Entscheidungsdatum
28.06.2019Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
W208 2174031-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER im Verfahren über die durch mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2019, Zl. 1088253700/190549462, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA AFGHANISTAN:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-VG rechtmäßig.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der von der gegenständlichen Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes Betroffene (im Folgenden: Betroffener oder BF) reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.09.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz unter Angabe seines im Spruch angeführten Namens und des Geburtsdatums.
Diesen begründete der Betroffene damit, dass er Probleme mit seinem Schwager (dem Mann seiner Schwester) gehabt habe und von dessen Bruder angeschossen worden sei. Die Familie der Frau seines Bruders hätte ihn mit dem Umbringen bedroht, weshalb er geflohen sei.
In der Einvernahme vor dem BFA am 11.11.2016 führte er zusammengefasst an, es hätte seit 2006 ständig Streit mit der Familie seines Bruders (insb mit dessen Ehefrau) gegeben. Der Bruder habe sich von der Familie entfremdet und diese auch bestohlen, was ihm aber verziehen worden sei. Bei einem Familienbesuch des Bruders sei es zu einem Streit der Frauen gekommen, der zuerst zu einer Schlägerei und dann zu in eine Schießerei eskaliert sei. Der Bruder des BF habe seinen Schwager erschossen und den BF selbst am Fuß angeschossen. Dem BF habe man die Schuld am Streit gegeben und er sei nach Pakistan geflohen, wo ihn aber sein Bruder - der ihn als Zweitältesten beseitigen wolle - gefunden und durch Auftragsmörder habe töten lassen wollen, was der BF aber durch Zahlung einer Ablösesumme habe verhindern können.
2. Dieser (erste) Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.10.2017, sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Betroffenen nicht erteilt. Gegen den Betroffenen wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 10.09.2018, W104 2174031-1/13E, nach Durchführung einer Verhandlung, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Das BVwG stellte im Wesentlichen fest, dass die vom BF angeführte Familienfehde nicht glaubhaft sei.
4. Der BF reiste daraufhin nicht nach Afghanistan zurück, sondern tauchte unter und ging in die SCHWEIZ, wo er aufgegriffen und nach dem Dublin-Regime nach ÖSTERREICH überstellt wurde.
5. Am 29.05.2019 stellte der Betroffene einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag). Hierzu am selben Tag durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Flughafen SCHWECHAT erstbefragt, gab er im Wesentlichen an, dass seine alten Fluchtgründe immer noch aufrecht seien und zwei Tage nach der letzten Niederschrift in Österreich (Anmerkung BVwG: Gemeint offenbar die Verhandlung vor dem BVwG am 09.07.2018!) sei sein Bruder von den Brüdern der Schwägerin (Familienstreit) umgebracht worden.
6. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 04.06.2019 wurde dem Betroffenen mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag wegen entschiedener Sache iSd § 68 AVG zurückzuweisen und er verpflichtet sei ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
7. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2019 brachte der Betroffene vor, er habe einen Cousin in ÖSTERREICH, einen Onkel in LONDON, ein Onkel väterlicherseits namens
XXXX und der Rest seiner Familie (Eltern, Brüder, Schwestern, Frauen und seine Kinder) würden in der Provinz TAKHAR bei diesem Onkel leben. Er habe zuletzt gestern mit dem Onkel in Afghanistan telefoniert (AS 67).
Er sei arbeitsfähig, nicht in ärztlicher Behandlung nehme aber drei verschiedene Tabletten (Ibutropfen, Paracetamol und Olfen Gel) weil er im Dezember 2018 in Österreich einen Autounfall gehabt hätte. Er sei zwei Tage im Spital gewesen und habe seitdem immer wieder im Brustkorb Schmerzen und leide an Herzrasen und Schwitzen, außerdem habe er ein Zahnarzttermin am 28.06.2016, weil er neue Plomben bekommen solle (AS 69).
Zum neuerlichen Antrag führte er aus, sein Bruder Jakob sei vor ca. 7 bis 8 Monaten nach seiner Einvernahme von seinen Feinden (dieselben Leute, die er schon im Vorverfahren angegeben habe) erschossen worden. Sein Onkel habe ihm das erzählt, mehr wolle er dazu nicht sagen (AS 71). Danach widersprach er sich allerdings weil er angab, dass sein Onkel ihn seit 7 oder 8 Monaten, nachdem der Leichnam seines Bruders ins Spital gebracht worden wäre, nicht mehr angerufen habe (AS 73). Er gab an Herzprobleme zu haben, die in Afghanistan nicht behandelbar seien und keinen Kontakt mit seiner Familie (er habe eine Frau und zwei Kinder) mehr zu haben, er könne nicht zurück.
Der Betroffenen gab abschließend an, schon zur Deutschprüfung B1 angemeldet gewesen zu sein, die aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan gelesen und den Dolmetscher gut verstanden zu haben (AS 75).
Dem Untersuchungsbericht der Ärztinnen in TRAISKIRCHEN (AS 79) ist zu entnehmen, dass der BF vor ca. 7 Monaten bei einem Autounfall einen Herzstillstand hatte (seitdem an einer rez Tachykardie sub leide, er wache ca. einmal im Monat schweißgebadet auf), eine operierte Schussverletzung am Bein und Probleme mit einer lockeren Zahnbrücke im linken Unterkiefer hat.
Im Anschluss an diese Einvernahme hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Betroffenen gemäß § 12a Abs 2 AsylG mit mündlich verkündetem Bescheid vom 26.06.2019 auf. Dies wurde im Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vom selben Tag dokumentiert.
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens nicht geändert habe. Der Betroffene habe ergänzende Fluchtgründe (Ermordung des Bruders) vorgebracht, die sich auf sein Vorbringen im Erstverfahren beziehen und nicht glaubwürdig wären. Seine Fluchtgründe hätten bereits bei der Erstantragstellung bestanden. Der nunmehrige Antrag auf internationalen Schutz sei daher voraussichtlich zurückzuweisen. Auch die allgemeine Lage in Afghanistan habe sich nicht entscheidungswesentlich geändert. Selbiges gelte für die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen. Die gesundheitlichen Probleme seien nicht schwerwiegend, könnten in Afghanistan behandelt werden und sei er jung und arbeitsfähig, sodass nicht davon auszugehen sei, dass er in Afghanistan in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde.
Dem Betroffene wurde erklärt, dass die Verwaltungsakten unverzüglich von Amts wegen dem BVwG zur Überprüfung übermittelt würden, was als Beschwerde gelte.
8. Am 27.06.2019 langte der Verwaltungsakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung des BVwG ein, worüber das BFA noch am selben Tag verständigt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen
Der Betroffene ist Staatsbürger von Afghanistan. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein. Seine Identität steht fest. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Paschtu, er spricht aber auch Dari und Urdu. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder sowie weitere Verwandte in Afghanistan in der Provinz TAKHAR, sowie einen Cousin in ÖSTERREICH und einen Onkel in LONDON.
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt wird festgestellt, insbesondere steht fest, dass der Antrag auf internationalen Schutz mit Erkenntnis des BVwG vom 10.09.2018 abgewiesen und mit einer Rückkehrentscheidung betreffend den Herkunftsstaat Afghanistan verbunden wurde. Diese Entscheidung ist rechtskräftig und durchsetzbar.
Der Folgeantrag des Betroffenen bezieht sich auf dieselben Fluchtgründe (Familienfehde) die bereits bei seinem Erstantrag geprüft und für nicht glaubhaft erachtet wurden.
Der Betroffene hat in Österreich keine von ihm abhängigen Familienangehörigen oder eine familienähnliche Lebensgemeinschaft. Der Betroffenen bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.
Der Betroffene leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würde. Die diagnostizierte rez. TACHYKARDIE (Herzrasen) ist medikamentös auch in Afghanistan behandelbar und verfügt der Betroffene über ein Netzwerk auf dass er zurückgreifen kann, er hat in KABUL gelebt und kennt auch MAZAR-E SHARIF (lt. Ersteinvernahme).
Die Lage im Herkunftsstaat des Betroffenen stellt sich gegenüber den im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen im Wesentlichen unverändert dar. Wenngleich nunmehr die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 grundsätzlich davon ausgehen, dass in KABUL keine interne Schutzalternative mehr gegeben ist, hat sich diese Einschätzung für die Städte MAZAR-E SHARIF und HERAT für alleinstehende, leistungsfähige Männer im erwerbsfähigen Alte ohne besondere Gefährdungsfaktoren (zu dieser Personengruppe zählt der Betroffene) nicht geändert und besteht für diese auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in diesen Städten eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative. Da der BF in KABUL gelebt hat, treffen die UNHCR-RL zum Nichtmehrvorliegen einer internen Fluchtalternative in KABUL auf ihn nicht zu.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den Betroffenen sowie durch Einsicht in den hg. Gerichtsakt, GZ W104 2174031-1, (betreffend die Beschwerde des Betroffenen im Vorverfahren).
Die Feststellungen zur Person des Betroffenen gründen auf den Angaben des Betroffenen in den Verfahren über seinen ersten und den zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
Die Feststellungen zum ersten Antrag auf internationalen Schutz, zu dessen Erledigung sowie zum damaligen Vorbringen des Betroffenen ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsverfahrensaktes des BFA und dem hg. Gerichtsakt zum ersten Asylverfahren, GZ W104 2174031-1.
Die Rechtskraft des Erkenntnisses des BVwG vom 10.09.2018 mit welchem die Beschwerde gegen die Abweisung des (ersten) Antrags auf internationalen Schutz vom 21.09.2015 in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen wurde, ergibt sich daraus, dass dieses im Zeitpunkt der Zustellung als erlassen gilt und dagegen kein Rechtsmittel mehr eingebracht wurde. Das Protokoll über die erfolgte Zustellung durch ERV liegt im Akt W104 2174031-1 auf.
Die Feststellungen zum zweiten Antrag auf internationalen Schutz und dem hierzu erstatteten Vorbringen des Betroffenen ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsverfahrensakts des BFA.
Dass es sich bei den im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Behauptungen und vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen des Betroffenen nicht um einen Sachverhalt handelt, der erst nach Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklicht wurde, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Betroffenen im Verfahren. Weil wie schon im Vorverfahren erneut massive Widersprüche aufgetreten und die Schilderung des Betroffenen ausgesprochen vage und oberflächlich blieb. Dieser gab vor dem BFA zudem selbst an, dass seine Fluchtgründe aus dem Erstverfahren noch aufrecht seien. Zusammengefasst ergibt sich beim Betroffenen im zweiten Asylverfahren das Bild, dass dieser schlicht nicht gewillt ist nach Afghanistan zurückzukehren.
Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Betroffenen in Österreich gründen ebenfalls auf dessen Angaben in Zusammenschau mit der eigeholten Abfrage aus der Speicherdatenbank des Grundversorgungssystems GVS. Der Betroffene gab bereits im Erstverfahren zu Protokoll, nur einen Cousin in Österreich zu haben und das der Rest der Familie sich in Afghanistan aufhält. Dass sich daran seit Abschluss des Erstverfahrens etwas geändert hätte, wurde weder behauptet noch gibt es hierfür Anhaltspunkte. Hinweise auf das Bestehen eines Familienlebens sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen.
Die Feststellung zum aktuellen Gesundheitszustand des Betroffenen gründet auf dessen eigenen Angaben in seiner Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2019. Dieser gab hier zu Protokoll, nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen aber Medikamente gegen sein Herzrasen zu nehmen und Zahnprobleme zu haben. Aus den medizinischen Unterlagen und diesen Angaben ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Betroffenen, die einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen könnte. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich das eine medizinische Behandlung in Afghanistan insbesondere in KABUL und MAZAR-E SHARIF möglich und für den Betroffenen aufgrund seines Netzwerkes auch leistbar ist. Zudem kann ihm ein Tablettenvorrat mitgegeben werden und hat er den Zahnarzttermin bereits am 28.06.2019.
Dass die allgemeine Situation in Afghanistan seit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens im Wesentlichen unverändert geblieben ist und sich die maßgebliche Lage in Afghanistan für den Betroffenen nicht geändert hat, ergibt sich aus den in den Bescheiden des BFA sowie im Erkenntnis des BVwG enthaltenen Feststellungen zu Afghanistan. Das Erkenntnis des BVwG, mit welchem die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 02.10.2017 abgewiesen und die Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung bestätigt wurde, datiert auf den 10.09.2018. Der Bescheid über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes wurde am 26.06.2019 - sohin bloß 10 Monate nach rechtskräftiger Beendigung des ersten Asylverfahrens - erlassen. Die dazwischenliegenden Sicherheitsvorfälle in Afghanistan und die Versorgungslage veranlassten eine Aktualisierung der Berichte dahingehend, ergeben jedoch keine wesentliche Lageänderung.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit des BVwG und anzuwendendes Recht
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 22 Abs 10 AsylG 2005 (im Folgenden: AsylG) entscheidet das BVwG über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss.
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10.10.2018 zu G 186/2018 ua. wurden verwaltungsgerichtliche Normanfechtungsanträge zur Überprüfung von ua. § 22 Abs 10 dritter, vierter und fünfter Satz AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 68/2013, sowie gegen § 22 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 68/2013 abgewiesen, im Übrigen wurden die Anträge zurückgewiesen.
3.2. Zu Spruchteil A) Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes
3.2.1. Maßgebliche Rechtsgrundlagen:
§ 12a AsylG lautet auszugsweise:
"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen
§ 12a. (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn
1. gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,
2. kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt und
3. im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben, und
4. eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.
(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
[...]
(6) Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt. Anordnungen zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG und Ausweisungen gemäß § 66 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gilt nicht für Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG, die über einen darüber hinausgehenden Zeitraum festgesetzt werden."
§ 22 Abs. 10 AsylG lautet:
"Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."
§ 22 BFA-VG lautet:
"§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakte bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."
3.2.2. Daraus folgt für das gegenständliche Verfahren:
Das Verfahren über den ersten Antrag des Betroffenen auf internationalen Schutz vom wurde mit Bescheid des BFA vom und Abweisung der dagegen erhobenen Beschwerde durch das BVwG am 10.09.2018 rechtskräftig abgeschlossen. Beim Antrag des Betroffenen auf internationalen Schutz vom 29.05.2019 handelt es sich somit um einen Folgeantrag iSd § 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005.
Der Bescheid ist mit Zustellung des abweisenden Erkenntnisses des BVwG in Rechtskraft erwachsen. Es liegt somit kein Fall des § 12a Abs 1 AsylG 2005 vor.
Die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG des BFA vom 02.10.2017 wurde somit ebenfalls am 10.09.2018 rechtskräftig. Laut seinen eigenen Angaben vor dem BFA hat der Betroffene seit seinem ersten Asylverfahren Österreich verlassen ist aber nicht in seinen Heimatstaat, sondern in die SCHWEIZ ausgereist, wo er aufgegriffen und nach dem Dublin-Regime wieder nach Österreich zurückgestellt wurde. Die Rückkehrentscheidung nach Afghanistan ist nach wie vor rechtskräftig. Die Zulässigkeit der Abschiebung ist weiterhin aufrecht.
Eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der zweite Antrag des Betroffenen auf internationalen Schutz vom 29.05.2019 voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist: Diese wurde weder substantiiert behauptet noch ergibt sich eine solche aus der Aktenlage. Die behauptete Angst des Betroffenen vor der Familienfehde war bereits Gegenstand des ersten, rechtskräftig abgeschlossenen, Asylverfahrens. Der nunmehr behauptete Tod des Bruders steht im Zusammenhang mit dieser Familienfehde und ist daher ebenfalls nicht glaubhaft. Bei den im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Rückkehrbefürchtungen des Betroffenen handelt es sich insgesamt nicht um einen Sachverhalt, der erst nach Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklicht wurde. Aus den Länderberichten ergibt sich zudem, dass auch im Hinblick auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat des Betroffenen keine maßgebliche Änderung der Lage im Vergleich zum vorangegangenen Bescheid bzw. dem Erkenntnis des BVwG eingetreten ist. Eine Sachentscheidung über den Folgeantrag selbst ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Ein auf das AsylG gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG aus:
Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN). Auch diesbezüglich wurden keine entscheidungswesentlichen Sachverhaltsänderungen vorgebracht.
Im vorliegenden Fall gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung des Betroffenen nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK darstellen würde. Eine Gefährdung iSd Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK wurde vom Betroffenen zu keiner Zeit vorgebracht. Bereits im ersten Verfahrensgang wurde festgehalten, dass der Betroffene bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung der Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht (§ 50 FPG). Auch im Folgeverfahren sind keine Risiken für den Betroffenen im Sinne von § 12a Abs 2 Z 3 AsylG hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des VwGH ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände ist vor dem Hintergrund der Feststellungen jedenfalls zu verneinen.
Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).
Es sind auch keine erheblichen in der Person des Betroffenen liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, die eine umfassende Refoulementprüfung für notwendig erscheinen lassen würden. Der Betroffene ist bis auf gelegentliches Herzrasen und Schwitzen (einmal im Monat) und Zahnprobleme jung, gesund und arbeitsfähig.
Ebenso wenig sind Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Betroffenen ein "reales Risiko" einer gegen Art 2 oder 3 EMRK erschlossenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Betroffene hat auch solche Umstände weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgebracht.
Im Hinblick auf Art 8 EMRK hat der Betroffene bereits im ersten Asylverfahren angegeben, in Österreich keine Familie (mit Ausnahme eines Cousins) oder familienähnliche Lebensgemeinschaft zu haben. Eine besondere Aufenthaltsverfestigung kann angesichts der vergleichsweise kurzen Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, der seit rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens unrechtmäßig ist, nicht angenommen werden. Es kann daher auch keine Verletzung seines Rechts auf Privat- oder Familienleben durch eine Abschiebung festgestellt werden.
Entsprechend den obigen Ausführungen stellt - nach einer Grobprüfung des Aktes - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Betroffenen in seinen Herkunftsstaat für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK dar bzw. ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
Da somit alle Voraussetzungen des § 12a Abs 2 AsylG 2005 erfüllt sind, ist spruchgemäß festzustellen, dass die mit mündlich verkündetem Bescheid vom ausgesprochene Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig war.
Gemäß § 22 Abs 1 BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.
Zu Spruchteil B):
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auf die angeführte Rechtsprechung wird verwiesen.
Schlagworte
aufrechte Rückkehrentscheidung, faktischer Abschiebeschutz -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W208.2174031.2.00Zuletzt aktualisiert am
27.08.2019