TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/26 W171 1422025-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.06.2019
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Entscheidungsdatum

26.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W171 1422025-2/16E

W171 1422026-2/13E

W171 1422028-2/13E

W171 1427774-2/14E

W171 1422027-2/15E

W171 2170363-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. und III. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. und III. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird den Beschwerden gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. und III. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. und III. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. und III. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird den Beschwerden gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, vertreten durch die Mutter XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I., II. und III. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1.1. Die damals minderjährige Drittbeschwerdeführerin (in der Folge: BF3) reiste nach eigenen Angaben illegal nach Österreich ein und stellte am 05.06.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei ihrer Erstbefragung am 06.06.2010 gab sie an, dass sie auf Wunsch ihres Vaters ihre Heimat verlassen habe. Sie sei nicht verfolgt worden.

1.2. Die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Viertbeschwerdeführerin (BF4) stellte am 03.02.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei ihrer Erstbefragung am 01.10.2011 gab sie an, dass sie an Tuberkulose erkrankt sei. Ihre Tante habe in Erfahrung gebracht, dass in Österreich eine Behandlung ohne Operation möglich sei, deshalb sei sie mit ihrer Cousine nach Österreich gekommen.

1.3. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) reisten mit dem damals minderjährigen Fünftbeschwerdeführer (BF5) illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 04.07.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF1 wurde am 04.07.2011 erstbefragt und gab an, dass er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, da sein Bruder XXXX , welcher inzwischen in Österreich sei, in Russland verdächtigt werde, einer bewaffneten Gruppierung anzugehören. Der BF1 sei aufgefordert worden, seinen Bruder den Behörden auszuliefern. Da ihm dies nicht möglich gewesen sei, habe er selbst mit seiner Familie flüchten müssen. Es sei dem BF1 gedroht worden, dass er für die Taten seines Bruders zur Verantwortung gezogen werde, wenn er seinen Bruder nicht ausfindig mache.

Die BF2 gab an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe, sondern aus den Gründen ausgereist sei, welche ihren Mann zur Ausreise veranlasst hätten. Die BF3 habe schwer an Tuberkulose gelitten, deshalb hätten sie sie als erste nach Österreich geschickt. Da die BF4 auch an Tuberkulose leide, hätten sie sie ebenfalls nach Österreich geschickt.

1.4. Der BF1 wurde am 14.09.2011 im Bundesasylamt niederschriftlich befragt und gab zusammengefasst an, er habe einen russischen Auslandreisepass besessen. Dieser sei aber in Polen verblieben. Die gesamte Familie habe Auslandsreisepässe gehabt. Den Pass habe sich der Beschwerdeführer ungefähr im April/Mai 2011 ausstellen lassen. Er sei auch persönlich am Passamt gewesen und habe 10.000,-- Rubel bezahlt, damit der Auslandreisepass schnell ausgestellt werde. Bei der Auslandsreisepassausstellung habe es keine Probleme gegeben. In Österreich lebe der ältere Bruder des BF1 als anerkannter Flüchtling. Sein jüngerer Bruder XXXX sei Asylwerber in Österreich. Auch die zwei Schwestern lebten in Österreich. Im Herkunftsstaat würden die Mutter des BF1 und ein Neffe leben. Der BF1 sei wegen seines Bruders XXXX ausgereist. Man habe XXXX verdächtigt, sich im Heimatland an Kriegshandlungen beteiligt zu haben und Widerstandskämpfer gewesen zu sein. Er wisse nicht genau, wann sein Bruder XXXX das Land verlassen habe, vermutlich vor zwei oder drei Jahren. Nach der Ausreise seines Bruders habe er Probleme bekommen. Kadyrow-Leute seien gekommen und hätten ihm gedroht, er werde Probleme bekommen, wenn er seinen Bruder nicht zurückbringe. Diese Leute hätten nach dem Aufenthaltsort seines Bruders gefragt und den Verdacht geäußert, dass dieser in den Wald gegangen sei. Diese Leute seien sehr oft zu ihm gekommen. Er könne aber nicht genau sagen, wer diese Leute gewesen seien. Er wisse auch nicht mehr genau, wann diese Leute das erste Mal zu ihm gekommen seien. Sie seien ungefähr ein Mal pro Monat gekommen. Einmal, ungefähr fünf oder sechs Monate vor seiner Ausreise, hätten sie dem BF1 mit dem Gewehrlauf auf die Nase geschlagen. Mitgenommen oder angehalten habe man ihn nie. Er habe schon lange ausreisen und nach Österreich fahren wollen. Aus finanziellen Gründen sei das aber nicht gegangen. Den endgültigen Entschluss habe er 2011 gefasst. Er sei nach Österreich gekommen, weil seine Töchter hier seien. Auf Nachfrage gab er an, dass er in der Russischen Föderation vorbestraft und einmal im Gefängnis gewesen sei. 2001 sei er wegen Drogenmissbrauchs zu einer fünfeinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Nach drei Jahren sei er vorzeitig entlassen worden. Nach der Haft sei er ständig unter Kontrolle der Polizeibehörden gestanden.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Die Probleme ihres Mannes seien auch ihre Probleme, mit den Behörden habe sie aber keine Probleme gehabt.

Die BF3 gab ebenfalls an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe, sie sei wegen ihres Vaters ausgereist. Im Krankenhaus in Österreich sei sie von einem unbekannten Mann angerufen worden, der von ihr verlangt habe, dass sie ihrem Onkel in Österreich Probleme machen, damit er wieder nach Hause fahre. Er habe ihr auch gedroht, dass ihre Eltern in Gefahr wären. Dieses Telefonat habe letztes Jahr, nach ihrer Einreise stattgefunden. Sie habe dann ihre Mutter angerufen und ihr gesagt, dass sie in Gefahr seien und so schnell wie möglich nach Österreich kommen sollten.

Die BF4 gab in ihrer Einvernahme am 07.12.2011 an, dass sie in erster Linie wegen ihrer Erkrankung die Russische Föderation verlassen habe. Es seien aber auch ständig Militärangehörige zu ihnen nach Hause gekommen und hätten sie kontrolliert.

1.5. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 26.09.2011 (BF1, BF2, BF3, BF5) bzw. vom 12.12.2011 (BF4) wurden die Anträge gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 leg. cit. wurde den BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. wurde den BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.10.2012 erteilt.

Begründend wurde ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen des BF1 aufgrund mehrere Widersprüche nicht glaubhaft sei. Aufgrund der problematischen Lage in Tschetschenien bestünden jedoch stichhaltige Gründe für die Annahme, das seine Rückkehr in den Herkunft Staat eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK bedeuten würde. Die BF3 und BF4 stünden in Österreich in ärztlicher Behandlung und liege somit ein Abschiebungshindernis vor.

1.6. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde.

1.7. Der BF1 wurde am 05.03.2012 wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 1. Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

1.8. Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , wurde Spruchpunkt I. der oben angeführten Bescheide aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt Für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das BAA die Person des Bruders des BF1, auf den er sich bezogen habe, nicht in das Verfahren einbezogen habe. Zwischenzeitlich sei dem Bruder der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden, dies sei im Verfahren jedoch nicht berücksichtigt worden. Das Verfahren erweise sich somit in einem wesentlichen Aspekt als ergänzungsbedürftig.

1.9. In einer Einvernahme am 02.02.2015 gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Bruder XXXX einen guten Freund gehabt habe, der sich den Kämpfern angeschlossen habe. Dieser Freund sei im Jahr 2006 getötet worden. Daraufhin sei auch XXXX verhaftet worden, die Polizei habe ihm ein Maschinengewehr untergeschoben und es so dargestellt, als habe sich XXXX als Kämpfer gestellt. Er habe ein Geständnis unterschreiben müssen, um frei zu kommen, und sei nach Österreich geflüchtet. Nach der Ausreise von XXXX hätten seine Probleme begonnen. Er sei gefragt worden wo sich sein Bruder aufhalte. Zwei oder drei Mal sei er auch mitgenommen worden. Dies müsse 2010/2011 gewesen sein. Einmal sei er nach ein paar Stunden wieder freigelassen worden, einmal habe er über Nacht dortbleiben müssen. Die Polizei habe ihm Angst gemacht, indem sie gesagt habe, dass sie ihm jederzeit etwas anhängen könne. Einige Male sei er auf den Kopf geschlagen worden. Deshalb habe er Probleme mit der Erinnerung und immer wieder Kopfschmerzen. Die Polizei habe ihn alle zwei bis drei Wochen aufgesucht. Drei Mal sei er mitgenommen und zwei Mal auch "nicht sehr heftig" geschlagen worden.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme am 02.02.2015 an, dass immer wieder maskierte Leute des FSB oder der Polizei zu ihnen gekommen seien und nach dem Bruder ihres Mannes gefragt hätten. Sie hätten auch die Kinder in Angst und Schrecken versetzt. Einmal habe ihr Sohn nach so einem Vorfall für vier Monate nicht gesprochen. Ihr Mann sei einmal mit einem Gewehrkolben ins Gesicht geschlagen worden. Dies sei zuhause passiert, sie habe es selbst gesehen. Einmal habe der FSB sie und ihren Mann gemeinsam mitgenommen und drei Stunden lang festgehalten. Ihr Mann sei weiters noch einmal mitgenommen worden und für vier Tage festgehalten worden. Dies habe sich in den Jahren 2010 und 2011 zugetragen.

Die BF4 gab in ihrer Einvernahme am 02.02.2015 an, dass sie am 17.01.2015 einen Sohn bekommen habe. Sie sei nicht verheiratet und wolle den Kindesvater auch nicht heiraten. Die Familie des Vaters verlange, dass sie das Kind der Familie überlasse.

In einer weiteren Einvernahme am 19.11.2015 gab die BF4 an, dass die Familie des Kindesvaters von ihr verlangt habe, dass sie auf ihr Kind verzichte. Das habe sie nicht gewollt. Daraufhin sei ihr gedroht worden, dass sie verfolgt würde, wenn sie nach Tschetschenien zurückkehre. Das Kind lebe bei seinem Vater, sie habe keinen Kontakt zu ihm. Die Familie habe ihr versprochen, dass sie das Kind sehen könne, aber sie würden sich nicht daran halten. Ihr Vater habe ihr vergeben, aber die Verwandten in Tschetschenien nicht. Sie hätten sich von ihnen losgesagt. Sie wäre deshalb bedroht und würde möglicherweise getötet werden. Sie sei nicht bedroht worden, aber eine Tante sei wegen Gerüchten getötet worden, als sie noch klein gewesen sei.

In einer weiteren Einvernahme am 19.11.2015 wurde der BF1 zur BF4 und deren minderjährigen Sohn befragt. Dabei gab er an, dass der Vater des Kindes die BF4 schlecht behandelt habe, weshalb er seine Tochter wieder zurückgeholt habe. Die Familie des Kindesvaters habe die BF4 gezwungen, das Kind abzugeben, da der Vater es ansonsten nicht anerkannt hätte. Die Großmutter väterlicherseits habe nun die Obsorge.

1.10. In einer Stellungnahme vom 02.12.2015 wurde vorgebracht, dass der BF1 von den Sicherheitskräften auf die Nase und die Stirn geschlagen worden sei und dabei eine Gehirnverletzung davongetragen habe. Dies werde durch den beiliegenden Befund bestätigt.

Der Stellungnahme lag ein Befund vom 13.11.2015 bei.

1.11. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016 wurden die Anträge von BF1, BF2, BF3, BF4 und BF5 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der mit Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt II.), die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt III.) und den BF gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt V.).

Begründend wurde aufgeführt, dass das Fluchtvorbringen des BF1 aufgrund mehrerer widersprüchlicher und ungenauer Angaben nicht glaubhaft sei. Aus dem Vorbringen hinsichtlich des unehelichen Kindes der BF4 hätten sich keine Hinweise auf eine etwaige asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat ergeben. Zur Aberkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass die Tuberkuloseerkrankung der BF3 und BF4 mittlerweile geheilt sei und daher die Gründe für eine Zuerkennung dieses Schutzes nicht mehr gegeben seien.

Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

1.12. Am XXXX wurde der Sechstbeschwerdeführer (BF6), der Sohn der BF4, im Bundesgebiet geboren. Die BF4 stellte für ihn als gesetzliche Vertreterin am 18.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.13. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2017 wurde der Antrag des BF6 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), diesem gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

1.14. In einer Stellungnahme vom 20.03.2019 zu den vom Bundesverwaltungsgericht übermittelten Länderinformationen wurde vorgebracht, dass der Bruder des BF1, XXXX , verdächtigt worden sei, an der sogenannten " XXXX " teilgenommen zu haben. Der Bruder sei schon auf dem Weg dorthin verwundet worden, sei aber dennoch als Held gefeiert worden. Er habe nur durch die Vermittlung eines Leibwächters seines Bruders XXXX freigekauft und amnestiert werden können. Später sei er unter dem Vorwand des Drogenhandels neuerlich verhaftet und zu vier Jahren schwerem Kerker verurteilt worden. Im Jahr 2010 habe er sich zur Flucht entschlossen. Der Bruder des BF1 gelte seither als Djihadist. Weiters wurde auf einen Bericht der EASO aus dem Jahr 2018 zur Lage in Tschetschenien verweisen.

Der BF1 sei aufgrund der Schädel- und Hirnverletzung und als Folge seiner TBC-Erkrankung vorübergehend berufsunfähig. Die BF2 beherrsche Deutsch auf dem Niveau B1, der BF5 spreche perfekt Deutsch. Die BF3 sei verheiratet, ihre Tochter sei wie ihr Ehemann anerkannter Flüchtling. Die BF4 sehe ihr erstes Kind, das beim Vater lebe, regelmäßig. Dieses Kind habe ebenfalls Flüchtlingsstatus erhalten.

Der Stellungnahme lagen diverse Unterlagen der Pensionsversicherungsanstalt zum BF1 bei.

1.15. In einer vor dem Bundesverwaltungsgericht am 27.03.2019 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF1, der BF2, der BF3, der BF4 und des BF5, Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und durch Einsicht in den Akt des Bundesverwaltungsgerichts.

Der BF5 gab an, dass er in Österreich die Hauptschule abgeschlossen habe und derzeit beschäftigungslos sei. Er habe in Österreich einen großen Freundeskreis und betreibe gern Sport.

Die BF4 gab an, dass sie die A2-Prüfung bisher noch nicht abgelegt habe. Sie wohne gemeinsam mit ihrem Sohn bei ihren Eltern und habe bisher noch nicht gearbeitet. Zum Vater des BF6 habe sie keinen Kontakt. Die Behandlung ihrer Tuberkulose-Erkrankung sei abgeschlossen.

Die BF3 gab an, dass sie bisher nicht zur A2-Prüfung angetreten sei. Sie wiederhole die Stufe A1 immer wieder, da sie sich Sachen nicht so gut merken könne. Ihre Tochter wohne mit ihr bei ihren Eltern. Sie sei mit dem Kindesvater, der asylberechtigt sei, traditionelle verheiratet. Sie sei gesund und habe keine regelmäßigen Arzttermine.

Die BF2 gab an, dass sie die B1-Prüfung abgelegt habe. Sie arbeite in einem türkischen Restaurant. In Tschetschenien lebten noch fünf Brüder und drei Schwestern, mit denen sie in Kontakt stehe. Ihre Tochter, die BF4, würde in Tschetschenien gesellschaftlich ausgestoßen sein, da sie zwei Kinder habe und nicht mit den Vätern zusammenlebe. Der Vater des zweiten Kindes habe die BF4 geheiratet, sei dann jedoch davongelaufen. Beim ersten Kind habe es einen großen Streit zwischen den Familien gegeben. Der Vater habe sich nicht regelkonform verhalten. Mittlerweile sei es jedoch besser. An allen arbeitsfreien Tagen würden sie das Kind zu sich nehmen oder ihre Tochter fahre zur Familie. Sie hätten mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis zur Familie des Kindesvaters.

Nach dem Krieg 2001 sei die Polizei öfters zu ihnen gekommen. Beim ersten Mal sei sie gefragt worden, ob ihr Mann sich am Krieg beteiligt habe. Ihr Mann sei mehrmals mitgenommen und auch immer geschlagen worden. Manchmal sei er auch zwei bis drei Tage weg gewesen. Dies habe 2001 begonnen. Sie sei zuhause gewesen, als ihr Mann abgeholt worden sei. Es seien nicht immer dieselben Personen gewesen. Manchmal seien sie auch maskiert gewesen. Ihr Mann sei auch in ihrer Gegenwart geschlagen worden. Ihr Schwager XXXX sei 2001 nicht mehr in Tschetschenien gewesen, er habe sich in einer Provinz an der finnischen Grenze aufgehalten. Ihre Tochter sei mit ihrem Schwager gemeinsam ausgereist. Danach sei sie mit ihrem Mann mitgenommen worden. Sie selbst habe bis 2007 gearbeitet, dann habe es immer mehr Probleme mit ihrem Mann gegeben. Sie hätten ihren Wohnort ständig gewechselt, daher hatte sie nicht mehr arbeite können.

Beim letzten Vorfall vor der Ausreise sei ihr Mann sehr schwer verletzt worden. Daher habe die Ausreise schnell gehen müssen. Sie habe daher über Verwandte die Auslandsreisepässe besorgt und 10 000 Rubel bezahlt.

Der BF1 gab an, dass er die A1-Prüfung gemacht habe. Er sei die meiste Zeit zuhause, manchmal helfe er seiner Frau bei der Arbeit im Restaurant. Er leide an Rücken-, Kopfschmerzen und Atemnot. Er hab einen Bandscheibenvorfall erlitten und Schmerzen in den Beinen, weiters eine Deformation der Halswirbelsäule. In Österreich habe er zwei Brüder, XXXX in Wien und XXXX in XXXX . Weiters habe er zwei Schwestern und zwei Cousins in Österreich. In Tschetschenien lebte noch seine Mutter, eine Schwester und ein Neffe.

Auf den Vorhalt, dass sich aus der Befragung 2011 ergebe, dass er einmal mit einem Gewehrkolben auf die Nase geschlagen worden sei, aus der Befragung anfangs 2015 sich aber ergebe, dass er zweimal ein bisschen geschlagen und nicht sehr heftig geschlagen worden sei, jedoch im Rahmen eines Gutachtens im behördlichen Verfahren sich gezeigt habe, dass Verletzungen vorlägen, die den Schluss zulassen, dass es sich um eine stärkere Misshandlung gehandelt haben könnte, gab er an, dass er vermeiden wolle, von diesem Vorfall zu sprechen. Man habe ihn damals erniedrigt, beleidigt und misshandelt.

Dem BF1 wurde vorgehalten, dass er 2011 angegeben hatte, niemals mitgenommen worden zu sein, jedoch anfangs 2015 angegeben hatte, zwei bis dreimal abgeführt worden zu sein. Dazu gab er an, dass er nicht sagen könne, ob er damals bei klarem Verstand gewesen sei oder ob irgendetwas bei der Übersetzung passiert sei. Er habe erzählt, wie es gewesen sei. Er sei ein kranker Mensch und versuche auch diese Sachen zu vergessen. In Wahrheit sei er mitgenommen worden. Vielleicht habe er 2011 Angst gehabt, oder er habe davon nicht sprechen wollen.

Auf den Vorhalt, dass er in der Einvernahme 2011 angegeben habe, seiner Frau sei in seiner Abwesenheit gedroht worden, während seine Frau in der heutigen Verhandlung dies verneint habe, gab er an, dass seiner Frau in Wahrheit überhaupt nichts passiert sei.

Auf die Frage, wie die Ausführungen in der am 02.02.2015 abgehaltenen Einvernahme zu verstehen seien, dass XXXX aus der Haft freikam und nach Österreich flüchtete, wenn man bedenkt, dass er ja so lang gesucht worden sei, gab er an, dass man in Tschetschenien unter gewissen Bedingungen freigelassen werden könne. In diesem Fall habe die Polizei Waffen gekauft und sein Bruder habe dann so getan, als ob er diese Waffen übergeben hätte. Damit habe er eingestanden, Mitglied des Widerstands gewesen zu sein und sei damit auch registriert gewesen.

Die Probleme hätten begonnen, seit sich sein Bruder mit seinem Freund, der Widerstandskämpfer gewesen sei, getroffen habe. Sie hätten in der Nacht Kontakt zueinander gehabt. Der Freund sei dann in XXXX getötet worden.

Die anwesende Rechtsvertreterin führte hierzu aus, dass sich dies nach Aussage des Bruders XXXX in dessen Verfahren im Jahr 2002 zugetragen habe.

Auf die Frage der Rechtsvertreterin, ob die Verfolger gleich zu ihm gekommen seien, als der Bruder 2002 das erste Mal inhaftiert worden sei, antwortete er, dass es jedenfalls keine fünf Jahre gedauert habe, bis sie gekommen seien. Am Anfang hätten sie nur gefragt, wo sein Bruder hingereist sei, da sei es noch nicht so schlimm gewesen.

Auf die Frage, ob er sich noch an den Vorfall 2011, bei dem ihm die Nase gebrochen worden sei, erinnern könne, gab er an, sich nicht wirklich daran zu erinnern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Ihre Identitäten stehen fest.

Der BF1 und die BF2 sind verheiratet und die Eltern der BF3, der BF4 und des BF5. Die BF4 ist die Mutter des minderjährigen BF6, der am XXXX im Bundesgebiet geboren wurde.

Die BF3 stellte am 05.06.2010, die BF4 am 03.02.2011, der BF1, die BF2 und der BF5 am 04.07.2011 und der BF6 (vertreten durch seine Mutter) am 18.07.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF haben eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft gemacht.

Nicht festgestellt werden konnte, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der BF in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Die BF leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (im Endstadium), bezüglich derer es keine Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation gibt. Die Tuberkuloseerkrankungen der BF3 und BF4 sind geheilt, sie benötigen keine medizinische Behandlung mehr. Der BF1 leidet an einer Depression und chronischen Kopfschmerzen. Ihm wurde in der russischen Föderation ein Lungenflügel entfernt.

Der BF1 wurde am 05.03.2012 wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 1. Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die anderen BF sind strafrechtlich unbescholten.

Der BF1 hat zwei Brüder und zwei Schwestern im Bundesgebiet. Beiden Brüdern wurde der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Ein gemeinsamer Haushalt oder ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Geschwistern besteht nicht.

Der BF1, die BF3 und die BF4 verfügen über geringe Deutschkenntnisse, die BF2 über Kenntnisse auf dem Niveau B1. Der BF5 spricht fließend Deutsch. Der BF1 war im Bundesgebiet bisher nicht erwerbstätig, die BF2 arbeitet in einem Restaurant. Die BF3, die BF4 und der BF5 sind derzeit nicht erwerbstätig.

Die BF3 ist Mutter einer am 24.01.2018 geborenen Tochter. Der Vater des Kindes ist in Österreich asylberechtigt. Der Tochter der BF3 wurde von diesem abgeleitet ebenfalls der Status der Asylberechtigten verliehen. Die BF3 lebt mit ihrer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt.

Die BF4 ist Mutter eines am 17.01.2015 geborenen Sohnes. Der Vater des Kindes ist in Österreich asylberechtigt, weshalb dem Kind ebenfalls der Status des asylberechtigten verliehen wurde. Die Obsorge über den Sohn hat die Großmutter väterlicherseits, bei der das Kind auch lebt. Es besteht regelmäßiger Kontakt zwischen der BF4 und ihrem Sohn.

Der Vater des am XXXX geborenen BF6 ist unbekannt, zu diesem besteht kein Kontakt.

Zur Situation in der Russischen Föderation wird festgestellt:

Kurzinformation vom 10.10.2018 (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Kurzinformation vom 10.10.2018 (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

* CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

* EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

* GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

* GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

* OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

* Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

* Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

* Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

* GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

* ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

* Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

* SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

* BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

* Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

* EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

* GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

* SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Au

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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