der BF die Schuld für die Streitigkeiten gegeben.
In Afghanistan habe sie keine Schule besucht und die Gelegenheit gehabt, lesen und schreiben zu lernen. Sie sei sehr glücklich, dass sie es hier gelernt habe.
Im Augenblick halte sie den Ramadan nicht ein.
Im Fall einer Rückkehr befürchte sie, als Frau geschlagen zu werden und dass sie sich nicht frei bewegen könne. Ihr Schwager sei mit ihr verfeindet, deshalb hätten sie ja nach Pakistan müssen. Eine Frau habe in Afghanistan kein Recht auf das Leben; erst hier habe sie verstanden, wie man als Menschen leben könne. Keiner schlage sie, sie könne selbst einkaufen gehen. Sie werde unabhängig vom Geschlecht respektiert.
Sie habe gelegentlichen telefonischen Kontakt zu ihrem in Österreich aufhältigen Sohn.
Das BFA hielt weiter fest, dass die BF kein Kopftuch trage und westlich, modern gekleidet sei (langärmliges T-Shirt und Jeans).
19. Mit Schreiben vom 03.02.2017 erhob die BF Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG und führte darin aus, dass sie am 19.06.2014 (wohl: 19.07.2014) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Am 06.07.2016 habe zwar eine Einvernahme stattgefunden, aber es liege immer noch keine Entscheidung vor. Es werde daher die Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG geltend gemacht. Als Beweis werde auf den beizuschaffenden Akt verwiesen.
20. Mit Schreiben vom 07.03.2017 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde vor.
21. Das Bundesverwaltungsgericht wies in weiterer Folge die Beschwerde mit Erkenntnis vom XXXX , XXXX , ab.
22. Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0236-8, das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf und übermittelte die Verfahrensakten an das Bundesverwaltungsgericht.
23. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.09.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF und ihr Rechtsvertreter teilnahmen und der eine Dolmetscherin für die Sprache Dari beigezogen wurde. Dabei wurde u.a. rasch festgehalten, dass aufgrund des persönlichen Eindrucks und der vorgelegten Unterlagen insbesondere Zweifel an der Aussagetüchtigkeit und Vernehmungsfähigkeit der BF aufgetreten seien, die es erforderlich machen, die BF einer fachmedizinischen Begutachtung durch eine Sachverständige aus dem Gebiet Psychiatrie und Neurologie zu unterziehen. Die BF erlitt in der Folge (wohl:) einen Krampfanfall.
24. In weiterer Folge wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein psychiatrisch/neurologische Sachverständigengutachten vom 07.12.2018 eingeholt.
25. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.12.2018 und am 27.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF und ihr Rechtsvertreter teilnahmen und der eine Dolmetscherin in für die Sprache Dari beigezogen wurde. Das BFA nahm jeweils nicht teil.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der BF:
Die volljährige BF führt den Namen XXXX , alias XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der (schiitischen) Hazara und Schiitin. Ihre Muttersprache ist Dari; sie verfügt auch über Sprachkenntnisse in Farsi und Englisch.
Es kann nicht festgestellt werden, wo ihr Ehemann aufhältig ist bzw. ob er verschollen oder verstorben ist.
Es kann nicht festgestellt werden, dass XXXX , männlich, ca. 13 Jahre alt, XXXX , weiblich, ca. 25 Jahre, verheiratet, XXXX , weiblich, ca. 17 Jahre alt, wohnhaft in XXXX , Pakistan, die leiblichen Kinder der BF sind. Diese Personen besitzen keine Identitätsdokumente.
Es kann nicht festgestellt werden, dass XXXX , geb. XXXX , aufhältig in Österreich, der leibliche Sohn der BF ist.
Mit Urteil des XXXX zu XXXX vom 19.03.2014 wurde XXXX wegen § 125 StGB, § 127 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieses Urteil erwuchs mit 25.03.2014 in Rechtskraft.
Mit Urteil des XXXX zu XXXX vom 03.06.2014 wurde XXXX wegen § 27 Abs. 1 Z 1 erster Fall SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG, § 27 Abs. 2 SMG, § 134 Abs. 1 StGB, § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Monaten verurteilt, wobei die bedingte Nachsicht der Strafe später widerrufen wurde. Dieses Urteil erwuchs mit 06.06.2014 in Rechtskraft.
Mit Urteil des XXXX zu XXXX vom 02.05.2017 wurde XXXX wegen § 15 StGB, § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von einem Monat verurteilt. Dieses Urteil erwuchs mit 06.05.2017 in Rechtskraft.
Mit Urteil des XXXX zu XXXX vom 31.08.2018 wurde XXXX wegen § 125 StGB, § 27 Abs. 2a SMG § 15 StGB, § 15 StGB § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Dieses Urteil erwuchs mit 03.09.2018 in Rechtskraft und befindet sich XXXX in Haft.
Bestehende familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte der BF in Afghanistan oder Pakistan konnten nicht festgestellt werden. Derzeit handelt es sich bei der BF um eine alleinstehende Frau, die über keine afghanischen bzw. pakistanischen Identitätsdokumente verfügt.
Die BF ist im Distrikt XXXX , Provinz Maidan Wardak, Afghanistan geboren und lebte zuerst dort und anschließend in XXXX sowie 17 Jahre in XXXX , Pakistan.
Die BF besuchte in Afghanistan eine Koranschule und kann Dari lesen und schreiben.
Sie war in Afghanistan nicht berufstätig, in Pakistan war sie als Haushaltshilfe tätig.
Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Die BF besuchte zwischenzeitlich Deutschkurse und verfügt bereits über gewisse, geringe Deutschkenntnisse. Die BF war bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Typischerweise verbringt sie ihren Alltag in der Asylunterkunft, macht dort Hausarbeit und geht morgens und nachmittags spazieren. Sie hat österreichische und afghanische Freunde.
Die BF leidet an einer reaktiven depressiven Störung mit Neigung zu dissoziativen Anfällen in Belastungssituationen. Maßgebliche körperliche Beeinträchtigungen der BF liegen nicht vor.
1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:
Die BF stellte am 19.07.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Die BF trifft als alleinstehende Frau ohne (afghanische bzw. pakistanische) Identitätsdokumente und ohne effektiven Schutz eines Mannes bzw. ihrer Angehörigen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das Risiko in ihrer Heimatprovinz Maidan Wardak sowie in XXXX und insb. in den Städten Mazar-e Sharif und Herat Opfer von Übergriffen erheblicher Intensität zu werden, gegen die kein ausreichender Schutz sichergestellt wäre.
Die BF persönlich ist in Afghanistan keiner Verfolgung und damit einhergehenden physischen und/oder psychischen Gewalt wegen Grundstückstreitigkeiten ihres Ehemannes mit dessen Verwandten bzw. durch dessen Verwandte ausgesetzt.
Weiters ist konkret die BF nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara in Afghanistan - konkret auch in Maidan Wardak, Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat - einer gegen ihre Person gerichteten psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt bzw. hätte sie eine solche im Falle ihrer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Damit im Zusammenhang stehend, ist ebenso wenig jede/r Angehörige/r der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan und konkret in Maidan Wardak, Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
Konkret die BF ist auf Grund der Tatsache, dass sie sich in Pakistan und Europa aufgehalten hat in Afghanistan keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt bzw. hat sie (oder jede/r derartige Rückkehrer/in) eine solche im Falle der Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.
Die BF ist in ihrem Herkunftsstaat und auch ihrer Herkunftsregion alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Bei der BF handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, deren persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen steht, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Zwar war die BF in der mündlichen Verhandlung bemüht, einen selbstbestimmten Eindruck zu hinterlassen. Es ist war jedoch nicht erkennbar, dass die BF eine "westliche" Lebensweise angenommen habe, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, sodass von ihr nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen.
Es konnte weder ein Zwang zum Tragen einer Burka, noch die Unmöglichkeit des Schulbesuches, der Ausbildung und Erwerbstätigkeit von Frauen in Afghanistan glaubhaft gemacht werden.
Die BF hat ihre schiitische Religionszugehörigkeit nicht aus ideellen Gründen gezielt aufgegeben und abgelegt und ist eine areligiöse Überzeugung auch kein wesentlicher Bestandteil der Identität der BF geworden bzw. versteht sie eine Konfessionslosigkeit nicht als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, das sie auch in Afghanistan leben wird.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die BF areligiöse Interessen im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (losgelöst vom hier gegenständlichen Verfahren) weiter nachkommen würde oder diese bzw. eine Konfessionslosigkeit nach außen zur Schau tragen würde. Es ist nicht davon auszugehen, dass die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld der BF von einer areligiösen Überzeugung oder einer Konfessionslosigkeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden oder bereits erlangt hätten.
Es ist insgesamt nicht davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer Apostasie bzw. Konfessionslosigkeit psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Es liegen keine Gründe vor, aufgrund derer die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten auszuschließen ist.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 in der Fassung vom 08.01.2019 (verbliebene Fehler im Original, Nummerierung geändert):
"1.3.1.1. Neuste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl ...
Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul
Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).
Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl
...
Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).
...
KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul ...
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).
Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).
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KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern ...
...
Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).
...
Zivile Opfer
Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).
...
Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:
davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).
Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).
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KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 ...
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:
Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).
Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptstädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).
Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).
Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).
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Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).
Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).
Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).
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Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokoll V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA
15.7.2018).
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KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul ...
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IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018
Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).
IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018
Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).
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KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018 ...
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IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018
Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).
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Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).
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IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018
Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).
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1.3.1.2. Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
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Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
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Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
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Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC
29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara
11.6.2018).
• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018).
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• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
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• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
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• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erh